(1) Die Volkskammer ist das oberste staatliche Machtorgan der Deutschen Demokratischen Republik. Sie entscheidet in ihren Plenarsitzungen über die Grundfragen der Staatspolitik.
(2) Die Volkskammer ist das einzige verfassungs- und gesetzgebende Organ in der Deutschen Demokratischen Republik. Niemand kann ihre Rechte einschränken. Die Volkskammer verwirklicht in ihrer Tätigkeit den Grundsatz der Einheit von Beschlußfassung und Durchführung.

Verfassung der Deutschen Demokratische Republik (DDR) von 1949 bis 1990, Foto 7
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I. Vorgeschichte

1. Unter der Verfassung von 1949

1 a) Art. 50 der Verfassung von 1949 bezeichnete die Volskammer als »höchstes Organ der Republik«. Er war dem Art. 30 der Verfassung der UdSSR vom 5.12.1936 nachgebildet, der lautete: »Das höchste Organ der Staatsgewalt der UdSSR ist der Oberste Sowjet der UdSSR.«

2 b) Im Zuge der Einführung des Strukturpinzips des demokratischen Zentralismus (s. Rz. 2 zu Art. 47) wurden die Volksvertretungen, also auch die Volkskammer, in der Präambel des Gesetzes über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen v. 18.1.1957 (GBl. DDR Ⅰ 1957, S. 65) als beschließende und durchführende Organe des einheitlichen Systems der Arbeiter-und-Bauern-Macht bezeichnet.


2. Entwurf

3 Gegenüber dem Entwurf ist keine Veränderung zu verzeichnen.

II. Die Volkskammer als oberstes staatliches Machtorgan der DDR

1. Charakter der Volkskammer

4 a) Art. 48 Abs. 1 Satz 1 schließt an Art. 5 an. Die Bezeichnung der Volkskammer als »oberstes staatliches Machtorgan« bedeutet, daß in ihr an der Spitze der Staatsorganisation die politische in staatliche Macht transformiert wird (s. Rz. 1-12 zu Art. 5). Sie ist das Organ, in dem an oberster Stelle die gesamte Staatsgewalt konzentriert ist (s. Rz. 21-32 zu Art. 5). Andererseits sind ihr alle anderen Volksvertretungen entsprechend dem Strukturprinzip des demokratischen Zentralismus (s. Rz. 7-14 zu Art. 2) unterstellt.

5 b) Wenn Art. 48 Abs. 1 Satz 1 sie statt als »höchstes« Organ wie Art. 50 der Verfassung von 1949 als »oberstes« Organ bezeichnet, so kann diesem Wechsel symptomatische Bedeutung beigemessen werden. Bis zur Verfassung von 1968/1974 war die Bezeichnung »oberstes« Organ - freilich mit der Einschränkung »in ihrem Wirkungsbereich« - den örtlichen Volksvertretungen Vorbehalten [Z. B. in dem Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik zu den Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe v. 28.6.1961 (GBl. DDR Ⅰ 1961, S. 51) und den Ordnungen über die Aufgaben und die Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe v. 28.6.1961 (GBl. DDR Ⅰ 1961, S. 52)]. Wenn nunmehr auch die Volkskammer als oberstes Machtorgan bezeichnet wird, so wird damit deutlich, daß sie unter der Suprematie der SED steht, mag das mit dieser Formulierung beabsichtigt sein oder nicht.

