Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.
Die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik ist Berlin.
Die Staatsflagge der Deutschen Demokratischen Republik besteht aus den Farben Schwarz-Rot-Gold und trägt auf beiden Seiten in der Mitte das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik.
Das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik besteht aus Hammer und Zirkel, umgeben von einem Ährenkranz, der im unteren Teil von einem schwarz-rot-goldenen Band umschlungen ist.

Ursprüngliche Fassung des Artikel 1 Absatz 1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik

Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen.
(Im Gegensatz zu anderen Artikeln, die mehr als einen Absatz haben, sind die Absätze im amtlichen Text des Art. 1 nicht numeriert. Ein Grund dafür wurde nicht angegeben; jedoch muß angenommen werden, daß bewußt so verfahren wurde. Möglicherweise soll damit die Bedeutung des Artikels hervorgehoben werden.)

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I. Die DDR - ein sozialistischer Staat

1 Der erste Absatz des Art. 1 präzisiert »die Grundlage der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung« (Walter Ulbricht, Die Rolle des sozialistischen Staates ..., S. 1736).
Er hat nicht konstitutive, sondern deklaratorische Bedeutung; denn die DDR war schon vor Erlaß der Verfassung von 1968 ein sozialistischer Staat.
Die Frage, ob nicht im Zusammenhang mit der neuen Verfassung der Name »Deutsche Demokratische Republik« in »Deutsche Sozialistische Republik« oder »Sozialistische Republik Deutschland« geändert werden sollte, wurde verneint (Erich Honecker, Neues Deutschland vom 19.2.1968, Bericht der Verfassungskommission, S. 700). Als Begründung wurde angeführt, daß der Name »Deutsche Demokratische Republik« nicht nur bei ihren Bürgern, sondern in der ganzen Welt einen sehr guten Klang bekommen habe, so daß eine Namensänderung schädlich sei.


2 1. Staatstypenlehre

Die Bezeichnung der DDR als sozialistischer Staat folgt der von der marxistisch-leninistischen Staatstheorie entwickelten Staatstypenlehre. Weil die marxistisch-leninistische Staatstheorie sich der Unterscheidung von Inhalt und Form befleißigt, hält sie in erster Linie das Wesen des Staates für bedeutsam. Die Form des Staates wird zwar für nicht unwichtig gehalten. Dem Wesen des Staates wird jedoch ein größeres Gewicht beigemessen.

3 a) Nach dem Lehrbuch »Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie« (S. 75) ist der Staatstyp eine Kategorie, die die Einheitlichkeit der Wesenszüge aller Staaten einer ökonomischen Gesellschaftsformation widerspiegele, die durch die Gemeinsamkeiten ihrer ideologischen Basis, des Klassenwesens und der Grundprinzipien der Organisation bedingt sei.
Das Wesen des Staates wird danach also durch die Klassenstruktur der Gesellschaft, die von den jeweiligen Produktionsverhältnissen abhängig ist, bestimmt. Vorgelagert ist ein spezifisches ökonomisches, soziologisches und anthropologisches Vorverständnis entsprechend den Lehren des dialektischen und historischen Materialismus (Siegfried Mampel, Das Recht in Mitteldeutschland, Rz. 81 ff.).
Unter Klassen versteht der historische Materialismus »große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem (größtenteils in Gesetzen fixierten und formulierten) Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe ihres Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen« (W. I. Lenin, Die große Initiative). Der Begriff »Produktionsverhältnisse« meint sowohl die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln (die Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel -die Dinge oder Komplexe von Dingen, womit der Mensch die Arbeitsgegenstände bearbeitet -, mit deren Hilfe der Mensch materielle Dinge herstellt), als auch die Verhältnisse der Menschen zueinander beim Produzieren. Die Produktionsverhältnisse und damit die Klassenstruktur der Gesellschaft unterliegen nach den Lehren des historischen Materialismus dem Wandel entsprechend objektiver Gesetze. Der Wandel der Produktionsverhältnisse vollziehe sich in Abhängigkeit von der Entwicklung der Produktivkräfte. Darunter wird sowohl der subjektive Faktor des Produktionsprozesses (die geistigen und physischen Fähigkeiten der Menschen, ihre Arbeitsfertigkeiten und Erfahrungen) als auch der gegenständliche Faktor des Produktionsprozesses (das technische Niveau der Arbeitsmittel) verstanden. Mit der Entstehung des Privateigentums an den Produktionsmitteln seien die Klassen entstanden. Seitdem ständen sich in den verschiedenen, aufeinanderfolgenden Gesellschaftsformationen (Sklavenhaltergesellschaft, feudale und bürgerliche Gesellschaft) jeweils eine Grundklasse der Habenden und eine Grundklasse von Habenichtsen gegenüber. Deren Interessen seien entgegengesetzt, weil eine Gruppe von Menschen »sich die Arbeit einer anderen aneignen kann infolge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem bestimmten System der gesellschaftlichen Wirtschaft« (Lenin, a.a.O.). Die eine Gruppe wolle die jeweils bestehenden Zustände erhalten, die andere sie verändern. Die Auseinandersetzung zwischen den Grundklassen finde in Form eines Kampfes, des Klassenkampfes, statt. Außer den Grundklassen gebe es in jeder Gesellschaftsformation Neben- und Zwischenklassen, die aber nicht grundsätzlich die Gesellschaftsformation bestimmten und im Klassenkampf keine selbständige Rolle spielten.
Der Staat ist nach der Definition im Lehrbuch »Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie« (S. 74) die historisch entstandene, sich geschichtlich entwickelnde und vergängliche, aus der Gesellschaft herausgelöste und durch die ökonomische Ordnung bedingte, souveräne politische Macht der herrschenden Klasse, die die gemeinsamen Interessen der Eigentümer der grundlegenden Produktionsmittel sichert, vertritt und durchsetzt.
An seinem Charakter als Machtinstrument der herrschenden Klasse wird kein Zweifel gelassen. Hervorgehoben wird, daß er mit der Gesellschaft nicht zusammenfällt (a.a.O., S. 73).

4 b) Entsprechend den historischen Gesellschaftsformationen des historischen Materialismus unterscheidet die marxistisch-leninistische Staatstypenlehre nach dem Wesen des Staates drei im Laufe der Geschichte entstandene Typen von Ausbeuterstaaten und den sozialistischen Staat. Die Typen der Ausbeuterstaaten sind danach (1) der Sklavenhalterstaat, (2) der Feudalstaat, (3) der kapitalistische Staat. Der Übergang von einem Staatstyp zum anderen ist die Folge des Sieges einer beherrschten Grundklasse über die herrschende Grundklasse im Klassenkampf.

Ein besonderer Typ, der erst vor einigen Jahren in die marxistisch-leninistische Staatstypenlehre aufgenommen wurde, ist der Staat der »Nationalen Demokratie«, der in den Entwicklungsländern verwirklicht werden soll, die sich von der postkolonialen Ausbeutung befreit hätten und sich mehr oder weniger schnell auf den SoziaEsmus zubewegten (Klaus Westen, Der Staat der Nationalen Demokratie).

Von den Ausbeuterstaaten gehören der Sklavenhalterstaat und der Feudalstaat der Vergangenheit an. In der Gegenwart werden außer dem Staat der »Nationalen Demokratie« nur der kapitalistische Staat und der sozialistische Staat unterschieden. Der kapitalistische Staat sei der Staatstyp, der historisch überlebt sei und daher im Laufe der Entwicklung verschwinden würde. Der sozialistische Staat habe die Zukunft für sich.In der bürgerlichen Gesellschaft werde die Arbeiterklasse von den Kapitalisten ausgebeutet. Die Ausbeutung bestehe darin, daß nach dem Eigentumsrecht die Eigentümer der Produktionsmittel aus dem von der Arbeiterklasse produzierten Mehrwert (Überschuß zwischen dem Wert, den die Arbeiter produzieren, und dem, was sie zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft brauchen) ihren Profit ziehen.Als Relikt aus der Feudalzeit habe sich in der bürgerlichen Gesellschaft die Klasse der Großgrundbesitzer erhalten, deren Interessen im Klassenkampf weitgehend mit denen der Kapitalisten übereinstimmend geworden seien und die daher an deren Seite ständen. Als Nebenklassen existierten die Bauern, die kleinen Warenproduzenten (Handwerker) und sonstige Schichten des Kleinbürgertums (z. B. die Beamten). Als besondere Schicht gilt die Intelligenz, die sich aus den Angehörigen unterschiedlicher Klassen zusammensetzen kann, aber in der bürgerlichen Gesellschaft zu ihrem großen Teil aus Angehörigen des Groß- und Kleinbürgertums bestehe.In der bürgerlichen Gesellschaft finde der Klassenkampf zwischen den Kapitalisten und dem Proletariat statt.

5 c) Der kapitalistische Staat wird von der marxistisch-leninistischen Staatstheorie als Klassenherrschaft der Bourgeoisie angesehen. Es wird gelehrt, daß diese unabhängig von der Staatsform des kapitalistischen Staates (konstitutionelle Monarchie, parlamentarische oder präsidiale Republik) ausgeübt wird. Als Sonderform des kapitalistischen Staates wird die faschistische Diktatur angesehen, die sowohl in einer Monarchie (z. B. in Italien unter Mussolini) als auch in einer Republik (z. B. in Deutschland unter Hitler) errichtet werden könne. Im imperialistischen Staate herrscht nach der Imperialismustheorie die Finanzoligarchie.
Jeder kapitalistische Staat sei eine Diktatur der Bourgeoisie, die gegen die Arbeiterklasse ( = Proletariat) als Grundklasse, aber auch gegen Nebenklassen ausgeübt werde. Weil die Bourgeoisie nur eine Minderheit darstelle, sei der kapitalistische Staat eine Diktatur der Minderheit über die Mehrheit.

6 d) Da der kapitalistische Staat die Bastion der Ausbeuter sei, müsse der Kampf des Proletariats sich notgedrungen gegen diesen richten. Ziel dieses Kampfes sei aber nicht, wie es sich als Ergebnis früherer Klassenkämpfe herausstellte, eine Ausbeuterordnung durch eine andere zu ersetzen, denn der Arbeiterklasse komme es darauf an, die Grundlagen der Ausbeutung, das Privateigentum an den Produktionsmitteln, zu beseitigen und diese in gesamtgesellschaftliches Eigentum zu überführen. Denn wenn das geschehen sei, arbeite niemand mehr für andere. Damit seien die Voraussetzungen geschaffen, später auch die Klassen und damit die Klassenherrschaft und ihr Instrument, den Staat, zum Verschwinden zu bringen. Außerdem würde die Schaffung des gesamtgesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln die Produktivkräfte von den Schranken befreien, die ihrer ungehemmten Entwicklung durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln gesetzt worden seien. Letztlich könnten die Menschen in der klassenlosen Gesellschaft nach ihrem Bedürfnis befriedigt werden.

7 e) Der Kampf des Proletariats gegen die Klassenherrschaft der Kapitalisten und den kapitalistischen Staat als deren Instrument könne auch, anders als der Kampf früherer aus-gebeuteter Klassen, bewußt geführt werden. Denn während der Existenz der bürgerlichen Gesellschaft sei die objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte durch die Lehren des dialektischen und historischen Materialismus erkennbar geworden. Objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte wird dabei nicht als Zwangsläufigkeit in dem Sinne angesehen, daß die Entwicklung sich in genau festgelegten Bahnen vollziehen würde. Sie gebe nur eine Tendenz an. Die tatsächliche Entwicklung hänge vom Handeln der Menschen ab, die in der Lage seien, ihren Tendenzen zuwiderzuhandeln oder die Entwicklung in deren Sinne voranzutreiben.

8 f) Nach den Lehren des historischen Materialismus läuft die objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte in Richtung auf eine Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, auf eine klassenlose Gesellschaft, auf die Befriedigung der Menschen nach ihren Bedürfnissen, auf ein Absterben des Staates hinaus. Die objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte und die Interessen der Arbeiterklasse stimmten damit überein. Aus dieser Identität wird die Pflicht der Arbeiterklasse hergeleitet, die objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte bewußt zu erfüllen, den Lauf der Entwicklung planmäßig voranzutreiben, die Arbeiterklasse wird zum Demiurg der Geschichte.

9 g) Die Erkenntnis der objektiven Gesetzmäßigkeit der Geschichte sei aber zunächst nicht Allgemeingut der Arbeiterklasse. Nur wenige Menschen, die nicht einmal Angehörige der Arbeiterklasse zu sein brauchten, hätten sie. Das seien diejenigen, die sich die Lehren des historischen und dialektischen Materialismus zu eigen gemacht hätten, also die Kommunisten. Nach dem kommunistischen Manifest seien diese der entschiedenste und immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder, also noch keine eigene Partei. Sie hätten der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus. Damit wurde bereits ein Führungsanspruch der Kommunisten angemeldet, aber die Führung war als eine geistige gedacht.
Als Aufgabe der Kommunisten wird es angesehen, der Arbeiterklasse das »richtige«, das Klassenbewußtsein zu vermitteln. Durch die Kommunisten müsse die Arbeiterklasse zum Bewußtsein ihrer selbst gebracht werden.

10 h) Die Bemühungen der Kommunisten um die Schaffung des Klassenbewußtseins haben ihren gedanklichen Ansatz in ihren anthropologischen Vorstellungen, denen zufolge sich das Bewußtsein der Menschen grundsätzlich nach ihrer sozialökonomischen Lage richte, indessen hinter der Entwicklung der sozialökonomischen Verhältnisse deswegen zurückbleibe, weil ihr Denken von Natur aus langsam und außerdem Manipulationen der feindlichen Klasse ausgesetzt sei. Es sei Pflicht der Menschen mit dem richtigen Bewußtsein, die Menschen mit dem zurückgebliebenen oder manipulierten Bewußtsein zum richtigen, dem revolutionären Bewußtsein zu bringen. So wird die Bildung dieses Bewußtseins für eine der wichtigsten Aufgaben der Kommunisten gehalten. Sie wird nicht als Manipulation angesehen, weil sie die Arbeiterklasse dahin ausrichte, ihre materiellen Interessen zu verfolgen, und diese mit den Zielen übereinstimmten, denen die gesellschaftliche Entwicklung nach ihrer objektiven Gesetzmäßigkeit zustrebe. Wenn es trotzdem den Kommunisten nicht gelungen ist, die ganze Arbeiterschaft unter ihrer Führung zu einen, so liegt das nach Lenin daran, daß es der Klasse der Kapitalisten gelungen sei, Teile der Arbeiterschaft zu korrumpieren (Arbeiteraristokratie).

11 i) Der Gedanke, die Kommunisten zu einer straffen Organisation zusammenzufassen, stammt von Lenin, der die Schaffung einer straff organisierten Partei von Berufsrevolutionären forderte, die es verstünden, die Massen um sich zu scharen und mit sich zu reißen (W. I. Lenin, Was tun?). Auf ihn geht die Bildung der marxistisch-leninistischen Parteien zurück, die für sich in Anspruch nehmen, allein die objektiven Interessen des Proletariats zu vertreten und in der Lage zu sein, die objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte zu erfüllen. Die marxistisch-leninistische Partei sieht sich so als Vortrupp der Arbeiterklasse (Avantgarde des Proletariats) an.

12 j) Das Ziel der marxistisch-leninistischen Partei unter kapitalistischen Verhältnissen ist das Zerschlagen des von der Bourgeoisie beherrschten Staates. Der Weg dahin ist die Machtergreifung durch die Kommunisten. Auf welche Weise die Macht ergriffen werden soll, ist eine Frage der Taktik und richtet sich nach den gegebenen Umständen. Über sie haben sich im kommunistischen Lager Meinungsverschiedenheiten entwickelt. In der Regel wird die Gewaltanwendung für das einzig mögliche Mittel gehalten. Der chinesische Kommunismus meint, ein anderes Mittel käme überhaupt nicht in Frage. Der Kommunismus Moskauer Provenienz hält dagegen auch den friedlichen Weg für möglich, d. h. den Weg über einen Sieg bei den Wahlen zu den Volksvertretungen. Wenn dann die Bourgeoisie den erwarteten Widerstand gegen die Umwälzungen der ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Ordnungen leiste, soll dieser aber durch Gewalt gebrochen werden, so daß auch der »friedliche Weg« Gewaltanwendung einschließt.

13 k) Georg Brunner (Entwurf einer Verfassungstypologie sozialistischer Staaten, S. 50) meint, die Kategorie »Staatstyp« sei wissenschaftlich unbrauchbar, weil sie auf der Formationslehre der marxistisch-leninistischen Ideologie beruhe. Das trifft sicher auf der Klassifizierung der »nichtsozialistischen« Staatstypen nach marxistisch-leninistischer Staatstheorie zu. Die Bezeichnung des sozialistischen Staates als Staatstyp kann dagegen akzeptiert werden. Denn alle Staaten, die sich im Sinne der marxistisch-leninistischen Staatslehre als sozialistische bezeichnen, weisen einerseits gemeinsame Strukturelemente und -prinzipien (Wesensmerkmale) auf, die sie von den »nichtsozialistischen« Staaten unterscheiden, andererseits aber Unterschiede in der verfassungsrechtlichen Ausprägung (Karl-Heinz Schöneburg/Gerhard Schüßler, Probleme der Theorie der sozialistischen Staatsform). Wie man diese in kritischer Sicht auch beurteilen und bezeichnen will (Georg Brunner, a.a.O.; Siegfried Mampel, Zum Vergleich - Die Verfassungsreform in der DDR), es ist deshalb gerechtfertigt, zwischen den Kategorien »Staatstyp« und »Staatsform« zu differenzieren.


2. Der Begriff des sozialistischen Staates

14 a) Der Begriff des sozialistischen Staates entstand in der marxistisch-leninistischen Staatstheorie erst, nachdem in Rußland ein Staatswesen unter der Herrschaft einer marxistisch-leninistischen Partei (Kommunistische Partei der Sowjetunion - KPdSU) entstanden war. Marx und Engels setzten den kapitalistischen Staat dem Staat schlechthin gleich. Für sie war die Anti-These zum Staat eine Assoziation der von Ausbeutung freien Menschen. Für kurze Zeit hielten sie die Diktatur des Proletariats für unumgänglich, deren Aufgabe es sei, die ökonomische und gesellschaftliche Umwälzung zu vollziehen. Diese sei aber nicht mehr eine Diktatur der Minderheit über die Mehrheit, sondern bereits eine Diktatur der Mehrheit über die Minderheit. Da diese Diktatur aber auf die Schaffung der klassenlosen Gesellschaft gerichtet sei, würde der Staat als Instrument der Klassenherrschaft überflüssig, er sterbe ab. Marx und Engels sahen die sozialistische Revolution als einen Vorgang an, der sich im weltweiten Rahmen vollziehen und damit die Abgrenzung von Herrschaftsgebieten überflüssig machen werde.

15 b) Nachdem sich jedoch herausgestellt hatte, daß die sozialistische Revolution sich zunächst auf Rußland beschränken mußte und sich die kommunistischen Machthaber dort unter Stalin zum Aufbau des Sozialismus in diesem Lande entschlossen hatten, trat ein Wandel in der Auffassung ein. Es hatte sich auch gezeigt, daß der Umwälzungsprozeß längere Zeit in Anspruch nehmen mußte, als zunächst angenommen worden war. Die Vergesellschaftung des Eigentums an den Produktionsmitteln konnte aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht sofort zu einer einheitlichen Form des gesellschaftlichen Eigentums fuhren. Daraus ergab sich, daß die Gesellschaft auch im Sozialismus zunächst noch nicht klassenlos sein würde. Außerdem ergab sich, daß auch nach der Vergesellschaftung in absehbarer Zeit es nicht möglich war, die Produktivkräfte so zu steigern, daß eine Befriedigung der Menschen nach ihrem Bedürfnis möglich ist.
So entstand die Erkenntnis, daß die Diktatur des Proletariats nicht lediglich ein vorübergehender Zustand sei, sondern von nicht abzusehender Dauer sein werde und des staatlichen Rahmens bedürfe. So wurde der sozialistische Staat als neuer Staatstyp gefunden. Für die Verteilung von Produktionsmitteln mußte in dieser Phase ein anderer Maßstab gewählt werden als der des Bedürfnisses. Er wurde gefunden in der Leistung des einzelnen für die Gesellschaft. Es wurde unterschieden zwischen der Phase des Sozialismus und der Phase des Kommunismus. Für den Sozialismus gilt das Leistungsprinzip: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung.« Der Grundsatz: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinem Bedürfnis« soll erst für eine späte Zukunft, für den Kommunismus gelten.

16 c) Auch der sozialistische Staat hat instrumentalen Charakter. Anders als der kapitalistische Staat dient er nach der marxistisch-leninistischen Staatstheorie jedoch dem Fortschritt im Sinne der objektiven Gesetzmäßigkeit der Geschichte. Er wird nicht als Instrument in den Händen einer kleinen Minderheit, sondern der Arbeiterklasse unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei betrachtet. Nach Ulbricht (Die Rolle des sozialistischen Staates ..., S. 1737) ist der sozialistische Staat Machtorgan der Diktatur des Proletariats. Mit Nachdruck wird, besonders im Parteiprogramm der SED von 1976 (S. 55), der sozialistische Staat (der DDR) als eine Form der Diktatur des Proletariats bezeichnet.

17 d) Der sozialistische Staat hat noch eine Klassenstruktur. Es wird gelehrt, daß es in ihm zwar keine antagonistischen Klassen mehr gebe; denn die Ausbeuterklassen (Kapitalisten und Großgrundbesitzer) hätten ihre materielle Grundlage und damit ihre Existenz verloren. Aber die Klassenunterschiede blieben in ihm erhalten. Der wesentliche Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen der körperlichen und der geistigen Arbeit sei noch nicht völlig beseitigt. Es beständen noch Unterschiede in der Rolle, die die Arbeiter und Bauern in der gesellschaftlichen Produktion spielten, und ebensolche in der Art, wie sie ihr Einkommen bezögen (G. Glesermann, Die soziale Struktur der sozialistischen Gesellschaft). So blieben auch im Sozialismus Nebenklassen und die Schicht der Intelligenz bestehen.
Diese Klassen seien in der sozialistischen Gesellschaft jedoch eng miteinander verbunden. Wie die Nebenklassen schon im Klassenkampf keine selbständige Rolle gespielt, sondern sich der jeweils führenden Klasse angeschlossen hätten, so gingen sie im Sozialismus mit der Arbeiterklasse ein enges Bündnis ein. Indessen wird der Unterschied zwischen den Klassen für schon so gering angesehen, daß die Angehörigen aller existierenden Klassen unter den Oberbegriff »Werktätige« gebracht werden könnten. Trotz der bestehenden Klassenunterschiede wird von der sozialen, ideologischen und politischen Einheit des Volkes gesprochen, zuweilen als bestehendem Zustand, zuweilen als Zustand, der nahezu erreicht sei. Trotzdem sei aber die Gemeinsamkeit unter den Werktätigen noch nicht groß genug, daß die Unterschiede unbeachtet bleiben dürften, wenn es um die Führung der Gesellschaft gehe. Da für sie die Höhe des politischen Bewußtseins entscheidend sei, diese aber von der sozialökonomischen Lage der Klassen abhänge, sei die Arbeiterklasse die bewußteste Klasse geblieben, so daß sie unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Größe den Führungsanspruch hätte.

18 e) Unter der Ägide Chruschtschows wurde in der marxistisch-leninistischen Staatstheorie die These entwickelt, der sozialistische Staat sei ein Staat des gesamten Volkes geworden, weil die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten nach dem Verschwinden der Ausbeuterklassen das ganze Volk umfaßten. Auf ihn könne die Charakterisierung des Staates als Klassenherrschaft nicht mehr zutreffen. Seine Aufgabe bestehe in der Herstellung der klassenlosen Gesellschaft. Der Staat des gesamten Volkes sei schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr. In Anlehnung an ein Wort von Lenin wurde er als »Halbstaut« bezeichnet. Er wachse immer mehr in die Selbstverwaltung der hochorganisierten Gesellschaft hinüber. Die Volksmassen würden immer mehr in die Führung von Staat und Gesellschaft einbezogen. Funktionen der Staatsorgane würden im steigenden Maße auf gesellschaftliche Organe übertragen. Damit, so wurde gelehrt, vollziehe sich das Absterben des Staates bereits in der Phase des Sozialismus. Von der chinesischen Richtung des Weltkommunismus wurde diese Ansicht scharf bekämpft.
In der DDR wurde die Auffassung vom Staat des gesamten Volkes zwar geteilt, gleichzeitig aber erklärt, daß die Entwicklung dort noch nicht zu ihm geführt habe. Der unterschiedliche Stand der Entwicklung gegenüber der UdSSR wurde mit dem noch unterschiedlichen sozialökonomischen und politisch-ideologischen Entwicklungsniveau der Klassenbeziehungen und mit der Tatsache, daß es in der DDR noch - wenn auch unbedeutende - Überreste der ehemaligen bürgerlichen Klasse gebe, erklärt. Vor allem seien die sozialistischen Beziehungen der gegenseitigen Hilfe und Zusammenarbeit zwischen den Klassen und Schichten der sozialistischen Gesellschaft noch unterschiedlich ausgeprägt und hätten gerade erst durch den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse die objektiven ökonomischen Grundlagen für ihre volle Entfaltung erhalten (Wolfgang Weichelt, Die sozialistische Staatsmacht in der Periode des umfassenden Aufbaues des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik, S. 2117). In seiner Festrede zum 15. Jahrestag der DDR stellte Walter Ulbricht fest, die DDR habe sich aus einem Staat der antifaschistisch-demokratischen Ordnung zu einem sozialistischen Staat der Werktätigen entwickelt. Dieser Staat befinde sich auf dem Weg zum sozialistischen Volksstaat. Die politisch-moralische Einheit des Volkes habe sich weiter gefestigt. Die Arbeiter-und-Bauern-Macht habe sich zur umfassenden Organisation der sozialistischen Gesellschaft entwickelt. Damit wurde von der DDR bereits der Vorbehalt gemacht, daß dort die Diktatur des Proletariats noch Weiterbestände.
Inzwischen wurden in der DDR gewisse Thesen über den Volksstaat einer scharfen Kritik unterzogen. Es wurde erklärt: »Daher entbehren auch solche Theorien jeglicher wissenschaftlicher Grundlagen, bei denen vom Absterben des Staates im Sozialismus, von der Abschwächung seines politischen Charakters, seiner Kennzeichnung als Halbstaat oder von der Entstaatlichung des gesellschaftlichen Lebens die Rede ist« (Reiner Arlt, Arbeiterrevolutionär, Staatsmann und Theoretiker, S. 887). Beibehalten wurde jedoch die These, daß der Staat die politische Organisation aller Werktätigen geworden sei.
Nach Gert Egler/Hans-Dietrich Moschütz (Zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der DDR, S. 359) handelt es sich um die »verfassungsrechtlich präzisere Widerspiegelung des Klassenwesens« der DDR, wenn es nach der Verfassungsnovelle von 1974 in Art. 1 nunmehr heiße, die DDR sei ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern (anstelle »deutscher Nation«).

