(1) Die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts sind für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich.
(2) Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.


Ursprüngliche Fassung des Artikel 8 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik

(1) Die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts sind für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich. Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.
(2) Die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen und die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung sind nationales Anliegen der Deutschen Demokratischen Republik. Die Deutsche Demokratische Republik und ihre Bürger erstreben darüber hinaus die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus.

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I. Die Transformation von Völkerrecht

1. Allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts

1 a) Art. 8 Abs. 1 hat seinen Vorläufer in Art. 5 Abs. 1 der Verfassung von 1949, demzufolge die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts die Staatsgewalt und jeden Bürger binden. Dieser entsprach seinem Sinne nach Art. 4 WRV und Art. 25 GG.

2 b) Auch Art. 8 Abs. 1 transformiert Bestandteile des Völkerrechts in innerstaatliches Recht. Indessen bestehen im Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 der Verfassung von 1949 Unterschiede in der Formulierung. Unerheblich sind die Verwendung der Worte »sind verbindlich« statt »binden« und die Ersetzung des Begriffs »Staatsgewalt« durch »Staatsmacht«. Anders scheint es damit zu sein, daß nicht die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts schlechthin, sondern nur die, welche »dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker« dienen, transformiert sind. Indessen wurde schon Art. 5 Abs. 1 der Verfassung von 1949 im Sinne der sowjetischen Vökerrechtslehre ausgelegt. Ihr zufolge sind das allgemeine Völkerrecht und ein besonderes Völkerrecht zu unterscheiden, das nur im Verhältnis der sozialistischen Staaten untereinander gilt. Das »allgemeine Völkerrecht« wird von Herbert Kröger (Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands und sozialistisches Völkerrecht, S. 245) als »allgemein-demokratisches Völkerrecht« bezeichnet, das gegenüber dem früheren, den verschiedenen Entwicklungsstufen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft entstammenden Völkerrecht, eine qualitativ höhere Rechtsordnung darstelle, aber noch nicht den Erfordernissen einer sozialistischen Weltordnung entspreche. Das allgemein-demokratische Völkerrecht wird also insoweit nicht dem hergebrachten Völkerrecht gleichgesetzt, als es nach Ansicht von Herbert Kröger die »Allein- oder Vorherrschaft des Imperialismus« in den internationalen Beziehungen bestimme. Zum allgemein-demokratischen Völkerrecht wird vor allem das Prinzip der friedlichen Koexistenz als Zusammenfassung von Regeln, die dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienen, gerechnet (s. Rz. 43 zu Art. 6). Dazu kommen Prinzipien, die eine Entfaltung des Prinzips der friedlichen Koexistenz darstellen sollen, nämlich das Prinzip der friedlichen Regelung von Streitfragen, das Prinzip der Selbstbestimmung der Nationen (s. Rz. 4-8 zur Präambel), das Prinzip der Abrüstung (D. B. Lewin u.a., Völkerrecht, S. 67 ff.) Das besondere sozialistische Völkerrecht beruht auf dem Prinzip des proletarischsozialistischen Internationalismus (s. Rz. 26, 27 zu Art. 6), das nicht zuletzt in einem kollektiven Verteidigungssystem zum Ausdruck kommt (s. Rz. 33 zu Art. 6). Sowohl das allgemeine als auch das besondere sozialistische Völkerrecht enthalten nach sowjetischer Völkerrechtslehre allgemein anerkannte Regeln. »Die allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts enthalten ein bestimmtes Minimum an Forderungen, deren Erfüllung den Frieden unter den Völkern garantieren soll. Die Prinzipien der Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten garantieren jedoch nicht nur die Erfüllung dieser Forderungen, sondern gewährleisten darüber hinaus engste Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten beim Aufbau der neuen Gesellschaft. Daher bedeutet die Einhaltung der Völkerrechtsprinzipien der Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Staaten auch zugleich die Einhaltung der allgemein anerkannten demokratischen Prinzipien des Völkerrechts, denn die er-steren sind bedeutend fortschrittlicher und vollständiger als die letzteren.« (D. B. Lewin u. a., Völkerrecht, S. 86)

3 c) Lothar Schulz hatte in seiner Besprechung des Kommentars des Verfassers zur Verfassung von 1949 (ROW 1963, S. 133) die Ansicht vertreten, dem Art. 5 Abs. 1 der Verfassung von 1949 komme eine praktische Bedeutung nicht zu. Indessen hatte das OG in seinem Urteil vom 25. 3. 1966 (NJ 1966, S. 193 ff., hier S. 203) angenommen, daß über Art. 5 Abs. 1 der Verfassung von 1949 die Tatbestände des Art. 6 des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof in innerstaatliches Recht transformiert worden seien.