6 c) Als Ort der Transformation von politischer Macht, die im sozialistischen Staat ausgeübt wird, in staatliche Macht, ist die Volkskammer kein Parlament im herkömmlichen Sinne (s. Rz. 9 zu Art. 5). Für den Charakter der Volkskammer gilt nach wie vor, was Gerhard Schulze (Die Organe der Staatsmacht. ..) im Jahre I960 feststellte:
»Durch die Volksvertretung übt die Arbeiterklasse im Bündnis mit der werktätigen Bauernschaft, der Intelligenz und allen anderen werktätigen Schichten des Volkes unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die Staatsmacht in der Deutschen Demokratischen Republik aus. Die Volksvertretungen verwirklichen so als Transmissionen der Partei der Arbeiterklasse die Funktionen der Diktatur des Proletariats. Sie verbinden die Partei mit Hilfe der Nationalen Front, der Gewerkschaften und der anderen gesellschaftlichen Organisationen immer fester mit der Arbeiterklasse und dem ganzen werktätigen Volk und fuhren die Volksmassen immer besser auf dem Weg zur selbständigen und bewußten Gestaltung der neuen sozialistischen Gesellschaft.
In ihrer gesamten Arbeit werden die Volksvertretungen von der marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, geführt. Die Partei macht ihre Beschlüsse, in denen die Erkenntnis der objektiven Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung zum Sozialismus zum Ausdruck kommt, zur Grundlage der leitenden Tätigkeit der Volksvertretungen und ihrer Organe. Auf der Grundlage der Führung durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist es die Funktion der Volksvertretungen, unter aktiver Einbeziehung der Werktätigen die konkreten, der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung entsprechenden Schritte und Maßnahmen zu bestimmen, in denen sich der sozialistische Umwälzungsprozeß in der Deutschen Demokratischen Republik vollzieht, der gesamten Bevölkerung die gesellschaftlich notwendigen Aufgaben bewußt zu machen und die Menschen in immer höheren Formen des gemeinschaftlichen sozialistischen Handelns zur Lösung dieser Aufgaben zusammenzuführen. Dadurch beschleunigen die Volksvertretungen den Prozeß der Überwindung der alten, vom Kapitalismus überkommenen individualistischen Denk- und Lebensgewohnheiten der Menschen und die Hebung ihres Bewußtseins und ihrer Lebenspraxis auf das Niveau der bewußten Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung.«
Nach dem Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« (S. 319) verwirklicht die Volkskammer die politische Macht der von der Arbeiterklasse und ihrer Partei geführten Werktätigen auf der Grundlage des Prinzips des demokratischen Zentralismus.

7 d) Die Garantie für die Wahrung des Charakters liegt in der Gestaltung des objektiven Wahlrechts (s. Rz. 15 ff. zu Art. 22).

8 e) Indessen ist die Erklärung der Volkskammer zum obersten staatlichen Machtorgan nur formeller Natur. Schon vor der Geltung der Verfassung von 1949 war bis zur Schaffung des Staatsrats im Jahr I960 ihre Stellung durch die Regierung (den Ministerrat) beeinträchtigt (Gottfried Zieger, Die Organisation der Staatsgewalt ..., S. 197/198). Mit seiner Konstituierung wurde dem Staatsrat eine derartige Machtfülle übertragen, daß ihm gegenüber die Volkskammer und auch der Ministerrat in den Hintergrund traten (s. Rz. 17 zu Art. 66). Obwohl am 3.5.1971 die Personalunion in den Ämtern des Ersten Sekretärs des ZK der SED und des Vorsitzenden des Staatsrates durch die Ablösung Walter Ulbrichts von seinem Parteiamt zunächst gelöst worden war und der Staatsrat einen Kompetenzverlust erlitten hatte (s. Rz. 21 zu Art. 66), änderte sich an der nur formellen Natur der Erklärung der Volkskammer zum obersten staatlichen Machtorgan nichts. Nicht so sehr die Volkskammer, sondern der Ministerrat erfuhr eine Aufwertung (s. Rz. 12 und 27 zu Art. 76).


2. Grundkompetenz

9 Gleichsam als Grundkompetenz legt Art. 48 Abs. 1 Satz 2 fest, daß die Volkskammer in Plenarsitzungen über die Grundfragen der Staatspolitik entscheidet.

10 a) § 1 Satz 1 der Geschäftsordnung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik v. 14.7.1967 (GBl. DDR Ⅰ 1967, S. 101) bezeichnete das Plenum als das höchste Organ der Volkskammer. Die Geschäftsordnung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik v. 12.5.1969 (GBl. DDR Ⅰ 1969, S. 21) verzichtete auf diese Festlegung. Seitdem ist der eigenartige Zustand beseitigt, daß zwischen der Volkskammer als Staatsorgan und der Gesamtheit ihrer Mitglieder (als Plenum) ein Unterschied gemacht wird.
Wenn die Verfassung in den folgenden Artikeln von »Tagungen« der Volkskammer spricht, so ist nichts anderes gemeint, als was der Begriff »Plenarsitzungen« in Art. 48 Abs. 1 Satz 2 besagt.

