(1) Die Deutsche Demokratische Republik hat getreu den Interessen des Volkes und den internationalen Verpflichtungen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet. Sie betreibt eine dem Sozialismus und dem Frieden, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Außenpolitik. (2) Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet. Das enge und brüderliche Bündnis mit ihr garantiert dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik das weitere Voranschreiten auf dem Wege des Sozialismus und des Friedens. Die Deutsche Demokratische Republik ist untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft. Sie trägt getreu den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus zu ihrer Stärkung bei, pflegt und entwickelt die Freundschaft, die allseitige Zusammenarbeit und den gegenseitigen Beistand mit allen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft. (3) Die Deutsche Demokratische Republik unterstützt die Staaten und Völker, die gegen den Imperialismus und sein Kolonialregime, für nationale Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen, in ihrem Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt. Die Deutsche Demokratische Republik tritt für die Verwirklichung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung ein und pflegt auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung die Zusammenarbeit mit allen Staaten. (4) Die Deutsche Demokratische Republik setzt sich für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, für eine stabile Friedensordnung in der Welt und für die allgemeine Abrüstung ein. (5) Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß werden als Verbrechen geahndet.
Ursprüngliche Fassung des Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
(1) Die Deutsche Demokratische Republik hat getreu den Interessen des deutschen Volkes und der internationalen Verpflichtung aller Deutschen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet und betreibt eine dem Frieden und dem Sozialismus, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Außenpolitik. (2) Die Deutsche Demokratische Republik pflegt und entwickelt entsprechend den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus die allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten. (3) Die Deutsche Demokratische Republik unterstützt die Bestrebungen der Völker nach Freiheit und Unabhängigkeit und pflegt auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung die Zusammenarbeit mit allen Staaten. (4) Die Deutsche Demokratische Republik erstrebt ein System der kollektiven Sicherheit in Europa und eine stabile Friedensordnung in der Welt. Sie setzt sich für die allgemeine Abrüstung ein. (5) Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß werden als Verbrechen geahndet.
I. Die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus
1. Historische Feststellung
1 Art. 6 Abs. 1, 1. Halbsatz enthält eine historische Feststellung aus der Sicht des Verfassungsgebers. Die Ausrottung des deutschen Militarismus und des Nazismus wird zur ersten Etappe der »antifaschistisch-demokratischen Umwälzung« (s. Rz. 17-22 zur Präambel) gerechnet. So hieß es im Parteiprogramm der SED von 1963: »Allein die Ausrottung des Imperialismus und Militarismus mit der Wurzel bietet die Gewähr für die friedliche Zukunft der deutschen Nation. Diese geschichtliche Aufgabe stand (ergänze: im Jahre 1945 - der Verfasser) in ganz Deutschland auf der Tagesordnung.« Wenn in Art. 6 der Begriff Nazismus und nicht wie im Parteiprogramm der Begriff Imperialismus verwendet wird, so ist das mit der Herkunft der Wendung »deutscher Militarismus und Nazismus« zu erklären (s. Rz. 2 zu Art. 6). Da der Nazismus in den Augen der Kommunisten nur eine besondere Form des Imperialismus ist, ist der Wechsel des Begriffs für den Sinn unschädlich. Als eine Wurzel des deutschen Militarismus galt seit jeher der landwirtschaftliche Großgrundbesitz. Die Bodenreform ging an diese Wurzel (s. Rz. 12 zu Art. 9). Eine wichtige Rolle bei der Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus spielte die Bestrafung der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten und die Vernichtung ihrer materiellen Basis (Industriereform, s. Rz. 11 zu Art. 9).
2. Die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus als Kriegsziel der Alliierten
2 Die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus war eines der wichtigsten Kriegsziele der Alliierten. Im Anschluß an die Beschlüsse der Krim-Konferenz (3.-11.2.1945) wurde darüber auf der Potsdamer Konferenz (17.7.-2.8.1945) beschlossen. Im Kommunique über diese Konferenz heißt es unter »III. Deutschland«: »Das Ziel dieser Übereinkunft bildet die Durchführung der Krim-Deklaration über Deutschland. Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, und die Alliierten treffen nach gegenseitiger Vereinbarung in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen kann.« Die Verfassung nimmt in Art. 6 Abs. 1, 1. Halbsatz den Passus über die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus bewußt auf.
3. Die Ausrottung durch die sowjetische Besatzungsmacht
3 Indessen stellt dieser Verfassungssatz die Ausrottung in der DDR als Werk ihrer Organe hin. Das Parteiprogramm von 1976 (S. 6) schreibt das Verdienst dafür der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft unter Führung der SED zu. In Wirklichkeit war sie entsprechend den in Potsdam von den Alliierten getroffenen Vereinbarungen von der sowjetischen Besatzungsmacht durchgeführt worden. Die DDR war erst am 7.10.1949 gegründet worden. Vorher gab es daher auch keine Organe der DDR, die für sie hätten handeln können. In gewissem Umfange hatten zwar auch die Landesregierungen in der SBZ, die deutschen Zentralverwaltungen und die Deutsche Wirtschaftskommission teil an der Entwicklung. Waren sie doch die Vorläufer der »antifaschistisch-demokratischen Staatsmacht« der späteren DDR, die anstelle des faschistischen Staatsapparates getreten waren. Aber sie waren in jeder Weise von der sowjetischen Besatzungsmacht abhängig oder sogar wie die Zentralverwaltungen Vollzugsorgane der Besatzungsmacht. Selbst wenn sie, wie zum Beispiel bei der Bodenreform (s. Rz. 12 zu Art. 9) die Landesregierungen, als Gesetzgeber auftraten, stand dahinter der Wille der sowjetischen Besatzungsmacht, die sich freilich auch über die Blockausschüsse durchzusetzen verstand (s. Rz. 21, 22 zur Präambel). Die Formulierung des Art. 6 Abs. 1, 1. Halbsatz würde der Wirklichkeit mehr entsprechen, wenn sie lautete: »In der DDR wurden ... der deutsche Militarismus und Nazismus ausgerottet.«
4. Bindung der DDR an das Potsdamer Abkommen
4 Wenn trotzdem die DDR als Subjekt erscheint, so zeigt das die totale Identifikation der DDR-Politik mit der Politik der Sowjetunion bezüglich der Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus. Ursache dieser Identifikation ist nicht nur, daß der Marxismus-Leninismus die gemeinsame Grundlage ihrer Politik ist, sondern daß die DDR sich an das Potsdamer Abkommen gebunden fühlt. Nach Auffassung der DDR-Völkerrechtler (Herbert Kröger, Peter Alfons Steiniger, Edith Oeser/Bernhard Graefrath, Joachim Schulz) bindet das Potsdamer Abkommen nicht nur die Alliierten, sondern auch »Deutschland« oder das »deutsche Volk«. Da ersteres nach deren Auffassung nicht mehr existiert, sei die Bindung auf die beiden deutschen Staaten übergegangen. Damit folgen die DDR-Völkerrechtler den Auffassungen ihrer Kollegen in der Sowjetunion und in Polen (Jens Hacker, Sowjetunion und DDR zum Potsdamer Abkommen, mit der dort [S. 35] verzeichneten Literatur). Wenn die Verfassung in der Fassung von 1968 von »der internationalen Verpflichtung aller Deutschen« sprach und damit die Deutschen als Individuen dem Potsdamer Abkommen als verpflichtet ansah, so deshalb, weil die einschlägigen Bestimmungen des Potsdamer Abkommens als in innerstaatliches Recht transformiert angesehen wurden (s. Rz. 2 zu Art. 8). Es war aber trotzdem nicht richtig, eine individuelle Verpflichtung aller Deutschen aus dem Potsdamer Abkommen anzunehmen. Die Streichung der Worte »aller Deutschen« nach dem Wort »Verpflichtungen« ist daher gerechtfertigt. Die Verpflichtungen aus dem Potsdamer Abkommen sind nach Aussage des Art. 6 Abs. 1, 1. Halbsatz auf dem Gebiete der DDR erfüllt worden. »Im Westen Deutschlands wurde die geschichtliche Aufgabe nicht gelöst, sondern erneut der alte unheilvolle Weg des Imperialismus und Militarismus eingeschlagen« hieß es im Parteiprogramm der SED von 1963. (Kritisch zu dieser Auffassung: Kurt Rabl, Die Durchführung ...). Im Zusammenhang mit den Interessen, in denen die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus liege, sprach die Verfassung in der Fassung von 1968 vom »deutschen Volke«. Gemeint war damit nicht nur das »Volk der Deutschen Demokratischen Republik«, von dem in der Präambel gesprochen wird, sondern die Gesamtheit, die in Art. 1 als deutsche Nation bezeichnet wurde. Da mit der Verfassungsnovelle vom 1974 der Begriff »deutsche Nation« aus der Verfassung entfernt wurde (s. Rz. 56 zu Art. 1), war es folgerichtig, auch in Art. 6 Abs. 1 das Epitheton »deutschen« zu »Volkes« zu streichen. Im übrigen wurde durch die Verfassungsnovelle von 1974 Art. 6 Abs. 1 in zwei Sätze aufgeteilt. Dafür waren offenbar stilistische Gründe maßgebend. Außerdem wurde die Reihenfolge von »Frieden« und »Sozialismus« umgekehrt. Eine Begründung dafür fehlt. Offenbar wird dem Sozialismus heute ein höherer Stellenwert beigemessen als im Jahre 1968.