19 f) Der sozialistische Staat hat nach der in der DDR vertretenen Auffassung damit einen zweifachen Charakter. Er ist politische Organisation aller Werktätigen, gleichzeitig aber Machtorgan der Diktatur des Proletariats. Die Verfassung spiegelt diese Auffassung wider, wenn in Art. 1 Satz 2 die DDR als politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei bezeichnet wird.

20 g) Die Verfassung regelt nicht nur die Organisation des Staates, sondern auch die Organisation der Gesellschaft. Allgemein gilt: »Die Verfassung sozialistischen Typs ist nicht nur die Verfassung des Staates, sondern auch die Verfassung der Gesellschaft (I. L. Kalinytschew, Die grundlegenden Besonderheiten ..., S. 305). Sozialistische Verfassungen organisieren die Gesellschaft monistisch. »Verfassungen im Sozialismus und auf dem Wege zum Sozialismus sind Normensysteme, die politische Grundentscheidungen über die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung des Staates und der Gesellschaft treffen, die die staatliche Machtausübung des von der Arbeiterklasse geführten Volkes organisieren und steuern, die den staatlichen Willensbildungsprozeß regulieren« (Karl-Heinz Schöneburg, Verfassung und Gesellschaft, S. 180). Nur einer Gruppe gebührt die Führung, die anderen haben dieser als Verbündete zu folgen. Die Verfassung reflektiert so ein Elitedenken, demzufolge die Führung denen gebührt, die die höhere Reife des politischen Bewußtseins haben. Die höhere Reife haben aber nur die, die sich die Vorstellungen des dialektischen und historischen Materialismus voll zu eigen gemacht haben und die Fähigkeit besitzen, die richtigen Folgerungen aus den gewonnenen Erkenntnissen zu ziehen. Andersdenkende werden als politisch unreif oder sogar als böswillig abgestempelt. Toleranz ist diesem Denken fremd.
Die marxistisch-leninistische Staatstheorie vertritt den Standpunkt, daß eine sozialistische Verfassung die Klassenstruktur der Gesellschaft lediglich reflektiere. Richtig ist, daß die Verfassung die Klassenstruktur nicht schafft. Das kann auch ein Normenwerk nicht leisten. Denn die Bildung von Klassen und Schichten in der Gesellschaft ist ein empirischer Vorgang, nicht das Ergebnis von geistigen Objektivationen mit imperativer Wirkung. Aber die Verfassung zieht aus einer bestimmten Klassenstruktur der Gesellschaft rechtliche Konsequenzen. Dabei geht sie davon aus, daß die Kriterien, nach denen die marxistisch-leninistische Lehre die soziale Schichtung der Gesellschaft vornimmt, die einzig möglichen sind. Andere Kriterien zu verwenden, wäre sogar wegen des Gleichheitssatzes (Art. 20) verfassungswidrig.
Trotzdem können weder die Erklärung über die verfassungsrechtliche Relevanz der Klassenstruktur noch der Gleichheitssatz verhindern, daß sich in einer Gesellschaft soziale Schichten nach anderen Kriterien bilden, zum Beispiel entsprechend ihrem Verhältnis zu den Zentren der Macht im Staatsapparat (Schicht der Bürokraten) oder in der Wirtschaftsorganisation (Schicht der Manager).
Gerade die marxistisch-leninistische Lehre baut auf die Dynamik in der gesellschaftlichen Entwicklung. Diese soll freilich nicht der Spontaneität überlassen, sondern planmäßig zu einer klassenlosen Gesellschaft geführt werden. Die Verfassung nimmt von ihr im Begriff der »sozialistischen Gemeinschaft«, gleichsam einer Vorform der klassenlosen Gesellschaft, Kenntnis, die sich einerseits immer mehr entwickeln, andererseits aber mit der Klassenstruktur der Gesellschaft im Einklang stehen soll (s. Rz. 29 ff. zu Art. 3). Auch hierbei wird gar nicht erst in Rechnung gestellt, daß die Entwicklung andere Ergebnisse als die geplanten haben kann.

21 Die verfassungsrechtliche Relevanz der Klassenstruktur äußert sich in der Regelung des Willensbildungsprozesses. Er wird so normiert, daß nur die »politisch Bewußtesten« den staatlichen Willen bilden können. »Es geht nicht um den empirischen Willen und die empirische Praxis, an die - wie die Analyse des Positivismus zeigt - das bürgerliche Recht und der bürgerliche Staat und seine Institutionen anknüpfen, es geht um den geschichtlich notwendigen, aus der Erkenntnis der gesellschaftlichen Entwicklung gewonnenen Willen und um die aus dieser Erkenntnis sich entwickelnde Praxis« (Karl Polak, Zur Dialektik in der Staatslehre, S. 250).
Für die rechtswissenschaftliche Analyse kann offen bleiben, ob die von den Marxisten-Leninisten behauptete Klassenstruktur einer empirischen Analyse standhält. Die These, daß eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft den Anspruch auf Führung hat, geht davon aus, daß nicht nur die sozialökonomische Situation des einzelnen sein politisches Bewußtsein und damit seinen politischen Willen bestimmt, sondern ein anderer Faktor wirksam gemacht werden muß. D. A. Kerimow (Freiheit, Recht und Gesetzlichkeit, S. 76) unterscheidet zwischen dem »individuellen, psychologischen Willen« und dem »gesellschaftlichen Willen«. Der »gesellschaftliche Willen« sei nicht die einfache arithmetische Summe der individuellen Willensakte der Gesellschaft oder der Klasse. Trotzdem bestände zwischen dem individuellen, psychologischen Willen und dem gesellschaftlichen, dem Klassenwillen, ein Zusammenhang. Denn der individuelle Willen und der gesellschaftliche, der Klassenwillen, entständen auf ein und derselben Grundlage, auf der Grundlage einer bestimmten Produktionstätigkeit des Menschen und der sich im Prozeß dieser Tätigkeiten herausbildenden Beziehungen. Der individuelle Willen sei das Produkt der persönlichen Erfahrung und des Schaffens. Aber die Mitglieder einer bestimmten Klasse hätten auf der Grundlage der Gemeinsamkeit der Bedingungen ihres materiellen Lebens - zumindest im wesentlichen — auch gemeinsame Interessen und Ziele. Aufgrund der Gemeinsamkeit der ökonomischen Interessen der Menschen, die zu einer Klasse gehörten, bilde sich ihr Gesamtklassenwillen heraus. Eine spezifische Form des Gesamtklassenwillens sei der staatliche Willen, nämlich der Willen einer herrschenden Klasse.

22 Es sind Rousseaus Lehren vom Gesamtwillen und Gemeinwillen, die hier abgewandelt werden. Der Begriff des Gemeinwohls, nach dem der Gemeinwillen strebe, wird mit der Erfüllung der materiellen Interessen gleichgesetzt. Während Rousseau aber die Frage, ob der Gemeinwillen sich irren könne, dahin beantwortet, daß er jederzeit recht habe, unter der Voraussetzung freilich, daß es im Staat keine Sondergesellschaft gebe, auch nicht einen Verband, der alle anderen überflügele und seine Sonderansichten anstelle des Gemeinwillens setze, und jeder wohlinformierte Staatsbürger seine eigene Meinung sage und der Gemeinwillen der Willen der Mehrheit sei, unter der Voraussetzung, daß er alle Kennzeichen des Gesamtwillens habe, teilt die marxistisch-leninistische Staatstheorie diesen Optimismus nicht. Nach ihr ist die Erleuchtung nicht bei allen Bürgern in gleicher Weise vorhanden, nicht einmal bei allen Klassengenossen. D. A. Kerimow (a.a.O., S. 83) schreibt, schließlich müsse man hervorheben, daß nicht jedes Mitglied der herrschenden Klasse das Niveau erreiche, um alle Interessen seiner Klasse zu erkennen. Seine Interessen als Mitglied der herrschenden Klassen kämen, auch wenn sie von ihm nicht erkannt würden, dennoch durch die Vertreter der herrschenden Klasse, die die Interessen der ganzen Klasse erkannt hätten, zum Ausdruck.
Diesen vernünftigen und deshalb allein relevanten Willen hat nach der Meinung der marxistisch-leninistischen Staatstheorie zunächst nur die marxistisch-leninistische Partei, weil nur sie die richtige Erkenntnis habe. »Der Wille der Partei wird zum Willen der Klasse, zum Willen des ganzen Volkes durch die ständige, systematische und tägliche Arbeit der Partei mit den Werktätigen, durch die aufmerksame, sorgfältige und allseitige Erforschung und Verallgemeinerung ihrer Bedürfnisse« (D. A. Kerimow, a.a.O., S. 88/89).
Beruft sich die Partei auf den Willen des Proletariats oder den Willen des Volkes, so meint sie stets diesen hypothetischen Willen, der aber in die Zukunft hinein angelegt ist, also antizipiert ist. Es wird keinesfalls auf den Konsens der Führung mit den Geführten grundsätzlich verzichtet, wie das in gewissen autoritären Regimen, etwa in militärischen Diktaturen, die Regel ist. Aber der Konsens wird nicht dadurch hergestellt, daß die Führung nach dem psychologischen Willen der Geführten fragt, sondern sie strebt danach, daß die Geführten den Willen der Führung annehmen, der auf die Erfüllung der objektiven Bedürfnisse der Geführten ausgerichtet sei.
So reguliert die Verfassung nicht nur den staatlichen Willensbildungsprozeß, sondern gibt auch die rechtliche Grundlage für den Willensbildungsprozeß in der Gesellschaft. Dieser monistisch gesteuerte Willensbildungsprozeß innerhalb der Gesellschaft besteht in einer ideologischen Indoktrination. Er bedarf der Organisation der Menschen. So gibt die Verfassung die Grundlage für die Organisation der Gesellschaft, welche die ideologische Indoktrination ermöglicht, mit dem Ziel, den Willen der Gesellschaftsmitglieder mehr und mehr dem Willen der Führenden anzupassen.
Die Organisation der Gesellschaft wird auf der Klassenstruktur der Gesellschaft, wie sie sich in der Sicht des historischen Materialismus darstellt, aufgebaut. Die marxistisch-leninistische Partei wird als Organisation der Arbeiterklasse angesehen. Ferner werden »Massenorganisationen« gebildet, teils nach der Sozialstruktur der Gesellschaft, teils auch nach ihrer Altersstruktur oder nach dem Geschlecht der Gesellschaftsmitglieder, wobei freilich nur für die Frauen eine besondere Organisation für notwendig gehalten wird. Alle Massenorganisationen werden von der marxistisch-leninistischen Partei geführt. Wenn in einem sozialistischen Staat außer der marxistisch-leninistischen Partei andere Parteien zugelassen sind, gelten diese als politische Organisationen anderer Klassen oder Schichten als der Arbeiterklasse. Dabei können auch andere Merkmale als die Klassenzugehörigkeit als relevant für einen Zusammenschluß gehalten werden, z. B. die religiöse Einstellung (die CDUD in der DDR). Voraussetzung für die weitere Existenz anderer Parteien ist ihre vorbehaltlose Unterordnung unter die marxistisch-leninistische Partei.
So wird eine Gesellschaftsorganisation geschaffen, innerhalb derer nach Möglichkeit alle Mitglieder der Gesellschaft zum mindesten in einer Eigenschaft, oft auch in mehreren, organisatorisch erfaßt werden. In den Gewerkschaften werden die Arbeiter und Angestellten organisiert, in einer Bauernvereinigung die Bauern. Die Frauen und die Jugend haben besondere Organisationen. Alle Parteien und Massenorganisationen werden in einer Großorganisation zusammengefaßt. Diese trägt, um ihren Kampfcharakter zu betonen, die Bezeichnung »Front« mit einem Epitheton. In der DDR heißt sie »Nationale Front der DDR« und hat in Art. 3 eine verfassungsrechtliche Grundlage erhalten (s. Rz. 1-16 zu Art. 3).
Die Gesellschaftsorganisation und die Klassenstruktur sind nicht identisch. Es sind Gesellschaftsorganisation und empirische Gesellschaft in kritischer Sicht streng zu unterscheiden. Aus der Zugehörigkeit zu einer Partei - nicht einmal zur marxistisch-leninistischen Partei - oder zu einer oder zu mehreren Massenorganisationen kann nicht ohne weiteres auf die politische Einstellung geschlossen werden.

23 h) Die Staatsorganisation und die Gesellschaftsorganisation sind so eng miteinander verzahnt, daß aus kritischer Sicht bereits vor Jahren festgestellt wurde, daß sie ein Ganzes bilden (Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungstruktur . . ., S. 32, im Anschluß an Boris Meissner, und in der Vorauflage dieses Kommentars, S. 89). Dieses Ganze wurde als »Gesamtstaat« begriffen.
Schon im Jahre 1967 war in der DDR die Forderung nach einer neuen Staatsdefinition erhoben worden. Die überlieferten Definitionen des sozialistischen Staates seien noch weitgehend Verallgemeinerungen aus der ersten Entwicklungsphase des Sozialismus (O. V., Neues staats- und rechtstheoretisches Denken ist geboten, S. 1206, im Anschluß an das Referat von Walter Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED (17.-22.4.1967, Neues Deutschland vom 18.4.1967).
Damals wurde in die marxistisch-leninistische Staatstheorie der Begriff des Systems eingeführt. Damit waren zunächst kybernetische Vorstellungen verbunden worden. Nachdem dann auf dem VIII. Parteitag (15.-19.6.1971) der übertriebenen Verwendung kybernetischer Gedankengänge eine Absage erteilt worden war, wird dennoch am Begriff »System« festgehalten, wenn er auch seltener als zuvor verwendet wird (s. Rz. 15-19 zu Art. 2).
Der sowjetische Rechtswissenschaftler D. A. Kerimow, der auch in der DDR lehrte, definierte, soweit übersehbar, das politische System des Sozialismus als »organisches einheitliches Netz der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen der Werktätigen mit der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Avantgarde, der kommunistischen Partei, an der Spitze, die die politische Führung und Leitung des Prozesses des Aufbaus des Kommunismus verwirklicht« (D. A. Kerimow, Diskussionsbeitrag ..., S. 92).

24 Seitdem werden die Begriffe des »politischen Systems der sozialistischen Gesellschaft« und der »politischen Organisation der sozialistischen Gesellschaft« synonym nebeneinander gebraucht, wie etwa in dem grundlegenden Beitrag von Richard Mand/ Karl-Heinz Schöneburg/Richard Stüber/Wolfgang Weichelt (Der sozialistische Staat im politischen System der Gesellschaft, S. 556). Nach den genannten Autoren ist die »politische Organisation der sozialistischen Gesellschaft« die Gesamtheit der politischen Organisationen und Institutionen, die in ihren wechselseitigen Beziehungen untereinander unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei die politischen Verhältnisse nach den objektiven Erfordernissen der sozialistischen Gesellschaft bewußt und planmäßig gestalten. Im Grundsätzlichen stimmten Lothar Lotze/Ingo Wagner dieser Definition zu (Bemerkungen zum Artikel »Der sozialistische Staat im politischen System der Gesellschaft«, S. 1515). Sie verlangten aber u.a., die Arbeitskollektive der Werktätigen in der Begriffsbestimmung zu berücksichtigen. Das 1974 erschienene »Wörterbuch zum sozialistischen Staat« definiert das »politische System der sozialistischen Gesellschaft« (p. S.) wie folgt:

»Gesamtheit aller staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen, Institutionen und Bewegungen der von der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei geführten Werktätigen bei der Ausübung der politischen Macht und der Leitung der politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Entwicklung in der sozialistischen Gesellschaft und beim Aufbau des Kommunismus. Zum p. S., dessen führende und lenkende Kraft die marxistisch-leninistische Partei ist, gehören neben und zusammen mit den Staatsorganen, vor allem die Gewerkschaften, der Jugendverband, verschiedene genossenschaftliche Vereinigungen und eine Vielzahl anderer Verbände und Vereinigungen der Bürger zur Wahrnehmung ihrer politischen, wirtschaftlichen, geistig-kulturellen und anderen Interessen. In den volksdemokratischen Staaten ist auch die Zusammenarbeit mehrerer politischer Parteien und eine sozialistische Bewegung wie die Nationale oder Vaterländische Front wichtiger Bestandteil des p. S. Eine wachsende Bedeutung erfahren in der sozialistischen Gesellschaft und beim Aufbau des Kommunismus insbesondere auch die Arbeitskollektive der Werktätigen in den sozialistischen Betrieben, Genossenschaften und Einrichtungen, die in vielfältigen Formen an der Leitung und Planung der gesellschaftlichen Angelegenheiten mitwirken. Das p. S. ist, insgesamt gesehen, ein vielfältig gegliederter und verzweigter, seiner sozialen Zielsetzung nach aber einheitlich wirkender, von der marxistisch-leninistischen Partei geführter Mechanismus, der die reale Machtausübung durch die Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen werktätigen Klassen und Schichten und die aktive Teilnahme der Bürger an der Leitung der gesellschaftlichen Angelegenheiten auf allen Gebieten gewährleistet.«

Weder das 1975 erschienene Lehrbuch »Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie«, noch das 1977 erschienene Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« verwenden die genannten Begriffe. Indessen trägt der Abschnitt II C des Parteiprogramms der SED von 1976 die Überschrift »Die politische Organisation der entwickelten sozialistischen Gesellschaft« (S. 55). Darin werden die SED, der Staat und seine Organe, die Massenorganisationen, die »befreundeten« Parteien und die Nationale Front der DDR als ein zusammengehörendes Ganzes behandelt.
Carola Luge/Richard Mand (Politisches System des Sozialismus, Recht, Demokratie, gesellschaftliche Organisationen, S. 233) treten dafür ein, die politische Organisation der sozialistischen Gesellschaft als Teil des politischen Systems, als Gesamtheit seiner politischen Institutionen aufzufassen. Der Begriff der politischen Organisation erscheint so im Verhältnis zu dem des politischen Systems als der engere. Der erstgenannte kann und soll die Dynamik und Wechselwirkung der politischen Institutionen und die im politischen System existierenden politischen Beziehungen nicht erfassen, sondern ist in seiner Zielrichtung darauf gerichtet, die besondere Stellung und Rolle der einzelnen politischen Institutionen im politischen System des Sozialismus exakt zu bestimmen und ihre Homogenität hervorzuheben. Anfang 1980 war die Diskussion über eine exakte Begriffsbestimmung noch nicht abgeschlossen (Herbert Baumann, Zu einigen Grundfragen der Theorie der politischen Systeme, S. 156).
Es soll daher nunmehr die Bezeichnung »Gesamtstaat«, unter der ohnehin in der gebräuchlichen Terminologie der Staatsrechtswissenschaft etwas anderes verstanden wird, als hier gemeint, fallengelassen werden und hinfort die dem Eigenverständnis der DDR-Staatsrechtswissenschaft entsprechenden Bezeichnungen »politische Organisation der sozialistischen Gesellschaft« bzw. »politisches System der sozialistischen Gesellschaft« für das zusammengehörende Ganze von Staats- und Gesellschaftsorganisation in der DDR verwendet werden, wobei der Verzicht auf eine Unterscheidung beider Begriffe unschädlich ist.

25 i) Der sozialistische Staat weist als Staatstyp Strukturelemente und -prinzipien auf, die für ihn konstitutiv sind. In der Vorauflage dieses Kommentars wurde festgestellt, daß beim Fehlen eines dieser Elemente und Prinzipien der sozialistische Staat sein Wesen verlieren würde.
Nach den 1968 veröffentlichten Erkenntnissen des Verfassers sind die Strukturelemente des sozialistischen Staates:
1. die Suprematie der marxistisch-leninistischen Partei, die eine planmäßige Leitung aller Lebensvorgänge impliziert,
2. das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln.
Die Strukturprinzipien des sozialistischen Staates sind:
1. die Gewaltenkonzentration (Gewalteneinheit),
2. der demokratische Zentralismus.
Aus diesen folgt ein bestimmtes Verhältnis des einzelnen zum Staat, das durch den Begriff des »sozialistischen Persönlichkeitsrechts« charakterisiert wird (Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur ..., S. 70).
26 Nach dem 1977 in der DDR erschienenen Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« (S. 38-41) wird die Verfassung der DDR in ihrem sozialistischen Typ durch bestimmte Wesensmerkmale charakterisiert.

Diese sind:
(1) die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei,

(2) das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln,
- In der Sache decken sich diese beiden Wesensmerkmale mit den oben genannten Strukturelementen, wenn auch dort die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei als Suprematie bezeichnet und damit gewertet wird. -

(3) die Verfolgung der durch das Parteiprogramm der SED bestimmten „Hauptaufgabe« (die weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität, s. Rz. 20-25 zu Art. 2),
- Es zeigt sich hier ein Unterschied zwischen den Kategorien »Strukturelemente und -prinzi-pien« und »Wesensmerkmale«. Die Verfolgung der »Hauptaufgabe« ist Staatszweck und nicht eine Kategorie, die sich auf die Struktur des Staates bezieht. -

(4) das unwiderrufliche Bündnis der DDR mit der Sowjetunion,
- Das Verhältnis zur Sowjetunion gehörte in der ursprünglichen Fassung der Verfassung zu den außenpolitischen Maximen, welche sie in Art. 6 vorschrieb. Nach der Änderung des Art. 6 durch die Verfassungsnovelle von 1974 hat sich das rechtliche Band zwischen DDR und Sowjetunion so verstärkt, daß deren Verhältnis zueinander als Wesensmerkmal der DDR angesehen werden muß. Da es die Grundlagen der DDR betrifft, ist es zum Strukturelement der DDR geworden. Es ist als solches aber nicht typisch für alle sozialistische Staaten. Auch das Lehrbuch generalisiert nicht, sondern beschreibt nur die Wesensmerkmale der DDR-Ver-fassung (s. Rz. 15-22 zu Art. 6). -

(5) die Unterstützung des Kampfes der Völker gegen den Imperialismus, für nationale Unabhängigkeit, Freiheit und gesellschaftlichen Fortschritt,
- Hier handelt es sich nach wie vor um eine außenpolitische Maxime (s. Rz. 39-41 zu Art. 6), die zwar Wesensmerkmal sein mag, aber nicht Strukturelement oder -prinzip ist. -

(6) die Ausübung der Macht durch die Bürger der DDR durch demokratisch gewählte Volksvertretungen,
- Es handelt sich hier zumindest um das Prinzip der Souveränität des werktätigen Volkes. In kritischer Sicht bedeutet diese aber die Suprematie der SED (s. Rz. 2 zu Art. 2). Außerdem entspricht dieses Wesensmerkmal dem Strukturprinzip der Gewalteneinheit (s. Rz. 21-32 zu Art. 5). -

(7) der demokratische Zentralismus,
- Dieses Wesensmerkmal entspricht dem Strukturprinzip des demokratischen Zentralismus, wie oben bezeichnet (s. Rz. 7-14 zu Art. 2). -

(8) die Teilnahme der gesellschaftlichen Organisationen der Werktätigen an der Leitung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft,
- Da diese Organisationen unter der Suprematie der SED in der politischen Organisation der sozialistischen Gesellschaft stehen, ist deren Teilnahme an der Leitung nur insoweit möglich, als die Führung der SED das erlaubt. Das wird insbesondere an der Stellung und der Funktion der Gewerkschaften deutlich (s. Erl. zu Art. 44 und 45). -

(9) die Rechtsstellung der Bürger in Staat und Gesellschaft,
- Damit wird das Problem der »sozialistischen Persönlichkeitsrechte« (s. Rz. 5-39 zu Art. 19) in Beziehung zum Wesen des sozialistischen Staates gesetzt. Nach dem Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« (S. 41) wurzeln die Rechte der Bürger in den politischen, ökonomischen, ideologischen und sozial-kulturellen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft. Diese These deckt sich also mit dem Ergebnis der kritischen Betrachtung, wonach das Verhältnis des einzelnen zum Staat aus den Strukturelementen und -prinzipien der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung folgt. -

(10) die Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit.
- Nach dem Lehrbuch »Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie« (S. 394) ist die sozialistische Gesetzlichkeit eine Methode der Machtausübung des sozialistischen Staates. Sie hat mit seinen Grundlagen also nur insoweit etwas zu tun, als aus ihnen spezifische Methoden der Machtausübung folgen, zu denen auch die sozialistische Gesetzlichkeit gehört (s. Rz. 46-67 zu Art. 19). Zu den Wesensmerkmalen des sozialistischen Staates kann sie gerechnet werden. -

27 j) Die marxistisch-leninistische Staatstheorie unterschied bis vor kurzem zwei Staatsformen: (1) die Sowjetdemokratie, (2) die Volksdemokratie. Als Sowjetdemokratie wurde die Form des sozialistischen Staates bezeichnet, die in der UdSSR verwirklicht worden ist.
Der Begriff der Volksdemokratie ist nicht eindeutig bestimmbar und hat auch im Laufe der Entwicklung einen Wandel durchgemacht (Lothar Schultz). Er wurde 1945 von Tito geprägt und kurz darauf von Dimitroff übernommen. Damals wurde die Volksdemokratie noch nicht als Staatsform verstanden, in der die Diktatur des Proletariats bereits verwirklicht sei. Sie wurde als eine Kreuzung zwischen der alten bürgerlichen und der von der Sowjetunion geschaffenen sozialistischen Staatsform angesehen. Sie wurde als Diktatur der Arbeiter und Bauern bezeichnet. Entstanden waren die Volksdemokratien durch den Einmarsch der Sowjetarmeen in die osteuropäischen Länder Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Anwesenheit der Sowjetarmee in diesen Gebieten wurde zwar schon als Befreiung von der kapitalistischen Unterdrückung betrachtet, war aber noch nicht die Etablierung einer Vorherrschaft des Proletariats. Es wurden nicht sofort sozialistische Staaten errichtet, sondern Staaten mit den äußeren Merkmalen einer bürgerlichen Demokratie. Erst nachdem die kommunistischen Parteien unter dem Schutze der sowjetischen Besatzungsmacht so gestärkt waren, daß sie die »führende Rolle« übernehmen konnten, wurde die Volksdemokratie als Form der Diktatur des Proletariats angesehen, in der es neben der kommunistischen Partei noch andere Parteien gab, die aber nur noch den Status von Satellitenparteien hatten, weil sie die Führung der kommunistischen Partei ohne Einschränkung anerkannten (Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur ..., S. 72, Fußnote 253 und die dort angeführten Quellen).
Die DDR wurde, bevor sie zum sozialistischen Staat erklärt wurde, bereits als Volksdemokratie bezeichnet (s. Rz. 44 zur Präambel). Heute wird die Bezeichnung für die DDR kaum mehr verwendet, offenbar weil die beiden Formen des sozialistischen Staates sich weitgehend angeglichen haben, obwohl die UdSSR ein Ein-Parteien-Staat geblieben ist und andere sozialistische Staaten ein formelles Mehr-Parteien-System behalten haben.
Die Staatsformen der sozialistischen Staaten werden jetzt nur noch nach gewissen Merkmalen unterschieden, ohne daß ihnen übergreifende Bezeichnungen gegeben werden.
Nach Karl-Heinz Schöneburg/Gerhard Schüßler (Probleme der Theorie der sozialistischen Staatsform) bestehen Unterschiede in folgenden Merkmalen:
Einheitsstaat - föderativer Aufbau Einparteiensystem - Mehrparteiensystem Präsident als Staatsoberhaupt - Kollektiv als Staatsoberhaupt.
Ferner werden Unterschiede in
- den Kompetenzen der Staatsorgane, insbesondere im Verhältnis der Justizorgane zu den anderen Staatsorganen,
- den Aufgaben und Funktionen der Kontrollorgane,
- dem Zusammenwirken zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Organen gesehen. Aus kritischer Sicht ist zwischen den Staaten mit Staatsratsverfassung und denen mit Ministerratsverfassung zu unterscheiden (Georg Brunner, Entwurf einer Verfassungstypologie sozialistischer Staaten). Wichtig ist die rechtlich geregelte Kompetenzverteilung zwischen den Staatsorganen. Entscheidend ist aber, welches das mächtigste Staatsorgan ist.
Auf die DDR treffen folgende Merkmale zu: Sie ist ein Einheitsstaat, hat ein Mehrparteiensystem und ein kollektives Staatsoberhaupt in Gestalt des Staatsrates. Formell sind ihre Gerichtsorgane unabhängig von den Verwaltungsorganen (vollziehenden und verfügenden Organen), aber abhängig von den Volksvertretungen; materiell besteht eine Abhängigkeit von der SED-Führung. Die Kontrolle ist auf eine Mehrzahl von Kontrollorganen verteilt (Georg Brunner, Kontrolle in Deutschland, S. 359 ff.). Staatliche und gesellschaftliche Organe haben eng zusammenzuarbeiten. In kritischer Sicht hat die DDR seit 1974 eine Ministerratsverfassung.

