Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik haben das Recht auf Vereinigung, um durch gemeinsames Handeln in politischen Parteien, gesellschaftlichen Organisationen, Vereinigungen und Kollektiven ihre Interessen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen der Verfassung zu verwirklichen.
I. Vorgeschichte
1. Verfassung von 1949
1 Die Verfassung von 1949 behandelte in den Art. 12 bis 14 das Vereinigungsrecht und das Koalitionsrecht. Art. 12 formulierte das Vereinigungsrecht: »Alle Bürger haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden.« Durch Art. 13 wurden bestimmte Vereinigungen privilegiert. Danach waren Vereinigungen, die die demokratische Gestaltung des öffentlichen Lebens auf der Grundlage der Verfassung von 1949 erstrebten und deren Organe durch ihre Mitglieder bestimmt wurden, berechtigt, Wahlvorschläge für die Volksvertretungen der Gemeinden, Kreise und Länder einzureichen. Wahlvorschläge für die Volkskammer durften nur die Vereinigungen aufstellen, die nach ihrer Satzung die demokratische Gestaltung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens der gesamten Republik erstrebten und deren Organisation das ganze Staatsgebiet umfaßte (s. Rz. 2 zu Art. 22). Art. 14 formulierte das Koalitionsrecht: »Das Recht, Vereinigungen zur Förderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen anzugehören, ist für jedermann gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig und verboten.« Im organischen Zusammenhang mit dem Koalitionsrecht war das Streikrecht geregelt: »Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet.« Nach Art. 24 waren bestimmte Vereinigungen und Organisationen verboten: alle privaten Monopolorganisationen, wie Kartelle, Syndikate, Konzerne, Trusts und ähnliche auf Gewinnsteigerung durch Produktions-, Preis- und Absatzregelungen gerichtete private Organisationen (s. Rz. 16 zu Art. 14).
2. Entwurf
2 Gegenüber dem Entwurf trat in der Endfassung die Wendung »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen der Verfassung« anstelle der Wendung »in Übereinstimmung mit den Zielen und Aufgaben der Verfassung«. Im Entwurf hatte der Art. die Nr. 25 (wegen der Umstellung s. Rz. 10 zu Art. 21).
II. Die Vereinigungsfreiheit
1. Charakter und Inhalt des Rechts
3 a) Art. 29 gewährt des Vereinigungsrecht nicht schlechthin. Es ist nur gegeben, wenn mit ihm ein bestimmtes Ziel verfolgt wird. Das Ziel besteht darin, durch gemeinsames Handeln Interessen zu verwirklichen. Das gemeinsame Handeln muß jedoch in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen der Verfassung stehen. Die Änderung gegenüber dem Entwurf, wodurch das Wort »Aufgaben« durch das Wort »Grundsätze« ersetzt wurde, hat nur redaktionelle Bedeutung. Der Sinn ist geblieben, das Grundanliegen der Verfassung zu bezeichnen. Mit dieser Zielsetzung wird die Substanz des Vereinigungsrechts beschränkt. Damit wird sein Charakter als sozialistisches Grundrecht evident. Es ist ebenso wie das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 27) und das Versammlungsrecht (s. Rz. 4 zu Art. 28) nach der marxistisch-leninistischen Grundrechtskonzeption ein Gestaltungsrecht und nach der marxistisch-leninistischen Grundrechtssystematik ein »Tochterrecht« des Rechts auf Mitgestaltung im politischen Bereich, das wiederum vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf Mitgestaltung hergeleitet wird (s. Rz. 13 zu Art. 19, 10 zu Art. 21).
4 b) Wie alle sozialistischen Grundrechte ist das Vereinigungsrecht ein Bürgerrecht. In Art. 29 wird das besonders deutlich gemacht, wenn statt der Wendung »jeder Bürger« wie in Art. 27 oder »alle Bürger« wie in Art. 28 die Wendung »die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik« verwendet ist. Das Vereinigungsrecht steht also nach Art. 29 nicht Ausländern oder Staatenlosen zu.