5. Zusammenhang mit den außenpolitischen Grundprinzipien
5 Wenn die Ausrottung des deutschen Militarismus und des Nazismus in Art. 6 Abs. 1 zusammen mit den außenpolitischen Grundprinzipien behandelt wird, so wird damit kenntlich gemacht, welch enger Zusammenhang zwischen dem einen und den anderen nach Ansicht des Verfassungsgebers besteht. Die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus erscheint so als die Voraussetzung einer Außenpolitik, wie sie in Art. 6 Abs. 1,2. Halbsatz in ihren Grundzügen festgelegt wird.
II. Die außenpolitischen Maximen
1. Normative Festlegung
6 a) Die verfassungsrechtliche Verankerung außenpolitischer Maximen gegenüber bestimmten Staatengruppen ist ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte. In Art. 5 Abs. 2 Verfassung von 1949 hatte es nur allgemein geheißen, die Aufrechterhaltung und Wahrung freundschaftlicher Beziehungen zu allen Völkern sei Pflicht der Staatsgewalt. Die Verfassung von 1968/1974 folgte dem Beispiel der tschechoslowakischen vom 11.7.1960 [JöR, Band 12 (NF), S. 390] und der rumänischen Verfassung vom 21.8.1965 [JöR, Band 15 (NF), S. 459].
7 b) In der DDR hatte bereits das Ministerratsgesetz vom 17.4.1963 [Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik v. 17.4.1963 (GBl. DDR Ⅰ 1963, S. 89)] außenpolitischen Maximen in § 7 als Auftrag an den Ministerrat eine normative Grundlage gegeben. Insoweit gehörten diese also schon vor dem Erlaß der Verfassung von 1968 dem materiellen Verfassungsrecht an.
8 c) In § 1 Abs. 4 Ministerratsgesetz vom 16.10.1972 [Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik v. 16.10.1972 (GBl. DDR Ⅰ 1972, S. 253)] wird dem Ministerrat normativ aufgetragen, die Grundsätze der sozialistischen Außenpolitik gemäß den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus zu verwirklichen. Im Mittelpunkt seiner außenpolitischen Tätigkeit hat die Entwicklung und Festigung der Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft zu stehen. Der Ministerrat hat alle Anstrengungen zur Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und zur Sicherung des Friedens zu unternehmen. Es fehlt im geltenden Ministerratsgesetz eine spezielle Bestimmung über die Politik der DDR gegenüber den Ländern der »Dritten Welt« (Entwicklungsländern), wie sie die Verfassung schon in der Fassung von 1968 enthielt.
2. Charakter der außenpolitischen Maximen
9 a) Ihrer juristischen Qualität nach sind durch ihre Verankerung in Art. 6 die dort genannten außenpolitischen Maximen Auftragsnormen, die sich in erster Linie an die Staatsorgane wenden. Aber auch die gesellschaftlichen Organisationen sind ihnen verpflichtet. Schließlich zeitigen sie auch Wirkungen gegen den einzelnen. Für ihn gilt das Verbot militaristischer und revanchistischer Propaganda und der Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß und die Sanktionierung von Verstößen gegen das Verbot in Art. 6 Abs. 5. So ist die innere Beziehung dieses Absatzes zu den vorhergehenden des Art. 6 zu verstehen.
10 b) Die in der Verfassung niedergelegten außenpolitischen Maximen sind ursprünglich die Maximen der SED, wie sie schon in ihrem Parteiprogramm von 1963 im Abschnitt IV des Ersten Teiles enthalten waren. Auch das Parteiprogramm von 1976 läßt sich zu diesem Thema weitläufiger aus als die Verfassung. In seinem Abschnitt III - Die Aufgaben auf dem Gebiet der Außenpolitik und der Landesverteidigung - (S. 83) heißt es einleitend: »Inhalt, Ziele und Aufgaben der Außenpolitik, für die sich die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands einsetzt, bestehen darin, - gemeinsam mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten die günstigsten internationalen Bedingungen fiir den sozialistischen und kommunistischen Aufbau zu sichern, - die Einheit, Geschlossenheit und allseitige Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten zu festigen, ihre Freundschaft und weitere Annäherung zu fördern, - den Kampf der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen und Arbeiterparteien in den kapitalistischen Ländern zu unterstützen und die Beziehungen zu diesen Parteien weiter zu festigen, - die sozialen und nationalen Befreiungsbewegungen in der Welt solidarisch zu unterstützen und eng mit den national befreiten Staaten zusammenzuarbeiten, - die Politik der friedlichen Koexistenz in den Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern durchzusetzen, - den aggressiven Kräften des Imperialismus eine entschiedene Abfuhr zu erteilen, die Menschheit vor einem neuen Weltkrieg zu bewahren und den Frieden dauerhaft zu sichern.« Die außenpolitischen Maximen stellen gleichsam einen Extrakt des Parteiprogramms der SED dar, soweit es sich auf die Tätigkeit von Staatsorganen bezieht. Besonders für den Art. 6 ist es daher Interpretationsmaterial (s. Rz. 49 zu Art. 1).
11 c) Die Maximen der Außenpolitik sollen dem Wesen der DDR als eines sozialistischen Staates entsprechen. Das lassen schon die in Art. 6 Abs. 1, 2. Halbsatz niedergelegten Grundsätze erkennen. Neben dem Frieden, der Völkerverständigung und der Sicherheit als Ziele, denen sich wohl jeder moderne Staat, zumindest verbal, verpflichtet fühlt, wird der Sozialismus, nach der Verfassungsnovelle von 1974 sogar an erster Stelle, genannt, dem die Außenpolitik der DDR zu dienen habe. Folgerichtig waren die außenpolitischen Maximen schon in der Fassung von 1968 differenziert in solche, die gegenüber der UdSSR und den anderen sozialistischen Staaten, in solche, die für die Beziehungen zu den Ländern der »Dritten Welt« (Entwicklungsländern), und in solche, die gegenüber den »kapitalistischen« Staaten angewendet werden sollten.
12 d) Seit der Verfassungsnovelle von 1974 sind in Art. 6 Abs. 2 die gegenüber der Sowjetunion zu beachtenden Maximen gesondert von den Grundsätzen, die gegenüber den anderen Staaten der sozialistischen Staatengemeinschaft gelten, aufgeführt und zeigen ein besonderes Verhältnis an (s. Rz. 15—22 zu Art. 6).
13 e) Bis zur Verfassungsnovelle von 1974 galten für die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland eigene Maximen, die in Art. 8 Abs. 2 a. F. enthalten waren. Nachdem dieser ersatzlos gestrichen ist (s. Rz. 11-13 zu Art. 8), gelten die Grundsätze, wie sie für die Staaten mit einer anderen als der sozialistischen Gesellschaftsordnung, die »kapitalistischen« Staaten (s. Rz. 42-46 zu Art. 6), anzuwenden sind.
14 f) Die außenpolitischen Maximen des Art. 6 sind nicht nur für die Zukunft angelegt. Sie geben vielmehr eine reale Situation wieder, die darin besteht, daß die darin aufgegebene Außenpolitik bereits befolgt wird. Insofern bedeuten sie auch die Beschreibung eines Zustandes, der ohne vorherige verfassungsrechtliche Formulierung geschaffen oder, wenn auch nur durch Akzentverlagerung, geändert worden war.