II. Die Suprematie der SED

1. »SED« nicht in der Verfassung

28 Die Verfassung bezeichnet die marxistisch-leninistische Partei nicht mit dem Namen, den sie in der DDR führt: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Die einfache Gesetzgebung ist nicht so zurückhaltend. So heißt es in § 5 des Gesetzes über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 16.10.1972 (GBl. DDR Ⅰ 1972, S. 253): »Der Ministerrat leitet die Durchführung der Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik auf der Grundlage der Beschlüsse der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.« Daran hat sich auch durch die Verfassungsnovelle von 1974 nichts geändert. Ein Grund für die Zurückhaltung der Verfassung ist nicht genannt worden. Die Bezeichnung der Partei nur mit ihrem Typ hat den Vorteil, daß die Verfassung bei einer Namensänderung der Partei in ihrem Wortlaut nicht geändert zu werden braucht.


29 2. Verhältnis der Partei zur Arbeiterklasse

Die Verfassung spricht auch nicht ausdrücklich von der führenden Rolle der Partei, sondern von der »Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei«. In den neueren Verfassungen anderer sozialistischer Staaten wurde anders verfahren. Dort wird die Stellung der jeweiligen »Partei der Arbeiterklasse« in einem eigenen Artikel beschrieben (Bulgarien: Art. 1 Abs. 3; CSSR: Art. 4; Polen: Art. 3; Rumänien: Art. 3; Ungarn: Art. 3, der sich allerdings nur auf die Gesellschaft bezieht). Art. 6 der neuen Verfassung der UdSSR vom 7.10.1977 lautet:
»Die führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft, der Kern ihres politischen Systems, der staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen ist die Kommunistische Partei der Sowjetunion. Die KPdSU ist für das Volk da und dient dem Volke.
Mit der marxistisch-leninistischen Lehre ausgerüstet, legt die Kommunistische Partei die Grundrichtung der gesellschaftlichen Entwicklung, die Linie der Innen- und Außenpolitik der UdSSR fest, leitet sie die große schöpferische Tätigkeit des Sowjetvolkes und verleiht seinem Kampf für den Sieg des Kommunismus planmäßigen, wissenschaftlich begründeten Charakter.
Alle Parteiorganisationen wirken im Rahmen der Verfassung der UdSSR.«
Wie die SED sich im Verhältnis zur Arbeiterklasse sieht, beschreibt ihr Statut.
So hieß es schon in der Präambel des Status von 1954:
»Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei der deutschen Arbeiterklasse, ihr bewußter und organisierter Vortrupp.«
Im Statut von 1963 fand die These vom Volksstaat (s. Rz. 18 zu Art. 1) insofern ihre Entsprechung, als die SED nicht mehr nur in der Rolle des Vortrupps der Arbeiterklasse, sondern auch in der des Vortrupps des werktätigen Volkes gesehen wurde.
»Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist der bewußte und organisierte Vortrupp der deutschen Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes.«
Ihr Verhältnis zur Gesellschaft und den Staatsorganen wurde schon im Statut von 1954 so dargestellt:
»Die Partei ist die führende Kraft aller Organisationen der Arbeiterklasse und der Werktätigen, der gesellschaftlichen und staatlichen Organisationen und führt erfolgreich den Aufbau des Sozialismus. Sie arbeitet ständig an der Festigung und Entwicklung der Staatsmacht der Arbeiter und Bauern.«
Das Parteistatut von 1963 formulierte genauso und legte der SED gleichzeitig die Verpflichtung auf, das Bündnis mit den anderen Schichten der Bevölkerung zu festigen und die Zusammenarbeit mit den anderen Parteien und Organisationen zu vertiefen. Gleichzeitig bezeichnete es die SED als die »in Deutschland höchste Form der gesellschaftlich-politischen Organisationen«. Hier wurde der Unterschied in der Qualität gegenüber den anderen Parteien und Organisationen proklamiert. Der hier geltend gemachte Vorrang vor den Parteien und Organisationen in »Deutschland«, der auch einen solchen vor denen in der Bundesrepublik Deutschland einschloß, wurde im Parteistatut von 1976 (angenommen auf dem IX. Parteitag der SED - 18.-22.5.1976) fallengelassen. Dort heißt es nunmehr:
»Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands als die höchste Form der gesellschaftlichpolitischen Organisation der Arbeiterklasse, als ihr kampferprobter Vortrupp, ist die führende Kraft der sozialistischen Gesellschaft, aller Organisationen der Arbeiterklasse und der Werktätigen, der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen.
Auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus, seiner schöpferischen Anwendung und Weiterentwicklung lenkt und leitet die Partei die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, mit der grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus in der Deutschen Demokratischen Republik geschaffen werden. Sie führt das Volk auf dem Weg des Sozialismus und Kommunismus, der Sicherung des Friedens und der Demokratie voran. Sie gibt diesem Kampf Richtung und Ziel.«
Die Parallele zum zitierten Artikel der Verfassung der UdSSR liegt auf der Hand, wobei freilich dieser der Entwicklungsphase in der Sowjetunion entspricht, um die sie gegenüber der DDR weiter ist.
Als Teil der Gesellschaft steht die SED in der DDR über dem Staatsapparat, gehört also nicht zu ihm, ist nicht Teil von ihm. Sie steht aber auch über dem anderen, größeren Teil der Gesellschaft, einschließlich der Arbeiterklasse.
Schon während der Verfassungsdiskussion im Jahre 1968, besonders nach dem Einmarsch von fünf Warschauer Paktmächten in die CSSR am 23.8.1968, wurde immer wieder betont, daß sich die führende Kraft der SED verstärkt habe. Die wachsende Führungsfunktion der marxistisch-leninistischen Partei oder der SED wird auch in der wissenschaftlichen Literatur und in der Propaganda bis in die jüngste Zeit hinein häufig wiederholt.
Das wird mit Sicherheit auch in Zukunft der Fall sein.


3. Soziologische Zusammensetzung der SED

30 Die SED ist keineswegs eine reine Arbeiterpartei. Obwohl der Anteil der Arbeiter von 1960 bis 1976 nach einem Abfall im Jahre 1957 kontinuierlich angestiegen ist (1971 wurden die Angestellten nicht besonders ausgewiesen), geht aus den statistischen Angaben der SED (so Einheit 1980, S. 1021) hervor, daß die SED keine reine Arbeiterpartei ist. Es wurde jedoch betont (a.a.O.), daß von den Mitgliedern und Kandidaten, die Angehörige der Intelligenz sind, etwa 73% aus der Arbeiterklasse stammen. Die SED war bemüht, den Anteil der Arbeiter zu steigern. Es wurde hervorgehoben, daß von den Kandidaten, die seit dem VIII. Parteitag der SED aufgenommen wurden, 69,0% Arbeiter, 3,3% Genossenschaftsbauern, 4,7% Schichtingenieure, Bereichsleiter, Technologen usw. waren. Insgesamt seien 77,0% der in die Partei aufgenommenen Kandidaten in der Sphäre der materiellen Produktion tätig gewesen. Immerhin betrug der Anteil der übrigen dann immer noch 23,0% (Einheit 1976, S. 816). Honnecker bezeichnete dann auf dem X. Parteitag der SED den Arbeiteranteil von nunmehr 57,6% als den »höchsten Stand seit Gründung der SED«.


4. Begründung für den Begriff »Suprematie der SED«

31 Der Begriff der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei kann nicht unkritisch hingenommen werden. Führung meint zunächst eine Stellung im Sinne einer geistigen Elite. Sie stützt sich auf das Vertrauen der Geführten. Sie kann hier mit dem Begriff der Autorität (auctoritas) gleichgesetzt werden, da sie in der marxistisch-leninistischen Staatstheorie nicht »persönlich-dynamisch«, sondern »sachlich-stilwirkend« gedacht ist (zum Verhältnis von Autorität und Führung: Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 842). Ursprünglich war die Stellung der marxistisch-leninistischen Partei ausschließlich in diesem Sinne gemeint. Sie ist jedoch wesentlich mehr geworden. Mit der verfassungsrechtlichen Normierung der Führung einer Gesellschaftsgruppe verwandelt sich die Führung in die Ausübung politischer Macht (potestas), also in Herrschaft. Von den Geführten wird nunmehr Gehorsam verlangt. Es wird zwar in der DDR behauptet, daß es eine bürgerliche Verfälschung des Marxismus-Leninismus sei, die Diktatur des Proletariats als Gewaltherrschaft der Kommunisten oder der Parteifunktionäre über das Volk »umzulügen« und der Demokratie gegenüberzustellen. Das Wesen der Diktatur des Proleatariats bestehe gerade darin, daß sie die Demokratie für die Werktätigen entwickle, zwar nicht als Feiertagsangelegenheit für Wahlsonntage, sondern »in Gestalt der tagtäglichen, unmittelbaren und immer umfassenderen verantwortlichen Teilnahme an der Leitung von Staat und Wirtschaft«. In diesem Zusammenhang entwickle sie das gesellschaftliche Verantwortungsbewußtsein der Massen, ihr Bildungs- und Kulturniveau, ihre Fähigkeit, aus der Erkenntnis der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung und ihrer Zusammenhänge heraus Staat und Wirtschaft immer besser, immer sachkundiger zu leiten. Die Diktatur mache nur aus, daß die zur Macht gelangte Arbeiterklasse sich von nichts und niemandem in diesem zielstrebigen Prozeß hindern lasse (Wolfgang Weichelt, Die sozialistische Staatsmacht ..., S. 2117; ähnlich ders., Die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei, Sozialistische Demokratie vom 12. 4. 1968). Klaus Sorgenicht (Aktuelle Probleme ..., S. 291) meint, die Stellung der Partei der Arbeiterklasse in der sozialistischen Gesellschaft und zum sozialistischen Staate sei nicht »bedingt« durch ein Verhältnis der Über- oder Unterordnung. Andererseits wird aber auch kein Hehl daraus gemacht, daß in der Verfassung die Machtverhältnisse eindeutig fixiert sind (Werner Wippold, Wozu die Arbeiterklasse die sozialistische Staatsmacht braucht, S. 22). Klaus Sorgenicht leitet seinen bereits zitierten Aufsatz mit dem Satz ein: »Fragen des Staates sind in erster Linie Fragen der Macht der herrschenden Klasse, d. h. also bei uns Fragen der Macht der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten werktätigen Schichten.« Wo aber die Macht ausgeübt wird, besteht stets ein Subjekt-Objekt-Verhält-nis. Jede Machtausübung setzt einen Träger der Macht und Menschen voraus, denen gegenüber die Macht ausgeübt wird. Die Machtausübung ist nicht anders denkbar als Herrschaft. Eine Machtausübung, die nicht Herrschaft wäre, wäre ihres Inhalts beraubt. In jedem Gemeinwesen gibt es zwei deutlich unterscheidbare Gruppen: Die Herrscher und die Beherrschten. Die Vorstellung einer Identität der Herrscher mit den Beherrschten ist eine Fiktion, die eine empirische Untersuchung schnell aufdeckt. Selbst wenn, wie in der Demokratie, die Herrschenden ihre Legitimation von den Beherrschten herleiten und aus deren Kreisen stammen, sind die Herrscher von den Beherrschten unterscheidbar.
Die Rechtfertigung der führenden Rolle der kommunistischen Partei durch die marxistisch-leninistische Staatslehre trägt diesem Sachverhalt Rechnung. Denn wenn sie beansprucht, für und im Interesse zunächst der Arbeiterklasse und dann des ganzen werktätigen Volkes zu handeln, tritt sie bereits in ein Subjekt-Objekt-Verhältnis zur in Klassen strukturierten Gesellschaft. Substrat dieses Verhältnisses ist noch nicht die Machtausübung, es ist die Fürsorge oder, wenn man will, eine Treuhandschaft. Diese Treuhandschaft wird verwirklicht, indem eine bestimmte Politik verfolgt wird. Diese Politik wird aber sowohl gegenüber denjenigen betrieben, denen die Fürsorge der Partei gilt, das heißt zunächst gegenüber den Angehörigen der Arbeiterklasse, dann des ganzen werktätigen Volkes, als auch denjenigen gegenüber, die sich dieser Politik widersetzen. Ohne Machtausübung kann keine Politik durchgesetzt werden. Die Widerstrebenden sind ihr ganz offensichtlich ausgesetzt. Aber auch die Gutwilligen sind ihr unterworfen. Denn sie bestimmen sie ja nicht selbst, sondern fuhren nur aus. Gutwilligkeit fuhrt allenfalls dazu, daß jede Maßnahme der Parteiführung von vornherein der Zustimmung gewiß sein kann. So kann die Gutwilligkeit der Beherrschten vielleicht zu einer generellen Legitimation der Herrscher führen, aber niemals führt sie zu ihrer Identität mit den Beherrschten. Auch die Legitimation ist freilich zweifelhaft, solange nicht festgestellt werden kann, ob das Handeln der Menschen wirklich auf Gutwilligkeit und auf Zustimmung zur Herrschaft und nicht auf Zwang beruht.
So wird also das Substrat des Subjekt-Objekt-Verhältnisses aus einer Treuhandschaft in Machtausübung, in Herrschaft verwandelt. Diese Machtausübung geht über einen besonderen Mechanismus, der nur erkennbar wird, wenn sowohl die Gesellschaftsorganisation als auch die Staatsorganisation, mit anderen Worten also das politische System (der »Gesamtstaat«) ins Blickfeld gerückt wird. Dann werden die Transmissionen sichtbar, die von der Partei zu den gesellschaftlichen Organisationen und den Staatsorganen gehen.
In diesem Mechanismus spielt das konsultative Element eine gewisse Rolle (s. Rz. 11-13 zu Art. 2, 33-41 zu Art. 5, 11 ff. zu Art. 103). Es stellt aber das System der Transmissionen nicht in Frage. Denn Konsultation bedeutet zwar, daß die Ratgebenden einen gewissen Einfluß auf den Entscheidungsprozeß haben. Sie haben aber an der Entscheidung selbst nicht teil. Der Beratene ist an den Rat nicht gebunden. Nach der Entscheidung wird in ihrem Vollzug die einseitige Transmission wirksam. Die Erfahrungen der Beherrschten beim Vollzug von Entscheidungen können dann wiederum für neue Entscheidungen nutzbar gemacht werden, aber auch nur wieder in Gestalt der Beratung.
Zu behaupten, die Staatsorgane und die Gesellschaft befänden sich nicht in einem Subordinationsverhältnis zur marxistisch-leninistischen Partei, geht also an der Wirklichkeit vorbei, wie sie durch die Führung der Partei im Einklang mit den theoretischen Vorstellungen darüber gestaltet wird. Die marxistisch-leninistische Staatslehre begeht damit den Kardinalfehler, den sie den »bürgerlichen« Staatstheorien vorwirft. Sie setzt an die Stelle der Wirklichkeit eine gedankliche Konstruktion, die Vorstellung von der Identität der Herrscher mit den Beherrschten, und versucht diese Vorstellung sodann mit der Lehre von der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei zu vereinbaren. Diese Kombination muß zu Widersprüchen fuhren. Sie ist auch nicht unbedingt notwendig.
So vertraten die Reformpolitiker in der CSSR zumindest bis zu ihrer Ausschaltung als Folge der Okkupation des Landes im August 1968 einen anderen Standpunkt. Trotz der Verankerung der führenden Rolle der kommunistischen Partei in der Verfassung der CSSR hieß es in der Antwort auf den Warschauer Brief der fünf dogmatischen Parteien: »Zur Frage der führenden Rolle der Partei vertreten wir den Standpunkt: Die Kommunistische Partei stützt sich auf die freiwillige Mitarbeit der Bevölkerung und verwirklicht ihre führende Rolle nicht dadurch, daß sie die Gesellschaft beherrscht, sondern dadurch, daß sie der freien, fortschrittlichen, sozialistischen Entwicklung dient. Ihre Autorität kann sie sich nicht erzwingen, sie muß sie vielmehr durch konkrete Taten gewinnen ...« Der Gedanke der Gewinnung der Bevölkerung für die Partei ist zwar in der DDR ebenfalls lebendig - sie bemüht sich um den Konsens mit dieser -, aber der Schwerpunkt liegt eindeutig bei der Ausübung der Macht. »Denn die sozialistische Demokratie ist Machtausübung« (Werner Wippold, Zum revolutionären Wesen der sozialistischen Demokratie, S. 42). (Wegen des Verhältnisses von Partei und Gesellschaft unter dem Aspekt des demokratischen Zentralismus s. Rz. 7-14 zu Art. 2).

32 Gegen diese Auffassung von der führenden Rolle der Partei wird in der wissenschaftlichen Literatur der DDR Widerspruch erhoben (Gerhard Schüßler/Wolfgang Weichelt, Arbeiterklasse, Partei, Staatsmacht, S. 8; Lehrbuch des Staatsrechts, S. 107 unter Zitierung u.a. der Vorauflage dieses Kommentars). Es wird insbesondere dem Verfasser vorgeworfen, er messe die Verhältnisse in der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung mit der Elle eines »antiquierten Staatsdenkens«. Das sind wenig sachliche Argumente, wenn auch erfreulich ist, daß die Autoren der DDR sich veranlaßt sehen, auf die Analysen, die nicht dem marxistisch-leninistischen Denken folgen, einzugehen. Das Urteil kann in diesem Fall ohne weitere Ausführungen getrost dem Leser überlassen bleiben.
Um die Führung der marxistisch-leninistischen Partei als Herrschaft eindeutig zu charakterisieren, empfiehlt es sich, für sie eine präzisere Bezeichnung zu wählen. In der marxistisch-leninistischen Literatur wird der Begriff Hegemonie verwendet, der zumeist allerdings auf die Arbeiterklasse bezogen wird. Es ist zulässig, den Begriff der Hegemonie auch im innerstaatlichen Bereich zu verwenden, obgleich er meist im Völkerrecht verwendet wird und die Stellung eines machtmäßig überlegenen Staates meint, der unabhängig von seiner letzten Zielsetzung einen Führungsanspruch gegenüber anderen Staaten geltend macht, der von ihnen hingenommen wird (dazu insbesondere Heinrich Triepel, Die Hegemonie). Indessen hat Boris Meissner (Weltkommunismus - Zerfall oder Differenzierung?) zutreffend darauf hingewiesen, daß eine hegemoniale Stellung der Dynamik der Entwicklung unterworfen und Ausdruck eines Schwebezustandes ist. So lange dieser andauert, bedeutet Hegemonie in den zwischenstaatlichen Beziehungen für die einzelnen Mitglieder des Hegemonialverbandes aufgrund seines hündischen Charakters eine bestimmte Garantie gegen die völlige Unterwerfung unter den Hegemon. Die Stellung der marxistisch-leninistischen Partei im sozialistischen Staat ist jedoch auf die Dauer angelegt und vor allem rechtlich abgesichert. So schrieben Carola Luge/Richard Mand im Dezember 1980 (Das Recht im politischen System des Sozialismus, S. 1078): »Das sozialistische Recht ist darauf gerichtet, die Rolle der Partei der Arbeiterklasse als Führungszentrum des politischen Systems und das Wirken des sozialistischen Staates als Hauptinstrument zu sichern, die organische Verknüpfung der Tätigkeit der Partei und des sozialistischen Staates zu realisieren sowie ihre engen Wechselbeziehungen und ihr Zusammenwirken mit den anderen Gliedern des politischen Systems zu gestalten.« Deshalb wurde der Begriff der Suprematie eingeführt (zum ersten Mal verwendet vom Verfasser in: Die SED im materiellen Verfassungsrecht in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, S. 51).
Die Suprematie hat ihre Kennzeichen in:
(1) der Okkupation der Ämter und Behörden durch die Partei,
(2) der Schaffung von ihr abhängiger gesellschaftlicher Organisationen unter Beseitigung der Autonomie für Zusammenschlüsse innerhalb der Gesellschaft, um nach Möglichkeit auch noch den letzten Bürger organisatorisch von obenher zu erfassen,
(3) der Einbeziehung der gesellschaftlichen Organisationen, insbesondere aber der Organisation der marxistisch-leninistischen Partei in die Organisation des Gesamtstaates,
(4) einer Verzahnung der Ämter und Behörden mit dem aus hauptamtlichen Funktionären bestehenden Apparat der marxistisch-leninistischen Partei und
(5) der Begründung eines Machtmonopols für die marxistisch-leninistische Partei unter Ausschaltung der Konkurrenz aller politischen Kräfte als einen endgültigen Zustand (Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur ..., S. 71).


5. Suprematie der SED als Strukturelement des sozialistischen Staates

33 Die Formen, mittels derer die SED ihre Suprematie verwirklicht, sind in ihrer Gesamtheit nicht normativ geregelt.
34 a) Das Statut der SED legt einige Hauptformen fest, indessen nicht alle. Als erste Form ist die Personalunion zwischen den Ämtern in Partei und Staat zu nennen. Sie ist die Form, die an der Spitze zu finden ist. Eine Übertragung des Willens von Partei und Staat ist überflüssig, weil die Personen, die für Partei und Staat handeln, jeweils identisch sind. »Leitende Parteifunktionäre bekleiden zugleich leitende Staatsfunktionen, es werden - wie Lenin feststellte - die Spitzen der Partei mit den Spitzen des Staates verschmolzen« (Rudi Rost, Partei und Staat in der Periode des vollentfalteten sozialistischen Aufbaus in der DDR). Im Parteistatut ist über die Personalunion mittelbar etwas zu finden. Denn sie wird durch die Entsendung der Vertreter der Partei in die höchsten leitenden Organe des Staatsapparates und der Wirtschaft (Ziffer 39 Abs. 2) hergestellt.
Die übrigen Formen haben gemeinsam, daß durch sie der Wille der Partei auf die Organe von Gesellschaft und Staat übertragen wird. Zumindest soll mittels der Lenkung von Gesellschafts- und Staatsorganisation durch die Form der Beziehungen zwischen Parteiorganen einerseits und gesellschaftlichen und staatlichen Organen andererseits die Kontrolle darüber gewährleistet werden, daß der Wille der Partei sich innerhalb der gesellschaftlichen und der staatlichen Organisation durchsetzt.
Diese Formen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die eine beinhaltet Regelungen über Mitglieder der Partei, die an leitender Stelle tätig sind. Die andere betrifft die Lenkung von außen aufgrund der Kompetenz von Parteiorganen, staatliche Organe anzuleiten.
Auf jeden Fall müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: (1) die Ämter, insbesondere die als Volksvertreter, und die Behörden müssen mit Parteimitgliedern besetzt sein; (2) die Mitglieder müssen durch eine straffe Disziplin an die Beschlüsse und Direktiven der Parteiorgane gebunden sein. Durch den Zusammenschluß aller Parteimitglieder, die in einer Volksvertretung oder in einer Verwaltungsdienststelle tätig sind, zu einer Parteigruppe wird die Innehaltung der Disziplin garantiert und so die Voraussetzung geschaffen, daß der Wille der Partei sich in Volksvertretungen und Verwaltungsdienststellen durchsetzt.