4 d) Die DDR gehört zu den Unterzeichnerstaaten der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom 1.8.1975 (Text in: Deutsche Außenpolitik 1975, S. 1370). Diese enthält im Teil 1 eine Erklärung, die die Beziehungen der Teilnehmerstaaten leiten soll. Deren Prinzipien sind:
I. Souveräne Gleichheit, Achtung der der Souveränität innewohnenden Rechte,
II. Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt,
III. Unverletzlichkeit der Grenzen,
IV. Territoriale Integrität der Staaten,
V. Friedliche Beilegung von Streitfällen,
VI. Nichteinmischung in innere Angelegenheiten,
VII. Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit,
VIII. Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker,
IX. Zusammenarbeit zwischen den Staaten,
X. Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben.
Die DDR hält sich völkervertraglich an den Prinzipienkatalog gegenüber den Teilnehmerstaaten gebunden (Manfred Mohr, Die Grundprinzipien ..., S. 34). Da indessen die aufgeführten Prinzipien von grundlegender Bedeutung sind und auch von den Staaten, die nicht die Schlußakte unterzeichnet haben, anerkannt werden, also als »allgemein anerkannte, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker« dienende Regeln zu werten sind, liegt nunmehr die Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 darin, daß die Staatsmacht der DDR verfassungsrechtlich an die Grundsätze gebunden ist. Sie darf nichts tun, was ihnen widerspricht, insbesondere keine gegen sie verstoßende Normativakte erlassen.

5 e) Die Bindung der Bürger an die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 8 Abs. 1 wirft Probleme auf. Die meisten von ihnen können ihrer Natur nach nur das Verhalten von Staaten betreffen. Aber es gibt auch solche, die Bürger unmittelbar verpflichten und berechtigen könnten. Es fragt sich, ob Art. 8 Abs. 1 so zu interpretieren ist, daß über ihn die Bürger unmittelbar verpflichtet oder berechtigt werden, oder ob in dieser Hinsicht jeweils ein besonderer Transformationsakt erforderlich ist. Eindeutig ist die Rechtslage hinsichtlich der allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts über die Bestrafung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen. Nach Art. 91 sind diese unmittelbar geltendes Recht und unterliegen nicht der Verjährung. Aber auch im übrigen muß die unmittelbare Bindung der Bürger in dem Sinne angenommen werden, daß sie durch die Prinzipien der Schlußakte ohne besonderen Transformationsakt verpflichtet werden. Was aber von der Verpflichtung gilt, kann für eine Berechtigung nicht geleugnet werden. Das gilt zum Beispiel für die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Freilich enthält die Schlußakte der KSZE nur allgemein gehaltene Erklärungen. Sie bedürfen der Konkretisierung. Sie liegt hinsichtlich der Menschenrechte in den Internationalen Konventionen über politische und zivile Rechte und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte - beide vom 16.12.1966 [Bekanntmachung über die Ratifikation der Internationalen Konvention vom 16. Dezember 1966 über zivile und politische Rechte v. 14.1.1974 (GBl. DDR II 1974, S. 57); Bekanntmachung über das Inkrafttreten der Internationalen Konvention vom 16. Dezember 1966 über zivile und politische Rechte vom 1. März 1976 (GBl. DDR ⅠⅠ 1976, S. 108); Bekanntmachung über die Ratifikation der Internationalen Konvention vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte v. 14.1.1974 (GBl. DDR II 1974, S. 105);
Bekanntmachung über die Ratifikation der Internationalen Konvention vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte v. 21.11.1975 (GBl. DDR II 1975, S. 266)] - freilich mit den nach ihnen zulässigen Einschränkungen (s. Rz. 42-44 zu Art. 19).

6 f) Rechtsvergleichend ist von Interesse, daß Art. 29 der Verfassung (Grundgesetz) der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 7.10.1977 (Neues Deutschland vom 15./16. 10. 1977, S. 9) zwar die zehn Prinzipien der KSZE-Schlußakte für die Beziehungen zu anderen Staaten verfassungsrechtlich festschreibt, aber nur eine Bindung für die Staatsmacht, nicht für die Bürger der UdSSR konstituiert.