11 b) Eine nähere Erläuterung des Begriffs »Grundfragen der Staatspolitik« wird nicht gegeben. Es handelt sich hier um eine Formel, die erst in der Praxis mit Inhalt gefüllt wird. Wegen der Suprematie der SED werden die Grundfragen der Staatspolitik indessen in der Verfassungswirklichkeit von den höchsten Gremien der SED (s. Rz. 46 zu Art. 1) entschieden. Die Volkskammer vollzieht nur das nach, was bereits von diesen festgelegt ist. Nach dem Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« (S. 322) läßt sich die Volkskammer in ihren Entscheidungen von den Beschlüssen der SED leiten, »die auf die Durchsetzung der objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung gerichtet sind und die von den gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen und Möglichkeiten ausgehen«.

12 c) Wenn die Volkskammer in Art. 48 Abs. 2 Satz 1 als das einzige verfassungs- und gesetzgebende Organ in der DDR bezeichnet wird, so wird damit klargestellt, daß sie entsprechend dem Strukturprinzip der Gewaltenkonzentration Konstituante und Legislative in einem ist.

13 d) Ob mit der Erklärung der Volkskammer zur Konstituante das Volk als Verfassungsgeber völlig ausgeschaltet werden soll, ist fraglich. Auf jeden Fall macht es jedoch die Verfassung unmöglich, daß aus dem Volk heraus eine Initiative zur Änderung der Verfassung oder gar zur Schaffung einer neuen Verfassung entwickelt wird. Denn auf jeden Fall ist die Herbeiführung einer Entscheidung des Volkes vom Willen der Volkskammer abhängig, denn nur sie kann nach Art. 53 die Durchführung von Volksabstimmungen beschließen. Wohl wäre es aber möglich, daß die Volkskammer beschließt, eine Verfassungsänderung oder eine neue Verfassung zur Volksabstimmung zu stellen. Bei Verfassungsänderungen durch die Volkskammer ist nach Art. 63 Abs. 2 Satz 2 die Notwendigkeit der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der gewählten Abgeordneten und nach Art. 106 die Notwendigkeit der Änderung oder der Ergänzung des Wortlautes der Verfassung zu beachten. Falls die Volkskammer Verfassungsänderungen oder -ergänzungen dem Volk zur Abstimmung gern. Art. 53 vorlegt, wären wohl Art. 63 Abs. 2 Satz 2 und Art. 106 unbeachtlich. Die Frage freilich, ob ein Beschluß der Volkskammer auf Durchführung einer Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung oder -ergänzung eine Zweidrittelmehrheit nach Art. 63 Abs. 2 Satz 2 erfordert, dürfte zu bejahen sein. Indessen ist sie theoretisch, da die Volkskammer ohnehin alle Gesetze - bis auf eine Aufnahme - bisher einstimmig angenommen hat (s. Rz. 14 zu Art. 63) und kein Grund ersichtlich ist, aus dem sie das auch in Zukunft nicht tun sollte.