5 c) Die Frage, ob es auch juristischen Personen zusteht, wird in der Literatur der DDR, in der Untersuchungen speziell zum Vereinigungsrecht fehlen, nicht behandelt. Sie dürfte zu verneinen sein, obwohl in der einfachen Gesetzgebung als Vereinigungen auch Zusammenschlüsse von juristischen Personen verstanden werden (s. Rz. 10 zu Art. 29). Denn der Wortlaut des Art. 29 spricht dagegen. Aus der Zielstellung des Vereinigungsrechts ergibt sich, daß es nur für Zusammenschlüsse auf dem Boden der DDR gegeben ist.
6 d) Ob durch Art. 29 über das Recht, sich zu vereinigen, hinaus auch die Vereinigung selbst garantiert werden soll, ist eine Frage, mit der sich die Literatur der DDR ebenfalls nicht beschäftigt hat. Sie zu bejahen, dürfte vom Standpunkt der marxistisch-leninistischen Lehre bedenkenfrei sein. Denn die Vereinigung ist ein Kollektiv, das, da mit ihm Interessen vertreten werden sollen, auch eigene Interessen hat, zumindest das, ungestört zu bleiben.
7 e) Unter dem Begriff der Vereinigung im Sinne des Art. 29 sind solche jeder Art zu verstehen, ohne Rücksicht darauf, welche speziellen Interessen durch sie vertreten werden sollen. Das ergibt sich eindeutig aus der Wendung »in politischen Parteien, gesellschaftlichen Organisationen, Vereinigungen und Kollektiven«. Damit wird im Gegensatz zur Verfassung von 1949 ein Unterschied zwischen der Vereinigungsfreiheit und der Koalitionsfreiheit nicht gemacht. Die Vereinigungsfreiheit im Sinne des Art. 29 umfaßt auch das, was herkömmlich als Koalitionsfreiheit bezeichnet wird. Auf die Zahl der sich vereinigenden Bürger kommt es grundsätzlich nicht an.
8 f) Es besteht eine Brücke zwischen Art. 29 und den für das objektive Versammlungsrecht relevanten Verfassungsnormen, die zu den Grundsätzen der Verfassung zählen. Die Verfassung organisiert nicht nur den Staat im engeren Sinne, sondern auch die Gesellschaft (s. Rz. 20-22 zu Art. 1). Diese Organisation wird bestimmt durch die Suprematie der marxistisch-leninistischen Partei (Art. 1 Satz 2) (s. Rz. 28-50 zu Art. 1) sowie durch das Bündnis aller Kräfte des Volkes in der Nationalen Front der DDR, in der die Parteien und Massenorganisationen alle Kräfte des Volkes zum gemeinsamen Handeln für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft vereinigen (Art. 3). Durch die verfassungsrechtlich festgelegte Organisation der Gesellschaft werden dem im Art. 29 verankerten subjektiven Versammlungsrecht, wobei »subjektiv« im Sinne der marxistisch-leninistischen Lehre zu verstehen ist (s. Rz. 26-29 zu Art. 19), die entscheidenden Schranken gesetzt. Alle Vereinigungen, insbesondere aber die in der DDR bestehenden Satellitenparteien und die Massenorganisationen, sind unter die Suprematie der SED gestellt. Für die Satellitenparteien und Massenorganisationen ist die Zugehörigkeit zur Nationalen Front eine conditio sine qua non. Außerhalb der Nationalen Front darf keine Partei oder Massenorganisation bestehen. Welche Parteien, außer der SED, und Massenorganisationen in der DDR bestehen, ist in Rz. 17-28 zu Art. 3 dargestellt. Durch die Zugehörigkeit der Parteien und Massenorganisationen zur Nationalen Front ist die Gewähr dafür gegeben, daß »alle Kräfte des Volkes zum gemeinsamen Handeln für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft« vereinigt sind (Art. 3 Abs. 2 Satz 1, s. Erl. zu Art. 3). Diese Zielsetzung beschränkt aber auch das Recht, sich in nicht der Nationalen Front angehörenden, unpolitischen Vereinigungen zusammenzuschließen. Vereinigungen auf kulturellem Gebiet sind verpflichtet, die in Art. 18 Abs. 1 festgelegten spezifischen Ziele auf dem Gebiete der Kulturpolitik zu verfolgen. Welche derartigen Vereinigungen in der DDR bestehen, ist in Rz. 49-51 zu Art. 18 dargestellt. Vereinigungen auf den Gebieten des Sports, der Körperkultur und der Touristik haben die in Art. 18 Abs. 3 bestimmten Ziele zu verfolgen. Deren Organisation ist den Rz. 55-57 zu Art. 18 zu entnehmen.