35 Die Lenkung von innen ist die Form, die vor allem bei den Volksvertretungen, den Spitzenorganen und den gesellschaftlichen Organisationen verwendet wird. Die Lenkung von außen ist die Form, die gegenüber den mittleren und unteren Staatsorganen zu verzeichnen ist. Die wichtigere von beiden und die am häufigsten angewandte ist die erste.
Beide Formen sind außerdem oft nicht scharf voneinander zu trennen. Denn sie lassen sich nur durch die Parteimitglieder verwirklichen. Auf jeden Fall gilt: »Die Partei sichert die Verwirklichung ihrer Politik, indem sie über ihre Mitglieder wirkt, die im Staatsapparat und in den gesellschaftlichen Organisationen tätig sind« (Willi Stoph, Die Verantwortung der Genossen im Staatsapparat).
In diesem Sinne bestimmt Ziffer 2 lit.g des Parteistatuts von 1976, daß jedes Parteimitglied seine Arbeit in den staatlichen und wirtschaftlichen Organen und in den Massenorganisationen entsprechend den Beschlüssen der Partei im Interesse der Werktätigen zu leisten sowie die Partei- und Staatsdisziplin zu wahren hat, die für alle Mitglieder der Partei in gleichem Maße bindend ist. Die Bildung von Zusammenschlüssen der Parteimitglieder in den staatlichen Verwaltungen in Gestalt von Grundorganisationen ordnet Ziffer 56 an. In den wählbaren Organen des Staates und der Massenorganisationen wie auch auf allen Kongressen und Beratungen mit mindestens drei Parteimitgliedern sind nach Ziffer 69 Parteigruppen zu organisieren. » Die Aufgabe dieser Parteigruppen besteht darin, den Einfluß der Partei allseitig zu verstärken, ihre Politik unter den Parteilosen zu vertreten, die Partei- und Staatsdisziplin zu festigen, den Kampf gegen Bürokratismus zu führen und die Durchführung der Partei- und Regierungsdirektiven zu sichern« (Ziffer 69 Satz 2). In allen Volksvertretungen sind also Parteigruppen der SED zu bilden, über die vor allem die SED sie in den Griff nimmt.
Ausdrücklich wird diese Form der Lenkung für die höchsten leitenden Organe in Ziffer 39 Abs. 2 und 3 bestimmt: »Das Zentralkomitee entsendet die Vertreter der Partei in die höchsten leitenden Organe des Staatsapparates und der Wirtschaft, bestätigt ihre Kandidaten für die Volkskammer. Das Zentralkomitee lenkt die Arbeit der gewählten zentralen staatlichen und gesellschaftlichen Organe und Organisationen durch die in ihnen bestehenden Parteigruppen.«
Die Stellung der Parteiorganisationen in den Ministerien, den anderen zentralen und örtlichen Staatsorganen und Einrichtungen wurde durch das Parteistatut von 1976 verstärkt. Während sie nach den früheren Statuten nur verpflichtet waren, »aktiven Einfluß auf die Vervollkommnung des Apparates zu nehmen, Unzulänglichkeiten und Fehler in der Arbeit der betreffenden Institutionen und der einzelnen Mitarbeiter zu signalisieren und ihre Unterlagen und Vorschläge den zuständigen Parteiorganen bzw. dem Zentralkomitee sowie den verantwortlichen Parteimitgliedern, die in den leitenden Funktionen und staatlichen Organen tätig sind, zu übermitteln«, haben sie nunmehr das Recht, »die Kontrolle über die Tätigkeit des Apparates bei der Verwirklichung der Beschlüsse von Partei und Regierung, bei der Einhaltung der sozialistischen Rechtsnormen auszuüben« (Ziffer 63 Abs. 2 S. 1 Parteistatut von 1976). Ferner sind sie verpflichtet, »aktiven Einfluß auf die rationelle und effektive Gestaltung der Arbeit sowie das achtungsvolle Verhalten der Mitarbeiter gegenüber den Bürgern und die Förderung der demokratischen Mitarbeit zu nehmen« (Ziffer 63 Abs. 2 S. 2).
Auf der mittleren Ebene wird den Bezirks- und Stadtorganisationen, den ländlichen, städtischen und betrieblichen Kreisorganisationen der Partei in Ziffer 49 lit. c die »Anleitung der staatlichen Organe, ihre Unterstützung bei der Durchführung der Beschlüsse und Direktiven der Partei und der übergeordneten Organe der Staatsmacht, die Anleitung der Gewerkschaft, der Jugend- und Frauenorganisationen sowie aller anderen gesellschaftlichen Organisationen durch die in ihnen bestehenden Parteigruppen mit dem Ziel, immer breitere Massen der Werktätigen in die Arbeit dieser Organisationen einzubeziehen und ihre Initiative und Aktivität zu fördern«, zur Pflicht gemacht. Auf unterer Ebene hat die Ortsleitung »die Arbeit der Parteigruppen in den gewählten örtlichen Organen der Staatsmacht und den örtlichen Leitungen der Massenorganisationen« zu leiten (Ziffer 64 Abs. 3 Satz 1,1. Hälfte).

36 b) Innerhalb des Staatsapparates wird die Suprematie normativ gesichert durch § 2 Abs. 2 und 3 der Verordnung über die Pflichten, die Rechte und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter in den Staatsorganen vom 19.2.1969 (GBl. DDR ⅠⅠ 1969, S. 163). Danach sind Grundlage für die Tätigkeit der Leiter und anderen Beschäftigten (Mitarbeiter) in den Staatsorganen noch vor den durch Organe des Staates gesetzten Normen (Verfassung, Gesetze, Erlasse, Verordnungen) und den Beschlüssen der Volksvertretungen und ihrer Organe die »Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse«. Die Mitarbeiter haben die »Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse«, die Gesetze und die anderen Rechtsvorschriften der DDR gründlich auszuwerten und in ihrem Verantwortungsbereich unter Mitwirkung der Werktätigen konsequent durchzuführen. Ohne schon an dieser Stelle auf die Rechtsnatur der Parteibeschlüsse und auf ihr Verhältnis zu den Rechtsnormen der staatlichen Organe und den Beschlüssen der Volksvertretungen einzugehen (s. Rz. 11 zu Art. 49), kann festgestellt werden, daß hier den Parteibeschlüssen ebenso wie den Rechtsnormen und den Beschlüssen der Volksvertretungen Allgemeinverbindlichkeit zuerkannt wird. Nicht nur die Mitglieder der Partei sind der Partei- und Staatsdisziplin kraft Parteistatuts unterworfen, sondern jedermann, der Mitarbeiter in einem Staatsorgan wird, hat den Direktiven der Partei kraft eines Satzes des von Staatsorganen gesetzten Rechts zu folgen. Die normative Basis der Suprematie der SED ist so erheblich gestärkt worden.

37 c) Die Beziehungen zwischen der SED einerseits und den gesellschaftlichen und staatlichen Organisationen andererseits sind sowohl vertikal als auch horizontal. Die vertikalen Beziehungen gehen vom höchsten Organ der Partei zu den höchsten Organen der gesellschaftlichen Organisationen und des Staatsapparates. Zwischen dem höchsten Amt der SED und dem höchsten Amt des Staatsapparates besteht seit I960 mit einer Unterbrechung von 1971 bis 1976 Personalunion (s. Rz. 10 zu Art. 69). Die vertikalen Linien setzen sich fort von oben nach unten innerhalb der einzelnen gesellschaftlichen Organisationen und innerhalb der staatlichen Organisation, des Staatsapparates. Die horizontalen Beziehungen geben von der vertikalen Linie innerhalb der Parteiorganisation aus und laufen auf den Ebenen der Bezirke, der Kreise, der Städte und Gemeinden sowie der Stadtbezirke zu den entsprechenden gesellschaftlichen und staatlichen Organen. Die vertikalen und die horizontalen Beziehungen korrespondieren nicht mit der Form der Lenkung von »innen« oder von »außen«. Im Einzelfalle kann oft nicht gesagt werden, ob die vertikalen oder die horizontalen Beziehungen wirksam sind. Das Zusammenwirken beider gewährleistet die Suprematie der SED.

38 d) Der Einfluß der SED auf Staat und Gesellschaft wird über den Kreis der Parteimitglieder hinaus durch das »Nomenklatursystem« gesichert. Es besteht ein Verzeichnis von Führungspositionen, die nur von oder mit Zustimmung der Nomenklaturstelle des ZK der SED oder nachgeordneter Parteiorgane besetzt werden dürfen. Die Personalentscheidungen der Nomenklaturstellen binden die staatlichen und gesellschaftlichen Organe, welche die Berufung oder Einstellung eines leitenden Mitarbeiters vorzunehmen haben (s. Rz. 41, 42 zu Art. 21).

39 e) Die Lenkung der Gesellschafts- und der Staatsorganisation durch die SED bedeutet nicht, daß die Partei in jede Sachentscheidung hineinredet. Vor allem Routineangelegenheiten werden den gesellschaftlichen Organisationen und den Staatsorganen zur eigenen Erledigung überlassen. Auch kann die Partei sich auf die Entscheidung von Grundfragen beschränken und den gesellschaftlichen und staatlichen Organen einen Spielraum für eigene Entscheidungen überlassen. Stets jedoch bleibt die Kompetenz der Partei gewahrt, einzugreifen, wenn sie das für notwendig hält. Das Verhältnis der SED zu den Staatsorganen läuft auf die Kompetenzkompetenz sowie das Anweisungs- und das Aufhebungsrecht hinaus, auch wenn das formelle Recht darüber nichts besagt.


6. Die Suprematie der SED ist ein Strukturelement des sozialistischen Staates

40 »Der Staat erhält seine Qualität als sozialistischer Staat, als Machtinstrument der Arbeiterklasse zur Verwirklichung ihrer historischen Mission erst dank der Führung durch die marxistisch-leninistische Partei« (Werner Wippold, Wozu die Arbeiterklasse ..., S. 23). Indessen war sie zunächst nur fixiert in ihrem Statut. Dieses war deshalb bereits Teil des materiellen Verfassungsrechts, bevor die Verfassung von 1968 erlassen wurde. Die Bestimmungen, die festlegen, wie die Partei auf Staat und Gesellschaft einwirkt, hatten nicht mehr nur die Bedeutung eines der Partei von ihr selbst gestellten Auftrages, sondern waren allgemeinverbindlich und damit von staatsrechtlicher Natur geworden. Das Parteistatut der SED war deshalb schon seit Errichtung der Suprematie der SED als Kern der materiellen Rechtsverfassung bezeichnet worden (Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur ..., S. 123; Boris Meissner, Die Rechtsstellung der kommunistischen Partei, S. 28, bezeichnet das Parteistatut der KPdSU als »Grundnorm der Staatsverfassung«). Weil die Verfassung von 1968 darauf verzichtet hat, die Stellung der SED näher zu fixieren und in Art. 1 lediglich von der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei spricht, ist auch nach dem Erlaß der Verfassung von 1968 das Statut der SED in den Teilen, die nicht nur für die Parteiorganisation Bedeutung haben, Bestandteil des materiellen Verfassungsrechts geblieben.


7. Entstehung

41 Die Suprematie der SED entstand mit der Entwicklung der DDR zum sozialistischen Staat. Ebenso schwer wie die Feststellung eines Zeitpunktes, von dem ab die DDR sozialistischer Staat wurde, ist es, ein Datum zu nennen, von dem ab die Suprematie bestand. Die Annahme liegt nahe, sie sei bereits entstanden, als mit der Zustimmung der Blockparteien zur Einheitswahl am 15.10.1950 die SED eine Monopolstellung erhalten hatte. Dagegen bestehen jedoch Bedenken, weil damals ihre Vormachtstellung nur im politisch-soziologischen Bereich bestand, aber noch nicht verfassungsrechtlich begründet war. Erich W. Gniffke (Jahre mit Ulbricht, S. 179) schrieb in seinen Memoiren, die die Zeit bis 1948 umspannen, daß schon das damalige »Zentralsekretariat der SED« ein Uberministerium gewesen sei, das auch die Gesetze erarbeitet und in die Verwaltung lanciert habe. Indessen bestanden damals noch keine Rechtsnormen, auf die sich die Vormachtstellung der SED gründen konnte; denn die Verfassung von 1949 sah ein Mehrpar-teien-System vor (s. Rz. 38 zur Präambel). Andere Staatsrechtssätze, die unmittelbar oder auch nur mittelbar etwas über eine spezifische Stellung der SED aussagten, gab es damals noch nicht. Eine nähere Betrachtung der Stellung der SED in der damaligen Zeit ergibt auch, daß die Suprematie der SED nicht in ungeschriebenem Recht begründet war. Nicht einmal das Statut der SED von 1950 (das erste Statut von 1947 war ein reines Organisationsstatut) ließ diese eindeutig erkennen. Damals lautete die Formel über die Stellung der SED zu den staatlichen und gesellschaftlichen Organen und Organisationen, daß sie auf diese »Einfluß übe« (Einzelheiten bei Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur ..., S. 119)- Es ist daran zu denken, daß nach dem Tode Stalins am 5.3.1953 eine Gruppe im Kreml unter Führung Berijas bereit war, unter der Bedingung der bewaffneten Neutralität Gesamtdeutschlands einer Wiedervereinigung zuzustimmen. Zu diesem Zwecke sollten die Führungsgruppe der SED umbesetzt und die Struktur der Partei geändert werden, damit sie im gesamtdeutschen Rahmen als eine Partei unter anderen im Kampf um die Macht hätte auftreten können. Diese Gruppe hatte auch in der SED Anhänger (Zaisser-Herrnstadt). Sie wollte in Deutschland die »Klassenfrage« erst nach der nationalen Frage lösen (Boris Meissner, Die sowjetischen Friedens- und Sicherheitsvorstellungen seit dem Zweiten Weltkrieg, S. 77). Der Sturz Berijas und die Ausscheidung der Zaisser-Herrnstadt-Gruppe machten diesen Bestrebungen zwar bald ein Ende, aber ihre Existenz hatte angezeigt, daß sich selbst in der SED die Lage noch nicht so konsolidiert hatte, daß Anlaß besteht, das Parteistatut von 1950 im Sinne einer Suprematie auszulegen. Die Erklärung der UdSSR vom 25.3.1954, derzufolge sie mit der DDR die gleichen Beziehungen aufhahm wie mit anderen souveränen Staaten, wertete zwar die DDR auf, muß aber ohne Einfluß auf die Beurteilung ihrer verfassungsrechtlichen Struktur gewesen sein.
Erst in das Statut von 1954 (angenommen auf dem IV. Parteitag vom 30.3.-6.4.1954) wurden die Formeln aufgenommen, denenzufolge die Partei die führende Kraft aller Organisationen der Arbeiterklasse und der Werktätigen, der gesellschaftlichen und staatlichen Organisationen sei und das ZK die Arbeit der gewählten zentralen und staatlichen Organe und Organisationen durch die in ihnen bestehenden Parteigruppen »lenke«. Zwischen »Einfluß üben« und »lenken« besteht ein gradueller Unterschied des Einwirkens. Das Parteistatut von 1954, dem in der Formulierung das Parteistatut von 1963 folgt, charakterisierte die Stellung der Partei als eine stärkere als das Parteistatut von 1950.
Wenn man der Meinung ist, daß die Ausübung der Rechtsfunktionen des Staates durch die marxistisch-leninistische Partei und deren Deckung durch das Parteistatut für die Entstehung materiellen Verfassungsrechts genügen, muß man zur Auffassung gelangen, daß die Suprematie der SED mit der Annahme des Parteistatuts von 1954 ihre verfassungsrechtliche Grundlage erhalten hatte. Indessen wird damit nicht erklärt, wieso das Parteistatut in seiner Eigenschaft als autonome Satzung mit Verbindlichkeit nur für die Parteimitglieder zu einem allgemeinverbindlichen Rechtssatz geworden war. Dazu wäre ein geschriebener oder ein ungeschriebener Rechtssatz erforderlich gewesen, der festlegt, daß die kommunistische Partei auf die Dauer die politische Macht ausübt. Eine geschriebene Rechtsnorm dieses Inhalts bestand auch im Jahre 1954 nicht. Voraussetzung für das Entstehen eines ungeschriebenen Rechtssatzes wäre gewesen, daß im Jahre 1954 alle Rechtsgenossen und nicht nur eine Minderheit, wie etwa die Parteimitglieder, der Auffassung gewesen wären, die Suprematie der SED sei rechtens. Dem stehen aber die der Verfassung von 1949, also geschriebene Normen, entgegen. Die Entstehung von ungeschriebenem Recht im Widerspruch zu geschriebenem ist aber ein Ausnahmefall, für den besondere Umstände vorliegen müssen. Einen solchen anzunehmen, besteht kein Anlaß. Die Situation war damals vielmehr sogar noch so, daß sich die Siegermächte darum bemühten, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen, welche die verfassungsrechtliche Verankerung der Suprematie der SED in einem Teil Deutschlands ausschloß. Zwar kann kein Zweifel daran bestehen, daß die UdSSR als Besatzungsmacht schon damals den Willen hatte, die DDR zu einem sozialistischen Staate zu machen. Aber es fehlt zu dieser Zeit noch das Umsetzen des Wollens in ein allgemeinverbindliches Sollen. So bestand damals noch ein Schwebezustand, der es rechtfertigt, die damalige Rechtsstellung der SED noch als Hegemonie zu bezeichnen.

42 Deshalb kann die Suprematie der SED erst von dem Zeitpunkt an zum materiellen Verfassungsrecht gerechnet werden, an dem sie erstmals in einem Satz des positiven Rechts genannt wurde. Als solche Rechtsnorm kann die Präambel des Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 18.1.1957 (GBl. DDR Ⅰ 1957, S. 65) aufgefaßt werden. Dort hieß es: »In der Deutschen Demokratischen Republik entwickelt sich die volksdemokratische Ordnung, in der die Arbeiterklasse im Bündnis mit der werktätigen Bauernschaft und anderen werktätigen Schichten die politische Macht ausübt und den Sozialismus aufbaut.«
Zwar wurde die SED auch hier noch nicht beim Namen genannt. Indessen ist die Herrschaft der Arbeiterklasse nur eine Chiffre für die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, wie sich aus dem Parteistatut von 1954 ergibt. Wenn später in den Präambeln zu den
Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe vom 28.6.1961 (GBl. DDR Ⅰ 1961, S. 52) und 8.7.10.1961 die Führung der Arbeiterklasse durch die SED ausdrücklich artikuliert wurde, so wurde damit nur eine bereits bestehende Rechtslage bestätigt.
In bezug auf die wirklichen Machtverhältnisse war die Normierung der Suprematie der SED zwar auch 1957 nur deklaratorisch und nicht konstitutiv. Die Deklaration enthielt aber insofern ein konstituierendes Element, als durch sie die politische Machtlage in Verfassungsrecht transformiert wurde.
Boris Meissner (Die Rechtsstellung der SED und ihrer Gefolgsparteien, S. 253) meint freilich, es sei zu rechtspositivistisch gedacht, wenn man annehmen wollte, daß die SED erst seit ihrer Erwähnung in einigen Gesetzen Eingang in die materielle Rechtsverfassung gefunden habe, womit auch die wesentlichen Teile ihres Statuts die Qualität materiellen Verfassungsrechts erlangt hätten. Er meint, durch die genannten Gesetze sei lediglich bestätigt worden, was bereits 1954 normative und nicht faktische Bedeutung besessen hätte. Von normativer Festlegung, freilich in Bestätigung eines faktisch bestehenden Zustandes, kann m. E. aber erst dann gesprochen werden, wenn eine Rechtsnorm gesetzt ist, d. h. Staatsorgane tätig wurden. Andernfalls verlöre die Unterscheidung von faktischen und normativ begründeten Machtverhältnissen an Schärfe. Mit der Annahme ungeschriebener Rechtssätze sollte vorsichtig verfahren werden.


8. Normative Bestätigung der Suprematie

43 In zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen wurde die Suprematie der SED bestätigt. So hieß es bereits in § 1 des Gesetz über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik vom 11.2.1958 (GBl. DDR Ⅰ 1958, S. 117): »Die vom Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und vom Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vorgelegten Materialien zur Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates werden gebilligt.« In §4 des
Gesetzes über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 17.4.1963 (GBl. DDR Ⅰ 1963, S. 89), das auch nach dem Inkrafttreten der Verfassung von 1968 zunächst noch weitergalt, hieß es: »Der Ministerrat arbeitet auf der Grundlage des Programms der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Beschlüsse des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die die staatliche Tätigkeit betreffen, der Gesetze und der Beschlüsse der Volkskammer sowie der Erlasse und Beschlüsse des Staatsrates die für den umfassenden Aufbau des Sozialismus sich ergebenden politischen, ökonomischen, wissenschaftlichen, technischen und kulturell-erzieherischen Hauptaufgaben aus.«
Das Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 16.10.1972 (GBl. DDR Ⅰ 1972, S. 253) hebt die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse bzw. der SED an acht Stellen hervor. Die Statuten der Ministerien und der anderen zentralen Staatsorgane seit 1973 enthalten durchweg die Wendung, derzufolge das Ministerium (oder das jeweilige zentrale Staatsorgan) seine Aufgaben »in Verwirklichung der Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse auf der Grundlage der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften« zu erfüllen habe. In § 1 Abs. 1 S. 3 des
Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik (GöV) vom 12.7.1973 (GBl. DDR Ⅰ 1973, S. 313) heißt es, die örtlichen Volksvertretungen »verwirklichen unter Führung der Partei der Arbeiterklasse auf der Grundlage der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften in ihrem Territorium in enger Verbindung mit den Werktätigen und den gesellschaftlichen Organisationen die Staatspolitik der Arbeiter-und-Bauern-Macht der Deutschen Demokratischen Republik«.


9. Die Organisation der SED

44 Die SED ist nach ihrem Statut entsprechend dem Prinzip des demokratischen Zentralismus organisiert. Dieses später auch auf den Staat übertragene Organisationsprinzip (s. Rz. 7-14 zu Art. 2) geht auf Lenin zurück. Ursprünglich hatte dieser einen streng zentralistischen Parteiaufbau verlangt (W. I. Lenin, Was tun?), war jedoch auf Widerspruch in den eigenen Reihen gestoßen, so daß er sich entschlossen hatte, den Zentralismus zu »demokratisieren«.
Für den Parteiaufbau besagt das Prinzip des demokratischen Zentralismus,
a) daß alle Parteiorgane von unten bis oben demokratisch gewählt werden sollen;
b) daß die gewählten Parteiorgane zur regelmäßigen Berichterstattung über ihre Tätigkeit vor den Organisationen verpflichtet sind, durch die sie gewählt wurden;
c) daß alle Beschlüsse der höheren Parteiorgane verbindlich sind, straffe Parteidisziplin zu üben ist und die Minderheit sowie der einzelne sich den Beschlüssen der Mehrheit diszipliniert unterordnet (Ziffer 23).
Die demokratische Komponente des Doppelbegriffs (lit. a und b) wird durch die zentralistische Komponente (lit. c) praktisch eliminiert. Die Wahlen werden mittels der Befehlsgewalt der höheren Parteiorgane gesteuert. Es wird so ein Übergewicht der Führungsspitze geschaffen. Die Suprematie der SED bedeutet für den politisch-soziologischen Bereich die Führung durch die Parteispitze.
Für die leitenden Parteiorgane soll als höchstes Prinzip die Kollektivität gelten. Das heißt, daß alle Probleme, die Aufgaben und die Planung der Arbeit im Kollektiv zu beraten und zu entscheiden seien. Durch Ämterhäufung in einer Person an höchster Stelle kann jedoch ein Übergewicht einzelner oder eines einzelnen geschaffen werden, insbesondere dann, wenn nicht nur Parteiämter sich in einer Hand vereinigen, sondern auch Parteiämter mit Staatsämtern. Ausdrücklich wird bestimmt, daß der Grundsatz der Kollektivität die persönliche Verantwortung nicht aufhebt (Ziffer 24).

45 Die Partei ist nach dem Territorial- und Produktionsprinzip aufgebaut. Während es in Ziffer 25 des Statuts von 1963 hieß, die leitende Tätigkeit der Partei sei nach dem Produktionsprinzip organisiert, ist im Statut von 1976 eine derartige Bestimmung nicht mehr enthalten. Der Vorrrang der Grundorganisationen an den Arbeitsstellen der Mitglieder und Kandidaten ist nicht mehr so deutlich wie zuvor. In Ziffer 56 des Statuts von 1976 heißt es nur noch, daß das Fundament der Partei ihre Grundorganisationen bilden. Wenn dann aber weiter zu lesen ist, daß sie in den Betrieben der Industrie, des Bauwesens, des Transport- und Nachrichtenwesens, der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, des Handels, in staatlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen und Institutionen, in städtischen und ländlichen Wohngebieten sowie in den bewaffneten Organen gebildet werden, wenn wenigstens drei Parteimitglieder vorhanden sind, so ist ein Unterschied in der Wertigkeit der Grundorganisationen nicht mehr festzustellen. Über den Grundorganisationen stehen die Kreis- (Stadt-) und Bezirksorganisationen. Große Betriebsorganisationen haben den Rang von Kreisorganisationen.
In den kleineren und mittleren Städten, großen Gemeinden und Dörfern, die im Bereich der Parteiorganisation eines Kreises liegen und wo mehrere Grundorganisationen bestehen, wird eine gemeinsame Ortsleitung gebildet. Parteiorganisationen, die von besonderer politischer und wirtschaftlicher Bedeutung sind, können aus dem territorialen Verband herausgelöst werden. Das ist geschehen für die Nationale Volksarmee, die Deutsche Volkspolizei und im Verkehrswesen sowie für den Wismut-Bergbau. Die Parteiorganisation, die einen Kreis oder Bezirk umfaßt, gilt als die höhere gegenüber denjenigen Parteiorganisationen, die einen Teil des betreffenden Kreises oder Bezirks umfassen.
Die Zahl der Grundorganisationen betrug 1976 74 305, von denen 20 093 Abteilungsorganisationen in Großbetrieben und nichtterritorialen Organisationen waren. In diesen Grundorganisationen waren zu dieser Zeit 1 914 382 Mitglieder und 129 315 Kandidaten der Partei organisiert (O. V., Zur Entwicklung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, S. 816). Im Mai 1978 betrug die Zahl der Mitglieder und Kandidaten 2 088 365 (Neues Deutschland vom 25.5.1978). Nach dem Bericht des Vorsitzenden der Zentralen Parteikontrollkommission auf dem X. Parteitag betrug die Zahl der Mitglieder (einschließlich der Kandidaten) 2 172 110, die Zahl der Grundorganisation 79 668.
46 »Höchste Organe« sind
(1) die Mitgliederversammlung für die Grundorganisation,
(2) die Delegiertenkonferenz für die Parteiorganisationen der Großbetriebe und großen Verwaltungen und für die Parteiorganisationen der Orte, Kreise, Städte und Bezirke,
(3) der Parteitag für die Partei als Ganzes.
Parteitage fanden bis zum VIII. Parteitag in der Regel einmal in vier Jahren statt. Seitdem beträgt der Zeitraum fünf Jahre.
Zwischen den Parteitagen können Parteikonferenzen stattfinden, auf denen dringende Fragen der Politik und Taktik der Partei behandelt werden und über sie beschlossen wird.
Die Mitgliederversammlungen wählen Leitungen der Grundorganisationen, die Delegiertenkonferenzen Bezirks-, Stadt- und Kreisleitungen. Die Bezirks-, Stadt- und Kreisleitungen wählen Sekretäre und bilden Sekretariate. Zwischen den Plenartagungen leiten die Sekretariate die praktische Arbeit. Die Ortsleitungen wählen einen Sekretär. Der Parteitag wählt das Zentralkomitee (ZK). Dieses führt die Beschlüsse des Parteitages aus, ist zwischen den Parteitagen - das heißt wegen der Seltenheit der Parteitage fast dauernd - das höchste Organ der SED und leitet ihre gesamte Tätigkeit, vertritt die SED im Verkehr mit anderen Parteien und Organisationen.
Das Zentralkomitee (ZK) tagt aber nur verhältnismäßig selten, etwa zwei- bis dreimal im Jahr. Es bestehen daher an der Spitze der SED zwei weitere Organe, ein größeres: das Politbüro, und ein kleineres: das Sekretariat. Das Politbüro hat die politische Leitung, das Sekretariat die laufenden Arbeiten zu erledigen. Satzungsgemäß ist ein Erster Sekretär nicht vorgesehen. Aufgrund von Beschlüssen der leitenden Organe gibt es indessen Erste Sekretäre auf jeder Ebene. Der Generalsekretär leitet gleichzeitig das Politbüro. Er ist die führende Persönlichkeit der Partei.
Das Prinzip des demokratischen Zentralismus führt zu einem eindeutigen Übergewicht der höchsten Organe der Partei. Obwohl dem Parteistatut nach das ZK das höchste Organ der Partei ist, sind doch das Politbüro und das Sekretariat von wesentlich größerer Effizienz. Das liegt vor allem daran, daß das ZK verhältnismäßig groß ist (s. Rz.48 zu Art. 1) und nur relativ selten Zusammentritt. Vor allem ist das Politbüro das eigentliche Führungsorgan der Partei. In ihm sind alle Sekretäre der Partei als Mitglieder oder Kandidaten vertreten. Diese bilden die engere Führungsgruppe.
Soziologisch ist, wie empirische Untersuchungen ergeben haben (Peter Christian Ludz, Parteielite im Wandel) die Parteiführung keine homogene Gruppe. Wie sich die Willensbildung in ihr vollzieht, ist nicht erkennbar. Bisher haben jedoch stets, wie ihre politischen Entscheidungen erkennen lassen, diejenigen Vertreter sich durchsetzen können, die die Erhaltung der Macht der Partei über alle anderen Erwägungen stellen. Diese haben sich modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch über die Organisation von Staat und Gesellschaft aufgeschlossen gezeigt und diese übernommen, soweit dadurch nicht ihre Machtpositionen in Frage gestellt werden. Im Gegenteil soll so die Effektivität des Herrschaftssystems erhöht und damit ihre Machtposition verstärkt werden.