3. Die außenpolitischen Maximen gegenüber der Sowjetunion
15 a) Während in Art. 6 Abs. 2 a. F. das Verhältnis der DDR zur Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten qualitativ noch als gleich betrachtet wurde - nur die Hervorhebung der Sowjetunion durch Namensnennung deutete auf etwas Besonderes -, befassen sich die beiden ersten Sätze des Art. 6 Abs. 2 n. F. ausschließlich mit dieser. Das Verhältnis zu den anderen sozialistischen Staaten wird erst im letzten Satz festgelegt. Dazwischen liegt der Satz über die Zugehörigkeit der DDR zur sozialistischen Staatengemeinschaft. Bemerkenswert ist der Unterschied in der Formulierung. Die DDR wird als mit der Sowjetunion für immer und unwiderruflich verbündet bezeichnet. Mit allen - das kann in Anbetracht des Sonderverhältnisses zur Sowjetunion heißen: mit den anderen -Staaten der sozialistischen Gemeinschaft soll dagegen die Freundschaft, die allseitige Zusammenarbeit und der gegenseitige Beistand gepflegt und entwickelt werden. Die Änderungen des Art. 6 Abs. 2 durch die Verfassungsnovelle von 1974 spiegeln, wie Erich Honecker in seiner Begründung des Entwurfs für das verfassungsändernde Gesetz vor der Volkskammer am 27.9.1974 ausführte (Neues Deutschland vom 28.9.1974), die »Festigung des Bruderbundes mit der UdSSR« wieder, die qualitativ neue Züge des unverbrüchlichen Bündnisses und des großen historischen Prozesses der Annäherung der sozialistischen Nationen zum Ausdruck bringe. Der Verfassungsgeber des Jahres 1974 ging also davon aus, daß sich seit 1968, dem Jahr der ersten Formulierung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1, das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der DDR im Sinne einer stärker gewordenen Bindung entwickelt habe. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 enthält demnach sowohl eine Zustandsbeschreibung als auch einen Verfassungsauftrag.
16 b) Die neue Verfassung der UdSSR vom 7.10.1977 (Neues Deutschland vom 15./16.10.1977) enthält keine Bestimmung, die ein spezielles Verhältnis der DDR zur UdSSR beschreibt. Es heißt in deren einschlägigem Art. 30 lediglich:
»Als Bestandteil des sozialistischen Weltsystems und der sozialistischen Gemeinschaft entwikkelt und festigt die UdSSR die Freundschaft und Zusammenarbeit, die kameradschaftliche gegenseitige Hilfe mit den Ländern des Sozialismus auf der Grundlage des Prinzips des sozialistischen Internationalismus und wirkt aktiv an der ökonomischen Integration und an der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung mit.«
Es wäre aber verfehlt, deshalb anzunehmen, die Sowjetunion sähe das Verhältnis zur DDR anders als diese. Ohne Konsens mit der UdSSR in dieser Frage hätte die DDR 1974 ihre Verfassung nicht im dargestellten Sinne ändern können. Aber es verdient doch festgehalten zu werden, daß die UdSSR darauf verzichtet hat, dieses Sonderverhältnis verfassungsrechtlich zu normieren.
17 c) Auch die anderen sozialistischen Staaten erkennen in ihren Verfassungen mehr oder weniger deutlich die Führungsrolle der UdSSR in der sozialistischen Staatengemeinschaft an (Jens Hacker, Die Prinzipien des proletarischen und sozialistischen Internationalismus in der Sicht der DDR, S. 188-190). Indessen bringt kein Staat die Bindung an die Sowjetunion so stark zum Ausdruck wie die DDR nach der Verfassungsnovelle von 1974, auch nicht Polen in seiner Verfassung nach ihrem einheitlichen Text vom 16.2.1976 (Noch nicht veröffentlichte Übersetzung von Siegfried Lammich), der also nach der Novelle zur DDR-Verfassung von 1974 veröffentlicht worden ist. Das Sonderverhältnis DDR-UdSSR wird auch dadurch deutlich.
18 d) Das Sonderverhältnis DDR-UdSSR wurde begründet durch die Entstehungsgeschichte der DDR (s. Rz. 12 ff. zur Präambel). Ohne die UdSSR gäbe es keine DDR. Ihre Existenz als sozialistischer Staat wird vom engen und brüderlichen Bündnis mit der Sowjetunion, das heißt also in Anbetracht ihrer Stärke von dieser garantiert. Das ist der Sinn der Aussage des Art. 6 Abs. 2 Satz 2, wonach das Bündnis das weitere Voranschreiten der DDR auf dem Wege des Sozialismus und des Friedens garantieren soll.
19 e) Es erhellt, daß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 mit seiner Kombination von Zustandsbeschreibung und Verfassungsauftrag Konsequenzen hat, die über den inneren, den staatsrechtlichen Bereich der DDR hinausgehen und die völkerrechtlicher Natur sind. Gottfried Zieger (Die Verfassungsänderung in der DDR vom 7.10.1974) sieht darin eine rechtliche Selbstbindung der DDR, die, weil sie noch nicht in Völkerrecht umgesetzt sei, nur eine politische Deklaration gegenüber der UdSSR sei, die ihr unverbrüchliche Gefolgschaftstreue und Zuverlässigkeit versichern soll, verknüpft mit dem Hinweis, daß diese Grundentscheidung intern verpflichtende Richtschnur sein werde, also eine politische Offerte. Dem kann entgegengehalten werden, daß die Offerte von der UdSSR längst angenommen ist, wenn diese Annahme auch konkludent, nicht durch einen Verfassungssatz erfolgt ist. Man kann also von einem völkerrechtlichen Verhältnis ausgehen, das freilich nicht identisch ist mit den Bündnisverträgen zwischen den beiden Staaten (s. Rz. 22 zu Art. 6). So heißt es auch folgerichtig in der Präambel des Bündnisvertrages vom 7.10.1975 [Vertrag über Freunschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 7.10.1975 (GBl. DDR ⅠⅠ 1975, S. 238)], es sei zwischen der DDR und der UdSSR ein enges brüderliches Verhältnis entstanden, das auf dem Fundament des Marxismus-Leninismus und des sozialistischen Internationalismus beruhe, und auf dieses aufbauend sei der Vertrag von 1975 abgeschlossen worden. Außerdem ist der Bündnisvertrag von 1975 zeitlich befristet - er ist auf 25 Jahre mit Verlängerungsmöglichkeit abgeschlossen worden -, während Art. 6 Abs. 2 Satz 1 von einem unwiderruflichen und immerwährenden Bündnis spricht.
20 Zur Frage, wie dieses Verhältnis zu klassifizieren ist, ist darauf hinzuweisen, daß die Völkerrechtswissenschaft zwar keine völkerrechtlichen Institute und auch nicht Inbegriffe von Völkerrechtsnormen kennt, aber doch Klassifizierungstypen kraft vergleichender Analyse gewonnen hat (Friedrich Berber, Völkerrecht, S. 150). Man sollte daher aus heuristischen Gründen nicht auf den Versuch verzichten, auch das Abhängigkeitsverhältnis der DDR von der UdSSR in die Reihe der Klassifikationstypen einzuordnen. Dabei ist aber darauf zu achten, daß auch neuartige Erscheinungen gebührend berücksichtigt werden. Die notwendige Weiterentwicklung des Völkerrechts erlaubt es nicht nur, sondern gebietet sogar, daß dafür auch neue Bezeichnungen gewählt werden, wenn sie sich nur dem Hergebrachten und allgemein Anerkannten anschließen. Daher gibt es die im aufschlußreichen Aufsatz von Dietrich Frenzke (Das Rechtsverhältnis zwischen der DDR und der UdSSR) genannte Alternative (»Pedanterie geht vor Phantasie«) nicht. So ist von Relevanz, daß das Parteiprogramm der SED von 1976 das Bündnis - hier freilich bezogen auf die sozialistische Staatengemeinschaft insgesamt - als das eines »völlig neuen Typs« bezeichnet, dessen führende Kraft die Arbeiterklasse und ihre kommunistischen und Arbeiterparteien seien (S. 14). Speziell bezogen auf das Verhältnis der SED zur KPdSU heißt es in der Präambel zum Statut der SED von 1976: »Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands vertieft unablässig die unverbrüderliche Freundschaft und das brüderliche Bündnis mit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der Vorhut der kommunistischen Weltbewegung.« Damit wird gesagt, daß das Bündnis nicht nur zwischen den Staaten besteht, sondern auch die Parteibeziehungen umfaßt. Siegmar Quilitzsch (Unzerstörbarer Bruderbund ...) bezeichnete die Parteibeziehungen als »Herzstück« des Verhältnisses DDR - Sowjetunion. Somit erkennt die SED ausdrücklich die Führungsrolle der KPdSU ihr gegenüber an. Neu ist auch, daß im Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« (S. 40) das immerwährende und unwiderrufliche Bündnis mit der UdSSR als Wesensmerkmal der sozialistischen DDR bezeichnet wird. Es ist zum Strukturelement der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR geworden (s. Rz. 26 zu Art. 1). Bei der Beurteilung darf auch nicht daran vorbeigegangen werden, daß es hier um das Verhältnis von einem starken und zu einem wesentlich schwächeren Partner geht. Dabei handelt es sich freilich nicht um einen rechtlichen Sachverhalt, sondern um einen, der der Wirklichkeit angehört. Aber bei der rechtlichen Beurteilung darf an einem solchen nicht vorbeigegangen werden, andernfalls sich die rechtliche Wertung gleichsam im luftleeren Raum bewegen würde.
