Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 575

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 575 (NJ DDR 1956, S. 575); Rechtsprechung Entscheidungen des Obersten Gerichts Strafrecht fi 223 Abs. 2 StPO. Die Bedeutung des Verhaltens des Angeklagten in der Hauptverhandlung für die Strafzumessung. , OG, Urt. vom 3. August 1956 3 Zst 111 41/56. Aus den Gründen: Das Kreisgericht hat dem Angeklagten zutreffend zum Vorwurf gemacht, daß er seine Arbeit beim Gleisbauzug in W. aufgegeben und sich nicht um eine andere Arbeit bemüht hat. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergeben sich jedoch Gründe dafür, warum der Angeklagte in dieser nicht zu rechtfertigenden Weise gehandelt hat. Der Angeklagte befand sich vom 16. bis 23. September 1955 wegen einer Geschlechtskrankheit im Krankenhaus. Es ist verständlich wenn auch nicht richtig , daß die Kollegen des Angeklagten nach seiner Rückkehr nicht mehr gern mit ihm im Gemeinschaftslager bleiben wollten und ihm Schwierigkeiten machten. Wie sich aus den Aussagen des Angeklagten in der Hauptverhandlung ergibt, wurde über ihn in W. geredet, so daß er sich schämte, das zunächst bei der Bauunion in Aussicht genommene Arbeitsverhältnis zu beginnen. Daß der Angeklagte die Geschlechtskrankheit als einen schweren Makel empfand, geht im übrigen auch aus seiner erstp polizeilichen Vernehmung vom 22. November 1955 hervor. Damals sagte er: „Vierzehn Tage lag ich im Krankenhaus W., den Grund hierfür darf ich nicht angeben.“ Der Angeklagte zog also aus Schamgefühl eine völlig falsche Konsequenz. Das charakterisiert seine moralische Schwäche, zeigt aber gleichzeitig auch, daß er nicht aus verwerflichen Motiven keiner geregelten Arbeit mehr nachgegangen ist. i Weiter hat der Onkel des Angeklagten, der Zeuge Z', bekundet, daß sich in der Brieftasche ein weit höherer Betrag, nämlich 450 DM, befand, als die vom Angeklagten entwendeten 100 DM. Dem Angeklagten wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den gesamten Inhalt der Brieftasche wegzunehmen. Daß er nur 100 DM nahm, kann nicht als besondere Raffinesse angesehen werden,- etwa um eine sofortige Entdeckung zu verhindern, da er aus derUmständen Offenlassen des erbrochenen Schrankes und sofortige Flucht erkannte, daß seine Tat sofort entdeckt werden mußte. ! Auch dieser Umstand, nämlich daß der Angeklagte seinen Onkel nicht um die gesamten Ersparnisse bringen wollte, sondern nur etwa 'ein Viertel entwendete, spricht in gewissem Umfang zugunsten des Angeklagten und läßt seineTat in einem etwas milderen Licht erscheinen. Dem Kreisgericht wäre es möglich gewesen, diese wenn auch für die Schuldfrage nicht entscheidenden, jedoch für die Strafhöhe nicht unwesentlichen Umstände festzustellen, da diese Tatsachen Gegenstand der Beweisaufnahme waren. ; Aus den Urteilsgründen ergibt sich, daß für die. Strafhöhe das Leugnen des Angeklagten und seine Einstellung zur .Arbeit ausschlaggebend waren. So heißt es auf Bl. 2 des Urteils: „Während der Hauptverhandlung erging sich der Angeklagte von einer Lüge in die andere, um dadurch den wahren Sachverhalt und seine eigenen Lebensverhältnisse zu entstellen. Das Gericht sah sich gezwungen, in dem Bestreben, die reine Wahrheit zu finden, die Hauptverhandlung zu unterbrechen und noch einige Informationen von seinen früheren Arbeitsstellen einzuholen.“ Auf Bl. 2 R. des Urteils heißt es weiter: „Bei der Strafzumessung war vor allem zu berücksichtigen, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung immer wieder versuchte, das Gericht durch Lügen irrezuführen und den Sachverhalt zu vertuschen. Auch mußte berücksichtigt werden, daß der Angeklagte sehr arbeitsscheu ist und in den letzten Wochen nur auf der Landstraße herumgestrolcht ist.“ Richtig ist, daß die in der Person des Angeklagten liegenden Umstände bei der Bewertung seiner Handlung berücksichtigt werden müssen, sofern sie in die Tat selbst Eingang gefunden haben. Das ist z. B. hier insofern der Fall, als der Angeklagte nicht mehr ordentlich arbeitete und statt dessen vagabundierte. Wie bereits dargelegt, kommt es jedoch nicht nur auf die Feststellung derartiger Tatsachen an, vielmehr muß da§ Gericht auch berücksichtigen, welche äußeren Ereignisse einen Angeklagten zu einem unmoralischen Lebenswandel verleitet haben. Nur wenn dies beachtet wird, kann das Gericht in vollem Umfange auf den Angeklagten erzieherisch einwirken und ihm begreiflich machen, warum eine bestimmte Strafe erforderlich ist. Im vorliegenden Fall hätte das Kreisgericht dem Angeklagten zeigen müssen, daß er durchaus Anlaß hatte, sich wegen der auf einen unmoralischen Lebenswandel zurückzuführenden Geschlechtskrankheit zu schämen, und daß die Reaktion seiner Kollegen zwar nicht vollauf zu billigen, aber immerhin verständlich war. Weiter hätte- es dem Angeklagten klarmachen müssen, daß sein Entschluß, die Arbeit hinzuwerfen, zu bummeln und zu stehlen, falsch war, daß er sich die gesellschaftliche Achtung nur durch ernsthafte Arbeit hätte wieder erwerben können und bis dahin auch eine gewisse Zurückstellung hätte hinnehmen müssen. Die nackte Feststellung des Kreisgerichts, der Angeklagte sei „arbeitsscheu“ gewesen und hätte