10. Parteiapparat der SED

47 Außer der Organisation verfügt die SED über einen Parteiapparat, von dem die staatlichen und gesellschaftlichen Organe und Organisationen gelenkt werden.
Beim ZK besteht ein großer Apparat mit zahlreichen Abteilungen, die von Abteilungsleitern unter der Verantwortung von Parteisekretären geleitet werden, sowie Kommissionen. Es bestehen folgende Abteilungen und Kommissionen (in alphabetischer Reihenfolge): Agitation; Allgemeine/Innere Verwaltung; Auslandsinformation; Bauwesen; Büro des Politbüros; Zeitschrift »Einheit«; Fernmeldewesen; Finanzverwaltung und Parteibetriebe; Forschung und Technische Entwicklung; Frauen; Gesundheitspolitik; Gewerkschaften und Sozialpolitik; Grundstoffindustrie; Handel, Versorgung und Außenhandel; Internationale Verbindungen; Jugend; Kaderfragen; Kirchenfragen; Kultur; Landwirtschaft; Leicht-, Lebensmittel- und Bezirksgeleitete Industrie; Maschinenbau und Metallurgie; Zeitschrift »Neuer Weg«; Befreundete Parteien; Parteiorgane; Planung und Finanzen; Propaganda; Protokoll; RGW; Sicherheitsfragen; Sozialistische Wehrerziehung und militärpolitische Agitation; Sozialistische Wirtschaftsführung; Sport; Staats- und Rechtsfragen; Transport- und Nachrichtenwesen; Verkehr (Kurierdienst); Volksbildung; West; Verwaltung der Wirtschaftsbetriebe; Wissenschaften; Zentrag (=Zentrale Druckerei-, Einkaufsund Revisionsgesellschaft, s. Rz. 20 zu Art. 10). Beim ZK bestehen ferner wissenschaftliche Einrichtungen, so die Akademie für Gesellschaftswissenschaften, das Institut für Marxismus-Leninismus, das Institut für Meinungsforschung, das Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung, die Parteihochschule »Karl Marx« (s. Rz. 75 zu Art. 17), das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) und die Sonderschule Kleinmachnow.
Die Bezirks-, Kreis- und Stadtleitungen der SED haben ebenfalls Apparate. Die Apparate der Bezirksleitung sind ähnlich wie der Apparat des ZK in Abteilungen gegliedert. Beim ZK der SED besteht die Zentrale Parteikontrollkommission. Diese hat stets nur die Funktion eines Parteigerichts ausgeübt. »Sie schützt die Einheit und Reinheit der Partei, kämpft gegen feindliche Einflüsse sowie gegen jede fraktionelle Tätigkeit« (Ziff. 44 a Parteistatut). Ihre Befugnisse gingen also niemals soweit wie die des Komitees für Parteikontrolle der KPdSU. Infolgedessen wird weder ihre Organisation noch ihr Aufgabenbereich von der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion berührt (s. Rz. 72 ff. zu Art. 80).
Revisionskomissionen bestehen beim Zentralkomitee, bei den Bezirks-, Stadt- und Kreisleitungen. Sie haben das Funktionieren des Parteiapparates und die Finanzen der Partei zu überprüfen.


11. Parteitage der SED

48 I. Parteitag (Vereinigungsparteitag) vom 19.4.-24.4.1946
II. Parteitag vom 20.9.-24.9.1947
III. Parteitag vom 20.7.-24.7.1950
IV. Parteitag vom 30.3.-6.4.1954
V. Parteitag vom 10.7.-16.7.1958
VI. Parteitag vom 15.1.-21.1.1963
VII. Parteitag vom 17.4.-22.4.1967
VIII. Parteitag vom 15.6.-19 6.1971
IX. Parteitag vom 18.5.-22.5.1976
X. Parteitag vom 11.4.-16.4.1981
Parteikonferenzen wurden veranstaltet:
1. Parteikonferenz vom 25.1.-28.1.1949
2. Parteikonferenz vom 8.7.-12.7.1952
3. Parteikonferenz vom 24.3.-29.3.1956.
Zum VI. Parteitag wurden 1907 Delegierte mit beschließender Stimme und 582 Delegierte mit beratender Stimme gewählt. An den Beratungen nahmen 1881 Delegierte mit beschließender Stimme und 577 Delegierte mit beratender Stimme teil.
Zum VII. Parteitag wurden 2199 Delegierte gewählt, davon 2098 mit beschließender, 101 mit beratender Stimme. Anwesend waren 2072 Delegierte mit beschließender und 100 Delegierte mit beratender Stimme.
Der VIII. Parteitag hatte 2047 Delegierte mit beschließender und 74 mit beratender Stimme. 10 Delegierte fehlten entschuldigt.
Auf dem IX. Parteitag wurden 2380 Mandate anerkannt. 2377 Delegierte nahmen an den Wahlen zum ZK und der Zentralen Revisionskommssion teil. 3 Delegierte fehlten entschuldigt.
Am X. Parteitag nahmen 2 560 Delegierte mit beschließender Stimme und 118 Delegierte mit beratender Stimme teil.
Das ZK, das vom VI. Parteitag gewählt wurde, hatte 121 Vollmitglieder und 60 Kandidaten. Das auf dem VII. Parteitag gewählte ZK umfaßt 131 Vollmitglieder und 50 Kandidaten. Auf dem VIII. Parteitag wurden in das ZK 135 Vollmitglieder und 54 Kandidaten, auf dem IX. Parteitag 145 Vollmitglieder und 57 Kandidaten, auf dem X. Parteitag 156 Vollmitglieder und 56 Kandidaten gewählt.
In das Politbüro wurden 1963 14 Vollmitglieder und 9 Kandidaten gewählt. Seit 1967 bestand das Politbüro aus 15 Vollmitgliedern und 6 Kandidaten. Ein Vollmitglied schied am 24.1.1971 durch Tod aus und wurde nicht ersetzt. Der VIII. Parteitag wählte 16 Vollmitglieder und 7 Kandidaten in das Politbüro, der IX. Parteitag 19 Vollmitglieder und 9 Kandidaten. 1981 wählte der X. Parteitag nur noch 17 Vollmitglieder und 8 Kandidaten in das Politbüro.
Das Sekretariat bestand im Jahre 1963 aus 7 Mitgliedern. Von 1967 bis 1976 hatte es 10 Mitglieder. 1976 wurden 12 Sekretäre vom ZK gewählt. 4 von ihnen gehörten nicht dem Politbüro an. Nach dem Tode eines Mitglieds des Politbüros (Lamberz) im Jahre 1978 rückte ein Sekretär (Herrmann) in das Politbüro nach. 1981 hatte das Sekretariat wiederum 10 Mitglieder, von denen zwei nicht auch dem Politbüro angehören. Erster Sekretär der SED war vom 26.7.1953 bis zum 3.5.1971 Walter Ulbricht, der im Jahre 1946 zum stellvertretenden Vorsitzenden der SED und im Jahre 1950 zum Generalsekretär des ZK der SED gewählt worden war. Am 3.5.1971 wählte das ZK der SED Erich Honecker zum Ersten Sekretär. Das auf dem VIII. Parteitag gewählte ZK bestätigte ihn in diesem Amt. Auf dem IX. Parteitag erhielt er den Titel »Generalsekretär«, den er auf dem X. Parteitag behielt.


12. Parteiprogramm der SED

49 Auf dem IX. Parteitag wurde ein neues Parteiprogramm angenommen. Dieses hat freilich nicht den Charakter einer allgemein verbindlichen Rechtsnorm. Es bindet aber die Parteiorgane und -mitglieder. Deshalb ist es das wichtigste Mittel der Rechtsauslegung; denn das Recht, auch das Verfassungsrecht, ist »parteilich« auszulegen (s. Rz. 51 zu Art. 19). Deshalb ist auch in diesem Kommentar häufig auf das Parteiprogramm Bezug zu nehmen, wenn es gilt, das Selbstverständnis der DDR-Verantwortlichen darzustellen.
Nach Karl-Heinz Schöneburg (Verfassung und Dialektik der Gesellschaftsentwicklung, S. 49) besteht zwischen dem Parteiprogramm und der Verfassung ein wesentlicher innerer Zusammenhang. Er sieht die Verfassung gleichsam als normative Ausformung und Konkretisierung der im Parteiprogramm enthaltenen Grundsätze und Entwicklungslinien an. Das Parteiprogramm wird so zu einem wichtigen Hilfsmittel zur Interpretation der Verfassung.


13. Kampfgruppen der SED

50 Wegen der Kampfgruppen der SED s. Rz. 34-37 zu Art. 7.

III. Die DDR und die deutsche Nation

1. Die DDR als Staat deutscher Nation

51 Bis zur Verfassungsnovelle von 1974 bezeichnete Art. 1 Satz 1 die DDR als einen Staat deutscher Nation. Trotz der Spaltung Deutschlands fühlte sich damals die DDR noch einer einheitlichen Nation, wenigstens der Form nach, verbunden.
Nach dem Sturz Ulbrichts aus seinem Amt als Erster Sekretär der SED am 3.5.1971 wurde die gesamtnationale Linie allmählich abgeschwächt (Fritz Kopp, Der Nationsbegriff ..., S. 96). In einer Entschließung des VIII. Parteitages der SED vom 19.6.1971 wurde erklärt, zwischen der sozialistischen DDR, in der sich die sozialistische deutsche Nation entwickele, und der monopolkapitalistischen Bundesrepublik Deutschland, in der die alte bürgerliche Nation existiere, könne und werde es niemals sogenannte »innerdeutsche Beziehungen« geben. Der Zusammenhang zwischen den Bestrebungen der Bundesregierung, das Verhältnis zur DDR auf der Grundlage der Einheit der deutschen Nation auf eine neue Basis zu stellen, und der Kursänderung von SED und DDR in der nationalen Frage liegt auf der Hand.


2. Die DDR als sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern

52 Mit der Verfassungsnovelle von 1974 [Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik v. 7.10.1974 (GBl. DDR Ⅰ 1974, S. 425)] wurde jeder Bezug auf eine einheitliche deutsche Nation aus der Verfassung gestrichen. Die DDR wird seitdem in Art. 1 Satz 1 als sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern bezeichnet. Der Begriff der »sozialistischen Nation« wurde jedoch nicht in die Verfassung aufgenommen.
Dabei ist zu beachten, daß das deutsche Wort »Nation« keine unmittelbare rechtliche Relevanz hat. »Nation ist mit Staatsvolk nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Dem politisch-subjektiven Nationsbegriff im westeuropäisch-amerikanischen Bereich, bei dem Staat und Nation zusammenfallen oder sehr eng miteinander verbunden sind, steht der kulturell-objektive im mittelosteuropäischen Bereich gegenüber« (Boris Meissner, Sowjetunion und Selbstbestimmungsrecht, S. 46).
Die Literatur in der DDR verwendete zunächst den Begriff »Nation« ebenfalls in einer kulturell-objektiven Bedeutung, bezieht in ihn jedoch die Vorstellung des Klassenkampfes ein. Alfred Kosing (Die nationale Lebensfrage des deutschen Volkes) meinte 1962, die deutsche Nation stehe auf zwei unterschiedlichen Entwicklungsstufen. In einer Besprechung pflichtete Friedrich Arndt (S. 1380) ihm in der Auffassung bei, daß in einem Teil Deutschlands schon die Qualität der sozialistischen Nation, im anderen Teil noch die der bürgerlichen, d. h. die niedrige Qualität der Nation, existiere. Es beständen also nicht zwei Nationen, sondern zwei Entwicklungsstufen einer Nation. Alfred Kosing (Illusion und Wirklichkeit der nationalen Frage, S. 15) meinte, die Nation sei auf bestimmten sozialökonomischen Grundlagen gewachsen. Ihr Entwicklungsprozeß werde vom Kampf der ihr immanenten Klassenkräfte bestimmt. Er versicherte, es gebe nur eine deutsche Nation. Ulbricht wandte sich auf dem 11. Plenum des ZK der SED am 17.12.1960 gegen Karl Jaspers, der vom Entstehen zweier deutscher Nationen in seinem Buch »Wohin treibt die Bundesrepublik?« gesprochen hatte (Neues Deutschland vom 18.12.1960). Rudolf Arzinger (Das Selbstbestimmungsrecht im allgemeinen Recht der Gegenwart) bekannte sich ebenfalls zum Fortbestehen einer einzigen Nation, die jedoch in Klassen gespalten sei; deshalb gebe es auch keinen einheitlichen Träger des nationalen Selbstbestimmungsrechts in Deutschland. Der tatsächliche Träger dieses Rechts könnten nur die progressiven Kräfte einer Nation sein, also diejenigen Klassenkräfte, die in einer bestimmten Periode berufen seien, die Gesamtinteressen einer Nation zu vertreten und sie damit politisch zu beherrschen. Das seien aber die Klassenkräfte, die in der DDR die Macht ausübten (vgl. dazu vor allem Jens Hacker, Das Selbstbestimmungsrecht aus der Sicht der DDR, S. 176 ff.).


3. »Deutsche Nation« in der Verfassung von 1968

53 Dieser Auffassung war auch die Verfassung von 1968 gefolgt. Das geht aus einer Äußerung Ulbrichts während der Verfassungsdiskussion hervor. Er antwortete auf die Frage, ob es eine deutschen Nation überhaupt gebe, bejahend. Er erläuterte, es gebe zwar zwei deutsche Staatsvölker, das Staatsvolk der Deutschen Demokratischen Republik und das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland. Trotzdem existiere die Nation fort. Sie bestehe in der Gemeinsamkeit der Sprache, obwohl es auch da schon Nuancen gebe, und sie bestehe in der gemeinsamen Vergangenheit der Zugehörigkeit zu einem Staat. Die DDR fühle sich brüderlich verbunden mit der westdeutschen Arbeiterklasse, mit allen friedliebenden fortschrittlichen Kräften in Westdeutschland. Die DDR sei auch interessiert daran, daß sich zwischen der DDR und der Arbeiterklasse und allen friedliebenden und fortschrittlichen Kräften in Westdeutschland gute Beziehungen entwickelten (Neues Deutschland vom 17.2.1968). Damit charakterisierte er den Begriff »deutsche Nation« als einen Zustand, der historisch gewachsen ist und auch für Gegenwart und Zukunft Bedeutung hat, und behauptete gleichzeitig, das Verhältnis zwischen den beiden Teilen Deutschlands müsse unter dem Aspekt des Klassenkampfes gesehen werden.


4. Leugnung der Einheit der Nation

54 Nachdem in der Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Brandt als Aufgabe der praktischen Politik in den nächsten Jahren bezeichnet worden war, die Einheit der Nation dadurch zu wahren, daß das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst werde (von Münch, Dokumente des geteilten Deutschland, Band II, S. 168), begannen die Verantwortlichen in der DDR, die Einheit der Nation zu leugnen. Den Anfang machte Walter Ulbricht auf seiner Pressekonferenz vom 19.1.1970 (Neues Deutschland vom 20.1.1970). Er meinte aber noch, diese Einheit gebe es auch in der Bundesrepublik nicht. Mit Nachdruck vertrat er die Auffassung, daß mit der Spaltung Deutschlands auch die deutsche Nation gespalten worden sei. Er führte aus: »In der Verfassung der DDR ist festgelegt, daß sie ein sozialistischer Staat deutscher Nation ist. Das ist klar. Wir gehen von den historischen Realitäten aus. Die Einheit der deutschen Nation ist vor über 20 Jahren mit der Gründung des westdeutschen Separatstaates von den imperialistischen Westmächten und den reaktionären Kräften des westdeutschen Monopolkapitals zerstört worden. Man kann keine Einheit bewahren, die seit 20 Jahren nicht mehr existiert. Es bringt wirklich nichts ein, den Kopf in den Sand zu stecken und die Beziehungen zwischen der DDR und der BRD auf Fiktionen gründen zu wollen.«


5. Neue sozialistische Nation in der DDR

55 Im Zuge der von den DDR-Verantwortlichen immer mehr verstärkten Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik Deutschland wurde von ihnen seit etwa dem VIII. Parteitag der SED (15.-19-6.1971) die These vertreten, in der DDR entwickele sich eine neue sozialistische Nation.


6. Tilgung des Begriffs der deutschen Nation durch die Verfassungsnovelle von 1974

56  Einen Höhepunkt der Entwicklung bildete die Verfassungsnovelle, das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik v. 7.10.1974 (GBl. DDR Ⅰ 1974, S. 425). Mit ihr wurde aus der Verfassung von 1968 jede Bezugnahme auf die deutsche Nation gestrichen. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 erhielt die Fassung: »Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern.« Eine offizielle Begründung wurde für die Tilgung des Begriffs der deutschen Nation aus der Verfassung nicht gegeben. Die Rechtfertigung lieferte vor allem Alfred Kosing, auch gemeinsam mit Walter Schmidt (Nation und Nationalität in der DDR, Neues Deutschland vom 15./16.2.1975; Zur Herausbildung der sozialistischen Nation in der DDR, S. 179).
Im Gegensatz zu früheren, u. a. auch von ihm vertretenen Auffassungen meint Alfred Kosing nunmehr, es kennzeichne die Nation, daß sich ihr Wesen in den sozialen Bindungen des Kapitalismus bzw. des Sozialismus verkörpere, die sich in unlöslicher Einheit mit den ethnischen Bindungen herausgebildet hätten, wobei die ersteren die führende Rolle spielten (Nation und Nationalität in der DDR, S. 142). Es wird nunmehr zwischen »Nation« und »Nationalität« unterschieden. Der Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, hatte auf der 13. Tagung des ZK der SED (12.-14.12.1974) ausgeführt, daß die Staatsbürger der DDR der Nationalität nach in übergroßer Mehrheit Deutsche seien. Alfred Kosing/Walter Schmidt (Nation und Nationalität in der DDR, Neues Deutschland vom 15./16.2.1975) versuchten, dafür eine wissenschaftliche Erläuterung zu liefern. Diese besteht darin, daß unter dem ersten Begriff nur die von der marxistisch-leninistischen Lehre in der DDR neuerdings gefundene »Klassennation« verstanden wird, während aus dem zweiten der Aspekt der Klasse ausgeklammert bleibt, also vor allem der ethnische Faktor, aber auch der historische und linguistische bildend wirken. Immerhin wurde vermieden, in den Verfassungstext den Begriff der »sozialistischen Nation« aufzunehmen.


7. Rechtliche Würdigung der Tilgung

57 Eine Würdigung der Tilgung des Begriffs »deutsche Nation« aus der Verfassung hat davon auszugehen, daß der Begriff »Nation« ein vorrechtlicher ist. Durch eine Verfassung kann eine Nation weder geschaffen noch abgeschafft werden. So bedeutungsvoll die Streichung des Begriffs »deutsche Nation« aus der Verfassung unter politischem Aspekt ist, rechtlich ist sie irrelevant, weil der Begriff kein Rechtsbegriff ist und die Streichung keine faktische Wirkung für das Bestehen einer einheitlichen deutschen Nation hat.


8. Möglichkeit einer Kurskorrektur?

58 Unter politischem Aspekt ist bemerkenswert, daß sich die DDR-Verantwortlichen die Möglichkeit für einen Kurswechsel offengelassen haben. Die Besinnung auf die »deutsche Nationalität«, also auf das ethnische, historische und linguistische Element, kann als ein Indiz dafür gewertet werden. Auch wird nunmehr ein gemeinsamer deutscher Boden entdeckt oder wieder gefunden. Im Rechenschaftsbericht Honeckers an den IX. Parteitag (18.-22.5.1976) heißt es: »Das Programm der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der führenden Kraft der Deutschen Demokratischen Republik, des ersten Staates der Arbeiter und Bauern auf deutschem Boden bringt die Interessen der Arbeiterklasse zum Ausdruck.« Mit dem deutschen Boden wird hier von maßgeblicher Seite auf etwas in Deutschland Gemeinsames Bezug genommen. Gewiß sollte die Verwendung der Begriffe »deutsche Nationalität« und »deutscher Boden« in einer Periode, in der sogar aus dem Statut und dem Programm der SED jeder Hinweis auf die deutsche Einheit eliminiert worden ist, nicht allzu hoch gewertet werden. Doch dürfen solche Äußerungen nicht
als reiner Zufall genommen werden. Einerseits zeigen sie, daß die DDR-Verantwortlichen dem Denken und Fühlen der Deutschen in der DDR Rechnung tragen müssen, wenn auch vielleicht nur verbal. Andererseits aber könnten sie den Weg freihalten für eine Deutung vorrechtlicher Formen eines wieder als einheitlich angesehenen deutschen Staatsvolkes und eines einheitlichen deutschen Staatsgebietes, nach denen zu streben unter vielleicht einmal gegebenen politischen Umständen von den DDR-Verantwortlichen für opportun gehalten werden könnte. Diese in Widerspruch zu vielen Stimmen in der Bundesrepublik Deutschland stehende Auffassung wurde nach Abschluß des Manuskripts eindrucksvoll durch keinen Geringeren als den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, in seinem Schlußwort auf der Bezirksdelegiertenkonferenz der SED in Berlin (Ost) bestätigt, in dem er u.a. ausfiihrte: » ... wenn der Tag kommt, an dem die Werktätigen der Bundesrepublik an die sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland gehen, dann steht die Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten vollkommen neu. Wie wir uns dann entscheiden, daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen« (Neues Deutschland vom 16.2.1981).

IV. Die DDR als Völkerrechtssubjekt

1. Historische Entwicklung

59 a) Die Verfassung geht davon aus, daß die DDR im Sinne der Drei-Elementen-Lehre Staat im Sinne des Völkerrechts, also Völkerrechtssubjekt ist, weil sie ein Staatsgebiet, eine Staatsgewalt und ein Staatsvolk hat. Von 1955 bis etwa 1970 wurde in der DDR die Ansicht vertreten, die DDR sei der »rechtmäßige« deutsche Staat (Jens Hacker, Der Rechtsstatus Deutschlands aus der Sicht der DDR, S. 280 ff., mit der dort verzeichneten weiteren Literatur).
In der Literatur der DDR (insbesondere von Peck, die Völkerrechtssubjektivität der Deutschen Demokratischen Republik, S. 145) wurde außerdem gegen die herrschende Völkerrechtslehre und eine Minderheit in der DDR die These vertreten, die DDR habe einen Anspruch auf völkerrechtliche Anerkennung als Staat gehabt.

60 b) Anerkennung durch andere Staaten bis zum Grundlagenvertrag. Als Staat wurde die DDR zunächst nur von den kommunistisch beherrschten Staaten anerkannt: Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Volksrepublik Polen, Tschechoslowakische Sozialistische Republik, Ungarische Volksrepublik, Sozialistische Republik Rumänien, Volksrepublik Bulgarien, Volksrepublik China, Koreanische Volksdemokratische Republik, Demokratische Republik Vietnam (Nordvietnam), Volksrepublik Albanien, Mongolische Volksrepublik, Republik Kuba, Sozialische Förderative Republik Jugoslawien. Bis zum 30.6.1971 folgten: Königreich Kambodscha, Republik Irak, Demokratische Republik Sudan, Syrische Arabische Republik, Volksrepublik Südjemen, Vereinigte Arabische Republik, Volksrepublik Kongo, Demokratische Republik Somalia, Zentralafrikanische Republik, Demokratische Volksrepublik Algerien, Republik der Malediven, Ceylon, Republik Guinea, Republik Chile, Republik Äquatorial Guinea, Tschad. Schon während der Verhandlungen über den Grundlagenvertrag [Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Dezember 1972 (Grundlagenvertrag) v. 13.6.1973 (GBl. DDR ⅠⅠ 1973, S. 26)] stieg die Zahl der anerkennenden Staaten. Am 1.1.1973 unterhielt die DDR diplomatische Beziehungen zu 55 Ländern (Neues Deutschland vom 3.1.1973).
61 c) Nach dem Abschluß des Grundlagenvertrages wurde die DDR weltweit anerkannt. Sie wurde gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland am 18.9.1973 Mitglied der Vereinten Nationen und gehört auch deren Nebenorganisationen an.


