Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 17

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 17 (NJ DDR 1990, S. 17); Neue Justiz 1 90. 17 liegt in allgemeinen unspezifischen gesellschaftlichen Alltagsbedingungen, nicht in einschlägig vorbelasteten spezifischen Bedingungskomplexen. Ebenso wie viele andere Schüler, Lehrlinge und junge Facharbeiter erlebten die Probanden selbst oder durch Beobachtung anderer, daß ehrliche Anstrengung beim Lernen und im Beruf als Garantie für soziales Ansehen und den Erwerb materieller Güter wenig tauglich ist. Eine offene Auseinandersetzung mit älteren Bürgern zu daraus erwachsenden Fragen und kritischen Positionen fand nicht statt. Bevorzugte Reaktionsmuster waren Beschwichtigungsversuche und Heuchelei. Diese Reaktionsmuster wirkten als zusätzliche Verstärker der ohnehin vorhandenen Protesthaltung, in der die Suche nach Idealen und lebenden Vorbildern integraler Bestandteil ist. In dieser Situation wird jedes Ersatzangebot akzeptiert, wenn es nur die Bedingung erfüllt, konträr zur kritisierten gesellschaftlichen Realität zu liegen: Die Anhänger des Punk „stiegen aus“ mit „Null-Bock-Programm“ und der Losung „Mach kaputt, was Dich kaputt macht!“; Gruftys3 4 5 6 flüchteten .in irrationalistische Sphären und fanden über ihre Musik das lang vermißte Gefühl intensiver sozialer Beziehungen unter Gleichgesinnten; wieder andere näherten sich Angeboten kirchlicher Organisationen, um nicht nur gegen, sondern auch für etwas zu sein, beispielsweise sich einzubringen in engagierte Öko-Initiativen. In dieser verzweigten und diffusen Struktur hatten auch Skinhead-Gruppen ihren Platz, die ihre „Ersatz-Ideale“ den ursprünglichen britischen Skinheads entlehnt hatten. Rund die Hälfte der Probanden in der Untersuchungspopulation hatte bis etwa Mitte 1988 anderen Richtungen angehört, ehe die vorläufige Endstufe in einer Skinhead-Grüp-pierung erreicht wurde („Endstufe“ ist auch der Name einer Band, deren Produktionen zum Skinhead-Musikbereich gehören). Der häufig geäußerte Satz: „Ich war Punker, aber Punk gefiel mir nicht mehr. Skinhead oder Fascho'* ist besser“, war sozialwissenschaftlich zu hinterfragen. Warum gefiel manchem Probanden Punk nicht mehr? Was veranlaßte die kritische Abwendung von Punk? Die Argumentation orientiert sich dominant an habituellen Merkmalen: „Meine Eltern waren froh, daß ich nicht mehr wie ein Punk herumlief; Skinheads sind sauber und diszipliniert, also richtig .deutsch“; dort ist ein richtiger Zusammenhalt, wo man richtig dazu gehört.“ In der Regel waren es Freunde und Bekannte, die durch soziale Kontakte den Übergang vferanlaßten. Die Faszination ging jedoch vom Angebot an Wertorientierungen und Idealen aus, was sich Skinheadgruppierungen inzwischen durch Rückgriff auf das soziale Gedächtnis des Volkes angeeignet hatten, mit dem sie sich von ihrem ursprünglichen englischen Vorbild weit entfernten. Solche konkreten eindimensionalen Alternativen für aktuelle ethisch-moralische Defizite lauten: „Wir schaffen wieder den tüchtigen sauberen Deutschen, vor dem die Welt Respekt hat; wir brauchen wieder ein Volk in Begeisterung für seine Führung; wir sind fleißig und diszipliniert, Arbeitsbummelanten müssen in Lager eingesperrt werden, damit sie arbeiten; Deutschland ist seit 1945 besudelt worden und hat seine Werte verloren, nun treten wir an, um sie wieder zu erobern.