21 Nach eingehender Prüfung der völkerrechtlichen Literatur ist der Verfasser zur Erkenntnis gelangt, daß es sich bei dem Verhältnis zwischen der DDR und der UdSSR um eine besondere Form des Protektorats handelt, die als Protektion zu bezeichnen ist, weil die Abhängigkeit mit formaler Eigenständigkeit der Interessenvertretung nach außen einhergeht, was bei den Protektoraten herkömmlicher Art nicht der Fall war (Siegfried Mampel, Zur Ergänzung und Änderung der DDR-Verfassung, S. 147-149; ders., Zum Vergleich - Die Verfassungsreform in der DDR, S. 368). Auch der von Georg Dahm (Völkerrecht, Band 2, S. 134) geprägte Begriff »Quasi-Protektorat« erscheint treffend. Der Begriff »Vasallität«, der auch vorgeschlagen wurde, erscheint wenig geeignet, weil er dem Zeitalter des Feudalismus zuzurechnen ist. Wenn Joachim Krüger den Vorwurf, die Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR würden durch die Hegemonie der erstgenannten bestimmt, mit der Begründung abwehrt, der proletarische Internationalismus schließe das aus, so handelt es sich um eine petitio principii.
Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989: Nach dem langjährigen sowjetischen Botschafter in Ost-Berlin, Pjotr Abrassimow, war der Einfluß der UdSSR auf die ehemalige DDR tatsächlich beispiellos (Interview mit der “Iswestija“, Meldung im Berliner “Tagesspiegel" vom 13.8.1992). Oldenburg/Stephan bestätigen das durch neue Moskauer Quellen anhand der Verhinderung des beabsichtigten Bonn-Besuchs Honeckers 1984 durch die sowjetischen Partei- und Staatsorgane.
22 f) Der Bündnisvertrag zwischen der DDR und der UdSSR vom 7.10.1975 [Vertrag über Freunschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 7.10.1975 (GBl. DDR ⅠⅠ 1975, S. 238)] konkretisiert das immerwährende und unwiderrufliche Bündnis, von dem Art. 6 Abs. 2 Satz 1 spricht. In diesem Sinne konnte Herbert Krolikowski (Weitere Festigung der Freundschaft ..., S. 1129) davon sprechen, daß die Entwicklung des »Bruderbundes unserer Völker und Staaten« mit dem Abschluß dieses Vertrages eine höhere Stufe erreicht habe. Der Bündnisvertrag von 7.10.1975 trat an die Stelle des Bündnisvertrages vom 12.6.1964 [Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken v. 12.6.1964 (GBl. DDR Ⅰ 1964, S. 132)], obwohl der letztgenannte noch nicht abgelaufen war und auch nicht ausdrücklich durch den Vertrag vom 7.10.1975 aufgehoben wurde (a. M. Theodor Schweisfurth, Die neue vertragliche Bindung der DDR an die Sowjetunion). So meinte Joachim Krüger (Neue Freundschaftsverträge ..., S. 6), die Verträge - darunter ist auch der mit der Sowjetunion zu verstehen - würden »erneuert«. Beide Verträge regeln dieselbe Materie, so daß nach Völkergewohnheitsrecht der jüngere an die Stelle des älteren tritt. Das gilt auch, wenn der jüngere gegenüber dem älteren Lücken läßt, wie im vorliegenden Fall hinsichtlich der Viermächteverantwortung für ganz Deutschland und der Herstellung der Einheit Deutschlands. Wenn erstgenannte im Vertrag vom 7.10.1975 nicht mehr erwähnt wird, so muß nach dem Selbstverständnis der Beteiligten angenommen werden, daß sie als erloschen betrachtet wird. Es darf nicht angenommen werden, daß die entsprechenden Passagen aus dem Vertrag vom 12.6.1964 weitergelten sollen, auch wenn das der »westlichen« Rechtsauffassung entgegenkommt.
4. Die DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft
23 a) Art. 6 Abs. 2 in der Fassung von 1968 kannte den Begriff der sozialistischen Staatengemeinschaft noch nicht, obwohl er schon im Sprachgebrauch war. Das Parteiprogramm von 1963 enthielt aber Passagen über das »sozialistische Weltsystem«. Zur Zeit der Hochblüte kybernetischer Vorstellungen über Gesellschaft und Staat in der DDR (s. Rz. 16, 17 zu Art. 2) wurde auch das sozialistische Weltsystem in diese einbezogen (o. V., Neues staats- und rechtstheoretisches Denken ist geboten, S. 1207; Günter Kröber, Zum Systemcharakter sozialistischer internationaler Beziehungen). Damit wurde auch die Führungsrolle der Sowjetunion im sozialistischen Lager neu interpretiert. Die Möglichkeit der Rückkopplung durch die anderen sozialistischen Staaten gegenüber den von der Sowjetunion gesetzten Führungsgrößen fand eine theoretische Erklärung. Im Zeichen des fortschreitenden Zerfalls der monolithischen Einheit des Weltkommunismus, zu dem vor allem die Rivalität, ja zunehmende Gegnerschaft zwischen der UdSSR und der Volksrepublik China beigetragen hat, blieb für die um die Sowjetunion gescharten sozialistischen Staaten der bescheidene Begriff der sozialistischen Staatengemeinschaft. Mit der Verfassungsnovelle vom 7.10. 1974 wurde der Begriff auch in den Verfassungstext (Art. 6 Abs. 2 Satz 3) aufgenommen.
24 b) Unter dem Begriff »sozialistische Staatengemeinschaft« sind die sozialistischen Staaten zu verstehen, die sich nach ihrem Selbstverständnis in der Etappe der entwickelten sozialistischen Gesellschaft befinden. Nach Siegmar Quilitzsch (Der siegreiche Oktober ..., S. 21) verfügen die sozialistischen Länder mit der »Konzeption der sozialistischen Gesellschaft, die die KPdSU und die brüderlich mit ihr verbundenen kommunistischen und Arbeiterparteien ausgearbeitet haben«, über eine im Grunde einheitliche Gesellschaftskonzeption (s. Rz. 1-27 zu Art. 1). Völkerrechtlich zusammengehalten wird die sozialistische Staatengemeinschaft durch multilaterale Verträge auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet sowie durch ein Geflecht bilateraler Verträge, insbesondere von Bündnisverträgen (s. Rz. 31-35 zu Art. 6).
25 c) Das Parteiprogramm der SED von 1976 macht die Führungsrolle der Sowjetunion in der sozialistischen Staatengemeinschaft deutlich, wenn es dort heißt (S. 84):
»Die allseitige Festigung der sozialistischen Staatengemeinschaft, die eng um die Sowjetunion zusammengeschlossen ist, nimmt in den außenpolitischen Zielsetzungen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands den Vorrang ein. Sie sieht ihre wichtigste Aufgabe in der Entwicklung der allseitigen brüderlichen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR, deren feste und dauerhafte Grundlage der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 7. Oktober 1975 bildet. Gleichzeitig erstrebt die Partei die Erweiterung und Vertiefung der brüderlichen Zusammenarbeit mit allen anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft.«
So verwundert es nicht, wenn nach der Zurückdrängung der kybernetischen Vorstellungen auch für die sozialistische Staatengemeinschaft die Geltung des Prinzips des demokratischen Zentralismus für denkbar gehalten wird (s. Rz. 7-14 zu Art. 2), wobei die zentralistische Komponente durch die Sowjetunion in die sozialistische Staatengemeinschaft gebracht wird.
26 d) Die Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten sollen vom Prinzip des »sozialistischen Internationalismus« beherrscht werden. Dieses gilt als »wichtigstes moralisch-politisches und völkerrechtliches Prinzip des neuen Typs internationaler Beziehungen«, die zwischen den sozialistischen Staaten bestehen sollen (D. B. Lewin und andere, Völkerrecht, S. 72 ff.). Es ist hervorgegangen aus dem Prinzip des proletarischen Internationalismus. Dieser hat nach dem zitierten Völkerrechtslehrbuch, das auch fiir die DDR maßgebend ist, drei Entwicklungsphasen durchlaufen. Vor der Oktoberrevolution habe der proletarische Internationalismus nur als Prinzip der Beziehungen zwischen den nationalen Trupps der Arbeiterklasse in Erscheinung treten können. Nach der Oktoberrevolution sei er gleichzeitig zum Prinzip der Außenpolitik wie auch zum Prinzip der Beziehungen zwischen den sozialistischen Nationen innerhalb der Sowjetunion geworden. Die dritte Etappe sei mit dem Entstehen weiterer sozialistischer Staaten im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges eingeleitet worden. Damit sei der proletarische Internationalismus auch zum Prinzip der zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten geworden. In dieser Rolle wurde er in den programmatischen Dokumenten der kommunistischen und der Arbeiterparteien als Prinzip des sozialistischen Internationalismus bezeichnet. Während also der proletarische Internationalismus sowohl die Beziehungen auf der Ebene der kommunistischen Parteien, ob sie nun an der Macht sind oder nicht, und die Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten bestimmen soll, gilt das Prinzip des sozialistischen Internationalismus nur für die Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten. Daraus folgt, daß meist der Begriff proletarischer Internationalismus verwendet wird, wenn von den Parteibeziehungen die Rede ist.