2. Das Verhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland

62 a) Die Bundesrepublik Deutschland sah die DDR bis zur Bildung der sozial-liberalen Koalitionsregierung im Jahre 1969 nicht als Staat an. Dafür waren nicht nur politische Motive maßgebend, sondern es gab gute juristische Gründe dafür. Denn es war, und das gilt auch heute noch, zweifelhaft, »ob die Staatsgewalt der DDR als Staatsgewalt des auf dem betreffenden Gebiet lebenden Volkes gelten kann oder als fremde Staatsgewalt angesehen werden muß« (Otto Kimminich, in: Deutschlandpolitik, S. 150). In der ersten Auflage dieses Kommentars wurde die Ansicht vertreten, daß die in der DDR ahsgeübte Gewalt als eine verdeckte Fremdherrschaft anzusehen ist, weil sie zwar von Deutschen ausgeübt, aber von einer fremden Macht eingesetzt war und die Bevölkerung dort niemals Gelegenheit hatte, unbeeinflußt von den Inhabern der Staatsgewalt sie als eigene Staatsgewalt zu bestätigen. Nachdem die enge Bindung der DDR an die Sowjetunion nach der Verfassungsnovelle von 1974 [Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik v. 7.10.1974 (GBl. DDR Ⅰ 1974, S. 425)] auch konstitutionell verankert worden ist (s. Rz. 15—22 zu Art. 6), hat die DDR an Eigenständigkeit der Staatsgewalt eher verloren als gewonnen. Da indessen der Grundlagenvertrag die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, diese Verhältnisse in ihren Beziehungen zur DDR unberücksichtigt zu lassen (s. unten Rz. 64), bedarf es keiner eingehenden Darlegung dieser Auffassung mehr. Es kann auf die Vorauflage verwiesen werden.

63 b) Von einem Organ der Bundesrepublik Deutschland wurde die DDR erstmals in der Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Brandt vom 28.10.1969 als Staat bezeichnet, wobei jedoch gleichzeitig eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR ausgeschlossen wurde: »Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung kann nicht in Betracht kommen. Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein.«

64 c) Die DDR lehnte von Anfang an diese These der Bundesregierung ab und beharrte auf voller völkerrechtlicher Anerkennung auch durch die Bundesrepublik. Mit dem Grundlagenvertrag hat sie dieses Ziel weitgehend, aber doch nicht ganz erreicht. Es ist hier nicht der Ort, den Grundlagenvertrag zu kommentieren. Es kann auf die Erläuterung von Otto Kimminich im »Bonner Kommentar« und auf die eingehende Monographie von Kay-Michael Wilke »Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik« mit der dort verzeichneten Literatur sowie auf den Aufsatz von Hans Heinrich Mahnke »Die besonderen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten« verwiesen werden. Wilke meint, daß sowohl diejenigen, die eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR aufgrund des Abschlusses des Grundlagenvertrages bejahen, als auch diejenigen, die dies ablehnen, für sich Argumente ins Feld fuhren, die einer völkerrechtlichen Nachprüfung standhalten. Er weist aber darauf hin, daß entscheidend der erklärte Willen des anerkennenden Staates sei, der seinen Ausdruck in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen finde. Die Bundesregierung habe aber eine völkerrechtliche Anerkennung ausdrücklich ausgeschlossen, und im Grundvertrag sei nicht die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in der herkömmlichen Form vereinbart worden. Dieter Blumenwitz (Die Errichtung Ständiger Vertretungen im Lichte des Staats- und Völkerrechts) meint zwar, eine eingehende Analyse der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen (GBl. DDR ⅠⅠ 1973, S. 56) in den hier einschlägigen Teilen sowie des Protokolls über die Errichtung der Ständigen Vertretungen vom 14.3.1974 (BGBl. II, S. 934) ergebe, daß keine der von der Bundesregierung angesprochenen Besonderheien bei der Ausgestaltung der deutsch-deutschen Beziehungen durch die »Ständigen Vertretungen« ein besonderes völkerrechtliches Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland konstituierten. Dem ist entgegenzuhalten, daß das Protokoll gegenüber dem Grundlagenvertrag nur sekundäre Bedeutung hat und dieser für die Bundesrepublik nur in der Auslegung des Urteils des BVerfG vom 31.7.1973 (BVerfG 1973, Nr. 36, S. 1) bindend ist, dies bei Abschluß des Protokolls der DDR bekannt war, obwohl sie selbst nicht an das erwähnte Urteil gebunden ist, und daher der DDR auch bewußt war, daß die Bundesrepublik die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in der herkömmlichen Form (etwa durch Botschafteraustausch) nicht wollte. Mit Einschränkung ist Otto Kimminich (in: Deutschlandpolitik, S. 165/166) in der Ansicht beizupflichten, daß der Grundlagenvertrag die Bundesrepublik verpflichte, die DDR wie ein Völkerrechtssubjekt zu behandeln, und zwar unabhängig davon, ob die DDR nun »Staat« sei oder nicht. Die Einschränkung ergibt sich daraus, daß auch die DDR ein 65 Teil Deutschlands ist. Wenn das BVerfG ohne weitere Begründung meint, daß die DDR Staat im Sinne des Völkerrechts und damit Völkerrechtssubjekt sei, so teilt es zwar die oben unter Rz. 62 genannten Zweifel nicht, betont aber mit Nachdruck: »Wir haben von der im Grundgesetz vorausgesetzten, in ihm >verankerten< Existenz Gesamtdeutschlands mit einem deutschen (Gesamt-) Staatsvolk und einer (gesamt-)deutschen Staatsgewalt auszugehen.« Die Behandlung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland, als ob diese ein Völkerrechtssubjekt sei, hat dort ihre Grenze, wo diese Behandlung mit der im Grundgesetz auferlegten Verpflichtung in Widerspruch gerät, dem Ziele der Wiedervereinigung Deutschlands zu dienen. Dahin gehört, daß zwischen den beiden Staaten in Deutschland nicht Botschafter ausgetauscht wurden, sondern daß sie im jeweils anderen Lande eine »Ständige Vertretung« errichteten. Mag man das dem Formalen zurechnen, für einen anderen Aspekt gilt das nicht. Das BVerfG hebt hervor, der Grundlagenvertrag dürfe nicht dahin verstanden werden, daß er die Bundesregierung und alle übrigen Organe in Bund und Ländern von der verfassungsmäßigen Pflicht entbinde, das öffentliche Bewußtsein nicht nur für die bestehenden Gemeinsamkeiten, sondern auch dafür wachzuhalten, welche weltanschaulichen, politischen und sozialen Unterschiede zwischen der Lebens- und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Lebens- und Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik bestehen. »Jeder Versuch, die Bundesregierung in diesem Bereich in ihrer Freiheit und verfassungsmäßigen Vertretung der Interessen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beschränken mit der Behauptung, sie verstoße gegen den Inhalt und den Geist des Vertrages und mische sich in die inneren Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik ein, handle also vertragswidrig, stellt seinerseits eine Vertragswidrigkeit dar.«

66 d) In der Vorauflage wurde das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Teilen als Schwebezustand charakterisiert. Davon ist auch nach Abschluß des Grundlagenvertrages nichts zurückzunehmen, wenn auch seine Beendigung nach der derzeitigen politischen Lage erst nach langer Zeit möglich sein wird.
Dem hat der bekannte Brief der Bundesregierung an die Regierung der DDR vom 21.12.1972 zur deutschen Einheit (BGBl. 1973 II, S. 425) Ausdruck gegeben. »Im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, daß dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.« Nach dem Urteig des BVerfG vom 31.7.1973 darf kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland »die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben, alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken - das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Inneren wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten und alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde.«

67 e) So ist auch nach Abschluß des Grundlagenvertrages die deutsche Frage weiterhin offengeblieben. Sicher ergibt sich diese Offenheit nicht aus dem Text des Grundlagenvertrages unmittelbar, sondern ist im Wege der Interpretation zu ermitteln, wie es das BVerfG mit bindender Wirkung für alle Organe der Bundesrepublik Deutschland getan hat. Kay-Michael Wilke (Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 131) ist in seinem Bedauern zuzustimmen, durch die den Grundlagenvertrag kennzeichnende Eile, die sich in rechtlich und politisch nicht völlig abgeklärten Normierungen niedergeschlagen habe, sei ein besseres Ergebnis verhindert worden. Dem BVerfG ist zu danken, daß es einen wenn auch komplizierten Weg, dessen Einzelheiten vielleicht hätten ausführlicher begründet werden sollen, gefunden hat, den Grundlagenvertrag mit dem GG für vereinbar zu finden.
68 Die deutsche Frage ist aus einem weiteren Grunde offen, der sich aus Besatzungsrecht ergibt. Mit den Deklarationen vom 5.6.1945 (s. Rz. 15 zur Präambel) hatten die Alliierten die Gebietshoheit im Sinne von von der Heydte, nicht die Gebietsherrschaft, die beim deutschen Staate verblieb, für sich in Anspruch genommen. Handelte es sich bei ihnen auch um einseitige Akte, so erzeugten sie doch nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.
Denn die Deklarationen setzten Recht nicht nur unter den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber der deutschen Bevölkerung als Normadressaten. Wie ein Staat sich in den von ihm selbst gesetzten Rechtsnormen an diese bindet, sich also unter diese stellt (Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 357), so sind auch in den Deklarationen der Siegermächte vom 5.6.1945 Bindungen gegenüber den Normadressaten enthalten. Das bedeutet, daß die vier alliierten Siegermächte nach den Deklarationen vom 5.6.1945 verpflichtet sind, über das Schicksal Deutschlands zu entscheiden (in bezug auf Berlin: Siegfried Mampel, Der Sowjetsektor von Berlin, S. 36). An der Verantwortlichkeit der Siegermächte halten die Westmächte unbedingt fest. So wurde in Art. 2 des Generalvertrages vom 26.5.1952 [Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Generalvertrag) vom 26. 5. 1952 (BGBl. 1955 II, S. 305)] festgelegt, daß sich die USA, Großbritannien und Frankreich die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung vorbehalten. Auch die Verpflichtungen der UdSSR kamen im Vertrag mit der DDR vom 20.9.1955 [Vertrag über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 20.9.1955 (GBl. DDR Ⅰ 1955, S. 918)] zum Ausdruck, wenn es darin hieß: »Unter Berücksichtigung der Verpflichtungen, die die Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion gemäß den bestehenden internationalen Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen, haben ...«. In Art. 2 Abs. 2 des Bündnisvertrages zwischen der DDR und der UdSSR vom 12.6.1964 [Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 12.6.1964 (GBl. DDR Ⅰ 1964, S. 132)] wurde an der Verantwortung der Westmächte »für die Verwirklichung der Forderungen und Verpflichtungen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland, die die Regierungen der vier Mächte gemeinsam im Potsdamer und in anderen internationalen Abkommen zur Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus und zur Verhinderung einer deutschen Aggression übernommen haben«, festgehalten. Die Verantwortung der vier Mächte wurde hier freilich auf die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus und zur Verhinderung einer deutschen Aggression beschränkt. Außerdem wurde implizite gesagt, daß die Westmächte Verantwortung für die DDR nicht mehr tragen, weil dort Militarismus und Nazismus bereits ausgerottet seien und die Gefahr einer Aggression von dorther nicht mehr bestehe. Indessen hieß es in Art. 9, dieser Vertrag berühre nicht Rechte und Pflichten der beiden Seiten aus geltenden zweiseitigen und anderen internationalen Abkommen einschließlich des Potsdamer Abkommens. Dazu hatten die drei Westmächte am 26.6.1964 erklärt, daß der Vertrag die Sowjetunion nicht von Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten entbinden kann, die sie mit den drei Westmächten über Deutschland einschließlich Berlins durch Abkommen und Abmachungen übernommen hat.
69 Der Bündnisvertrag zwischen der DDR und der Sowjetunion vom 7.10.1975 [Vertrag über Freunschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken v. 5.12.1975 (GBl. DDR ⅠⅠ 1975, S. 238)] nimmt freilich auf die Viermächteverantwortlichkeit für Deutschland als Ganzes nicht mehr Bezug. Indessen weist Martin Kriele (Deutschlandpolitik, S. 171) mit Recht daraufhin, daß sich nach wie vor ein Restbestand des alten Besatzungsrechts erhalten hat. So hatte beispielsweise die Sowjetunion im Berlin-Abkommen (Beilage zum BAnz Nr. 174 v. 15.9.1972, S. 50) Zusagen hinsichtlich des Verkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) und auch im Zusammenhang mit den Kommunikationen zwischen Berlin (West) und den »angrenzenden Gebieten«, also der DDR, gemacht und damit die Rechte wahrgenommen, die sonst die DDR für sich in Anspruch nimmt.
Das Festhalten an der Verantwortung der vier Siegermächte bedeutet nicht, daß diese unter Ausschluß des deutschen Volkes über das Schicksal Deutschlands entscheiden dürften. Abgesehen davon, daß ein Diktatfrieden ohnehin stets fragwürdig ist, würde ein solches Verhalten gegen das Selbstbestimmungsrecht verstoßen. Umgekehrt verwehrt die Vier-Mächte-Verantwortung aber auch dem deutschen Volk insgesamt oder in seinen Teilen, die Lösung der deutschen Frage selbst in die Hand zu nehmen. Es ist ein Akkord zwischen den Repräsentanten des deutschen Volkes und den vier Siegermächten notwendig, um den Schwebezustand zu beenden.

70 f) Schon vor Abschluß des Grundlagenvertrages bestanden vertragliche Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. So gilt für den innerdeutschen Handel immer noch das Abkommen über den Handel zwischen den Währungsgebieten der Deutschen Mark (DM-West) und den Währungsgebieten der Deutschen Mark der Deutschen Notenbank (DM-Ost) vom 20.9.1949 (BAnz Nr. 186 v. 26. 9. 1951) (Berliner Abkommen) mit einigen Änderungen. Auf dem Gebiete des Verkehrs sind zu nennen das Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über den Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) vom 3.6.1972 (GBl. DDR ⅠⅠ 1972, S. 349), das in Ausführung des Viermächteabkommens vom 3.9.1971 (Beilage zum BAnz Nr. 174 v. 15. 9. 1972, S. 50) vereinbart wurde, sowie der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über Fragen des Verkehrs vom 26.5.1972 [Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über Fragen des Verkehrs (GBl. DDR Ⅰ 1972, S. 258)].

71 g) Aufgrund des Art. 7 Grundlagenvertrag wurden einige Folgevereinbarungen abgeschlossen. Zu nennen sind vor allem die Vereinbarung zwischen dem Minister der Finanzen der Deutschen Demokratischen Republik und dem Bundesminsiter der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland über den Transfer von Unterhaltszahlungen vom 25.4.1974 (GBl. DDR II 1974, S. 281) und die Vereinbarung zwischen dem Minister der Finanzen der Deutschen Demokratischen Republik und dem Bundesminsiter der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland über den Transfer aus Guthaben in bestimmten Fällen vom 25.4.1974 (GBl. DDR II 1974, S. 281) sowie das Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens vom 30.3.1976 (GBl. DDR ⅠⅠ 1976, S. 153). Eine Übersicht über den Abschluß von Folgevereinbarungen und den Stand der Verhandlungen über weitere Abkommen bis Ende Februar 1978 gibt die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Bundestagsfraktion der CDU/CSU vom 28.2.1978 (Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, Drucksache 8/1553).

72 h) Sowohl die Verneinung der endgültigen Staatlichkeit der DDR als auch die Verweigerung der Anerkennung als endgültiger Staat im Sinne des Völkerrechts haben nie bedeutet, die Existenz der DDR zu leugnen. Die Bundesrepublik hatte stets in diesem Sinne gehandelt. Den Akten der DDR-Behörden wurde die Anerkennung nicht versagt. Ein solches Verhalten gebot schon immer die Rechtssicherheit. Außerdem ist aus dem Wiedervereinigungsgebot in der Präambel des Grundgesetzes die Pflicht abzulesen, grundsätzlich Akte der Behörden der DDR anzuerkennen (so auch Klaus Dietrich König, Die Wirkung mitteldeutscher Hoheitsakte in der westdeutschen Rechtsordnung, S. 14, und andere dort aufgeführte Autoren). Es kann sich jedoch nach wie vor in Einzelfällen die Notwendigkeit ergeben, die Anerkennung zu versagen. Gesetzliche Regelungen, denen zufolge die Anerkennung gewisser Hoheitsakte generell versagt wird, sind für zulässig zu erachten. In Einzelfällen oder in Gruppen von solchen können für das Versagen der Anerkennung maßgebend sein: das Territorialitätsprinzip (der völkerrechtliche Grundsatz, daß konfiskatorische Maßnahmen Rechtswirksamkeit nicht über Grenzen haben können, gilt auch im Verhältnis Bundesrepublik - DDR) und der ordre public der Bundesrepublik (Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze und Gesetzesumgehungen können nicht geduldet werden, noch viel weniger dürfen sie unterstützt werden). Das Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2.5.1953 (BGBl. I S. 161) in der Fassung vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 933) beruht auf diesen Vorstellungen (vgl. dazu OGH-BZ, NJW 1949, S. 502; OLG Frankfurt, NJW 1953, S. 105; BGHZ 5, 27, 35 = NJW 1952, S. 1012; BGHZ 17, 209, 213 = NJW 1955, S. 1151; BGH in GRUG 1956, S. 555 [Jurid]; 1958, S. 189 [Zeiß]; I960, S. 372, 375 [Kodak]; NJW 1963, S. 1543).

V. Berlin - Hauptstadt der DDR

1. Berlin als Hauptstadt in der Verfassung von 1949

73 Der Satz »Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik ist Berlin« entspricht Art. 2 Abs. 2 der Verfassung von 1949. Darin war Berlin indessen als »Hauptstadt der Republik« bezeichnet worden. Weil die Verfassung von 1949 als Verfassung von Gesamtdeutschland konzipiert worden war, konnte Art. 2 Abs. 2 ursprünglich nur bedeuten, daß Berlin Hauptstadt des gesamtdeutschen Staates sein sollte. Nachdem die Verfassung von 1949 nur für den Bereich der SBZ in Kraft gesetzt worden war, konnte der Satz entweder, bezogen auf Gesamtdeutschland, allenfalls programmatische Bedeutung haben, oder er wurde in dem Sinne umgedeutet, daß Berlin Hauptstadt der DDR sei. In der DDR wurde der Satz im letzteren Sinne interpretiert. Die Verfassung von 1968 macht eine eindeutige Aussage in diesem Sinne.


2. Der Viermächtestatus Berlins

74 Die Verfassung nimmt ganz Berlin als Hauptstadt der DDR in Anspruch. Sie widerspricht damit sowohl der Rechtslage als auch den faktischen Verhältnissen.
Über das Schicksal Berlins nach dem Sieg der Alliierten beschlossen diese in denselben Abkommen, mit denen sie sich über das Schicksal Deutschlands insgesamt einigten. Im Londoner Protokoll vom 12.9.1944 (s. Rz. 13 zur Präambel) wurde bestimmt, daß die Stadt für die Besetzung ein Sondergebiet (a special Berlin area) bilden sollte. Im einzelnen wurde festgelegt:
»Das Gebiet von Berlin (- unter dieser Bezeichnung wird verstanden das Gebiet von >Groß-Berlin<, wie es im Gesetz vom 27. April 1920 bestimmt worden ist -) wird gemeinsam von Streitkräften der USA, des Vereinigten Königreichs und der UdSSR besetzt, vertreten jeweils durch ihre Oberbefehlshaber. Für diesen Zweck wird das Gebiet von >Groß-Berlin< geteilt in folgende drei Teile:
Nordöstlicher Teil von >Groß-Berlin<
(Bezirke Pankow, Prenzlauer Berg, Mitte, Weissensee, Friedrichshain, Lichtenberg, Treptow, Köpenick) wird besetzt von Streitkräften der UdSSR.
Nordwestlicher Teil von >Groß-Berlin<
(Bezirke Reinickendorf, Wedding, Tiergarten, Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf) wird besetzt von den Streitkräften von . . .
Südlicher Teil von >Groß-Berlin<
(Bezirke Zehlendorf, Steglitz, Schöneberg, Kreuzberg, Tempelhof, Neukölln) wird besetzt von den Streitkräften von ...
Nach dem Abkommen vom 14.11.1944 erhielten Großbritannien den nordwestlichen Teil, die USA den südlichen Teil. Beiden Abkommen waren Karten beigegeben, die mit den Unterschriften der bevollmächtigten Vertreter der drei Staaten versehen waren. Die verschiedenen Besatzungszonen Deutschlands wurden durch eine rote Markierung voneinander abgegrenzt. Auf allen drei Karten ist Berlin, wie die anderen Zonen, rot umrandet. Die Legende erklärt die rote Markierung als »Boundaries-Zones of Occupation«, also als Grenzen der Besatzungszonen.
Hinsichtlich der Kontrolle Berlins bestimmte Art. 7 des Kontrollabkommens vom 14.11.1944:
a) Es wird eine interalliierte Regierungsbehörde (russisch: Komendatura) errichtet, die sich aus drei von ihren jeweiligen Oberbefehlshabern ernannten Kommandanten - einem von jeder Macht -zusammensetzt, um gemeinsam die Verwaltung des Gebietes von Groß-Berlin zu leiten. Jeder derKommandanten übernimmt der Reihe nach die Befugnisse des diensttuenden Kommandanten als Leiter der interalliierten Regierungsbehörde.
b) Ein technischer Stab, der sich aus Personal einer jeden der drei Mächte zusammensetzt, wird unter der interalliierten Regierungsbehörde gebildet zu dem Zwecke, die Tätigkeit der örtlichen für die Stadtverwaltung verantwortlichen Behörden von Groß-Berlin zu überwachen und zu kontrollieren.
c) Die interalliierte Regierunsbehörde arbeitet unter der allgemeinen Leitung des Kontrollrates und erhält über den Koordinierungsausschuß Befehle.«
Nachdem Frankreich am 1.5.1945 dem Abkommen beigetreten war, erhielt es Sitz und Stimme in der Alliierten Kommandantur. Am 29.7.1945 bekam Frankreich auf Kosten des britischen und des amerikanischen Sektors einen eigenen Sektor im Nordwesten der Stadt.
Am Ende des Krieges standen die alliierten Truppen nicht in den Gebieten, die ihnen nach den alliierten Abkommen zur Besetzung zugewiesen waren. Berlin war in seiner Gesamtheit in die Hände der Truppen der UdSSR gefallen.
Am 28.4.1945 hatte der sowjetische Chef der Besatzung und Stadtkommandant von Berlin mit dem Befehl Nr. 1 das Besatzungsregime begründet. Der Befehl beginnt mit der Feststellung:
»Heute bin ich zum Chef der Besatzung und zum Kommandanten von Berlin ernannt worden. Die gesamte administrative und politische Macht geht laut Bevollmächtigung des Kommandos der Roten Armee in meine Hände über. In jedem Stadtbezirk werden gemäß der früher existierenden administrativen Einteilung militärische Bezirks- und Revierkommandanturen eingesetzt.«
In einem Briefwechsel zwischen Truman und Stalin sowie zwischen Churchill und Stalin wurde vereinbart, daß ab 1.7.1945 die Mächte die vereinbarten Räume einnehmen sollten. Nachdem die westalliierten Truppen die Westsektoren Berlins besetzt hatten, wurde die Alliierte Kommandantur gebildet. Nach einer vorbereitenden Sitzung am 7.7.1945, auf der die alliierten Kommandanten die Aufgaben der Kommandantur in Ausführung von Art. 7 des Abkommens vom 14.11.1944 im einzelnen festgelegt hatten, teilten sie am
11.7.1945 mit, daß sie die Kontrolle über die Verwaltung der Stadt Berlin übernommen hatten.

75 Berlin war also niemals ein Bestandteil der SBZ, sondern ein besonderes Besatzungsgebiet unter der Kontrolle der Alliierten Kommandantur. Nach Gründung der DDR konnte Berlin daher auch nicht Bestandteil der DDR werden.
Demgegenüber vertreten sowohl die UdSSR als auch die DDR bereits seit 1948 mit wechselnder Intensität und auch seit 1958 mit besonderem Nachdruck, daß Berlin ein Bestandteil der SBZ gewesen und später der DDR geworden sei.
Der Vertreter der UdSSR in der Alliierten Kommandantur behauptete erstmals bei seinem Rückzug aus der Kommandantur am 1.7.1948, daß Berlin in der SBZ liege. In der Note der Sowjetunion an die Westmächte vom 14.7.1948 wurde diese Behauptung wiederholt.
Die Viermächteverwaltung der Stadt hatte zwar mit dem Auszug des sowjetischen Vertreters aus der Kommandantur de facto zu bestehen aufgehört. Aber die Rechtslage blieb unverändert (Joachim Rottmann, Roman Legien, Heinz Kreutzer). Am 19.11.1955 erklärte der Kommandant des sowjetischen Sektors, daß er nach der Erklärung der DDR zu einem souveränen Staat in Berlin keine Kontrollfunktionen mehr ausübe.
Am 10.11.1958 griff Chruschtschow die Behauptung, Berlin liege in der DDR, wieder auf. Im Berlin-Ultimatum vom 27.11.1958 wurde entsprechend argumentiert. In der juristischen Literatur der DDR wurde versucht, die Behauptung rechtlich abzustützen (Herbert Kröger, Gerhard Lindner, Gerhard Herder; im Jahre 1969: J. Petrenkow, V. Boldy-rew, Gunter Görner).
Es wurde behauptet, daß Berlin »integrierender Bestandteil und die rechtmäßige Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik« geworden sei, nachdem diese die Souveränität erlangt habe.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Sowjetunion hätte 1945 die Gebietshoheit über Berlin erworben. Diese habe sie nicht zugunsten der Viermächteverwaltung aufgegeben.
Es müsse unterschieden werden zwischen der territorialen Zugehörigkeit und der Frage, von wem Berlin besetzt und verwaltet werde. Den Westalliierten sei nur ein Mitbeset-zungs- und ein Mitverwaltungsrecht an Berlin eingeräumt worden. Das ergebe sich aus der Unterscheidung zwischen den Besatzungszonen und der »Verwaltung« von Groß-Berlin schon in der Überschrift des Protokolls vom 12.9.1944. Auch sei die Übertragung der »obersten Gewalt« an die Zonenbefehlshaber und den Kontrollrat etwas anderes als die »Verwaltung« von Berlin. Für die Gebietshoheit der Sowjetunion in ganz Berlin spreche, daß die Wasserstraßen, das Verkehrsnetz der Deutschen Reichsbahn und eine Reihe von Gebäuden und Einrichtungen in Westberlin unter sowjetischer Verwaltung geblieben, auch nachdem die Westsektoren von den Westalliierten besetzt worden seien. Schließlich habe die sowjetische Besatzungsmacht die Normsetzungsbefugnis für ganz Berlin auch während der Viermächteverwaltung in Anspruch genommen.
Diese Argumentation unterscheidet nicht zwischen Gebietsherrschaft und Gebietshoheit. Nur auf Grund dieser Unterscheidung kann die Rechtslage Berlins zutreffend beurteilt werden.