2. Sonderregelungen
9 a) Bestimmte Vereinigungen werden durch die Verfassung privilegiert. Dazu gehört vor allem die verfassungsrechtliche Verankerung der Suprematie der SED in Art. 1 Satz 2 (s. Rz. 28-40 zu Art. 1), ferner die verfassungsrechtliche Festlegung der Stellung der Nationalen Front in Art. 3 (s. Rz. 1-16 zu Art. 3). Dagegen enthält die Verfassung von 1868/1974 nicht mehr das Privileg für bestimmte Vereinigungen zur Einreichung von Wahlvorschlägen (s. Rz. 1 zu Art. 29). Unter den Massenorganisationen wird dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) durch Art. 44 und 45 eine besondere Stellung eingeräumt. In Art. 46 wird ferner die Stellung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften als »freiwilliger Vereinigungen der Bauern zur gemeinsamen, sozialistischen Produktion« verfassungsrechtlich festgelegt (s. Erl. zu Art. 44, 45 und 46). Art. 44-46 sind lex specialis im Verhältnis zu Art. 29.
10 b) Eine Spezialregelung enthält ferner Art. 42 Abs. 2. Ihr zufolge können von den staatlichen Organen, den Betrieben und Genossenschaften Vereinigungen und Gesellschaften gebildet werden. Hier handelt es sich um die Vereinigung von Staatsorganen und von bzw. mit juristischen Personen, die nicht unter Art. 29 fallen (s. Rz. 5 zu Art. 29). Vereinigungen von Kollektiven von Bürgern, deren Organe Staatsorgane sind, sind die Gemeindeverbände, von denen die Art. 4l und 43 im Zusammenhang mit der Stellung der Betriebe, Städte und Gemeinden handeln (s. Erl. zu Art. 41 und 84).
11 c) Privatwirtschaftliche Vereinigungen zur Begründung wirtschaftlicher Macht sind verfassungsrechtlich nach Art. 14 Abs. 1 verboten (s. Rz. 16 zu Art. 14).
12 d) Nicht unter Art. 29 fallen die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften. Ihre Stellung wird in Art. 39 behandelt (s. Rz. 12 ff. zu Art. 39).
