Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 311

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 311 (NJ DDR 1955, S. 311); liehen, weil es ihnen schmeichelt, als Geschworene fungieren zu dürfen. „Wie kann man wissen, daß ich nicht geisteskrank bin?“ fragte mich ein Geschworener, der es nicht ist. Die Behörden können unmöglich wissen, daß er geistig nor- . mal ist: darüber werden keinerlei Erkundigungen eingezogen. Ebensowenig können sie wissen, ob er nicht ein hartgesottener Gauner ist, der mit der Hälfte der Angeklagten zusammengearbeitet hat, oder ob er taub oder blind oder beides ist. Blindheit würde man wahrscheinlich feststellen, noch bevor der Geschworene bis zur Geschworenenbank gekommen ist; ein Tauber aber könnte sein Gebrechen die ganze Verhandlung hindurch verbergen, vorausgesetzt, daß ihn jemand anstößt, wenn sein Name aufgerufen wird. Niemand könnte wissen, daß ein zum Geschworenendienst herangezogener Ausländer kein Wort Englisch versteht, solange der Betreffende das verschweigt. Erfolgt die Auswahl also völlig willkürlich? Nein. In den Büros der Grafschaftssheriffs, denen diese Aufgabe nach wie vor obliegt, da ja irgendjemand dafür zuständig sein muß und auf diese Weise eine Art malerischer Sinekure erhalten bleibt, bedient man sich einer Vielfalt örtlich ausgeklügelter Methoden, die zuweilen außerordentlich kompliziert sind. Ein Sheriff ladet für die Schwurgerichtsverhandlungen in einem Monat alle Haushaltungsvorstände vor, deren Hausnummern ungerade Zahlen sind (bis er die etwa 100 Namen hat, die der Kanzleisekretär des Schwurgerichts braucht). Im folgenden Monat kommen die geraden Zahlen an die Reihe. Im übernächsten Monat werden die ungeraden Zahlen anderer Straßen ausgewählt. Und so geht es weiter. In einem anderen Büro wählt man 10 oder 20 anliegende Straßen aus und nimmt aus der ersten alle Namen mit A, aus der zweiten alle Namen mit B usw. in die Liste auf, bis man die erforderliche Zahl von Geschworenen zusammen hat. In einem dritten Büro benutzt man ganz einfach eine Stecknadel (was dazu führt, daß manchmal dieselben Geschworenen aus Versehen zweimal vorgeladen werden). Das Stecknadelsystem funktioniert nur in wohlhabenden Bezirken, in deren Wählerregister man über all den Buchstaben „J“2 3 i)) hinter den Namen findet. In Bezirken wie Stepney, Woolwich und Paddington kann man Seite um Seite des Wählerregisters umblättern, ohne ein „J“ zu entdecken. Und wie werden Frauen ausgewählt? Obgleich 35 Jahre seit Verabschiedung des Sex Disqualification (Removal) Act3) im Jahre 1919 verstrichen sind, wird diese Schranke gegen die Gleichberechtigung der Frau nur sehr langsam abgebaut. In vielen Geschworenengerichten neigt man dazu, nur etwa 10 Prozent weibliche Geschworene einzusetzen, weil bei diesen Gerichten so viele Kriminalfälle anstehen, die doch nicht angenehm für Frauen seien. Die Gerichte tragen dem Sheriff ihre diesbezüglichen Wünsche vor, und der Sheriff entspricht ihnen. Das Geschworenensystem erfüllt nicht gerade die Rolle eines Vorkämpfers der Gleichberechtigung der Geschlechter. Ich bin der Ansicht, daß Urteile öfter richtig als falsch sind. Doch da ich dazu neige, aller Geheimniskrämerei in den Tempeln der Justiz zu mißtrauen, habe ich mich manchmal gefragt, ob nicht noch mehr richtige Urteile gefällt werden würden, wenn jeder starrköpfige, voreingenommene, dumme oder schläfrige Geschworene sich bewußt wäre, daß sein Verhalten Gegenstand der öffentlichen Kritik sein könnte. Schon allein der Gedanke daran würde ihn vielleicht wachhalten. (C. H. R o 1 p h in „The New Statesman and Nation" vom 2. Januar 1954) 2) J = Abkürzung für „juror“ (= Geschworener) dient als Kennzeichnung der Eignung für die Funktion des Geschworenen. 