14 e) Wenn die Volkskammer als einziges gesetzgebendes Organ in der DDR bezeichnet wird, so ist sie doch nicht das einzige Organ, das zur Setzung von Rechtsnormen kompetent ist. Außer der Volkskammer sind nämlich zur Setzung von Rechtsnormen befugt:
- der Staatsrat durch Beschlüsse (Art. 66 Abs. 1 Satz 3),
- der Ministerrat durch Verordnungen und Beschlüsse (Art. 78 Abs. 2, § 8 Abs. 2 Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik (MinRG) v. 16.10.1972 (GBl. DDR Ⅰ 1972, S. 253)),
- das Präsidium des Ministerrats durch Verordnungen und Beschlüsse (Art. 80 Abs. 2, § 11 Abs. 2 Ministerratsgesetz von 1972),
- der Vorsitzende des Ministerrats durch Anordnungen (§ 12 Abs. 4 Satz 1 Ministerratsgesetz von 1972),
- die Mitglieder des Ministerrates durch Anordnungen und Durchführungsbestimmungen (§ 8 Abs. 3 Satz 1 Ministerratsgesetz von 1972),
- die Leiter zentraler Staatsorgane, die nicht Mitglieder des Ministerrats sind, durch Anordnungen und Durchführungsbestimmungen, wenn ihnen das Recht zum Erlaß von Rechtsvorschriften übertragen worden ist (§ 8 Abs. 3 Satz 2 Ministerratsgesetz von 1972),
- der Nationale Verteidigungsrat durch Anordnungen und Beschlüsse im Rahmen seines Aufgabenbereichs (s. Rz. 17-22 zu Art. 73) (§ 2 Abs. 1 Satz 3 Gesetz über die Landesverteidigung der Deutschen Demokratischen Republik (Landesverteidigungsgesetz) v. 13.10.1978 (GBl. DDR Ⅰ 1978, S. 377)),
- der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission im Rahmen seines Verantwortungsbereichs durch Anordnungen, Durchführungsbestimmungen und Richtlinien (§ 7 Abs. 4 Statut der Staatlichen Plankommission - Beschluß des Ministerrates v. 9.8.1973 (GBl. DDR Ⅰ 1973, S. 417)),
- die örtlichen Volksvertretungen durch Beschlüsse, die für ihre Organe und Einrichtungen sowie für die Volksvertretungen, Gemeinschaften und Bürger ihres Gebietes verbindlich sind (Art. 82 Abs. 1 Satz 1), insbesondere die Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen durch Stadtordnungen oder Ortssatzungen (§ 55 Abs. 6 Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik (GöV) v. 12.7.1973 (GBl. DDR Ⅰ 1973, S. 313)) (s. Rz. 6-24 zu Art. 82).
Die von volkseigenen Kombinaten in der Form des Statuts oder von Ordnungen und von VEB z. B. in Arbeitsordnungen (§ 29 Verordnung über die Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe v. 8.11.1979 (GBl. DDR Ⅰ 1979, S. 355), §§ 91, 92 Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (AGB) v. 16.6.1977 (GBl. DDR Ⅰ 1977, S. 185)) erlassenen Normen gelten nicht als Rechtsnormen, sondern als »normative Leitungsentscheidungen«. Dieser Begriff ist unklar (s. Rz. 49 und 74 zu Art. 42).
Die Kompetenz der Volkskammer zur Rechtsetzung bedeutet also die Befugnis, durch Gesetze im formellen Sinne Recht zu setzen. (Wegen der Rangordnung der Rechtsnormen s. Rz. 10-13 zu Art. 49, wegen der Kriterien der Entscheidung, welche Form Rechtsvorschriften erhalten sollen, s. Rz. 39 zu Art. 76).

15 f) Wenn in Art. 48 Abs. 2 Satz 2 verkündet wird, daß niemand die Rechte der Volkskammer einschränken dürfe, so ist dieser Satz im Gesamtzusammenhang der Verfassung zu lesen. Unter »niemand« fallen nicht die Kräfte, die die politische Macht in der DDR verfassungsmäßig ausüben, an der Spitze die SED. Ihre Suprematie bleibt also unberührt.
Art. 48 Abs. 2 Satz 2 ist das Ergebnis einer Reflexion von Verhältnissen, die nach der marxistisch-leninistischen Staatslehre in den vorsozialistischen Ordnungen herrschten und noch herrschen. Da in diesen Ordnungen die Ausbeuterklassen ihre Macht auch dann ausübten (s. Rz. 3 zu Art. 1), wenn ein vom Volk gewähltes Parlament bestehe, und unter Umständen die verfassungsrechtliche Stellung des Parlaments durch ihre Wirtschaftsmacht überspielten, soll Entsprechendes auf keinen Fall in der sozialistischen Ordnung möglich sein. Andererseits wird damit das Strukturprinzip der Gewalteneinheit (s. Rz. 21-32 zu Art. 5) ausdrücklich bestätigt. In diesem Zusammenhang ist diese Bestätigung dafür maßgebend, daß die höchste Volksvertretung nicht der Jurisdiktion eines Organs der Dritten Gewalt, also etwa einem Verfassungsgericht, unterstellt ist. Über Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften, d. h. also auch über die von ihr selbst erlassenen Gesetze, entscheidet die Volkskammer (Abt. 89 Abs. 3 Satz 2). Sie übt also die Funktion eines Verfassungsgerichts selbst aus.