27 Neuerdings wird in der DDR nicht mehr scharf zwischen dem sozialistischen und dem proletarischen Internationalismus unterschieden. Wenn Joachim Krüger (Proletarischer Internationalismus und allgemeindemokratische Prinzipien, S. 25) schreibt, der proletarische Internationalismus liege nicht nur der Kampfgemeinschaft ihrer kommunistischen und Arbeiterparteien, sondern auch den zwischenstaatlichen Beziehungen zugrunde, so kann diese Äußerung noch damit erklärt werden, daß der sozialistische Internationalismus aus dem proletarischen Internationalismus hervorgegangen ist. Das gilt auch noch für die weitere Äußerung des Autors (Intensivierung der Kontakte ..., S. 24), in allen Ländern der sozialistischen Gemeinschaft wachse millionenfach das durch den proletarischen Internationalismus geprägte Zugehörigkeitsgefühl zur großen Familie sozialistischer Völker als ein wesentliches Element der Stärkung und Festigung der sozialistischen Länder, denn Joachim Krüger spricht hier von Völkern und nicht von Staaten. Aber das Parteiprogramm der SED von 1976 hatte schon vorher verkündet (S. 84):
»Die Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten werden vom proletarischen Internationalismus, von der wirksamen Verbindung gemeinsamer und nationaler Interessen geprägt.«
Der von der Verfassung verwendete Begriff »sozialistischer Internationalismus« wird in diesem Zusammenhang nicht gebraucht. Deshalb kann Boris Meissner (Die innerparteilichen Beziehungen im Ostblock und das Prinzip des »proletarisch-sozialistischen Internationalismus«; ders. Die sowjetische Konzeption des »proletarisch-sozialistischen Internationalismus« und das »sozialistische Völkerrecht«) folgend auch zusammenfassend vom proletarisch-sozialistischen Internationalismus« gesprochen werden.
28 e) Nach dem Lehrbuch von D. B. Lewin u.a. bedeutet das Prinzip des sozialistischen Internationalismus unter völkerrechtlichem Aspekt die Pflicht jedes sozialistischen Staates, im Kampf gegen den Imperialismus und beim Aufbau des Sozialismus und Kommunismus zusammenzuarbeiten. Der sozialistische Internationalismus habe zwei Seiten: die eine Seite sei die Anerkennung und Verteidigung der Gleichberechtigung, Freiheit und Unabhängigkeit der sozialistischen Staaten und die andere die Anerkennung und Verteidigung ihrer Einheit, Freundschaft und gegenseitigen Hilfe im Kampf um den Sieg des Sozialismus und Kommunismus. Beide Seiten seien unlöslich miteinander verbunden. Keine könne von der anderen losgetrennt werden, ohne daß das Prinzip des sozialistischen Internationalismus seine Qualität verlieren und sich in sein Gegenteil verkehren würde. Die Verletzung auch nur einer Seite des Prinzips durch einen sozialistischen Staat berechtige die anderen sozialistischen Staaten zum Eingreifen. Das Lehrbuch rechtfertigt so ausdrücklich das Eingreifen der UdSSR gegen die ungarische Regierung Imre Nagy, weil diese den proletarischen Internationalismus nur im Sinne der Gleichberechtigung (also unter Verletzung des Gesichtspunktes der Einheit des sozialistischen Lagers und der Freundschaft unter den sozialistischen Staaten) und das auch nur mit Worten ausgelegt habe. Nachdem in der DDR der sozialistische Internationalismus als Prinzip, das die Beziehungen zwischen ihr und der Sowjetunion sowie der anderen sozialistischen Staaten im Sinne einer allseitigen Freundschaft und Zusammenarbeit regelt, schon im Art. 6 Abs. 2 a. F. eine verfassungsrechtliche Grundlage erhalten hatte, war es zur Rechtfertigung der Beteiligung der DDR an der Invasion in die CSSR nicht mehr notwendig, sich nur auf ein Prinzip des sozialistischen Völkerrechts zu berufen, sondern man konnte sich auf den Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 2 stützen (so »Zu Fragen unserer Leser« in »Neues Deutschland« vom 1. 10. 1968). Eberhard Poppe (Der Fortschritt ist Verfassung, S. 501) berief sich dazu auf Art. 6 Abs. 1 und 2:
»Dem Fortschritt den Weg bahnen heißt für eine sozialistische Verfassung und seinen Träger, das werktätige Volk, vor allem den Frieden zu erhalten, zu sichern und zu festigen, weil er Grundlage und Voraussetzung für jeden weiteren Fortschritt in der Welt wie auch der gesellschaftlichen Entwicklung in unserem Lande ist. In der Erfüllung des in der Verfassung erteilten Auftrages, den Weg des Friedens unbeirrt weiterzugehen, haben die DDR, ihre Staatsmacht und ihre Bürger große und erfolgreiche Anstrengungen unternommen, um die akute Friedensbedrohung durch imperialistische Mächte zurückzuweisen, um die Verteidigungskraft unseres Staates im Bündnis mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten zu stärken und >eine dem Frieden und dem Sozialismus, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Außenpolitik zu betreiben (Art. 6). Als konterrevolutionäre Kräfte und ihre imperialistischen Hintermänner im Sommer 1968 versuchten, die sozialistische Entwicklung in der CSSR rückgängig zu machen und den tschechoslowakischen Bruderstaat aus dem sozialistischen Staatenbündnis herauszubrechen, waren der Frieden und der gesellschaftliche Fortschritt international ernsthaft bedroht. In dieser Situation handelte die DDR Seite an Seite mit anderen Partnerstaaten des Warschauer Vertrages getreu den Verfassungsprinzipien der Friedenssicherung und des sozialistischen Internationalismus.«
29 f) Es handelt sich um einen Fall der »Breshnew-Doktrin« (Boris Meissner, Die Breshnew-Doktrin). Diese hat eine neue Deutung des Begriffs der Souveränität zur Folge. Herbert Kröger (Die sozialistische Souveränität der DDR und der proletarische Internationalismus, S. 1586) war, soweit erkennbar, der erste, der schon 1969 versuchte, diese wissenschaftlich zu begründen. Er meinte, die Diktatur des Proletariats in jedem einzelnen Land erweise sich ihrem Wesen nach als Einheit von souveräner sozialistischer Nationalstaatlichkeit und Systembestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft. Darin komme die dialektische Einheit von Nationalem und Internationalem deutlich zum Ausdruck. Herbert Kröger behauptete damit eine Wechselwirkung zwischen der Volkssouveränität (im Sinne der marxistisch-leninistischen Staatstheorie) und der Souveränität des Staates. Er hat viele Nachfolger gefunden (im einzelnen dazu Jens Hacker, Die Prinzipien des proletarischen und sozialistischen Internationalismus in der Sicht der DDR, S. 196-198). Besonders markant begründeten Bernhard Graefrath und Helmut Zapf (Die Dialektik ..., S. 3) die Lehre von der Eigenart der Souveränität der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft:
«Die Souveränität des sozialistischen Staates kann nicht losgelöst von ihrem Klasseninhalt einfach als politische Unabhängigkeit und territoriale Integrität definiert werden. Sie kann nicht auf das Souveränitätsprinzip des allgemeinen Völkerrechts reduziert werden. Das hieße, sie ihres Klasseninhalts zu berauben, und kann nur dazu dienen, die Souveränität der einzelnen sozialistischen Staaten dem sozialistischen Internationalismus entgegenzustellen. Ebenso wie die allseitige Entwicklung und Festigung jedes einzelnen sozialistischen Landes eine entscheidende Bedingung für die Vorwärtsbewegung des gesamten sozialistischen Weltsystems ist, ist auch die Entfaltung der sozialistischen Souveränität nur als Entfaltung des sozialistischen Internationalismus denkbar. Sozialistische Souveränität heißt nicht Selbständigkeit und Unabhängigkeit vom Aufbau des Sozialismus im Bruderland und von seinem Kampf gegen den Imperialismus, sondern Einsatz der sozialistischen Staatsmacht, um unter Berücksichtigung der spezifischen historischen und nationalen Bedingungen so effektiv wie möglich gemeinsam den Sozialismus aufzubauen und für die Befreiung der Menschheit vom Imperialismus zu kämpfen. Das ist in Art. 6 der Verfassung der DDR als Aufgabe der Staatsmacht deutlich formuliert.«
Es kann hier dahinstehen, ob diese Auffassung von der Souveränität der sozialistischen Staaten von allen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft geteilt wird. Für die DDR ist sie jedenfalls maßgebend und erklärt sowohl ihr besonderes Verhältnis zur Sowjetunion (s. Rz. 15-22 zu Art. 6), als auch ihre Bereitschaft, gemeinsam mit der Sowjetunion in jedem Staat der sozialistischen Gemeinschaft zu intervenieren, wenn sie die Strukturelemente und -prinzipien eines sozialistischen Staates dort, aus welchen Gründen auch immer, in Gefahr sieht. So gehört die DDR auch zu den schärfsten Kritikern der Entwicklung in der Volksrepublik Polen in den Jahren 1980/1981.