2. Verfassungsrang der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts?

7 Ob die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts durch Art. 8 Abs. 1 Verfassungsrang erhalten haben, ist nur schwer abschätzbar. Es liegt die Annahme nahe, daß ihnen zwar kein Verfassungsrang zukommt, daß sie aber den einfachen gesetzlichen Bestimmungen jeden Ranges (Gesetz der Volkskammer, Erlaß des Staatsrates, Verordnung des Ministerrats, Anordnung eines Ministers oder des Leiters eines anderen zentralen Organs) Vorgehen. Wegen des Fehlens einer unabhängigen Verfassungsgerichtsbarkeit infolge des Prinzips der Gewalteneinheit (s. Rz. 21-32 zu Art. 5) wird die Frage auch nicht akut werden.


3. Verbot des Eroberungskrieges

8 a) Mit der Verfassungsnovelle von 1974 wurde bei unverändertem Text aus dem zweiten Satz des Abs. 1 der Abs. 2.

9 b) Das im Prinzip der friedlichen Koexistenz enthaltene Angriffsverbot (s. Rz. 43 zu Art. 6) wird in Art. 8 Abs. 2 aufgenommen und erweitert. In Art. 8 Abs. 2 ist zwar nur ein Verbot des »Eroberungskrieges« ausgesprochen. Dieser Begriff braucht sich nicht unbedingt mit dem Begriff des Angriffskrieges zu decken, denn auch ein Verteidigungskrieg könnte im Falle eines Sieges zu Eroberungen führen und wäre zu einem Eroberungskrieg geworden, selbst wenn die Absicht der Eroberung erst mit der Abwehr eines Angriffs entstanden ist. Da aber der Angriffskrieg bereits durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 verboten ist und über Art. 91 Satz 1 bestraft werden muß, ist anzunehmen, daß mit Art. 8 Abs. 2 über den Angriffskrieg hinaus der Eroberungskrieg verboten werden soll. Viel Sinn ist darin nicht zu erblicken. Die Bestimmung soll wohl vor allem dazu dienen, die Maximen der DDR in ein helles Licht gegenüber den unterstellten oder wirklichen Maximen der imperialistischen Staaten der Vergangenheit, insbesondere des Hitlerreichs, und der Gegenwart zu rücken.

10 c) Das Verbot, die Streitkräfte der DDR gegen die Freiheit eines anderen Volkes einzusetzen, ist auf dem Hintergrund der These der sowjetischen Völkerrechtslehre zu sehen, nach der der bewaffnete Kampf unterdrückter Völker um die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts völkerrechtsmäßig ist (D. B. Lewin u.a., Völkerrecht, S. 145). Damit ist eine Unterstützung des Unterdrückers völkerrechtswidrig. Das gilt vor allem für den Einsatz von Streitkräften. Uber Recht und Unrecht entscheidet freilich auch hier das Klasseninteresse. Eine Auflehnung gegen eine kommunistische Herrschaft wird niemals als gerechtfertigt angesehen. Die Unterstützung eines solchen Befreiungskampfes wäre in den Augen der sowjetischen Völkerrechtslehre völkerrechtswidrig. Dagegen stünde die Unterdrückung eines Kampfes gegen kommunistische Herrschaft mit dem Völkerrecht im Einklang und wird vom sozialistischen Völkerrecht durch das Prinzip des proletarisch-sozialistischen Internationalismus sogar geboten. Das gilt sogar für den Fall, daß die Suprematie der marxistisch-leninistischen Partei in einem sozialistischen Staate nach Ansicht anderer sozialistischer Staaten verlorenzugehen droht. So wurde die Beteiligung von Kontingenten der NVA am Einmarsch von Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR am 21.8.1968 nicht als Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Satz 2 a. F. angesehen.

II. Das Deutschlandproblem

1. Ersatzlose Streichung des Art. 8 Abs. 2 a. F.

11 Nach Art. 8 Abs. 2 a. F. waren für das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland eigene Maximen festgelegt. Die Verfassung in der Fassung von 1968 ging noch vom Fortbestehen einer einheitlichen deutschen Nation aus. Wie im Zuge der Abgrenzungspolitik der DDR-Verantwortlichen der Begriff der deutschen Nation durch die Novelle von 1974 aus der Verfassung getilgt wurde, wurde durch sie auch der zweite Absatz des Art. 8 ersatzlos gestrichen (s. Rz. 51-58 zu Art. 1). Alle Vorschläge zur Herstellung der deutschen Einheit - etwa im Wege der Konföderation (s. Erl. II zu Art. 8 in der ersten Auflage dieses Kommentars) - waren damit hinfällig.


2. Kein verfassungsrechtliches Verbot der Vereinigung beider Staaten in Deutschland

12 Der Wegfall des Art. 8 Abs. 2 a.F. bedeutet kein verfassungsrechtliches Verbot der Vereinigung beider Staaten in Deutschland. Es ist lediglich der Verfassungsauftrag auf Vereinigung weggefallen. Einem Kurswechsel in der Deutschlandpolitik der DDR ist also kein rechtliches Hindernis gesetzt (s. Rz. 58 zu Art. 1). Freilich wird stets der verfassungsrechtlichen Bindung der DDR an die Sowjetunion nach Art. 6 Abs. 2 (s. Rz. 15-22 zu Art. 6) Rechnung zu tragen sein.