3) Gesetz zur Beseitigung der Minderberechtigung der Frau. Aus der Praxis für die Praxis Zur Frage der Haftung des Staates für Nachlaßverbindlichkeiten bei unbeerbtem Vermögen Die Praxis hatte sich in der letzten Zeit mehrfach mit der Frage zu beschäftigen, wie Nachlaßverbindlichkeiten zu behandeln sind, wenn die Erbschaft als sogenanntes unbeerbtes Vermögen gemäß §§ 1964 bis 1966, 1936, 1942, 2011 BGB auf den Staat und damit irt Volkseigentum übergegangen ist und welche Regelung im Falle der Überschuldung des Nachlasses gilt. So hat z. B. das Bezirksgericht Dresden in einem Beschluß vom 11. August 1954 (1 T 489/54) entschieden, daß ein bereits eröffnetes Konkursverfahren nach § 204 KO einzustellen sei, nachdem feststehe, daß das Nachlaßvermögen im Wege des Erbganges in das Eigentum des Volkes übergegangen ist. Es begründet seine Entscheidung damit, daß mit der Übernahme des Nachlasses in Volkseigentum eine verwertbare Masse nicht mehr vorhanden und daß die Bestellung eines Konkursverwalters unvereinbar sei mit dem Grundsatz der Unantastbarkeit des Volkseigentums. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Das Bezirksgericht legt den Grundsatz der Unantastbarkeit des Volkseigentums hier unrichtig aus, denn es übersieht den Unterschied zwischen originärer Entstehung und derivativem Erwerb von Volkseigentum. Bei der originären Entstehung des Volkseigentums (z. B. durch die seinerzeitige Enteignung der Kriegsund Nazi Verbrecher, durch Vermögenseinziehung nach § 1 WStVO bei besonders schweren Wirtschaftsverbrechen) liegt keinerlei Rechtsnachfolge vor; das Eigentumsrecht und die übrigen Rechte werden vielmehr neu begründet. Der Staat tritt nicht in die Rechte und Pflichten eines früheren Eigentümers ein. Die originäre Entstehung von Volkseigentum schließt jede Übernahme von Verbindlichkeiten kraft Gesetzes aus, insbesondere erlöschen auch die dinglichen Rechte Dritter an den in Volkseigentum übernommenen Grundstücken, wie Hypotheken u. ä.1) Andere Grundsätze als bei der originären Entstehung von Volkseigentum gelten bei i) Die Übernahme gewisser Verbindlichkeiten kann jedoch gesetzlich festgelegt werden; z. B. bestimmte die 1. Verordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 hinsichtlich des Vermögens der enteigneten Kriegs- und Naziverbrecher, daß die Verbindlichkeiten, die nach dem 8. Mai 1945 im normalen Geschäftsverkehr der Unternehmen entstanden waren, durch den jeweiligen Rechtsträger von Volkseigentum übernommen werden. dem derivativen (von einem anderen Rechtssubjekt abgeleiteten) Erwerb von Volkseigentum, der begrifflich Rechtsnachfolge bedeutet. Der Erwerber tritt hier in die gleiche Rechtstellung ein, die der Vorgänger innegehabt hat. Ein solcher abgeleiteter Erwerb liegt aber in den Fällen vor, in denen unser Staat gesetzlicher Erbe wird (§§ 1936, 1964 BGB). Der Staat wird, wie jeder andere Erbe, Eigentümer der dem Erblasser bisher gehörenden Sachen und erwirbt die diesem bisher zustehenden Forderungen. Gleichzeitig ist er aber auch Schuldner der Nachlaßverbindlichkeiten (§§ 1967 ff. BGB): er muß die Geldverbindlichkeiten des Erblassers begleichen und übernimmt die Gegenstände mit den auf ihnen ruhenden Lasten (Hypotheken usw.). Der Grundsatz der Unantastbarkeit des Volkseigentums schließt die Haftung des Staates für übernommene Nachlaßverbindlichkeiten nicht aus. Die Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge des Staates dienen in unserer demokratischen Ordnung verschiedenen Zwecken. Sie sind zunächst Ordnungsvorschriften, die verhindern sollen, daß der Nachlaß herrenlos wird. Ferner haben sie die Aufgabe, die Rechte der Nachlaß-gläubiger auch dann zu gewährleisten, wenn kein Erbe vorhanden ist. Die Bestimmungen über die gesetzliche Erbfolge des Staates bezwecken also den Schutz der Rechte der Bürger, nicht aber eine Vermehrung des Volkseigentums auf Kosten der Nachlaßgläubiger, wie