3. Einschränkungen in der einfachen Gesetzgebung
13 Während die Stellung einschließlich der Aufnahme der Tätigkeit von Parteien und Massenorganisationen, die der Nationalen Front angehören, sich ausschließlich nach der Verfassung richtet und damit deren Bildung der von der SED bestimmten sozialen Wirklichkeit überlassen bleibt, verhält es sich mit den übrigen Vereinigungen anders. Bis zum 31.12.1975 bedurften sie nach der Verordnung zur Registrierung von Vereinigungen v. 9.11.1967 (GBl. DDR ⅠⅠ 1967, S. 861) zur Ausübung und damit zur Aufnahme ihrer Tätigkeit der Registrierung. Im übrigen galt das materielle Vereinsrecht der BGB weiter. Nachdem das BGB mit Wirkung vom 1.1.1976 ab für den Bereich der DDR außer Kraft gesetzt worden war [§ 15 Abs. 2 Ziff. I Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch (EG ZGB) der Deutschen Demokratischen Republik v. 19.6.1975 (GBl. DDR Ⅰ 1975, S. 517)], wurde das Vereinigungsrecht durch die Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen v. 6.11.1975 (GBl. DDR Ⅰ 1975, S. 723) auf verwaltungsrechtlicher Grundlage geregelt. Mit Wirkung vom 1.1.1976 ab trat anstelle der Registrierung der Vereinigungen deren staatliche Anerkennung. Die Verordnung vom 6.11.1975 arbeitet mit der Rechtsfigur des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Freilich trug bereits die Registrierung nach der Verordnung vom 9.11.1967 den Charakter einer Erlaubnis (s. Erl. II 3 zu Art. 29 in der Vorauflage). Aber die Verordnung vom 6.11.1975 stellt die Sach- und Rechtslage endgültig klar. Nach der Legaldefinition der Verordnung sind Vereinigungen organisierte Zusammenschlüsse von Bürgern zur Wahrnehmung ihrer Interessen und zur Erreichung gemeinsamer Ziele. Voraussetzung für die Tätigkeit von Vereinigungen ist, daß »sie in ihrem Charakter und ihrer Zielstellung den Grundsätzen der sozialistischen Gesellschaftsordnung entsprechen, ein geistig-kulturelles oder ein anderes gesellschaftliches Bedürfnis für ihre Tätigkeit besteht und diese den Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften nicht zuwiderläuft«. Damit werden auch in der einfachen Gesetzgebung die Schranken deutlich, die die Verfassung dem Vereinigungsrecht zieht. Jede Vereinigung muß nach ihrer Gründung eine Leitung sowie ein Statut, eine Satzung oder eine Ordnung haben. Die Leitung muß aus mehreren, entsprechend dem Statut gewählten Personen bestehen. Es ist also nur eine kollektive, nicht aber eine Leitung durch eine Einzelperson zulässig. Das schließt nicht aus, daß die »Leitung« einen Vorsitzenden hat. Das Statut einer Vereinigung muß folgende Festlegungen enthalten: a) Name und Sitz der Vereinigung, b) Charakter, Ziel, Tätigkeitsbereich sowie Struktur der Vereinigung, c) Aufgaben, Rechte und Pflichten sowie Einberufung und Beschlußfassung der Mitgliederversammlung bzw. der anderen durch das Statut bestimmten Organe, d) Zusammensetzung, Aufgaben, Rechte und Pflichten sowie Wählbarkeit der Leitung, e) Rechte und Pflichten der Mitglieder, f) Ein- und Austritt der Mitglieder, g) Finanzierung, Eigentumsverhältnisse, Haftung und Vertretung im Rechtsverkehr, h) Beendigung der Tätigkeit der Vereinigung und die damit verbundene Abwicklung der Geschäfte. Bereits die beabsichtigte Gründung ist beim zuständigen Organ schriftlich anzumelden. Erst nach Bestätigung der Anmeldung dürfen Gründungshandlungen vorgenommen werden. Der Antrag auf Anerkennung ist nach Gründung dem zuständigen Organ einzureichen. Es entscheidet über den Antrag: a) der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres des Rates des Stadt- oder Landkreises, wenn sich die Tätigkeit der Vereinigung auf den Stadt- oder Landkreis beschränkt; b) der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres des Bezirkes, wenn sich die Tätigkeit der Vereinigung über mehrere Kreise des Bezirks erstreckt; c) der Leiter der Hauptabteilung Innere Angelegenheiten des Ministeriums des Innern, wenn sich die Tätigkeit der Vereinigung