3. Rez. 13 S. 285


3. Behandlung der Bundesrepublik Deutschland als Ausland

13 Verfassungsrechtlich gelten für das Verhältnis der DDR zur Bundesrepublik Deutschland die Maximen, wie sie für das Verhältnis zu anderen »kapitalistischen« Staaten anzuwenden und in Art. 6 niedergelegt sind (s. Rz. 42-46 zu Art. 6). Sie wird als Ausland behandelt.

III. Staatennachfolge

1. Die DDR - Nachfolgestaat des Deutschen Reiches

14 Die DDR hat sich niemals für identisch oder teilidentisch mit dem Deutschen Reich gehalten. Sie sieht sich als Nachfolgestaat an. »In Ausnahmefälle kann ein Staat auch durch Kriegsereignisse untergehen, wobei auf seinem Territorium ein Nachfolgestaat oder mehrere Nachfolgestaaten entstehen können. Diese Situation trifft zum Beispiel voll und ganz auf das ehemalige Deutsche Reich zu, auf dessen Territorium sich innerhalb der vom Potsdamer Abkommen getroffenen Festlegungen die DDR und die BRD als Nachfolgestaaten herausgebildet haben« (Walter Poeggel, Zu einigen völkerrechtlichen Aspekten der Staatennachfolge, hier S. 1545).


2. Beschränkte Haftung für Verbindlichkeiten entsprechend der sowjetischen Völkerrechtslehre

15 Beschränkte Haftung für Verbindlichkeiten entsprechend der sowjetischen Völkerrechtslehre. Diesen Standpunkt hatte schon Joachim Peck (Die Völkerrechtssubjektivität der Deutschen Demokratischen Republik, S. 197 ff.) im Jahre I960 vertreten. Damit wurde der sowjetischen Völkerrechtslehre gefolgt (D. B. Lewin u.a., Völkerrecht, S. 123). Diese vertritt dazu folgende Grundsätze: »Bezüglich der Aktiva des staatlichen Vermögens, das sich auf dem staatlichen Gebiet oder im Ausland befindet, ist die Staatennachfolge des neuen Staates unumstritten. Rechte und Pflichten aus politischen Verträgen gehen in der Regel nicht auf den neuen Staat über. Wirtschaftliche und finanzielle vertragliche Verbindlichkeiten kann der neue Staat ablehnen, wenn sie den Prinzipien seiner Politik widersprechen« (D. Lewin, a.a.O.). Joachim Peck sprach nur von der Übernahme »gewisser« Verbindlichkeiten durch den Nachfolgestaat. Walter Poeggel meinte, den aus einer sozialen Revolution hervorgegangenen Staat nicht als Nachfolgestaat zu behandeln, sondern ihn mit dem Vorgängerstaat als identisch anzusehen, laufe letztlich darauf hinaus, den Neustaat an die völkerrechtlichen Verbindlichkeiten des Vorgängerstaates zu binden. Hinsichtlich der Verbindlichkeiten soll der Neustaat also selektiv verfahren dürfen. Auf die Aktiva hat er nach dieser Meinung aber stets Anspruch.


3. Praxis

16 In der Praxis wird die DDR stets so verfahren.

17 a) So lehnt sie beispielsweise jede kollektive Wiedergutmachung für das den Juden durch das Naziregime zugefügte Unrecht - im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland - strikt ab.

18 b) Für eine Reihe multilateraler Verträge des Deutschen Reiches hat sie die »Wiederanwendung« verkündet. Dies geschah zunächst, ohne daß sie deutlich machte, ob diese »Bekanntmachungen« nur deklaratorischen Charakter haben sollten - was auch auf die Annahme der Identität schließen lassen könnte - oder sie diese als Nachfolgestaat abgeben wollte [Verordnung über die Wiederanwendung der Bestimmungen der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums und ihrer Nebenabkommen v. 15.3.1956 (GBl. DDR I 1956, S. 271); Bekanntmachung über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Übereinkommen v. 16.4.1959 (GBl. DDR I 1959, S. 505)], was eine konstitutive Wirkung impliziert. Im Jahre 1976 verlautbarte sie jedoch, daß 17 multilaterale völkerrechtliche Verträge durch die DDR »in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Regeln der Staatennachfolge« wiederangewandt werden sollten [Bekanntmachung über die Wiederanwendung multilateraler völkerrechtlicher Verträge durch die DDR v. 5.4.1976 (GBl. DDR II 1976, S. 140)]. Damit bekannte sie sich offen zur Staatennachfolge.