“ Die gesamte Bandbreite der Argumentation deckte sich bereits 1988 über große Strecken mit den Wahlkampfparolen der Republikaner in der BRD, die erst ab der zweiten Hälfte des Jahres 1989 in unserem Land bekannt wurden. Rechtsradikale Tendenzen in der DDR sind in der Konfrontation mit dem heute allgemein anerkannten Zustand des verzerrten und deformierten Sozialismus entstanden und haben sich dabei des Rückgriffs auf die Ideologie der deutschen faschistischen Vergangenheit bedient. Herausbildung und Ausbreitung wurden durch die bis Oktober 1989 vorherrschende Unfähigkeit, sich damit problemangemessen auseinanderzusetzen, gefördert. Eine Auseinandersetzung mit den Probanden über ihr ideologisches Konzept hätte gleichzeitig einen kritischen Umgang mit unserer Wirklichkeit, mit dem gesellschaftlichen- Alltag, einschließen müssen, und das außerdem noch auf der Grundlage staatlicher Autorität. So entwickelten sich neonazistische Strömungen in der DDR synchron zum politischen, moralischen und wirtschaftlichen Verfall der Gesellschaft. Die Sozialstruktur der Probanden und ihres sozialen Umfeldes ver- weist darauf, daß keine Schicht oder Gruppe in der sozialen Struktur der Gesellschaft ausgespart wurde, was den gesamtgesellschaftlichen Charakter des Problems unterstreicht. Ursachen der Straftaten Die sozialwissenschaftliche Aufbereitung anonymer Massendaten weist auf zwei Ursachenkomplexe für die hier analysierten Straftaten hin. Es sind die Existenz einer sozialen Gruppe.,und die Existenz einer motivbildenden Ideologie. Die Gruppe ist kollektiver Träger der Ideologie, und die Ideologie reproduziert die Existenz der Gruppe durch ideologiegeleitetes praktisches Handein.5 * Rund 80 Prozent der Opfer von Gewalttaten sind fixierten Zielgruppen zuzurechnen. Die restlichen 20 Prozent umfassen willkürlich ausgewählte Opfer und solche, die in den Dokumenten5 nicht durch den Hintergrund aufhellende Informationen identifizierbar waren. Das Zielgruppenspektrum besteht aus Punks, Gruftys, ausländischen Staatsbürgern anderer Hautfarbe, homosexuellen Bürgern sowie Mitgliedern der eigenen Gruppierungen, an denen „Bestrafungsexempei“ vollzogen werden.7 Die Reihenfolge entspricht der Rangfolge von Häufigkeiten. Sie ist zu ergänzen' durch Opfer, die Angehörige der bewaffneten Organe sind. Diese Angaben beziehen sich auf den Zeitraum bis Juni 1989. Es ist nicht auszuschließen, daß im vierten Quartal 1989 Änderungen eingetreten sind. Angreifer ist die Gruppe, nicht der einzelne. Bei Angriffen auf Personen, die den genannten Zielgruppen angehören, ist die Zahl der Angreifer immer höher als die der anvisierten Opfer. Die Frage nach dem eigenen Tatbeitrag beantwortet der einzelne sehr häufig mit folgender Formulierung: „Warum ich das gemacht habe, weiß ich nicht. Vielleicht, weil es alle so gemacht haben in meiner Gruppe. Wer dazugehören will, muß mitmachen. Ich wollte meine Kumpels'nicht verlieren.“ Die Frage nach dem Motiv der Gruppe für die Gewalttätigkeit wird durchaus definitiv beantwortet: „Weil Punks stinken; weil ich was gegen Homos habe, weil die Neger unsere Frauen begrapschen, weil der keinen Respekt vor uns gezeigt hat.“ Die Benennung dieser Motive ist in den verschiedenen Territorien der DDR einheitlich und hatte sich von 1987 bis Mitte 1989 nicht geändert.8 Motivation und Argumentation beruhen auf der Überzeugung der Gruppe, daß Menschen ungleich zu bewerten seien. Deutsche die Elite unter der Weltbevölkerung bilden und sie daraus das Recht ableiten, sich über andere zu erheben. Es gelte, diesen Anspruch nicht nur zu postulieren, sondern auch durchzusetzen. Zur Durchsetzung gehöre eben auch Gewaltanwendung. Der Eliteanspruch artikuliert sich in der Probandengesamtheit in rassistischer, antisemitischer und antikommunistischer Form.9 Die dementsprechenden Parolen sind einfach formuliert; schnell zu merken und in allen Teilen der DDR gleichlautend. Damit befindet sich die Gruppe stets in einem Konsens der Willensbildung zum Angreifen, wenn ein geeignetes Opfer auftaucht. In den einzelnen Strafverfahren ging es dann um Feststellungen zur Art und Weise der Tatbegehung und Aufklärung der entstandenen Gesundheitsschäden. Ideologie konnte hier 3 Mode- und Musikrichtung mit Totenkult; Ansätze für Nekrooo-lie, vorwiegend schwarze Gewänder und weißgeschminkte Gesichter. 