über mehrere Bezirke erstreckt, es sich um Vereinigungen mit internationaler Bedeutung oder Vereinigungen von Bürgern anderer Staaten in der DDR handelt. Die genannten Organe haben die anerkannten Vereinigungen hinsichtlich »der Mitwirkung der Vereinigung bei der Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben« anzuleiten und zu kontrollieren. Die staatliche Anerkennung kann durch die genannten Organe widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Ohne staatliche Anerkennung darf eine Vereinigung nicht tätig werden. Wird die Anerkennung widerrufen, hat die Vereinigung ihre Tätigkeit einzustellen. Mit der Anerkennung wird die Vereinigung rechtsfähig. Ein Vereinsregister gibt es nicht mehr. Die Bestimmungen der Verordnung gelten nicht für a) die politischen Parteien, b) die in der Volkskammer vertretenen Massenorganisationen und deren Arbeits- bzw. Interessengemeinschaften, Klubs, Freundeskreise, Zirkel sowie Fachgruppen; c) die der Nationalen Front der DDR, den staatlichen Organen und Einrichtungen, den wirtschaftsleitenden Organen, den Kombinaten und volkseigenen Betrieben sowie den sozialistischen Genossenschaften angehörenden Arbeits- und Interessengemeinschaften, Klubs und Zirkel und Gruppen des kulturellen sowie künstlerischen Volksschaffens, d) Gemeinschaften der Bürger nach dem ZGB, e) Vereinigungen und Gesellschaften, die auf der Grundlage von Rechtsvorschriften ökonomische Aufgaben durchführen. Die Verordnung enthält Bestimmungen auch für die Mitgliedschaft von Bürgern und Vereinigungen der DDR in internationalen Vereinigungen sowie Vereinigungen, die außerhalb der DDR ihren Sitz haben, und die Aufnahme von Beziehungen mit diesen sowie die Mitgliedschaft von Bürgern oder Vereinigungen anderer Staaten und Berlin (West) in Vereinigungen der DDR. Sie bedürfen der Zustimmung des zuständigen zentralen staatlichen Organs. So ist es den Behörden der DDR möglich, eine lückenlose Kontrolle über das Vereinsleben in der DDR auszuüben. Verstöße gegen die Bestimmungen der Verordnung vom 6.11.1975 werden mit Verweis oder Ordnungsstrafe bis zu 500 M, unter Umständen bis zu 1000 M geahndet.
14 Höhere Strafen sieht das politische Strafrecht vor. Wegen Zusammenschlusses zur Verfolgung gesetzwidriger Zwecke wird seit dem 1.8.1979 nach § 218 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, Verurteilung auf Bewährung, mit Haftstrafe oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Vereinigung oder Organisation bildet oder gründet oder einen sonstigen Zusammenschluß von Personen fördert oder in sonstiger Weise unterstützt oder darin tätig wird, um gesetzwidrige Ziele zu verfolgen, wenn nicht nach anderen Bestimmungen eine schwerere Strafe vorgesehen ist. Rädelsführer werden mit Freiheitsstrafe von einem bis zu acht Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. In einer dem Text des § 218 angefügten Anmerkung heißt es, daß eine andere unbefugte Gründung oder Förderung der Tätigkeit von Vereinigungen ohne gesetzwidrige Zielstellung als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann. Die Abgrenzung zwischen einer »unbefugten« und einer »ungesetzlichen« Tätigkeit bleibt unklar, sodaß dem Ermessen der Strafverfolgungsbehörden jeder Spielraum gegeben ist. Eine höhere Strafe ist nach § 107 StGB seit dem 1.8.1979 für den »verfassungsfeindlichen« Zusammenschluß vorgesehen. Wer einer Vereinigung, Organisation oder einem sonstigen Zusammenschluß von Personen angehört, die sich eine verfassungsfeindliche Tätigkeit zum Ziele setzen, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis acht Jahren bestraft. Mit Freiheitsstrafe von drei bis zwölf Jahren wird belegt, wer einen verfassungsfeindlichen Zusammenschluß herbeiführt oder dessen Tätigkeit organisiert. Wer einen solchen Zusammenschluß fördert oder in sonstiger Weise unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. (Wegen der Rechtslage bis zum 31.7.1979 s. Erl. II 3 zu Art. 29 der Vorauflage).