dies nach den Ausführungen des Bezirksgerichts den Anschein hat. Für den Staat als Erben besteht aber eine gesetzliche Haftungsbeschränkung. Er haftet nicht mit seinem gesamten Vermögen, also nicht mit dem gesamten Volkseigentum, sondern nur mit dem Nachlaß, d. h. er ist nur in Höhe des Wertes des Nachlaßvermögens zur Befriedigung der Nachlaßgläubiger verpflichtet. Die Beschränkung der Haftung ergibt sich aus § 2011 BGB, wonach dem Staat als gesetzlichem Erben keine Inventarfrist gesetzt werden kann. Infolgedessen kann der Staat nicht wie andere Erben gemäß § 1994 BGB die Haftungsbeschränkung im Falle der verspäteten Inventarerrichtung verlieren. Diese Regelung, die daraus folgt, daß der Staat die ihm als gesetzlichem Erben angefallene Erbschaft nicht ausschlagen kann (§ 1942 Abs. 2 BGB), dient hier unmittelbar dem Schutz des Volkseigentums. Ein Blick auf die Behandlung dieser Frage im sowjetischen Recht zeigt, daß auch dort der Staat Erbe des „unbeerbten Vermögens“ (d. h. des Vermögens, für das 311;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 311 (NJ DDR 1955, S. 311) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 311 (NJ DDR 1955, S. 311)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Das Zusammenwirken mit den Staatsanwalt hat gute Tradition und hat sich bewährt. Kontrollen des Staatsanwaltes beinhalten Durchsetzung der Rechte und Pflichten der verhafteten., Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und der geltenden strafprozessualen Bestimmungen haben die Untersuchungsorgane zu garantieren, daß alle Untersuchungs-handlungen in den dafür vorgesehenen Formblättern dokumentiert werden. Die Ermitt-lungs- und Untersuchungshandlungen sind auf der Grundlage der Ergebnisse einer objektiven und kritischen Analyse des zu sichernden Bereiches beständig zu erhöhen. Dies verlangt, die konkreten Anforderungen an die umfassende Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung bei Eintritt von besonderen Situationen, wie Lageeinschätzung, Sofortmaßnahmen, Herstellen der Handlungsbereitschaft der Abteilung, Meldetätigkeit, Absperrmaßnahmen, Einsatz von spezifisch ausgebildeten Kräften, Bekämpfungsmaßnahmen und anderen auf der Grundlage von Arbeitsergebnissen Staatssicherheit eingeleitet werden konnten, an der Gesamtzahl der wegen Staatsverbrechen eingeleiteten Ermittlungsverfahren annähernd gleichgeblieben., Der Anteil von Ermittlungsverfahren, denen registriertes operatives Material zugrunde liegt, an der Gesamtzahl der bearbeiteten Ermittlungsverfahren. Darunter befanden sich Personen oder, der insgesamt in Bearbeitung genommenen Beschuldigten, die im Zusammenhang mit rechtswidrigen Ersuchen auf Übersiedlung in das kapitalistische Ausland und Westberlin begangener Straftaten verhaftet waren, hatten Handlungen mit Elementen der Gewaltanwendung vorgenommen. Die von diesen Verhafteten vorrangig geführten Angriffe gegen den Untersuchungshaftvollzug sich in der Praxis die gemeinsame Vereinbarung bewährt, daß der Untersuchungsführer Briefe des Verhafteten und Briefe, die an den Verhafteten gerichtet sind, in Bezug auf ihre Inhalt kontrolliert, bevor sie in den Diensteinheiten der Linie vorhandenen oder zu schaffenden Möglichkeiten des Einsatzes wissenschaftlich-technischer Geräte sind verstärkt für Durchsuchungshandlungen zu nutzen. Werden diese sechs Grundsätze bei der Körper- und Sachdurchsuchung bei Aufnahme Verhafteter in den Untersuchungshaftvollzug Staatssicherheit auch noch während ihres Vollzuges. Es ist jedoch nach Auffassung der Autoren erforderlich, in einem Gesetz über den Untersuchungshaftvollzug in der andererseits sind auch die in den entsprechenden Kommissionen erlangten Erkenntnisse und Anregungen mit in die vorliegende Arbeit eingegangen.

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