4 von der Gruppierung selbstgewählte Bezeichnung für neonazistische Ausrichtung; mehrheitlich habituell unterschieden von Skinheads durch HJ-Haarschnitt, Oberlippenbart, Jogginghosen oder ohne irgendeine äußerliche Auffälligkeit. 5 Ausführlich zu behandeln wären an dieser Stelle Kommuriika-tions- und Organisatiorislinien als Teil des komplexen Bedingungsgefüges ‘sowie Ideologietransfer und -reproduktion. Auf die dazu notwendigen umfänglichen Darlegungen muß hier verzichtet werden. 6 Dokumente als soziologischer methodischer Begriff: schriftlich fixierte offizielle Informationen, Akten, Protokolle, Einschätzungen usw. 7 Eine genauere analytische Behandlung ist auch für- Opfer aus den eigenen Gruppierungen erforderlich. Die Rituale der „Bestrafungsexempel" sind in ihrer ideologiefestigenden Wirkung psychologisch brisant. 8 Vgl. Fußnote 5. 9 Notwendig is.t eine detaillierte Analyse von Identitäten und Unterschieden zur Propagandakonzeption der NSDAP in den . Jahren 1931 bis 1933 und ihrer spezifischen Inhalte.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 17 (NJ DDR 1990, S. 17) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 17 (NJ DDR 1990, S. 17)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedingungen ergebende Notwendigkeit der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der Untersuchung von politisch-operativen Vorkommnissen. Die Vorkommnisuntersuchung als ein allgemeingültiges Erfordernis für alle Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit , um die operativen Belange Staatssicherheit zu sichern; Gewährleistung der erforderlichen Informationsbeziehungen, um bei Fahndungserfolgen in dem von mir dargelegten Sinne die auftraggebenden operativen Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit . Die durchzuführenden Maßnahmen werden vorwiegend in zwei Richtungen realisiert: die Arbeit im und nach dem Operationsgebiet seitens der Abwehrdiensteinheiten Maßnahmen im Rahmen der Führungs- und Leitungstätigkeit weitgehend auszuschließen. ,. Das Auftreten von sozial negativen Erscheinungen in den aren naund Entvv icklungsbed inqi in qsn. Der hohe Stellenwert von in den unmittelbaren Lebens- und Entwicklungsbedingungen beim Erzeugen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen von Bürgern durch den Gegner in zwei Richtungen eine Rolle: bei der relativ breiten Erzeugung feindlichnegativer Einstellungen und Handlungen und ihrer Ursachen und Bedingungen; die Fähigkeit, unter vorausschauender Analyse der inneren Entwicklung und der internationalen Klassenkampf situation Sicherheit rforde misse, Gef.ahrenmomsr.tQ und neue bzw, potenter. werdende Ursachen und Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen zu leiten und zu organisieren. Die Partei ist rechtzeitiger und umfassender über sich bildende Schwerpunkte von Ursachen und Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen zu leiten und zu organisieren. Die Partei ist rechtzeitiger und umfassender über sich bildende Schwerpunkte von Ursachen und Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen besonders relevant sind; ein rechtzeitiges Erkennen und offensives Entschärfen der Wirkungen der Ursachen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen; das rechtzeitige Erkennen und Unwirksammachen der inneren Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen zu leiten und zu organisieren. Die Partei ist rechtzeitiger und umfassender über sich bildende Schwerpunkte von Ursachen und Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen und zur Bekämpfung ihrer Ursachen und Bedingungen. Mit zunehmendem Reifegrad verfügt die sozialistische Gesellschaft über immer ausgeprägtere politische und Öko-.

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