4. Rechtsfähigkeit in besonderen Fällen
15 a) Ohne staatlichen Akt haben die politischen Parteien, an ihrer Spitze die SED, und die Massenorganisationen Rechtsfähigkeit. Im übrigen kann die Rechtsfähigkeit durch Einzelakt im Wege der Rechtssetzung verliehen werden. Das war der Fall bei der Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Leitungen und Gemeinschaften des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) [Anordnung über die Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Leitungen und Gemeinschaften des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) v. 5.7.1966 (GBl. DDR II 1966, S. 544); heute: Anordnung über die Rechtsfähigkeit des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR v. 12.12.1979 (GBl. DDR I 1979, S. 456)] und an den Allgemeinen Deutschen Motorsportverband (ADMV) und seine Motorsportclubs [Anordnung über die Verleihung der Rechtsfähigkeit an den Allgemeinen Deutschen Motorsportverband (ADMV) und seine Motorsportclubs v. 2.11.1961 (GBl. DDR II 1961, S. 493)] (s. Rz. 55 und 57 zu Art. 18). Es ist auch vorgekommen, daß Vereinigungen durch staatlichen Einzelakt gegründet wurden. Das war mit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) (s. Rz. 44-46 zu Art. 7) geschehen, die durch Verordnung vom 7.8.1952 als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet wurde [Verordnung über die Bildung der »Gesellschaft für Sport und Technik« v. 7.8.1952 (GBl. DDR 1952, S. 712); heute: Verordnung über die Gesellschaft für Sport und Technik v. 10.9.1968 (GBl. DDR II 1968, S. 779)].
16 b) § 2 Abs. 3 der Verordnung vom 6.11.1975 [Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen v. 6.11.1975 (GBl. DDR Ⅰ 1975, S. 723)] verfügt nunmehr generell, daß die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen durch besondere Rechtsvorschriften bestimmt werden können. Auf der Grundlage dieser Bestimmungen wurde durch Anordnung vom 23.3.1976 [Anordnung über die Verleihung der Rechtsfähigkeit an Verbände und Gesellschaften auf dem Gebiete der Kultur v. 23.3.1976 (GBl. DDR I 1976, S. 198)] folgenden Vereinigungen Rechtsfähigkeit verliehen: - dem Schriftstellerverband der DDR, - dem Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR, - dem Verband der Bildenden Künstler der DDR, - dem Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR, - dem Verband der Theaterschaffenden der DDR, - dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, - der Goethe-Gesellschaft, - der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, - der Winkelmann-Gesellschaft, - der Neuen Bach-Gesellschaft, - der Robert Schumann-Gesellschaft, - der Chopin-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik.