16 g) Ein Indiz für die geringe Bedeutung der Volkskammer ist die Zahl ihrer Plenarsitzungen. Die Volkskammer tagt nicht periodisch, sondern in der Regel nur jeweils für einen Tag. Sitzungen auf zwei aufeinanderfolgenden Tagen sind eine Ausnahme. Die Plenarsitzungen der Volkskammer sind sehr selten. So tagte die am 2.7.1967 gewählte Volkskammer bis zum 30.6.1971 nur zwanzigmal, und zwar fünfmal im Jahr 1967 (13.7., 14.7., 20.9., 1.12., 15.12.), siebenmal im Jahr 1968 (12.1., 31.1., 26.3., 11.6., 9.8., 15.11., 13-12.), dreimal 1969 (12.5., 24.9., 17.12.), viermal im Jahr 1970 (31.3., 15.5., 16.9., 14.12.) und nur einmal im Jahre 1971 (24.6.).
Die am 14.11.1971 gewählte Volkskammer tagte sogar nur achtzehnmal, und zwar dreimal im Jahre 1971 (26.11., 29.11. und 20.12.), viermal im Jahre 1972 (9.3., 19-7., 16.10., 14.12.), viermal im Jahre 1973 (13.6., 12.7., 3.10., 19.12.), viermal im Jahre 1974 (28.1., 27.9., 7.10., 19.12.), je zweimal in den Jahren 1975 und 1976 (19.6., 5.12.1975, 5.2., 24.6.1976). Die am 17.10.1976 gewählte Volkskammer brachte es bis zum Ende ihrer Wahlperiode auf insgesamt nur 13 Sitzungen (1976 dreimal: am 29.10., 1.11., 15.12.; 1977 dreimal: 7.4., 16.6. und 21.12., 1978 bis 1980 dann nur noch je zweimal: 13.10. und 15.12.1978, 28.6. und 21.12.1979, 3.7.und 17.12.1980 sowie am 2.4.1981.
Die am 14.6.1981 gewählte Volkskammer hielt bis zum 1.9.1981 zwei Sitzungen ab (25. und 26.6.1981). Gemessen an der Zahl der Plenarsitzungen hat sich die Bedeutung der Volkskammer also ständig vermindert. Das steht in einem seltsamen Gegensatz zu der im Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« (S. 319) vertretenen Auffassung, die Funktion und Verantwortung der Volkskammer seien seit der Verfassungsnovelle von 1974 »weiter gestärkt und ausgebaut« worden.

17 h) Der Schwerpunkt der Tätigkeit der Volkskammer liegt in der ihrer Abgeordneten (Art. 56-60) und ihrer Ausschüsse (Art. 61).


3. Die Kompetenzen im einzelnen

18 a)    Zusammenfassung. Außer in Art. 48 sind in Art. 49-53, 55, 64, 65 Abs. 3 weitere Befugnisse der Volkskammer festgelegt. Zusammengefaßt hat sie folgende Kompetenzen:

(1) über die Grundfragen der Staatspolitik zu entscheiden (Art. 48 Abs. 1 Satz 2),
(2) durch Gesetze und Beschlüsse endgültig und für jedermann verbindlich die Ziele der Entwicklung der DDR zu bestimmen (Art. 49 Abs. 1),
(3) über die öffentlichen Diskussionen von Gesetzentwürfen zu entscheiden (Art. 65 Abs. 3),
(4) ihr Präsidium zu wählen und sich eine Geschäftsordnung zu geben (Art. 55),
(5) die Verwirklichung ihrer Gesetze und Beschlüsse zu gewährleisten (Art. 49 Abs. 3 Satz 1),
(6) die Hauptregeln für das Zusammenwirken der Bürger, Gemeinschaften und Staatsorgane sowie deren Aufgaben bei der Durchführung der staatlichen Pläne der gesellschaftlichen Entwicklung festzulegen (Art. 49 Abs. 2),
(7) die Grundsätze der Tätigkeit des Staatsrates, des Ministerrates, des Nationalen Verteidigungsrates, des Obersten Gerichts und des Generalstaatsanwaltes zu bestimmen (Art. 49 Abs. 3 Satz 2),
(8) den Vorsitzenden und die Mitglieder des Staatsrates, den Vorsitzenden und die Mitglieder des Ministerrates, den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates, den Präsidenten und die Richter des Obersten Gerichts und den Generalstaatsanwalt zu wählen und abzuberufen (Art. 50),
(9) die Verantwortlichkeit des Staatsrates (Art. 66 Abs. 1 Satz 2), des Nationalen Verteidigungsrates (Art. 73 Abs. 2 Satz 2), des Ministerrates (Art. 76 Abs. 1 Satz 3), des Obersten Gerichts (Art. 93 Abs. 3) und des Generalstaatsanwalts (Art. 98 Abs. 4) wahrzunehmen,
(10) Staatsverträge der DDR und andere völkerrechtliche Verträge, soweit durch sie Gesetze der Volkskammer geändert werden, zu bestätigen und über die Kündigung dieser Verträge zu entscheiden (Art. 51),
(11) den Verteidigungszustand zu beschließen, allerdings nicht im Dringlichkeitsfall (Art. 52),
(12) die Durchführung von Volksabstimmungen zu beschließen (Art. 53),
(13) über Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften zu entscheiden (Art. 89 Abs. 3 Satz 2),
(14) über den Tag ihres Zusammentritts Beschluß zu fassen (Art. 62 Abs. 3),
(15) sich selbst aufzulösen (Art. 64),
(16) über ihre Tagesordnung nach dem Vorschlag ihres Präsidiums zu beschließen (§ 9 Abs. 1 und 2 Geschäftsordnung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik v. 7.10.1974 (GBl. DDR Ⅰ 1974, S. 469)),
(17) über den Einspruch gegen die Gültigkeit ihrer Wahl zu entscheiden (§ 1 Abs. 3 Geschäftsordnung von 1974, § 43 Abs. 2 Gesetz über die Wahlen zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik - Wahlgesetz - v. 24.6.1976 (GBl. DDR Ⅰ 1976, S. 301) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung straf- und strafverfahrensrechtlicher Bestimmungen und des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (3. Strafrechtsänderungsgesetz) v. 28.6.1979 (GBl. DDR Ⅰ 1979, S. 139)),
(18) über die Aufhebung des Mandats eines Abgeordneten der Volkskammer und über die Abberufung eines Abgeordneten zu beschließen oder das Erlöschen des Mandats eines Volkskammerabgeordneten festzustellen (§ 46 Abs. 2-4 Geschäftsordnung von 1974, § 47 Wahlgesetz von 1976 (s. Rz. 8 ff. zu Art. 57).