30 g) In engem sachlichen Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 2 steht Art. 7 Abs. 2 Satz 3. Er enthält den Auftrag an die Nationale Volksarmee, enge Waffenbrüderschaft mit den Armeen der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten zu pflegen. Der Zusammenhang mit dem genannten Absatz des Art. 6 ergibt sich einmal daraus, daß der Auftrag nicht nur im Interesse des sozialistischen Staates - insofern besteht ein Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des Art. 7 -, sondern auch im Interesse »der Wahrung des Friedens« gegeben ist, und weiter daraus, daß durch Art. 7 Abs. 2 Satz 3 die allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten auf dem wichtigen militärischen Sektor besonders verbrieft wird. Freilich ist zu beachten, daß Art. 7 Abs. 2 Satz 3 hinsichtlich der sozialistischen Staaten nicht von »den anderen«, sondern nur von »anderen« Staaten spricht. Waffenbrüderschaft soll offenbar nicht mit allen Armeen sozialistischer Staaten gepflegt werden. Dafür mag vielleicht maßgebend gewesen sein, daß die räumliche Entfernung einiger sozialistischer Staaten (etwa in Asien gelegener) einer Waffenbrüderschaft mit ihnen entgegensteht.
31 h) Auch die Sätze 3 und 4 des Abs. 2 enthalten sowohl einen Verfassungsauftrag als auch eine Zustandsbeschreibung. Denn die DDR ist seit langem auf multilateraler und bilateraler Grundlage mit anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft verbunden. Die Verbindung geht zurück auf die erste Besatzungszeit, innerhalb derer sich die Sowjetunion bereits bemühte, enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zur SBZ herzustellen (Siegfried Mampel, Die Stellung der »DDR« im sowjetischen Paktsystem).
32 aa) In den am 25.1.1949 als Reaktion auf den Marshallplan von Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei gegründeten Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW - englische Abkürzung: COMECON) wurde die DDR, nachdem zuvor Albanien am 23. 2. 1949 beigetreten war (im Jahre 1961 wieder ausgeschieden), am 29.9.1950 aufgenommen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch nicht für souverän erklärt worden war. Die genannten Staaten sind die Unterzeichnerstaaten des Statuts des RGW vom 14.12.1959 [Statut des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Offizielle Übersetzung) vom 10.5.1960 (GBl. DDR Ⅰ 1960, S. 284); Statut des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe mit den Änderungen entsprechend dem Protokoll vom 21.6.1974 vom 19.4.1976 (GBl. DDR ⅠⅠ 1976, S. 142), Statut des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe mit den Änderungen gemäß den Protokollen v. 21.6.1974 u. 28.6.1979 v. 22.5.1981 (GBl. DDR ⅠⅠ 1981, S. 82); dazu: Konvention über die Rechtsfähigkeit, Privilegien und Immunitäten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe v. 14.12.1959 (Offizielle Übersetzung) (GBl. DDR Ⅰ 1960, S. 293), Bekanntmachung über die Ratifikation und das Inkrafttreten des Protokolls v. 21.6.1974 über die Änderung des Statuts des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Konvention über die Rechtsfähigkeit, Privilegien und Immunitäten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe v. 19.4.1976 (GBl. DDR ⅠⅠ 1976, S. 141)]. Im Jahre 1962 trat die Mongolische Volksrepublik dem RGW bei. Als weitere außereuropäische Staaten wurden auf der XXVI. Ratstagung in Moskau am 10./12.7.1972 Kuba und auf der XXXII. Ratstagung in Bukarest am 27.-29.6.1978 die Sozialistische Republik Vietnam in den RGW aufgenommen. Die DDR ist in sämtlichen im Statut des RGW vorgesehenen Organen, nämlich Ratstagung, Exekutivkomitee (zuvor Ländervertreter im Rat), Sekretariat und Ständige Kommissionen, vertreten. Der Sitz dreier Ständiger Kommissionen ist Berlin (Ost). Damit führt die DDR in diesen Kommissionen auch den Vorsitz. Innerhalb der Konferenz der kommunistischen Parteien der RGW-Staaten, dem außerordentlichen Organ des RGW (Dietrich A. Loeber, Vereinheitlichung des Warenlieferungsrechts ..., S. 37), hat die SED ihren Platz. Die DDR hat im RGW stets eine Politik verfolgt, die entsprechend der Politik der UdSSR und oft im Gegensatz zu anderen Mitgliedsstaaten, insbesondere zu Rumänien, auf eine möglichst intensive Integration der Volkswirtschaften und auf eine Arbeitsteilung innerhalb der Mitgliedsstaaten drängte. Die Rechtswissenschaftler der DDR (Manfred Kemper, Johannes Kirsten, Martin Posch, Hans Spiller, Günther Thole) treten für einen möglichst großen Bereich gemeinsamer Regelungen und deren Verbindlichkeit ein, wobei sie differenzierenden Lösungen das Wort reden. Freilich gehen sie niemals so weit, eine echte Supranationalität für die Organe des RGW zu fordern. Die Kompetenz des nationalen Gesetzgebers soll ihrer Auffassung nach erhalten bleiben. Ein »Internationales Wirtschaftsrecht« ist nach Wolfgang Seiffert (Der Systemcharakter ..., S. 1823) nur auf dem Wege der völkerrechtlichen Vereinbarungen möglich. Die DDR ist auch Teilnehmer an multilateralen Abkommen der Mitgliedsstaaten des RGW, an denen entweder alle oder nur ein Teil beteiligt sind. Wegen der Einzelheiten muß auf die umfangreiche Spezialliteratur (vgl. Verzeichnis am Anfang des Abschnittes) verwiesen werden. (Wegen der sozialistischen ökonomischen Integration auf der Grundlage des »Komplexprogramms« von 1971 s. Rz. 6 zu Art. 9).
35 dd) Die bilateralen Abkommen auf wirtschaftlichem, kulturellem und humanitärem Gebiet sowie anderen Gebieten zwischen der DDR und anderen sozialistischen Staaten insbesondere der Sowjetunion sind zahlreich. Im einzelnen muß auf die Sammlung »Völkerrechtliche Vereinbarungen ...« und die Spezialliteratur verwiesen werden.
36 ee) Im einfachen Gesetzesrecht trägt § 5 Abs. 2 Ministerratsgesetz von 1972 [Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik v. 16.10.1972 (GBl. DDR Ⅰ 1972, S. 253)] dem Ministerrat auf, allseitig das Bündnis mit der UdSSR und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft zu vertiefen. Er soll einen aktiven Beitrag der DDR zur politischen, ökonomischen, ideologischen und militärischen Festigung der sozialistischen Staatengemeinschaft gewährleisten. Er hat die Grundrichtung und die Schwerpunkte der wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und geistig-kulturellen Zusammenarbeit der DDR mit den sozialistischen Ländern zu bestimmen und die Zusammenarbeit mit der UdSSR und den anderen Mitgliedsländern des RGW zur Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration sowie die wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit den anderen sozialistischen Ländern zu sichern. Bemerkenswert ist, daß hier zwischen den Mitgliedsländern des RGW und den anderen sozialistischen Ländern unterschieden wird.
37 ff) Auf der Ebene des Parteirechts heißt es in der Präambel des Parteistatuts der SED, getreu den Prinzipien des proletarischen Internationalismus gestalte die SED die enge Zusammenarbeit mit allen Bruderparteien und Völkern der sozialistischen Staatengemeinschaft, deren fester Bestandteil die DDR sei. Die Parteibeziehungen können als Herzstück auch der sozialistischen Staatengemeinschaft bezeichnet werden.