5. Vereinigungspflicht
17 Da das Recht auf Vereinigung ein »Tochterrecht« des Rechts auf Mitgestaltung im politischen Bereich ist und für die Verwirklichung dieses Rechts eine moralische Pflicht besteht (s. Rz. 26, 27 zu Art. 21), ist es folgerichtig, eine Pflicht auch zur Vereinigung anzunehmen. Die Verfassung hat eine derartige Pflicht nicht konstituiert. Für die Annahme einer derartigen Pflicht ist aber die rechtliche Konstituierung nicht erforderlich, ja, sie würde nach der marxistisch-leninistischen Lehre in früherer Version (s. Rz. 72-75 zu Art. 19) sogar dem Wesen einer Moralnorm widersprechen. Für eine derartige Pflicht spricht, daß die sozialistische Gesellschaft eine organisierte Gesellschaft ist, die nach Möglichkeit auch noch den letzten Bürger erfassen soll (s. Rz. 2 zu Art. 3). Die Organisation der Gesellschaft wird durch die Ausübung sozialen Drucks auf jeden Bürger, sich irgendwie zu organisieren, erreicht. Durch die Mitgliedschaft zu einer politischen Partei oder einer Massenorganisation zeigt der Bürger wenigstens äußerlich den Stand seines Bewußtseins. Die Höhe des sozialistischen Bewußtseins bestimmt den Rang des Bürgers innerhalb der Gesellschaft und sein berufliches Fortkommen. Deshalb kann sich kaum ein Bürger der Zugehörigkeit zu einer Massenorganisation, unter Umständen sogar zu mehreren, entziehen (s. Rz. 24 zu Art. 3). Der soziale Druck zum Beitritt zu einer Massenorganisation ist stärker als der, an ihren Veranstaltungen teilzunehmen (s. Rz. 22 zu Art. 28). Ein ähnlich starker Druck kann auch auf Bürger, die auf ein berufliches Fortkommen, besonders innerhalb der Staatsorganisation, Wert legen, zum Beitritt zu einer politischen Partei, vor allem zum Beitritt zur SED, ausgeübt werden.
6. Element der sozialistischen Demokratie
18 Somit wird das Vereinigungsrecht ebenso wie das Recht auf Meinungsäußerung und auf Versammlung in seiner durch die Zielsetzung beschränkten Substanz, gekoppelt mit einer moralischen Pflicht, zu einem Element der sozialistischen Demokratie (s. Rz. 31-34 zu Art. 2).
III. Garantien des Vereinigungsrechts
1. Durch die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung und die Gewährleistung von Gesetzlichkeit und Rechtssicherheit
19 Die Verfassung enthält in Art. 29 keine Garantien des Vereinigungsrechts. Für sie wird offenbar die politische Garantie durch die sozialistische Gesellschafts- und Staatsordnung (s. Rz. 24 zu Art. 19) und die juristische Garantie durch Art. 19 (s. Rz. 25 zu Art. 19) verfassungsrechtlich für ausreichend gehalten.
2. Durch die staatlichen Organ
20 In der einfachen Gesetzgebung wird für die registrierten Vereinigungen eine Garantie für die Ausübung ihrer Tätigkeit gegeben. In § 4 Verordnung vom 9.11.1967 [Verordnung zur Registrierung von Vereinigungen v. 9.11.1967, GBl. DDR ⅠⅠ 1967, S. 861)] war den staatlichen Organen aufgetragen worden, im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu gewährleisten, daß registrierte Vereinigungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben entsprechend unterstützt wurden. Die Verordnung vom 6.11.1975 [Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen v. 6.11.1975 (GBl. DDR Ⅰ 1975, S. 723)] enthält eine entsprechende Vorschrift nicht mehr. (Wegen der Einhaltung der politischen UN-Menschenrechtskonvention s. Rz. 42-44 zu Art. 19).
Vgl. Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik mit einem Nachtrag über die Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989 und das Ende der sozialistischen Verfassung, Kommentar Siegfried Mampel, Dritte Auflage, Keip Verlag, Goldbach 1997, Seite 723-730 (Verf. DDR Komm., Abschn. Ⅱ, Kap. 1, Art. 29, Rz. 1-20, S. 723-730).
Dokumentation Artikel 29 der Verfassung der DDR; Artikel 29 des Kapitels 1 (Grundrechte und Grundpflichten der Bürger) des Abschnitts Ⅱ (Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 6. April 1968 (GBl. DDR Ⅰ 1968, S. 211) in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974 (GBl. DDR I 1974, S. 441). Die Verfassung vom 6.4.1968 war die zweite Verfassung der DDR. Die erste Verfassung der DDR ist mit dem Gesetz über die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.10.1949 (GBl. DDR 1949, S. 5) mit der Gründung der DDR in Kraft gesetzt worden.