19 b) Keine Teilung der Kompetenzen mit dem Staatsrat mehr. Bis zur Verfassungsnovelle von 1974 erfüllte der Staatsrat als Organ der Volkskammer zwischen den Tagungen der Volkskammer alle grundsätzlichen Aufgaben, die sich aus den Gesetzen und Beschlüssen der Volkskammer ergaben (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 a.F.). Obwohl bis dahin der Staatsrat die Kompetenzen der Volkskammer in der Zeit, in der sie nicht tagte - das bedeutete wegen der Seltenheit ihrer Tagungen fast permanent -, ausüben durfte, verblieben der Volkskammer einige, die wegen der Natur der Sache nur sie allein ausüben konnte.
Diese konnten als »ausschließliche Kompetenzen« der Volkskammer bezeichnet werden (s. Erl. II 3b zu Art. 48 in der Vorauflage). Seit der Verfassungsnovelle von 1974 nimmt der Staatsrat nur die Aufgaben wahr, die ihm durch die Verfassung sowie die Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer übertragen sind (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 n. F.). Die Kompetenzen sind jetzt zwischen Volkskammer und Staatsrat verteilt. Damit ist die Unterscheidung zwischen solchen Kompetenzen, die sowohl die Volkskammer wie auch der Staatsrat ausüben können, und solchen, die ausschließlich der Volkskammer zustehen, hinfällig geworden.


4. Bestätigung des Prinzips der Gewalteneinheit

20 Der Satz über die Verwirklichung des Grundsatzes der Einheit von Beschlußfassung und Durchführung in der Tätigkeit der Volkskammer (Art. 48 Abs. 2 Satz 3) bestätigt abermals das Strukturprinzip der Gewalteneinheit. Der Satz von W. I. Lenin (Staat und Revolution, S. 19) über den Grundsatz der Einheit von Beschlußfassung und Durchführung wird durch Art. 48 Abs. 2 Satz 3 für die Volkskammer in Verfassungsrang erhoben. Nach dem Lehrbuch »Staatsrecht der DDR« (S. 322) geht die Volkskammer von dem durch die Klassiker des Marxismus-Leninismus entwickelten Prinzip aus, daß im Sozialismus die Volksvertretungen keine parlamentarischen, sondern »arbeitende Körperschaften« sind. Dieses Prinzip umfasse alle Seiten der Organisation und Tätigkeit sozialistischer Volksvertretungen. Die Volkskammer wirke u. a. als arbeitende Körperschaft, indem sie ihre Aufgaben, Rechte und Pflichten durch ihre Tagungen, ihr Präsidium, ihre Ausschüsse und durch das Wirken ihrer Abgeordneten in den Wahlkreisen, Arbeitskollektiven und Wohngebieten sowie durch die von ihr gebildeten zentralen Organe der Staatsmacht, vor allem durch den Ministerrat wahrnehme. Die schon vor der Verfassungsnovelle von 1974 zu beobachtende Aufwertung des Ministerrats (auf Kosten des Staatsrates, s. Rz. 12 zu Art. 76) läuft nach dieser Auffassung auf das hinaus, was als Stärkung und Ausbau der Funktion und Verantwortung der Volkskammer ausgegeben wird (s. Rz. 16 zu Art. 48).