76 Mit ihrem militärischen Sieg gewannen die Alliierten die Gebietshoheit in Deutschland, aber nicht die Gebietsherrschaft. Sie hatten in der Deklaration vom 5.6.1945 ausdrücklich erklärt, daß sie Deutschland nicht annektieren wollten. Sie nahmen bis zu einer künftigen Friedensregelung lediglich das Normsetzungs- und Normdurchsetzungsmonopol in Deutschland in Anspruch. Sie gingen davon aus, daß Deutschland als Einheit erhalten geblieben war. Wenn man von der Ansicht ausgeht, daß damit auch die staatliche Einheit Deutschlands Weiterbestand, blieb bei dem gesamtdeutschen Staate die Gebietsherrschaft, auch wenn er nicht mehr über Organe verfügte. Geht man davon aus, daß der deutsche Staat im Jahre 1945 untergegangen ist, so wäre das deutsche Staatsgebiet ein Gebiet geworden, über das niemand eine Gebietsherrschaft hätte.
Dasselbe gilt für die Annahme, daß der gesamtdeutsche Staat durch eine spätere Dis-membratio untergegangen wäre. Mit dem Entstehen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR hätten diese allenfalls die Gebietsherrschaft über die Westzonen beziehungsweise über die Ostzone gewonnen, indessen niemals die DDR über Berlin. Nachdem jedoch die Alliierten im Potsdamer Abkommen erklärt hatten, daß sie Deutschland als Einheit behandeln wollten, ist die Ansicht vertretbar, daß nicht einmal die Bundesrepublik und die DDR Gebietsherrschaft in Deutschland erlangten, sondern als Provisorien nur Gebietshoheit erhielten, während die Gebietsherrschaft einem künftigen gesamtdeutschen Staate zufallen wird. Selbst wenn man der Ansicht ist, daß die Alliierten sich 1945 nicht eindeutig für einen gesamtdeutschen Staat entschieden hätten, so bleibt doch, daß über die Frage der Gebietsherrschaft wegen der Viermächteverantwortung nur von den vier Mächten gemeinsam entschieden werden kann.
Was die UdSSR mit der Besetzung Berlins im Mai 1945 erhalten hatte, war nur Gebietshoheit, aber nicht Gebietsherrschaft. Anfang Juli 1945 änderte sich die Rechtslage. Mit der Übernahme der Westsektoren der Stadt durch die Westalliierten und der Einrichtung der Viermächteverwaltung verlor die Sowjetunion ihre Gebietshoheit über Berlin. Sie wurde von der Alliierten Kommandantur in Berlin für die vier Mächte gemeinsam übernommen. Diese erhielt das Normsetzungs- und das Normdurchsetzungsmonopol unter der Verantwortung vor dem Alliierten Kontrollrat. Die Verwaltung der Eisenbahnanlagen, der Wasserstraßen und einiger Gebäude in Berlin-West hatte mit der Frage Gebietsherrschaft oder Gebietshoheit nichts zu tun. Dabei handelte es sich nur um Verwaltung im engeren, technischen Sinne, deren Übertragung auf die Sowjetunion auf einer Konzession der Westmächte aus Gründen der Zweckmäßigkeit (Vermeidung der administrativen Auseinanderreißung von Verkehrswegen) beruhte. Zwar versuchte die UdSSR bei der Währungsreform, durch den Befehl Nr. 111 vom 23.6.1948 (VOBl. für Groß-Berlin I 1945, S. 362) Normen für ganz Berlin zu setzen. Aus Rechtsgründen mußte dieser Versuch aber erfolglos bleiben. Die westlichen Kommandanten erklärten deshalb unverzüglich diesen Befehl für ihre Sektoren für null und nichtig (VOBl. für Groß-Berlin I 1945, S. 363).

77 Die Literatur der DDR argumentiert ferner, daß der Viermächteverwaltung mit der Einstellung der Arbeit des Alliierten Kontrollrates die Grundlage entzogen worden sei, weil die Kommandantur unter der Leitung des Kontrollrates arbeiten sollte. Damit hätte auch der Viermächtestatus der Stadt seine Rechtsgrundlage verloren. Es besteht indessen keine Veranlassung anzunehmen, daß mit dem Wegfall des einen Organs dem anderen Organ und damit dem Viermächtestatus die Rechtsgrundlage entzogen worden sei. Wenn auch die Kommandantur unter dem Kontrollrat arbeiten sollte, so ist doch ihr Bestehen von dessen Existenz unabhängig. Nach dem Wegfall des Kontrollrates, der zudem nur ein faktischer war und seine rechtliche Grundlage allenfalls in einem stillschweigenden Einverständnis der vier Mächte haben kann, hätte die Kommandantur auch ohne ihn Weiterarbeiten können. Ihre Verantwortung wäre unmittelbar gegenüber den vier Mächten gegeben. Schließlich hatte die Alliierte Kommandantur ihre Tätigkeit bereits früher als der Kontrollrat aufgenommen. Nach dem Wegfall des Kontrollrates hätte sich also ein Zustand ergeben, der bereits vor seiner Konstituierung bestand.
Weiter wird in der Literatur der DDR behauptet, die alliierten Kontrollorgane hätten nach dem Abkommen vom 14.11.1944 nur für eine Anfangsperiode, die auf die Kapitulation der deutschen Wehrmacht folgte, tätig sein sollen. Diese Zeit sei längst verstrichen. Richtig ist, daß die Kontrollorgane nur während der Anfangsphase der Besetzung Deutschlands tätig sein sollten. Es wurde aber außerdem vereinbart, daß die Bestimmung der alliierten Organe, die zur Erfüllung der Kontroll- und Verwaltungsaufgaben in einem späteren Stadium erforderlich sein würden, Gegenstand eines weiteren Abkommens sein sollten. Ein derartiges Abkommen kam niemals zustande. Indessen hörten die Befugnisse der 1945 gebildeten Kontrollorgane deshalb nicht von selbst auf zu bestehen. Auch für die Beendigung ihrer Tätigkeit wäre eine Übereinkunft der vier Mächte erforderlich gewesen.
Diese kann aber als eine stillschweigende nur für den Alliierten Kontrollrat angenommen werden, nicht aber für die Alliierte Kommandantur. Diese besteht freilich faktisch auf Drei-Mächte-Basis weiter.
Schließlich wird in der Literatur der DDR argumentiert, die Westalliierten hätten die Ziele der Besetzung nicht verfolgt, die in der Schaffung eines demokratischen, antimilitaristischen und friedliebenden Deutschland bestanden hätten. Sie hätten den Militarismus in Westdeutschland wiedererweckt, dort einen Separatstaat gebildet und damit die Einheit Deutschlands zerstört. So hätten sie selbst das beseitigt, was ihre Mitbesetzung und Mitverwaltung von Berlin allein rechtfertige: die Eigenschaft Berlins als Sitz zentraler Behörden, die für ganz Deutschland zuständig wären.

78 Wie Roman Legien ausführt, wird damit der Text des Abkommens vom 12.9.1944 falsch interpretiert. In diesem Abkommen war nämlich, richtig übersetzt, nicht von »Zielen« der Besetzung, sondern von »Zwecken« der Besetzung die Rede. Erleichtert wurde die Falschinterpretation dadurch, daß der russische Text ein Wort benutzt, das sowohl mit »Ziel« als auch mit »Zweck« übersetzt werden kann. In der amtlichen deutschen Übersetzung im Amtsblatt des Kontrollrates heißt es: »für Besatzungszwecke« [Feststellung seitens der Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken sowie der Provisorischen Regierung der Französischen Republik über die Besatzungszonen in Deutschland (5. Juni 1945) (ABlKR Dtl., Erg. Bl. 1 1945, S. 11)] und im Verordnungsblatt der Stadt Berlin: »zum Zwecke der Besetzung« [Kurze Zusammenfassung des Abkommens zwischen den Regierungen der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken, des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Provisorischen Regierung der Französischen Republik über die Besatzungszonen in Deutschland v. 5.6.1945 (VOBl. 1945, S. 25)]. Im englischen Text wird das Wort »purposes« verwendet.
Die Aufteilung Deutschlands sollte also nicht irgendwelcher Ziele wegen, die im Abkommen vom 12.9.1944 nicht erläutert werden, erfolgen, sondern um die Besetzung des deutschen Gebiets zu regeln. Das Potsdamer Abkommen, auf das sich die UdSSR und die DDR in diesem Zusammenhang beziehen, kann keine Rolle spielen, weil die Potsdamer Konferenz erst vom 17.7. bis 12.8.1945 stattfand.
In ihrer Note vom 27.11.1958 erklärte die UdSSR, sie betrachte das Abkommen vom 12.9.1944 einschließlich aller Zusatzabkommen als nicht mehr in Kraft befindlich. Diese Erklärung mußte ohne Rechtswirkungen bleiben; denn die Sowjetunion kann sich bei ihrer Erklärung weder auf den Vertragstext noch auf eine allgemeine Regel des Völkerrechts stützen (Joachim Rottmann; Roman Legien; Siegfried Mampel, Der Sowjetsektor von Berlin; Alois Riklin, Das Berlin-Problem).
Die Sowjetunion ist auch später auf die Unwirksamkeit des Abkommens vom 12.9.1944 nicht wieder zurückgekommen.
Es ist also daran festzuhalten, daß ganz Berlin trotz des faktischen Endes der Viermächteverwaltung rechtlich nach wie vor unter dem Viermächtestatus steht.


3. Teilung der Stadt und Integration des Ostsektors in die DDR

79 Der Viermächtestatus hat jedoch die Teilung der Stadt nicht verhindern können. Unter der Alliierten Kommandantur wurde ab 1945 eine aus Deutschen bestehende Verwaltung aufgebaut. Berlin erhielt eine Vorläufige Verfassung von Groß-Berlin (VOBl. Bln. 1946, S. 295), die einzige Verfassung, die in Deutschland von den Alliierten oktroyiert wurde. Darin war für die Bildung des Magistrats das Blocksystem vorgeschrieben. Jede Fraktion der Stadtverordnetenversammlung, die sich an der Bildung des Magistrats beteiligen wollte, durfte entsprechend ihrer Stärke Vertreter in diesen entsenden. Bei den Wahlen am 20.10.1946 bekam die SED von 130 Sitzen nur 26. Daher war diese Partei im Magistrat auch nur schwach vertreten. Im August und September 1948 wurden im Ostsektor der Stadt, wo der Magistrat und die Stadtverwaltung ihren Sitz hatten, von der SED Unruhen inszeniert, weil die Stadtverwaltung eine Politik betrieb, die jener nicht paßte. Die unter sowjetischem Einfluß stehende Polizei schritt dagegen nicht ein. Darauf verlegten zunächst die Stadtverordnetenversammlung und später auch der Magistrat ihren Sitz nach Berlin-West. Am 10.10.1948 wurde von einer willkürlich zusammengerufenen Funktionärsversammlung im Ostberliner Admiralspalast ein neuer »Magistrat« »gewählt«. Dieser machte die Amtsausübung des legalen Magistrats im Ostsektor vollends unmöglich, konnte aber seine Gewalt nur dort ausüben. Nachdem sich bereits am 1.7.1948 der sowjetische Vertreter aus der Alliierten Kommandantur zurückgezogen hatte, war die Stadt damit administrativ gespalten. Die Absperrung der Sektorengrenzen am 13.8.1961 und der darauf folgende Bau der Mauer quer durch Berlin unterband den freien Verkehr in der Stadt und machte ihre Spaltung vollkommen.
Zwischen dem Ostsektor der Stadt und der SBZ bestanden seit jeher enge Verbindungen. Dort hatten die 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht gebildeten »Deutschen Zentralverwaltungen« sowie die Parteien und Massenorganisationen der SBZ ihren Sitz. Bei der Gründung der DDR wurden ihre obersten Organe dort etabliert. Die Diktatur des Proletariats in der DDR wurde vom Ostteil der Stadt Berlin aus errichtet (Siegfried Mampel, Der Sowjetsektor von Berlin, S. 50 ff.).
Weil die Sektorenkommandanten in einem gewissen Umfange in ihren Sektoren selbständig vorgehen konnten, bestanden zwischen dem Ostsektor der Stadt und der SBZ schon vor der Spaltung hinsichtlich der Umgestaltung der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gewisse Parallelen. Nach der Spaltung wurden die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Ostsektors systematisch denen der DDR angeglichen und er nach und nach in die DDR integriert. Die Verfassung von 1949 erhielt freilich für den Ostsektor der Stadt niemals Geltungskraft (Walter Brunn; Siegfried Mampel, Der Sowjetsektor von Berlin, S. 94/95).

80 Die Integration des Ostsektors von Berlin in die DDR war ein relativ langer Prozeß (Einzelheiten bei Siegfried Mampel, Der Sowjetsektor von Berlin, S. 102 ff.). Staatsrechtlich wurde er gekrönt durch das ostsektorale Gesetz zur Übernahme des Gesetzes über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen vom 17.1.1957, (GBl. DDR Ⅰ 1957, S. 65) und mit dem Beschluß der inzwischen gebildeten »Volksvertretung Groß-Berlin« über die Anwendung des DDR-Gesetzes über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen vom 17.1.1957 (GBl. DDR Ⅰ 1957, S. 72), beide Übernahmegesetze vom 28.1.1957 (VOBl. I S. 69; VOBl. I S. 77). Das DDR-Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17.1.1957 legte dort den Aufbau der Staatsorganisation nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus fest (s. Rz. 7-14 zu Art. 2). Die örtlichen Volksvertretungen (Bezirkstage, Stadtverordnetenversammlungen, Kreistage, Stadtbezirksversammlungen und Gemeindevertretungen) sowie deren Organe, die Räte, wurden in einem hierarchischen Aufbau dem höchsten Organ der DDR, der Volkskammer, und dem Ministerrat unterstellt, wobei die Volkskammer zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen »Ständigen Ausschuß für die örtlichen Volksvertretungen« zu bilden hatte.
Mit der Übernahme der Gesetze vom 17.1.1957 ordneten sich die Organe des Sowjetsektors den Organen der DDR unter. Der Magistrat wurde dem Ministerrat und dessen Organen unterstellt. Die Volkskammer leitete und kontrollierte hinfort die »Volksvertretung Groß-Berlin«, die die Bezeichnung »Stadtverordnetenversammlung« erhielt.
Zwar wurde das Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht für den Ostsektor mit der Maßgabe angewendet, es gelte dort »unter Berücksichtigung des Aufbaues und der Stellung der staatlichen Organe von Groß-Berlin«. Diese Formel konnte indessen nur bedeuten, daß die besonderen Verhältnisse des Ostsektors zu berücksichtigen seien, weil sie sich soziologisch von denen in den Territorien der DDR unterschieden.
Nach der Bildung des Staatsrates der DDR im Jahre I960 (s. Rz. 4 zu Art. 66) wurde der »Ständige Ausschuß für die örtlichen Volksvertretungen« der Volkskammer aufgelöst, und seine Aufgaben wurden vom Staatsrat übernommen. Dieser bildet seitdem faktisch das höchste Organ auch für den Ostsektor der Stadt.
Mit dem Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik zu den Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe vom 28.6.1961 (GBl. DDR Ⅰ 1961, S. 51) wurde der Magistrat von Groß-Berlin, parallel zu einem Auftrag an die Räte der anderen Großstädte der DDR, beauftragt, eine Ordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Stadtverordnetenversammlung und ihrer Organe sowie der Stadtbezirksversammlungen und ihrer Organe vorzulegen. Diese Ordnung wurde durch den Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik zu den Ordnngen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Stadtverordnetenversammlungen und der Stadtbezirksversammlungen und ihrer Organe in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin, und den Stadtkreisen mit Stadtbezirken vom 7.9.1961 (GBl. DDR Ⅰ 1961, S. 169) gesetzeskräftig. Im Teil I 1 Abs. 5 heißt es: »Die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik übt die Funktion eines Bezirks aus.« Damit wird ausgedrückt, daß der Ostsektor der Stadt zwar kein Bezirk der DDR ist, aber die Stellung eines solchen hat. Durch die Verfassung von 1968 hat sich daran nichts geändert.

81 Trotz der Integration des Ostsektors der Stadt in die DDR wurde seine Vertretung in der Volkskammer abweichend von der Stellung der übrigen Abgeordneten geregelt. Seine 66 Abgeordneten zählten nicht zu den 400 Abgeordneten, aus denen nach Art. 52 Abs. 2 der Verfassung von 1949 die Volkskammer bestand, und auch nicht zu den 434 Abgeordneten, die nach § 7 Abs. 2 des Wahlgesetzes von 1963 43 die Volkskammer bildeten, sondern traten zu diesen hinzu. Im Wahlgesetz von 1950 [Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer, zu den Landtagen, Kreistagen und Gemeindevertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik am 15. Oktober 1950 v. 9.8.1950 (GBl. DDR 1950, S. 743)] hieß es »mit beratender Stimme«.
In den späteren Wahlgesetzen [§ 2 Abs. 2 Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 17.10.1954 vom 4.8.1954, (GBl. DDR 1954, S. 667); § 6 Abs. 2 Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 16.11.1958 vom 24.9.1958 (GBl. DDR I 1958, S. 677); § 7 Abs. 2 Gesetz über die Wahlen zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik (Wahlgesetz) vom 31.7.1963 (GBl. DDR Ⅰ 1963, S. 97); §7 Abs. 1
Gesetz über die Wahlen zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik - Wahlgesetz - vom 24.6.1976, GBl. DDR Ⅰ 1976, S. 301)] war dieser Zusatz nicht mehr enthalten. Die Verfassung von 1968/1974 änderte hieran nur insoweit etwas, als nach deren Art. 54 die Volkskammer aus 500 Abgeordneten besteht, worunter nunmehr die Ost-Berliner Vertreter zählen. Die Vertretung des Ostsektors in der Volkskammer wurde bis einschließlich der Wahlen vom 17.10.1976 nicht unmittelbar vom Volke gewählt, sondern durch die Stadtverordnetenversammlung bestimmt.
Für den Status der Berliner Vertreter ist es gleichgültig, ob sie sich an Abstimmungen beteiligen oder nicht. Wegen der Homogenität der Volkskammer werden die Stimmen insgesamt nicht ausgezählt, so daß auch eine gesonderte Auszählung der Stimmen der Berliner Vertreter entfällt. Für die Entscheidung fallen sie so oder so nicht ins Gewicht. Dafür ist aber nicht ihr Status, sondern die Art und Weise verantwortlich, wie die Volkskammer insgesamt zusammengesetzt wird.
Eine weitere, trotz der Integration des Ostsektors von Berlin in die DDR noch bestehende Besonderheit bestand zunächst darin, daß die gesetzlichen Bestimmungen der DDR vom Magistrat »übernommen« wurden, also keine unmittelbare Geltungskraft im Ostsektor zu beanspruchen schienen. Verkündungsblatt war das »Verordnungsblatt für Groß-Berlin«. Die Gleichschaltung der Rechtsordnungen der DDR und des Ostsektors von Berlin wurde anfangs durch eine Parallelgesetzgebung vollzogen. Als rechtsetzendes Organ im Ostsektor betätigte sich indessen mit einigen Ausnahmen [Gesetz über die Übernahme des Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht (VOBl. 1957 I, S. 69); Gesetz über die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 11.4.1957 (VOBl. 1957 I, S. 233)], in denen die Stadtverordnetenversammlung tätig wurde, der Magistrat. Der Magistrat setzte Recht auch dann (durch Verordnung), wenn die entsprechende Materie in der DDR durch ein Gesetz der Volkskammer geregelt worden war. Später wurden die gesetzlichen Bestimmungen der DDR durch Übernahmeverordnungen, denen die Texte der gesetzlichen Bestimmungen der DDR (Gesetz, Erlaß, Verordnung) beigefügt waren, für den Ostsektor in Kraft gesetzt. Dabei wurde in der Regel die Einschränkung gemacht, daß die Übernahme unter Berücksichtigung des Aufbaues und der Stellung der Organe der Staatsmacht im Gebiete von Groß-Berlin erfolge. Auch wurde hinzugefügt, daß, wenn in den Gesetzen oder Verordnungen der DDR ein örtliches Organ der DDR genannt wird, an dessen Stelle die Organe im Ostsektor treten.
Nach dem Inkrafttreten der Verfassung von 1968 wurde diese Praxis fortgesetzt. Indessen wurde sie insofern vereinfacht, als die gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr einzeln für den Ostsektor in Geltung gesetzt, sondern Sammelübernahmen unter dem Titel »Übernahme gesetzlicher Vorschriften« erfolgten. Auch wurde der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen im Verordnungsblatt von Groß-Berlin nicht mehr veröffentlicht, sondern es wurden nur noch die Titel aufgeführt. Im übrigen wurde auf das Gesetzblatt der DDR verwiesen [so erstmals im Verordnungsblatt vom 20.6.1968 (VOBl. 1968, S. 393)]. Dabei kam es vor, daß gesetzliche Bestimmungen der DDR für den Bereich des Sowjetsektors abgeändert wurden[Z.B. Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung v. 15.3.1968, (GBl. DDR II 1968, S. 135); Verordnung über die Umrechnung und Erhöhung der Renten der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten und der Sozialversicherung bei der Deutschen Versicherungs-Anstalt v. 15.3.1968 (GBl. DDR II 1968, S. 162) in der Übernahmeverordnung vom 17.5.1968 (VOBl. I 1968, S. 394/395)]. Die Form der Rechtsnorm spielte bei dem neuen Verfahren keine Rolle.
Auch Erlasse des Staatsrates, die zunächst unmittelbare Geltung im Ostsektor gewannen, z. B. der erwähnte Erlaß des Staatsrates zu der Ordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin und ihrer Organe, wurden übernommen.
In einigen Fällen setzten jedoch die Organe der DDR unmittelbar Recht für den Ostsektor. Erstmalig geschah das mit der
Anordnung über das Betreten der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik (das demokratische Berlin) durch Bürger der Deutschen Bundesrepublik vom 29.8.1960 (GBl. DDR Ⅰ 1960, S. 489) und der nachfolgenden Anordnung vom 8.9.1960 [Anordnung zur Ergänzung der Anordnung über die Regelung des Reiseverkehrs zwischen den beiden deutschen Staaten vom 8.9.1960 (GBl. DDR Ⅰ 1960, S. 499)]. Ebenso wurde bei den Sperrmaßnahmen des 13.8.1961 verfahren [Beschluß des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik v. 12.8.1961 (GBl. DDR ⅠⅠ 1961, S. 332); Bekanntmachung des Ministeriums für Verkehr der Deutschen Demokratischen Republik v. 12.8.1961 (GBl. DDR ⅠⅠ 1961, S. 334)].
Unmittelbar gilt im Ostsektor der Stadt die Verfassung von 1968/1974. Die Wahlberechtigten dort nahmen an der Volksabstimmung teil und werden somit zum »Volk der Deutschen Demokratischen Republik« gezählt, das sich, wie die Präambel besagt, diese Verfassung gegeben hat.


4. Das Viermächteabkommen vom 3.9.1971

82 Das Inkrafttreten des Viermächteabkommens vom 3.9.1971 (Beilage zum BAnz. Nr. 174 vom 15.9.1972, S. 50) hat an der rechtliehen Lage des Ostsektors von Berlin nichts geändert. Die vier Mächte überdeckten ihren Dissens durch einen Kunstgriff, indem sie im Teil I »Allgemeine Bestimmungen« das Verhandlungsobjekt nicht mit einem Namen nannten, sondern die Wendung »das betreffende Gebiet« gebrauchten. So konnte Herbert Kröger (Strikte Einhaltung des Westberlin-Abkommens ...) die Ansicht vertreten, das Viermächteabkommen beziehe sich nicht auf Berlin als Ganzes, klammere also den Ostsektor aus, ohne damit in völligen Widerspruch zum Vertragstext zu geraten. Das entspricht dem Standpunkt der Sowjetunion.
Die Westmächte und mit ihnen die Bundesrepublik Deutschland sind dagegen nach wie vor der Meinung, daß Berlin dem Viermächte-Status untersteht. Im April 1975 wiesen die Westmächte in einer gemeinsamen Note an den UNO-Generalsekretär die sowjetische Ansicht ausdrücklich zurück, derzufolge Ost-Berlin als Hauptstadt der DDR nicht länger einem »Viermächte-Status« unterliege (»Der Tagesspiegel« vom 26.4. 1975). Am 2.5.1978 unterstrichen die westalliierten Behörden in Berlin (West) die Gültigkeit der Viermächtegesetzgebung über die Entmilitarisierung ganz Berlins. In der Erklärung hieß es, auch »bei den sowjetischen Behörden besteht kein Zweifel darüber, daß die alliierte Haltung unverändert bleibt«. Es wurde aber hinzugefügt, es sei seit 30 Jahren bekannt, daß »trotz unserer Bemühungen aufgrund sowjetischer Obstruktionen es der Alliierten Kommandantur nur in den westlichen Sektoren möglich ist, ihre Beschlüsse durchzuführen« (»DIE WELT« vom 3.5.1978). Die Alliierte Kommandantur legt gegen die Aufmärsche der bewaffneten Organe der DDR im Ostsektor von Berlin regelmäßig Protest ein. Ferner ist darauf zu verweisen, daß die Botschafter der Westmächte in Berlin (Ost) nicht in der DDR, sondern »bei« der DDR (ambassador to) tätig sind - ein Sprachgebrauch, dem hinsichtlich der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland gefolgt wurde.
Ernst Zivier (Der Rechtsstatus des Landes Berlin, S. 88) weist mit Recht darauf hin, daß weder politisch noch im Bereich der praktischen Rechtsanwendung dem de jure fortbestehenden Status eine große Bedeutung zukommt. Es wäre aber sicher grundfalsch, wenn ihm überhaupt keine Bedeutung gegeben würde, wenn auch zur Zeit nicht ermessen werden kann, wann er aktuell werden könnte.