5. Außenpolitische Maximen gegenüber den Staaten der »Dritten Welt«
39 a) Auf die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, insbesondere die, welche erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit erlangt haben (»Dritte Welt«), bezieht sich Art. 6 Abs. 3 Satz 1. Während die ursprüngliche Fassung des Art. 6 Abs. 3, 1. Halbsatz eine Politik nur gegenüber »Völkern« festlegte und damit zum Ausdruck bringen sollte, daß die Unterstützung vor allem solchen Bewegungen gelten sollte, die noch um die Unabhängigkeit ihrer Völker ringen, soll nunmehr die Unterstützung auch den »Staaten« der »Dritten Welt« gelten. Nach der neuen Fassung soll im Gegensatz zur alten die Unterstützung nicht den Bestrebungen von Völkern nach Freiheit und Unabhängigkeit gelten, sondern nach der wesentlich schärferen Formulierung sollen die Staaten und Völker in ihrem Kampf für nationale Freiheit und Unabhängigkeit unterstützt werden, wobei auch als Gegner »der Imperialismus und sein Kolonialregime« genannt wird. Außerdem wird mit der Wendung »in ihrem gesellschaftlichen Fortschritt« deutlich gemacht, daß mit der Unterstützung der Staaten und Völker der »Dritten Welt« Einfluß auf die Gestaltung ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung im Sinne der Lehren des Marxismus-Leninismus genommen werden soll.
40 b) Diese Interpretation bestätigt das Parteiprogramm der SED von 1976. Dort heißt es (S. 87):
»Die befreiten und um ihre Befreiung kämpfenden Völker sind eine mächtige antiimperialistische und revolutionäre Kraft unserer Zeit. Deshalb fördert die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands aktiv die Festigung des engen Bündnisses der Deutschen Demokratischen Republik mit den Völkern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, die gegen Imperialismus und Neokolonialismus kämpfen. Sie entwickelt zu ihnen freundschaftliche und beiderseits vorteilhafte Beziehungen. Sie fördert die enge Zusammenarbeit und Solidarität mit ihnen.«
41 c) Im einfachen Gesetzesrecht wird dem Ministerrat in § 5 Abs. 3 Satz 3 des Ministerratsgesetzes von 1972 23 aufgetragen, die Unterstützung der Staaten und Völker, die gegen den Imperialismus und sein Kolonialregime, für nationale Unabhängigkeit und Freiheit kämpfen, zu gewährleisten.
6. Außenpolitische Maximen gegenüber »kapitalistischen Staaten«
42 a) Hinsichtlich der Politik gegenüber den »kapitalistischen« Staaten sagte die alte Fassung der Verfassung vergleichsweise wenig aus. Für sie galt Art. 6 Abs. 3, 2. Halbsatz, demzufolge die DDR auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung die Zusammenarbeit mit allen Staaten zu pflegen hatte. Auch die in Art. 6 Abs. 4 genannten aktuellen Ziele der DDR-Außenpolitik, ein System der kollektiven Sicherheit in Europa, eine stabile Friedensordnung in der Welt und eine allgemeine Abrüstung, sollten gegenüber den kapitalistischen Staaten verfolgt werden und ihnen gegenüber sogar mit besonderem Nachdruck, da die sozialistischen Staaten und die Staaten der »Dritten Welt« nach Ansicht der Kommunisten ohnehin friedliebend sind und deshalb dieselben Ziele verfolgen. Das Ministerratsgesetz vom 17.4.1963 [Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik v. 17.4.1963 (GBl. DDR Ⅰ 1963, S. 89)] war demgegenüber von größerer Aussagefreudigkeit. Nach dessen § 7 Abs. 1 S. 2 und 3 hatte der Ministerrat sein ganzes Wirken darauf zu richten, die Prinzipien der friedlichen Koexistenz und die Politik der Erhaltung und Sicherung des Friedens zu verwirklichen. Er sollte die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und anderen Beziehungen zu allen Staaten und Ländern, also auch zu den »kapitalistischen«, auf der Grundlage der Gleichberechtigung und im Geiste der Völkerfreundschaft entwickeln. Für den ökonomischen Bereich bestimmte § 7 Abs. 3, 1. Halbsatz, daß der Ministerrat die wirtschaftlichen Beziehungen mit den kapitalistischen Ländern in Übereinstimmung mit ihren ökonomischen Möglichkeiten und Interessen auf der Grundlage des gegenseitigen Vorteils auszubauen hatte. Im Parteiprogramm der SED von 1963 hieß es, die SED erstrebe friedliche normale Beziehungen der DDR auf der Grundlage der friedlichen Koexistenz und gegenseitigen Achtung der Gleichberechtigung und der Souveränität zu allen kapitalistischen Staaten.
43 b) Nach der Verfassungsnovelle von 1974 wurde der Satz über die Pflege der Zusammenarbeit mit allen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung beibehalten, ihm vorgeschaltet wurde aber die Wendung über die Politik der friedlichen Koexistenz. Eine ähnliche Formulierung kannte schon das Ministerratsgesetz von 1963, indessen nicht Art. 6 a. F. Das Prinzip der »friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung« wird von der sowjetischen Völkerrechtslehre auf Lenin zurückgeführt. Es sei in zahlreichen bilateralen und multilateralen Deklarationen anerkannt worden. Am Anfang hätten die von der Sowjetunion und Indien sowie von dieser und Burma (beide 1955) abgegebenen gestanden. Zum Prinzip der friedlichen Koexistenz hätte sich die Bandung-Konferenz asiatischer und afrikanischer Staaten, an der freilich die Sowjetunion nicht beteiligt war, bekannt. In Resolutionen der XII. und XIII. sowie der XVII. UNO-Vollversammlung hätte die übergroße Mehrzahl das Prinzip gebilligt (D. B. Lewin und andere, Völkerrecht, S. 61 ff.). Die sowjetische Völkerrechtslehre und ihr folgend die Völkerrechtslehre in der DDR sieht die friedliche Koexistenz als ein Prinzip des allgemeinen Völkerrechts an. Diese Ansicht ist nicht vom Ansatz her falsch. Denn unter »friedlicher Koexistenz« werden eine Reihe von Grundsätzen begriffen, die zu den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts in gleicher oder ähnlicher Formulierung gerechnet werden können, wie die gegenseitige Achtung der territorialen Integrität, das Angriffsverbot, das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen, das Prinzip der Gleichheit der Staaten und des gegenseitigen Vorteils. Indessen wird in der marxistisch-leninistischen Lehre das Prinzip der »friedlichen Koexistenz« unterlaufen durch die These vom Klassenkampf. So hieß es im Parteiprogramm der SED von 1963: »Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands läßt sich in ihrer Politik von dem Leninschen Prinzip der friedlichen Koexistenz von Staaten mit verschiedener Gesellschaftsordnung leiten. Die friedliche Koexistenz ist eine Form des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Dieser Kampf wird als ökonomischer, politischer und geistig-kultureller Wettstreit zwischen den beiden entgegengesetzten Systemen ausgetragen, auch in Deutschland.« Wenn hier der Klassenkampf als »Wettstreit« deklariert wird, so wird ihm eine harmlose Deutung gegeben. Die ursprüngliche Deutung des Klassenkampfes als eines Kampfes um die Eigentums-, Gesellschafts- und damit nach marxistisch-leninistischer Lehre auch um die Herrschaftsverhältnisse darf aber auch und vielleicht sogar gerade in diesem Zusammenhang nicht außer acht gelassen werden. Das Parteiprogramm der SED von 1976 ist in seinen Äußerungen dazu sparsamer. Es heißt darin, die SED trete dafür ein, daß die friedliche Koexistenz zum gültigen Prinzip der Beziehungen zwischen Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung wird (S. 85). An der Auffassung, die friedliche Koexistenz sei eine Form des Klassenkampfes, hat sich nichts geändert.
44 c) § 5 Abs. 3 Satz 1 Ministerratsgesetz von 1972 [Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik v. 16.10.1972 (GBl. DDR Ⅰ 1972, S. 253)] trägt auf der Ebene des einfachen Rechts dem Ministerrat auf, in seiner Tätigkeit die Prinzipien der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Der Satz über die Entwicklung der Beziehungen zu anderen Staaten hat hier eine abweichende Formulierung, die aber rechtlich kaum Bedeutung hat. Der Ministerrat hat nämlich nach § 3 Abs. 3 Satz 2 a.a.O. die politischen, ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Beziehungen - hier also eine genauere Bestimmung - auf der Grundlage der Gleichberechtigung und im »Geiste der Völkerfreundschaft« (statt auf der Grundlage der »gegenseitigen Achtung«) zu entwickeln.