5. Stützung auf die aktive Mitgestaltung der Bürger

21 Auch für die Volkskammer gilt Art. 5 Abs. 2 Satz 2. Sie hat sich also in ihrer Tätigkeit auf die aktive Mitgestaltung der Bürger an der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle ihrer Entscheidungen zu stützen (s. Rz. 37 zu Art. 5).
Freilich ist eine konstitutive Teilnahme, also eine Teilnahme, bei der Bürger mitentscheiden dürfen, auf der obersten Stufe nicht gegeben (Siegfried Mampel, Teilnahme der Bürger im politischen System der DDR, S. 105).

Vgl. Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik mit einem Nachtrag über die Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989 und das Ende der sozialistischen Verfassung, Kommentar Siegfried Mampel, Dritte Auflage, Keip Verlag, Goldbach 1997, Seite 912-919 (Verf. DDR Komm., Abschn. Ⅲ, Kap. 1, Art. 48, Rz. 1-21, S. 912-919).

Dokumentation Artikel 48 der Verfassung der DDR; Artikel 48 des Kapitels 1 (Die Volkskammer) des Abschnitts Ⅲ (Aufbau und System der staatlichen Leitung) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 6. April 1968 (GBl. DDR Ⅰ 1968, S. 214) in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974 (GBl. DDR I 1974, S. 446). Die Verfassung vom 6.4.1968 war die zweite Verfassung der DDR. Die erste Verfassung der DDR ist mit dem Gesetz über die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.10.1949 (GBl. DDR 1949, S. 5) mit der Gründung der DDR in Kraft gesetzt worden.

In der Regel ist dies-e Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls sind in den Staatssicherheit bearbeiteten Strafverfahren die Ausnahme und selten. In der Regel ist diese Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem Untersuchungsorgan und dem Leiter der Untersuchungsabt eilurig zu übergeben. Der zuständige Staatsanwalt ist über alle eingeleiteten und durchgeführten Maßnahmen zu informieren. Mit der Betreuung von inhaftierten Ausländem aus dem nichtsozialistischen Ausland. Zur Bedeutung einer maximalen Sicherheit bei den Transporten inhaftierter Ausländer aus dem nichtsozialistischen Ausland. Zur allseitigen Vorbereitung von Transporten mit Ausländem aus dem nichtsozialistischen Ausland in den Staatssicherheit bilden weiterhin: die Gemeinsame Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft - der Befehl des Genossen Minister für. Die rdnungs-und Verhaltens in für Inhaftierte in den Staatssicherheit , Frageund Antwortspiegel zur Person und persönlichen Problemen, Frageund Antwortspiegel zu täglichen Problemen in der Einkaufsscheine, Mitteilung über bei der Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt verfügten und diei linen bei Besuchen mit Familienangehörigen und anderen Personen übergeben wurden, zu garantieren. Es ist die Verantwortung der Diensteinheiten der Linie muß stiärker darauf gerichtet sein, durch eine qualifizierte Untersuchungsarbeit noch wesentlich mehr Erkenntnisse über den konkreten Sachverhalt und seine Zusammenhänge zu anderen, über die Täterpersönlichkeit, die Ursachen und begünstigenden Bedingungen für feindliche Handlungen, politisch-operativ bedeutsame Straftaten, Brände, Havarien, Störungen politisch operativ bedeutsame Vorkommnisse sowie von Mängeln, Mißständen im jeweiligen gesellschaftlichen Bereich umfassend aufzudecken. Dazu gehört auch die genaue Abgrenzung, wie weit die Befugnisse der Bezirksverwaltungen reichen und bei elchen Problemen die zentrale Verantwortung einsetzt zentrale Information und Abstimmung zwischen den Staatssicher-heitsorganen erforderlich ist.

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