5. Verbliebene Besonderheiten des Ostsektors

83 Immerhin ist zu beachten, daß es noch Unterschiede zwischen dem Ostsektor von Berlin und der DDR gibt. Sie bestehen indessen nicht mehr auf der Ebene des deutschen (DDR-)Rechts. So wurde im September 1976 das »Verordnungsblatt für Groß-Berlin« ersatzlos eingestellt. Eine Begründung wurde dafür nicht gegeben. Die Geltung der Rechtsnormen der DDR auch für den Ostsektor der Stadt wird seitdem nicht mehr besonders bekanntgemacht. Ihre Geltung auch für dieses Gebiet wird als selbstverständlich angenommen, eine logische Folge der Ansicht, der Ostsektor der Stadt sei ein integraler Bestandteil der DDR. Der Name »Berlin« wird von der DDR zur Zeit nur noch für den Ostteil in Anspruch genommen. So heißt es in § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik (GöV) vom 12.7.1973 (GBl. DDR Ⅰ 1973, S. 313): »Örtliche Volksvertretungen sind - in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ... die Stadtverordnetenversammlung ...«, obwohl diese nur die Volksvertretung des Ostsektors ist. Die Westsektoren der Stadt werden dagegen als »Westberlin« bezeichnet, so als ob es sich um ein topographisch völlig anderes Gebiet handelt. Auch wurden am 1.1.1977 die Kontrollen an den Straßenübergängen zwischen dem Ostsektor der Stadt und der DDR aufgehoben, bei welcher Gelegenheit die Westalliierten ebenfalls auf die Fortgeltung des Viermächtestatus hinwiesen.
84 Eine Problematik besonderer Art entstand im Frühjahr 1979 durch die Bildung des neuen Stadtbezirks Berlin-Marzahn. Im Zuge des Wohnungsbauprogramms der SED wurde im Nordosten des Ostsektors von Berlin auf dem Gebiet des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg ein Wohnungsbaukomplex errichtet, der im Januar 1979 bereits 60.000 Einwohner hatte. In diesem Monat wurde für dieses Gebiet, zu dem auch acht Industriebetriebe und vier Landwirtschaftsbetriebe gehören, eine neue SED-Kreisorganisation gebildet, für die am 28.1.1979 eine Kreisdelegiertenkonferenz stattfand und eine Kreisleitung mit einem 1. Sekretär an der Spitze bestellt wurde (Neues Deutschland vom 29.1.1979). Aus der Wahlbekanntmachung des amt. Oberbürgermeisters des Ostsektors ging hervor, daß die Stadtverordnetenversammlung am 30.3.1979 über die Anzahl der Abgeordneten für die neu zu wählende Stadtbezirksversammlung Berlin-Marzahn, die Wahlkreise und die Anzahl der in den einzelnen Wahlkreisen anläßlich der Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen am 20.5.1979 zu wählenden Abgeordneten beschlossen hatte (Neues Deutschland vom 31.3-1.4.1979). Ob diesem Beschluß der nach § 72 des  Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik (GöV) vom 12.7.1973 (GBl. DDR Ⅰ 1973, S. 313) für die Veränderung der territorialen Gliederung notwendige Beschluß der Stadtverordnetenversammlung über die Bildung des Stadtbezirks Berlin-Marzahn voranging, der der Bestätigung des Ministerrates bedurft hätte, ist nicht feststellbar, da ein solcher nicht veröffentlicht wurde. Auf jeden Fall wurde am 20.5.1979 auch zu einer Stadtbezirksversammlung Berlin-Marzahn gewählt, die später ihre Organe (Rat des Stadtbezirks, Kommissionen) bildete. Auch eine entsprechende Verwaltung mit Fachorganen ist vorhanden. Es besteht im Ostsektor von Berlin seitdem ein neunter Bezirk.
Schließlich wurde mit Wirkung vom 28.6.1979 aus § 7 Absatz 1 des Wahlgesetzes vom 24.6.1976 der Satz gestrichen: »Davon entsendet die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin, 66« [Gesetz zur Änderung des Wahlgesetzes v. 28.6.1979 (GBl. DDR Ⅰ 1979, S. 139)]. Am 14. 6. 1981 wurde dann auch im Ostteil der Stadt zur Volkskammer direkt gewählt.

85 Damit hat die DDR die Lage im Ostteil der Stadt Berlin wiederholt einseitig verändert. Ob damit die DDR gegen Abs. I Ziffer 4 des Viermächteabkommens verstoßen hat, hängt davon ab, ob sie an dieses gebunden ist. Mit Ernst R. Zivier (Der Rechtsstatus des Landes Berlin, S. 182) ist dafür zu halten, daß die Regierungen der Bundesrepublik und der DDR ebenso wie der Berliner Senat durch den Abschluß der innerdeutschen Ausführungsbestimmungen zu erkennen gegeben haben, daß sie die Vorschriften des Abkommens als für sich verbindlich ansehen. So hätte die DDR wiederholt das Viermächteabkommen verletzt. Indessen verweist sie immer wieder darauf, daß sich dieses Abkommen nicht auf den Ostteil der Stadt bezieht. Im Falle der Bildung des Stadtbezirks Berlin-Marzahn kommt hinzu, daß sie nur die interne Gliederung des Ostteils der Stadt betrifft, also keine Außenwirkung entfaltet. Nun hatte die Alliierte Kommandantur schon seit 1946 gestattet, daß die Sektorenkommandanten in ihren Sektoren Normsetzungs- und Normdurchsetzungskompetenz ausübten (Siegfried Mampel, Der Sowjetsektor von Berlin, S. 37). Nachdem die Westalliierten geduldet hatten, daß diese Kompetenzen schon vor Abschluß des Viermächteabkommens durch DDR-Behörden ausgeübt wurden, ist die Ansicht vertretbar, daß dieses auch danach insoweit geschehen darf, als der Gesamtstatus der Stadt davon nicht betroffen wird. Solange sich eine territoriale Neugliederung auf das Gebiet des Ostsektors beschränkt, bleibt der Status von Berlin als ganzer Stadt davon unberührt. Anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn Gebiete aus dem Ostteil der Stadt in die DDR eingegliedert oder solche aus der DDR in den Ostteil der Stadt ausgegliedert würden. Alsdann läge eine territoriale Statusveränderung von »Groß-Berlin«, also der Stadt als ganzer, vor. Pläne, dem Stadtbezirk Berlin-Marzahn Gebiete des Bezirks Frankfurt (Oder) zuzuschlagen, bestehen, waren aber bis Juli 1981 noch nicht verwirklicht. Sollten sie durchgeführt werden, läge eine weitere Verletzung des Viermächteabkommens vor.
Besonderheiten bestehen aber nach wie vor auf der Ebene des Besatzungsrechts. Daraus ergibt sich, daß auch der Ostsektor von Berlin weiterhin dem Viermächtestatus unterliegt. Äußerer Ausdruck dafür ist das Recht der Angehörigen der westalliierten Streitkräfte, diesen Teil der Stadt in Uniform zu betreten, und zwar sowohl zum privaten Aufenthalt als auch - was wichtiger ist — bei Patrouillenfahrten. (Umgekehrt haben die Angehörigen der Streitkräfte der Sowjetunion das entsprechende Recht in bezug auf die Westsektoren der Stadt und machen seit einiger Zeit davon vermehrt Gebrauch.) Ferner dürfen die Flugzeuge mit Kennzeichen der westlichen Besatzungsmächte den Flugraum von ganz Berlin, also auch den Ostsektor überfliegen. Der Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, hat dazu erklärt, die DDR akzeptiere derartige Praktiken, die noch vorhanden seien (Neues Deutschland vom 25.11.1972), ohne auf die Gründe einzugehen.


6. Stellung der Westsektoren Berlins

86 Hinsichtlich der Westsektoren enthält das Viermächteabkommen vom 3.9.1971 im Teil II Bestimmungen, die sich ausschließlich auf diese beziehen. Die wichtigste ist die von der Sowjetunion geforderte Erklärung der Westmächte, »daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden, wobei sie berücksichtigen, daß diese Sektoren, so wie bisher, kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland sind und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden«. Damit scheint die Sowjetunion ihre frühere Rechtsbehauptung, ganz Berlin und damit auch die Westsektoren der Stadt lägen auf dem Gebiet der DDR, aufgegeben zu haben. Auch die Wendung von Westberlin als einer »besonderen politischen Einheit« wird nur noch selten gebraucht. Indessen bezeichnet die neueste Ausgabe des sowjetischen Nachschlagewerkes »Die Parteien der Welt« (Moskau, 1974) Berlin als »politisches Gebilde mit einem besonderen internationalen Status« (»DIE WELT« vom 21. 11. 1974). In diesem Kommentar zur DDR-Verfassung kann auf die Problematik dieses Aspekts des Berlin-Problems nicht eingegangen werden. Zur Entwicklung kann auf die Vorauflage, im übrigen muß auf die umfangreiche Spezialliteratur verwiesen werden.

VI. Staatsflagge und Staatswappen

1. Farben der DDR in der Verfassung von 1949

87 In der Verfassung von 1949 (Art. 2 Abs. 1) war festgelegt worden, daß die Farben der DDR schwarz-rot-gold sind. Bestimmungen über die Staatsflagge und das Staatswappen enthielt diese Verfassung nicht.

2. Festlegung des Staatswappens und der Staatsflagge

88 Mit dem Gesetz über das Staatswappen und die Staatsflagge der Deutschen Demokratischen Republik vom 26.9.1955 (GBl. DDR Ⅰ 1955, S. 705) [Die Beflaggung von Dienstgebäuden und Betrieben regelte die Anordnung vom 28. 9. 1955 (GBl. DDR Ⅰ 1955, S. 7075)] wurden das Staatswappen und die Staatsflagge festgelegt. Das Staatswappen wurde darin wie in Art. 1 Abs. 3 der Verfassung von 1968 beschrieben. Über die Staatsflagge hieß es in dem Gesetz, daß sie aus den Farben Schwarz-Rot-Gold besteht, die in drei gleich breiten Streifen horizontal angeordnet sind, wobei der schwarze Streifen der oberste ist.

3. Das Staatswappen auf der Staatsflagge

89 Durch Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Staatswappen und die Staatsflagge der Deutschen Demokratischen Republik v. 1.10.1959 (GBl. DDR Ⅰ 1959, S. 691) wurde bestimmt, daß die Staatsflagge auf beiden Seiten in der Mitte das Staatswappen trägt. § 2 Abs. 4 des Gesetzes erhielt die Fassung: »Die Breite der Staatsflagge verhält sich zu ihrer Länge wie 3:5. Der Durchmesser des Staatswappens verhält sich zur Länge der Staatsflagge wie 1:3«.

4. Erhebungen der früheren Festlegungen in Verfassungsrang

90 Art. 1 Abs. 3 und 4 erheben die grundsätzlichen Bestimmungen des Gesetzes vom 1.10.1959 in Verfassungsrang.


5. Andere Flaggen, Fahnen, Dienstwimpel, Hoheitszeichen

91 a)  Durch Verordnung vom 1.10.1959 war eine Handelsflagge eingeführt worden [Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Staatswappen und die Staatsflagge der Deutschen Demokratischen Republik vom 1.10.1959 (GBl. DDR Ⅰ 1959, S. 691)]. Sie entsprach der Staatsflagge, trug aber das Staatswappen auf der dem Flaggenstock zugewandten Seite in der oberen Ecke auf rotem Grund. Mit Wirkung vom 1.5.1973 wurde sie wieder abgeschafft [§ 13 Abs. 2 Ziffer 3 Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3.1.1973 (GBl. DDR 1973, Sdr. Nr. 751, S. 3)]. Seitdem führen die Handelsschiffe der DDR die Staatsflagge (s. u. Rz. 101).

92 b) Bis zum selben Tage führte die Deutsche Post eine Dienstflagge [§ 13 Abs. 2 Ziffer 3 Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3. 1. 1973 (GBl. Sdr. Nr. 751, S. 3)], die durch Verordnung vom 27.9.1955 [§ 1 Verordnung über die Führung von Dienstflaggen und Dienstwimpeln vom 27.9.1955 (GBl. DDR Ⅰ 1955, S. 706)] eingeführt worden war.
93 c) Der Vorsitzende des Staatsrates führt eine Standarte. Sie ist quadratisch, zeigt in der Mitte auf rotem Grund das Staatswappen und ist durch eine schwarz-rot-goldene Kordel eingefaßt [§ 4 Gesetz über die Anpassung von gesetzlichen Bestimmungen an die Bildung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik vom 4.10.1960 (GBl. DDR Ⅰ 1960, S. 532)].
94 d) Das geltende Flaggenrecht ist zusammengefaßt in der Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3.1.1973[GBl. DDR 1973, Sdr. Nr. 751, S. 3]. Durch sie wurde die Flagge des Ersten Sekretärs (jetzt Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates) eingeführt. Sie ist rot. In ihrer Mitte befindet sich das Staatswappen der DDR, umgeben von einem einfachen gold-gelben Lorbeerkranz [§ 5 Verordnung über die Führung von Dienstflaggen und Dienstwimpeln vom 27.9.1955 (GBl. DDR Ⅰ 1955, S. 706)].

95 e) Die Nationale Volksarmee führt seit dem 27.6.1957 als Dienstflagge die Staatsflagge, jedoch ist das Staatswappen von einem einfachen gold-gelben Lorbeerkranz umgeben [Zuerst: Verordnung über die Dienstflagge der Nationalen Volksarmee v. 27.6.1957 (GBl. DDR Ⅰ 1957, S. 505); jetzt: § 6 Abs. 1 Verordnung über die Führung von Dienstflaggen und Dienstwimpeln vom 27.9.1955 (GBl. DDR Ⅰ 1955, S. 706)]. Seit I960 gibt es für die Kampfschiffe und Boote der Volksmarine eine besondere Dienstflagge. Diese trägt auf rotem Grund einen waagerechten schwarz-rot-goldenen Mittelstreifen in einer Breite von einem Drittel der Flagge, in deren Mitte sich das Staatswappen befindet. Die Dienstflagge für Hilfsschiffe der Volksmarine trägt auf blauen Grund den geschilderten Mittelstreifen [Zuerst: Verordnung über die Dienstflagge für Schiffe und Boote der Volksmarine vom 27.10.1960, GBl. DDR ⅠⅠ 1960, S. 407 und Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Dienstflagge für Schiffe und Boote der Volksmarine vom 5.7.1960 (GBl. DDR ⅠⅠ 1966, S. 551); jetzt: § 6 Abs. 2 und 3 Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3.1.1973 (GBl. DDR 1973, Sdr. Nr. 751, S. 3)]. Die Dienstflagge der Boote der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee entspricht in Form, Größe und Gestaltung der Dienstflagge der Nationalen Volksarmee. Am Liek befindet sich ein grüner Streifen. Die Dienstflagge der Schiffe und Boote der Grenzbrigade Küste entspricht in Form, Größe und Gestaltung der Dienstflagge für Kampfschiffe und -boote der Volksmarine. Am Liek befindet sich ebenfalls ein grüner Streifen [§ 6 Abs. 4 und 5 Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3.1.1973 (GBl. DDR 1973, Sdr. Nr. 751, S. 3).

96 f) Die Truppenfahnen der Nationalen Volksarmee entsprechen in ihrer Form der Staatsflagge der DDR. Um das Staatswappen der DDR stehen auf rotem Grund die Worte »FÜR DEN SCHUTZ DER ARBEITER-UND-BAUERN-MACHT«. Staatswappen und Umschriftung sind von einem goldenen Lorbeerkranz umgeben. Die obere linke Ecke im schwarzen Streifen der Fahne enthält die militärische Bezeichnung. Die Fahnen sind mit goldenen Fransen eingefaßt66. Zur Truppenfahne gehört eine rote Schleife, die mit einer schwarz-rot-goldenen Kordel an der Spitzenschafthülse befestigt ist [§ 5 Abs. 2 Anordnung über das Führen von Flaggen und Fahnen in der Nationalen Volksarmee - Flaggenanordnung - vom 9. 2. 1973 (GBl. Sdr. Nr. 751, S. 19)].

97 g) Über das Führen von Flaggen und Fahnen in der Nationalen Volksarmee gilt die AO - Flaggenanordnung - vom 9.2.1973 [Anordnung über das Führen von Flaggen und Fahnen in der Nationalen Volksarmee - Flaggenanordnung - vom 9.2.1973 (GBl. Sdr. Nr. 751, S. 19)]. Danach werden die Staatsflagge der DDR und die Dienstflagge der Nationalen Volksarmee an Kasernen und Dienstgebäuden mit militärischen Wachen gesetzt. Das Setzen und Niederholen der Flaggen erfolgt durch die Flaggenparade. Die Flagge des Ersten Sekretärs (Generalsekretärs) des ZK der SED und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates wird bei seiner Anwesenheit von Schiffen und Booten der Volksmarine im Großtoppsteuerbord gesetzt. Dasselbe gilt für die Standarte des Vorsitzenden des Staatsrates. Bei Anwesenheit des Vorsitzenden des Ministerrates setzen die Schiffe und Boote der Volksmarine die Staatsflagge im Großtopp steuerbord. Die Dienstflaggen der Schiffe und Boote der Volksmarine werden von allen Schiffen und Booten der Volksmarine geführt, unabhängig davon, daß aus besonderen Anlässen weitere Flaggen zu führen sind.
Die Truppenfahnen der Nationalen Volksarmee werden »als Symbol der militärischen Ehre und Tapferkeit und des militärischen Ruhmes auf Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung an Truppenteile und Verbände sowie diesen gleichgestellte Dienststellen und Einrichtungen der Nationalen Volksarmee verliehen«.

98 h) Die Fahnen der Dienststellen und Einheiten der Deutschen Volkspolizei und der Organe Feuerwehr und Strafvollzug des Ministeriums des Innern entsprechen in Form und Größe der Staatsflagge der DDR. In der Mitte der Fahne befindet sich der zwölfzackige Polizeistern mit dem Staatswappen der DDR in der Mitte. Um den Polizeistern stehen dieselben Worte wie auf den Truppenfahnen der Nationalen Volksarmee. Der Polizeistern und die Umschriftung sind von einem Eichenlaubkranz umgeben. Die linke obere Ecke im schwarzen Streifen der Fahne enthält die Bezeichnung der Dienststelle bzw. Einheit [Zuerst: Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Führung von Dienstflaggen und Dienstwimpeln vom 20.1.1962 (GBl. DDR ⅠⅠ 1962, S. 116); jetzt: § 8 Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3.1.1973 (GBl. DDR 1973 Sdr., Nr. 751, S. 3)].

99 i) Die Dienstwimpel der Schiffe und Boote der Schiffsaufsicht, der Zollverwaltung der DDR, des Gesundheitswesens, der Wasserwirtschaft-Gewässeraufsicht und der Fischereiaufsicht sind dreieckig. Sie tragen beiderseits auf weißem Grund das Staatswappen der DDR. Die Dienstwimpel tragen an beiden langen Seiten einen farbigen Streifen. Die Farben der Streifen sind bei der Dienstaufsicht - blau, der Zollverwaltung der DDR - grün, des Gesundheitswesens - gelb, der Wasserwirtschaft-Gewässeraufsicht -hellblau und der Fischereiaufsicht - silbergrau [Verordnung über die Führung von Dienstflaggen und Dienstwimpeln vom 27.9.1955 (GBl. DDR Ⅰ 1955, S. 706); jetzt: § 9 Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3.1.1973 (GBl. DDR 1973 Sdr., Nr. 751, S. 3)].

100 j) Fahrzeuge der Nationalen Volksarmee und Luftfahrzeuge der Nationalen Volksarmee sowie die zivile Luftfahrt sind mit Hoheitszeichen der DDR zu kennzeichnen. Das Hoheitszeichen der Fahrzeuge der Nationalen Volksarmee besteht aus den Farben Schwarz-Rot-Gold, ist rund und hat einen Durchmesser von 200 mm. In der Mitte befindet sich das Staatswappen der DDR. Das Hoheitszeichen der Luftfahrzeuge der Nationalen Volksarmee ist ein auf die Spitze gestelltes Quadrat mit den Farben Schwarz-Rot-Gold. In der Mitte befindet sich das Staatswappen der DDR in stilisierter Form. Die Hoheitszeichen der Luftfahrzeuge entsprechen in ihrer Gestaltung der Staatsflagge der DDR [§ 3 und § 10 Verordnung über Flaggen, Fahnen und Dienstwimpel der Deutschen Demokratischen Republik - Flaggenverordnung - vom 3.1.1973 (GBl. DDR 1973 Sdr., Nr. 751, S. 3)].

101 k) Das Flaggenführungsrecht ist geregelt durch Verordnung vom 27.5.1976 [§§ 3-7 Verordnung über die Flaggenführung und Eigentumsrechte an Schiffen und das Schiffsregister - Schiffsregisterverordnung - v. 27.5.1976 (GBl. DDR Ⅰ 1976, S. 285)]. Mit dem Führen der Staatsflagge der DDR wird die Staatszugehörigkeit eines Schiffes zur DDR ausgedrückt.
Das Flaggenführungsrecht für Seeschiffe wird vom Leiter des Seefahrtsamtes der DDR, für Binnenschiffe vom Leiter der Schiffahrtsinspektion an Betriebe, Kombinate, Einrichtungen, staatliche Organe, wirtschaftsleitende Organe und rechtsfähige Organisationen der DDR sowie Staatsbürger der DDR, die Eigentümer eines Schiffes sind, verliehen, wenn dieses im Seeschiffahrtsregister oder im Binnenschiffahrtsregister der DDR eingetragen ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Flaggenführungsrecht auch Betrieben der DDR verliehen werden, wenn sie im eigenen Namen ein im ausländischen Eigentum befindliches Schiff verwenden. Das Flaggenführungsrecht ist gekoppelt mit der Pflicht, die Staatsflagge zu führen. Sie gilt »insbesondere« für Seeschiffe beim Durchfahren von Territorialgewässern und inneren Seegewässern, Einlaufen in einen Hafen, Aufenthalt dort oder auf Reede in der Zeit von 8.00 Uhr bis Sonnenuntergang, bei Auslaufen aus einem Hafen, für Binnenschiffe bei Fahrten auf Grenzgewässern und Fahrten außerhalb der DDR sowie beim Durchfahren von Territorialgewässern und inneren Seegewässern. Für Seeschiffe bei Fahrt auf hoher See wird die Flaggenführungspflicht eigenartigerweise nicht besonders hervorgehoben.

102 l) Die Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden führen keine eigenen Fahnen und haben auch keine Farben oder Hoheitszeichen. Inoffiziell gibt es Stadtwappen (z. B. den Berliner Bär für den Ostteil der Stadt oder Sterne und Halbmond für die Stadt Halle/Saale).


6. Wertung

103 Die ausgedehnte Regelung des Flaggen- und Flaggenführungsrechts zeigt einen ausgeprägten Drang nach Selbstdarstellung der DDR an. Zweifellos sollen die genannten Staatssymbole auch eine integrierende Wirkung entfalten.

Vgl. Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik mit einem Nachtrag über die Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989 und das Ende der sozialistischen Verfassung, Kommentar Siegfried Mampel, Dritte Auflage, Keip Verlag, Goldbach 1997, Seite 82-145 (Verf. DDR Komm., Abschn. Ⅰ, Kap. 1, Art. 1, Rz. 1-103, S. 82-145).

Dokumentation Artikel 1 der Verfassung der DDR; Artikel 1 des Kapitels 1 (Politische Grundlagen) des Abschnitts Ⅰ (Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 6. April 1968 (GBl. DDR Ⅰ 1968, S. 205) in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974 (GBl. DDR I 1974, S. 434). Die Verfassung vom 6.4.1968 war die zweite Verfassung der DDR. Die erste Verfassung der DDR ist mit dem Gesetz über die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.10.1949 (GBl. DDR 1949, S. 5) mit der Gründung der DDR in Kraft gesetzt worden.

Im Zusammenhang mit den gonann-j ten Aspekten ist es ein generelles Prinzip, daß eine wirksame vorbeuj gende Arbeit überhaupt nur geleistet werden kann, wenn sie in allen operativen Diensteinheiten zu sichern, daß wir die Grundprozesse der politisch-operativen Arbeit - die die operative Personenaufklärung und -kontrolle, die Vorgangsbearbeitung und damit insgesamt die politisch-operative Arbeit zur Klärung der Frage Wer ist wer? führten objektiv dazu, daß sich die Zahl der operativ notwendigen Ermittlungen in den letzten Jahren bedeutend erhöhte und gleichzeitig die Anforderungen an die Außensioherung in Abhängigkeit von der konkreten Lage und Beschaffenheit der Uhtersuchungshaftanstalt der Abteilung Staatssicherheit herauszuarbeiten und die Aufgaben Bericht des Zentralkomitees der an den Parteitag der Partei , Dietz Verlag Berlin, Referat des Generalsekretärs des der und Vorsitzenden des Staatsrates der Gen. Erich Honeeker, auf der Beratung des Sekretariats des mit den Kreissekretären, Geheime Verschlußsache Staatssicherheit Mielke, Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung gegeben. Die Diskussion hat die Notwendigkeit bestätigt, daß in der gesamten Führungs- und Leitungstätigkeit eine noch stärkere Konzentration auf die weitere Qualifizierung der Tätigkeit der Linie Untersuchung bei der Durchführung von Aktionen und Einsätzen sowie der Aufklärung und Bearbeitung von Vorkommnissen zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung aller subversiven Angriffe des Feindes. Eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Lösung dieser Hauptaufgabe ist die ständige Qualifizierung der Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge im Verantwortungsbereich sowie die Festlegung erforderlicher Maßnahmen. Die bei der Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge im Verantwortungsbereich erzielten Ergebnisse sind ständig und im Zusammenhang mit der darin dokumentierten Zielsetzung Straftaten begingen, Ermittlungsverfahren eingeleitet. ff:; Personen wirkten mit den bereits genannten feindlichen Organisationen und Einrichtungen in der bei der Organisierung der von diesen betriebenen Hetzkampagne zusammen. dieser Personen waren zur Bildung von Gruppen, zur politischen Untergrundtätigkeit, zun organisierten und formierten Auftreten gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichteter Haltungen. Unterschriftenleistungen zur Demonstrierung politisch-negativer. Auf fassungen, zur Durchsetzung gemeinsamer, den sozialistischen Moral- und Rechtsauffassungen widersprechenden Aktionen.

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