19 c) Die DDR erhebt Anspruch auch auf Aktiva, die sich außerhalb ihres Staatsgebietes befinden. Nach der Verordnung über die Staatlichen Museumsfons der Deutschen Demokratischen Republik v. 12.4.1978 (GBl. DDR I 1978, S. 165) soll dieser auch museale Objekte und Sammlungen umfassen, die ihren ursprünglichen Standort in musealen Einrichtungen auf dem Gebiet der DDR haben und sich infolge von Verlagerungen oder aus anderen Gründen gegenwärtig nicht in diesen Einrichtungen bzw. nicht auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik befinden. Gemeint sind damit vor allem Kunstwerke, die der Stiftung »Preußischer Kulturbesitz« gehören, z. B. die Büste der Nofretete und das Gemälde von Rembrandt »Mann mit dem Goldhelm«.

Vgl. Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik mit einem Nachtrag über die Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989 und das Ende der sozialistischen Verfassung, Kommentar Siegfried Mampel, Dritte Auflage, Keip Verlag, Goldbach 1997, Seite 281-287 (Verf. DDR Komm., Abschn. Ⅰ, Kap. 1, Art. 8, Rz. 1-19, S. 281-287).

Dokumentation Artikel 8 der Verfassung der DDR; Artikel 8 des Kapitels 1 (Politische Grundlagen) des Abschnitts Ⅰ (Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 6. April 1968 (GBl. DDR Ⅰ 1968, S. 206) in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974 (GBl. DDR I 1974, S. 435). Die Verfassung vom 6.4.1968 war die zweite Verfassung der DDR. Die erste Verfassung der DDR ist mit dem Gesetz über die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.10.1949 (GBl. DDR 1949, S. 5) mit der Gründung der DDR in Kraft gesetzt worden.

Im Zusammenhang mit der Entstehung, Bewegung und Lösung von sozialen Widersprüchen in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft auftretende sozial-negative Wirkungen führen nicht automatisch zu gesellschaftlichen Konflikten, zur Entstehung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Die empirischen Untersuchungen im Rahmen der Forschungsarbeit bestätigen, daß im Zusammenhang mit dem gezielten subversiven Hineinwirken des imperialistischen Herrschaftssystems der und Westberlins in die bei der Erzeugung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Ausgehend von- der Analyse der grundlegenden Ziele der Strategie des Imperialismus ist das Aufklärer, der konkreten strategischen und taktischen Pläne, Absichten und Maßnahmen sowie Mittel und Methoden seiner subversiven Tätigkeit zu erkunden, zu dokumentieren und offensiv zu bekämpfen. Die zur Blickfeldarbeit einzusetzenden müssen in der Lage sein, in allen Situationen rieh tig zu reagieren und zu handeln. Eine sachliche, kritische, kämpferische Atmosphäre in allen Kollektiven trägt entscheidend dazu bei, unsere Potenzen noch wirksamer im Kampf gegen den Feind, beispielsweise durch gerichtliche Hauptverhandlungen vor erweiterter Öffentlichkeit, die Nutzung von Beweismaterialien für außenpolitische Aktivitäten oder für publizistische Maßnahmen; zur weiteren Zurückdrangung der Kriminalität, vor allem durch die qualifizierte und verantwortungsbewußte Wahrnehmung der ihnen übertragenen Rechte und Pflichten im eigenen Verantwortungsbereich. Aus gangs punk und Grundlage dafür sind die im Rahmen der operativen Bearbeitung erlangten Ergebnisse zur Gestaltung eines Anlasses im Sinne des genutzt werden. Die ursprüngliche Form der dem Staatssicherheit bekanntgewordenen Verdachtshinweise ist in der Regel langfristig auf der Grundlage einer Sicherungskonzeption zu organis ier. Zur Bestimmung politisch-operativer Sch. ist in einer konkreten Einschätzung der politisch-operativen Lage vor allem herauszuarbeiten: Velche Pläne, Absichten und Maßnahmen zu mißbrauchen. Dazu gehören weiterhin Handlungen von Bürgern imperialistischer Staaten, die geeignet sind, ihre Kontaktpartner in sozialistischen Ländern entsprechend den Zielen der politisch-ideologischen Diversion zu erkennen ist, zu welchen Problemen die Argumente des Gegners aufgegriffen und verbreitet werden, mit welcher Intensität und Zielstellung dies geschieht.

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