45 d) Nachdem durch die Verfassungsnovelle von 1974 aus der Verfassung jeder Hinweis auf die Einheit der Nation (s. Rz. 51-58 zu Art. 1) und aus Art. 8 die Bestimmungen über eine mögliche Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland und den Weg dahin entfernt worden sind (s. Rz. 11-13 zu Art. 8), sollen für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR allein die Prinzipien der friedlichen Koexistenz gelten. Dazu heißt es im Parteiprogramm der SED von 1976 (S. 86): »Die sozialistische Einheitspartei Deutschlands tritt dafür ein, daß die Beziehungen zwischen der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik und der kapitalistischen Bundesrepublik Deutschland als Beziehungen zwischen souveränen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der Normen des Völkerrechts entwickelt werden. Angesichts des grundlegenden Gegensatzes der Gesellschaftsordnungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland kann nur eine Politik der gegenseitigen Achtung der Souveränität eine weitere Normahsierung der Beziehungen und eine friedliche Koexistenz beider Staaten, eine sachliche, gleichberechtigte und gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit im Interesse des Friedens fördern.«
46 e) Art. 6 Abs. 4 n. F. bezeichnet zwar allgemeine Ziele, bedeutet aber ebenso, wie das schon hinsichtlich des Art. 6 Abs. 4 a. F. der Fall war (s. Rz. 42 zu Art. 6), vor allem eine Festlegung gegenüber den »kapitalistischen« Staaten. Die Wendung über das Streben nach einem System der kollektiven Sicherheit in Europa und eine stabile Friedens Ordnung in der Welt ist durch die Wendung über den Einsatz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, für eine stabile Friedensordnung in der Welt und für die allgemeine Friedensordnung ersetzt worden, wobei Art. 6 Abs. 4 Satz 2 einbezogen wurde. Die Änderung ist wohl in Vorausschau auf die am 1.8.1975 auch durch die DDR in Helsinki erfolgte Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vorgenommen worden. Da zu erwarten war, daß diese nicht ein »kollektives System der Sicherheit in Europa«, sondern nur bescheidenere Ergebnisse bringen würde, erschien wohl eine zurückhaltendere Formulierung durch die Novelle von 1974 ratsam. Eine Begründung für die Änderung wurde offiziell nicht gegeben.
7. DDR und weltumspannende multilaterale Abkommen
47 a) Die DDR ist multilateralen Abkommen beigetreten, zu denen der Beitritt allen Staaten offensteht. Ferner hat sie die Wiederanwendung internationaler Vereinbarungen verfügt. Wegen der Einzelheiten muß auf die Sammlung »Völkerrechtliche Vereinbarungen der Deutschen Demokratischen Republik« verwiesen werden.
48 b) Am 18. 9.1973 wurde die DDR gleichzeitig mit der Bundesrepublik Deutschland Mitglied der UNO. Nach herrschender Meinung ist durch die gleichzeitige Mitgliedschaft beider deutscher Staaten in der UNO eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt (Kay-Michael Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 265/266). Die DDR gehört auch Sonderorganisationen der UNO an.
III. Die strafrechtliche Sanktionierung der militaristischen und revanchistischen Propaganda
1. Strafrechtliche Sanktionierung vor Erlaß der Verfassung von 1968
49 Art. 6 Abs. 5 hat seinen Vorläufer in Art. 6 Abs. 2 der Verfassung von 1949. Dieser lautete:
»Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.« Dieser Verfassungssatz war bis zum Inkrafttreten des Strafrechtsergänzungsgesetzes (Die Tätigkeit der Funktionäre der Organisation der "Zeugen Jehovas" ist Kriegs- und Boykotthetze i. S. des Art. 6 der Verfassung und verstößt außerdem gegen Abschn. II, Art. III A III der KontR-Direktive Nr. 38, Oberstes Gericht (OG), Urteil vom 4.10.1950, NJ DDR 1950, S. 452) am 1.1.1958, meist in Verbindung mit der Kontrollratsdirektive 38, III A III, Grundlage des politischen Strafrechts. Er wurde als Strafgesetz behandelt, obwohl er keine hinreichend präzisierte Strafandrohung enthält und auch an dem Mangel hinreichender Präzision bei den Voraussetzungen der Strafbarkeit leidet (Reinhart Maurach; Walther Rosenthal in Verbindung mit Karl Lange/Arwed Biomeyer, S. 115; a.M. Hans W. Baade). Das OG der DDR meinte hingegen, die in Art. 6 Abs. 2 nicht enthaltenen Strafbestimmungen seien dem Strafgesetzbuch zu entnehmen. Da es für Verbrechen als Strafen die Todesstrafe, lebenslängliche Zuchthausstrafe und zeitige Zuchthausstrafe androhe, fänden für die Verstöße gegen Art. 6 Abs. 2 je nach Schwere der Tat diese Strafen Anwendung (Unrecht als System, Teil I, Dokumente 10, 12, 19, 22, 23, 24, 25; Teil II, Dokumente 144, 145, 147, 148, 149, 157, 158, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 169, 170; Teil III, Dokumente 152, 153, 154, 156). Dieser Rechtsprechung fielen Tausende zum Opfer28. Nach dem Erlaß des Strafrechtsergänzungsgesetzes kam dem Art. 6 die Funktion zu, eine Bestrafung auch dann zu rechtfertigen, wenn das Gesetz eine Lücke im politischen Strafrecht offenließ, eine Strafe aber für notwendig gehalten wurde (John Lekschas).
2. Unterschiede zu früheren Regelungen
50 Zwischen Art. 6 Abs. 2 Verfassung von 1949 und Art. 6 Abs. 5 bestehen indessen Unterschiede. In Art. 6 Abs. 5 Verfassung von 1968/1974 fehlen gegenüber Art. 6 Abs. 2 Verfassung von 1949 die Tatbestände der »Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen«, »Mordhetze gegen demokratische Politiker«, »Kriegshetze« sowie »alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten«. Dagegen ist in Art. 6 Abs. 5 Verfassung von 1968/1974 auch die revanchistische Propaganda, das heißt jede Propaganda, die sich gegen den status quo in Deutschland richtet, als neuer Tatbestand aufgenommen worden. Indessen ist in diesem Zusammenhang auf Art. 91 Satz 1 zu verweisen, demzufolge die allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts über die Bestrafung von Verbrechern gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen unmittelbar geltendes Recht sind. Das Fehlen des Tatbestandes »Kriegshetze« mag damit erklärt werden, daß er sich mit dem Tatbestand der militaristischen Propaganda deckt, den Art. 6 Abs. 5 aufführt. Außerdem ist eine Änderung in der Formulierung zu verzeichnen. Während Art. 6 Abs. 2 Verfassung von 1949 die dort aufgeführten Tatbestände als Verbrechen im Sinne des StGB bezeichnete, verwendet Art. 6 Abs. 2 Verfassung von 1968/1974 die Wendung »werden als Verbrechen geahndet«. Es spricht vieles dafür, daß die mit Art. 6 Abs. 2 Verfassung von 1949 verbundene Problematik nicht mehr auftreten wird. Das StGB vom 12.1.1968 [Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik - STGB - vom 12.1.1968 (GBl. DDR Ⅰ 1968, S. 1), in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 1974 zur Änderung des Strafgesetzbuches, des Anpassungsgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (GBl. Ⅰ 1974, Nr. 64, S. 591) (GBl. DDR Ⅰ 1975, S. 14)] enthält im 1. Kapitel des Besonderen Teiles ein derartig eng gewebtes Netz von Tatbeständen des politischen Strafrechts, daß eine Reservefunktion des Art. 6 Abs. 5 wohl ausscheiden dürfte.
Vgl. Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik mit einem Nachtrag über die Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989 und das Ende der sozialistischen Verfassung, Kommentar Siegfried Mampel, Dritte Auflage, Keip Verlag, Goldbach 1997, Seite 221-244 (Verf. DDR Komm., Abschn. Ⅰ, Kap. 1, Art. 6, Rz. 1-51, S. 221-244).
Dokumentation Artikel 6 der Verfassung der DDR; Artikel 6 des Kapitels 1 (Politische Grundlagen) des Abschnitts Ⅰ (Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 6. April 1968 (GBl. DDR Ⅰ 1968, S. 206) in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974 (GBl. DDR I 1974, S. 435). Die Verfassung vom 6.4.1968 war die zweite Verfassung der DDR. Die erste Verfassung der DDR ist mit dem Gesetz über die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.10.1949 (GBl. DDR 1949, S. 5) mit der Gründung der DDR in Kraft gesetzt worden.