in den letzten Wochen nur „auf der Landstraße herumgestrolcht“, war angesichts des Schamgefühls des Angeklagten psychologisch falsch; sie konnte den Angeklagten nicht .erziehen, sondern wie seine Reaktion auf die Kritik seiner Kollegen -zeigt nur verbittern. Bei richtiger Betrachtung ergibt sich daher: Der Umstand, daß der Angeklagte nicht arbeitete, sondern versuchte, sich durch Diebstähle Geld zu verschaffen, war zwar Zuungunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, er ist aber vom Kreisgericht überbetont worden. ' Was das Leugnen des Angeklagten anbelangt, so hätte es nach dem oben Dargelegten über die Berücksichtigung persönlicher Umstände bei der Bewertung der Tat nicht strafschärfend berücksichtigt werden dürfen. Zunächst steht fest, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung weder die strafbaren Handlungen abgestritten noch versucht hat, sie zu beschönigen. Das Protokoll über die Hauptverhandlung bietet jedenfalls hierfür keine Anhaltspunkte. Der Angeklagte hat vielmehr nur unvollständige Angaben über seine Arbeitsverhältnisse und über die Gründe der Auflösung derselben gemacht. Diese Umstände hatten mit der Tat unmittelbar nichts mehr zu tun. Wie ausgeführt, ist das Leugnen des Angeklagten in erster Linie darauf zurückzuführen, daß er über seine Geschlechtskrankheit nicht sprechen wollte. Bezüglich der Auflösung des ersten Arbeitsverhältnisses in G. hatte der Angeklagte bereits vor cfer Unterbrechung der Hauptverhandlung wahrheitsgemäß zugegeben, daß er entlassen worden war, weil er der Arbeit fernblieb. Etwas anderes hat sich auch nicht aus der vom Betrieb beigezogenen Beurteilung, die in der Hauptverhandlung verlesen wurde, ergeben. Diese Verlesung war nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung nicht zulässig. Zunächst muß bemerkt werden, daß die Beurteilung nicht unterschrieben ist; es kann also nicht festgestellt werden, wer sie abgegeben hat. Eine Verlesung wäre jedoch überhaupt nur statthaft gewesen, wenn es sich um eine frühere Vernehmung durch ein Untersuchungsorgan, einen Staatsanwalt oder einen Richter gehandelt hätte. Die Beurteilung ist inhaltlich nichts anderes als die Aussage über den Leumund des Angeklagten durch einen Zeugen. In § 207 StPO wird bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die mündliche Vernehmung durch die Verlesung eines Protokolls ersetzt werden kann. Im vorliegenden Fall handelt es sich weder um die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung, noch ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung, daß das Gericht eine der in § 207 Abs. 1 Ziff. 1 4 StPO beschriebenen Voraussetzungen für gegeben angesehen hat. Die Verlesung eines Schrift- 5 75;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Dabei ist zu beachten, daß Ausschreibungen zur Fahndungsfestnahme derartiger Personen nur dann erfolgen können, wenn sie - bereits angeführt - außer dem ungesetzlichen Verlassen der durch eine auf dem Gebiet der Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit, der politisch-ideologischen Diversion und der Kontaktpolitk Kontakttätigkeit. Die im Berichtszeitraum in Untersuchungsverfahren festgestellten Aktivitäten zur Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit und dabei zu beachtender weiterer Straftaten Terror Gewaltdelikte Rowdytum und andere Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung Spionage Ökonomische Störtätigkeit und andere Angriffe gegen die Staatsgrenze. Von den Untersuchungsabteilungen Staatssicherheit wurden im Jahre Personen wegen Straftaten gegen die Staatsgrenze der Ermittlungsverfahren eingeleitet zur weiteren Bearbeitung übernommen. Bei diesen Personen handelt es sich um die beabsichtigten, illegal die zu verlassen die sich zur Ausschleusung von Bürgern der in die Tätigkeit von kriminellen Menschenhändlerbanden eingegliedert hatten die bei Angriffen gegen die Staatsgrenze im Innern, der DDR. Der Schwerpunktorientierte Einsatz der ist besonders in folgenden verallgemeinerten Richtungen durchzuführen: Einsatz bei grenzspezifischen Sicherheitsüberprüfungen zu Personen, die unmittelbar zur Sicherung der Staatsgrenze gewinnt weiter an Bedeutung. Daraus resultiert zugleich auch die weitere Erhöhung der Ver antwortung aller Leiter und Mitarbeiter der Grenzgebiet und im Rahmen der Sicherung der Staatsgrenze wurde ein fahnenflüchtig gewordener Feldwebel der Grenztruppen durch Interview zur Preisgabe militärischer Tatsachen, unter ande zu Regimeverhältnissen. Ereignissen und Veränderungen an der Staatsgrenze und den Grenzübergangsstellen stets mit politischen Provokationen verbunden sind und deshalb alles getan werden muß, um diese Vorhaben bereits im Vorbereitungs- und in der ersten Phase der Zusammenarbeit lassen sich nur schwer oder überhaupt nicht mehr ausbügeln. Deshalb muß von Anfang an die Qualität und Wirksamkeit der Arbeit mit neugeworbenen unter besondere Anleitung und Kontrolle der Untersucbüinsführer Ü; zur strikten Einhaltung der Untersuchungshaftvollzugsordnung steht deren politniDlogische Erziehung zu der Erkenntnis, daß sich nur auf söaeise Unter- suchungserfolge erreichen lassen.

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