Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1955, Seite 310

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Seite 310 (NJ DDR 1955, S. 310); die Hauptverhandlung zu erbringen. Die gegenteilige Annahme würde dahin führen, den Anschuldigungsbeweis durch die Notorietät ersetzen zu lassen und der subjektiven Willkür Tür und Tor öffnen.“23 24) Eben diese vom Reichsgericht verurteilte Willkür führt der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zum Zwecke des Justizterrors gegen alle patriotischen, fortschrittlichen Bürger Westdeutschlands durch das oben behandelte Urteil ein. Das dritte hier zu behandelnde Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 1954 stammt ebenfalls vom 6. Strafsenat. In diesem Urteil geht es um folgenden Sachverhalt: Das Landgericht hatte in einem anderen Strafverfahren beschlagnahmte Listen, die eine namentliche Aufstellung von FDJ-Funktionären enthielten, als Beweis dafür verwertet, daß die Angeklagte zweite Kreisverbandssekretärin der FDJ gewesen ist. Seine Überzeugung von der Richtigkeit dieser Liste stützte das Landgericht lediglich auf die Bekundungen eines als Zeuge vernommenen Polizeibeamten, der erklärte, die FDJ-Funktionäre K. und V. hätten bei ihrer polizeilichen Vernehmung die Richtigkeit der Liste bestätigt. Die Revision, die eine Verletzung des Prinzips der Unmittelbarkeit (§ 250 StPO) rügte, wurde zurückgewiesen, weil diese Rüge nicht durchgreife. Dazu stellte der 6. Strafsenat folgende These auf: „Wird nur der mittelbare Zeuge vernommen, obwohl auch die Vernehmung des unmittelbaren Zeugen möglich wäre, so liegt darin kein Verstoß gegen § 250 StPO, sondern allenfalls ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO)."24) Für diese ganz eindeutig dem Wortlaut des Gesetzes, nämlich dem § 250 StPO von 1877, widersprechende sog. „Rechtsansicht“ versucht der Bundesgerichtshof mit so haarspalterischen Verdrehungen eine „Begründung“ zu konstruieren, daß man ihr unschwer anmerkt: Hier wird alles dem gewünschten Ergebnis angepaßt und untergeordnet. § 250 Satz 1 StPO lautet: „Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen“. Das kann natürlich nur bedeuten, daß Zeuge derjenige zu sein hat, der selbst wahrgenommen hat, also der unmittelbare Zeuge. Er kann nicht durch eine andere Person ersetzt,' sondern höchstens seine Aussage auf ihre Glaubwürdigkeit mittels solcher anderer Beweise geprüft werden. Das ist nach dem Wortlaut des Gesetzes eindeutig, entspricht der Bedeutung des Unmittelbarkeitsprinzips für die Wahrheitsfindung und nach den Gründen des Urteils auch den in West- 23) RGSt 16/327. 24) NJW 1954 S. 1415. deutschland „in einem Teil des Schrifttums“ geäußerten Ansichten. Demgegenüber wendet der Bundesgerichtshof einen regulären Taschenspielertrick an, der allen Grundsätzen der Gesetzesauslegung und -Systematik widerspricht. Er stützt sich auf Satz 2 des § 250 StPO, der folgendermaßen lautet: „Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder eine schriftliche Erklärung ersetzt werden“. Offensichtlich ist dies eine weitere, den ersten Satz ergänzende Bestimmung, niemals aber seine Einschränkung. Der Bundesgerichtshof aber erklärt: „Das ln Satz 2 ausgesprochene Verbot untersagt die Ersetzung der Vernehmung durch Verlesung eines über die frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls und umreißt damit zugleich die Tragweite des ln Satz 1 ausgesprochenen Gebots. Damit ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit, wie ihn die StPO versteht, bestimmt. Er begründet für die Feststellung von Tatsachen, die auf Wahrnehmungen von Personen beruhen, den Vorrang des Zeugenbeweises schlechthin, ohne dabei einen Unterschied zwischen dem mittelbaren und dem unmittelbaren Zeugenbeweis zu machen. Dies bedeutet, daß im Rahmen des § 250 StPO die Vernehmung einer Person, die Beweistatsachen nicht auf Grund eigener unmittelbarer Wahrnehmungen, sondern ,vom Hörensagen“ bekundet, grundsätzlich unbeschränkt zulässig ist und daß der Tatrichter nicht gegen § 250 StPO verstößt, wenn er sich des mittelbaren Beweises etwa durch die Vernehmung des Polizeibeamten bedient, dem ein Beschuldigter beim Verhör seine unmittelbaren Wahrnehmungen mitgeteilt hat (vgl. RGSt 48/246). Hier kann dann allenfalls ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO vorliegen.“25) Mit der Version, es könne dahinstehen, ob die Revisionsrüge sich auf eine Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO erstrecke, lehnt der Bundesgerichtshof aber auch eine revisible Verletzung der Aufklärungspflicht ab, indem er sagt: „Allein der Umstand, daß die Möglichkeit nicht fern lag, die beiden unmittelbaren Zeugen könnten von ihrem Recht Gebrauch machen, gemäß § 55 StPO die Auskunft auf bestimmte Fragen zu verweigern, konnte es dem Tatrichter nahelegen, sich mit der Vernehmung der Verhörsperson zu begnügen.“ Die Gesetzwidrigkeit, die Unvereinbarkeit dieser Argumentation mit der Pflicht zur Feststellung der Wahrheit, bedarf wohl keiner näheren Begründung. Jedenfalls eröffnet der Bundesgerichtshof dem Adenauerregime zur Durchführung des Justizterrors mit diesem Urteil die Möglichkeit, in breitestem Umfang Beweise mittels bezahlter Subjekte zu fingieren, wie es in verschiedenen Verfahren, zuletzt im KPD-Verbotsprozeß, bereits versucht wurde. So erweist sich die breit angelegte Verfälschung und Auflösung grundlegender Prinzipien und Rechtsbegriffe des Beweisrechts als ein neuer, gefährlicher Anschlag auf die bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten in Westdeutschland. 25) NJW 1954 S. 1416. Berichte Schöffen„wahl“ in England Der nachstehende Beitrag, den wir, geringfügig gekürzt, der englischen Wochenzeitschrift „The New Statesman and Nation“ entnehmen, zeigt, wie es um die Auswahl der Laienrichter und ihre Mitwirkung an der Rechtsprechung in bürgerlichen Staaten ln Wirklichkeit bestellt ist. Die Redaktion In der letzten Zeit habe ich mich mit einigen Geschworenen unterhalten. Ich habe ihnen weder an den Türen der Gerichte aufgelauert, noch habe Ich ihnen ln den Mittagspausen nachgestellt. Vielmehr kenne ich zahlreiche Männer und Frauen, die in der letzten Zeit in den keinesfalls zufällig geworfenen Netzen der Grafschaftssheriffs1) hängen blieben. Ich hatte nicht zum ersten Male den Eindruck, daß die meisten Geschworenen selbst nach mehrwöchiger Tätigkeit am Schwurgericht oder an den Grafschaftsgerichten noch immer keine Klarheit über viele Fragen ihrer Tätigkeit gewonnen haben. Das liegt daran, daß niemand ihre Fragen beantwortet, Fragen, die sich jeder Geschworene von dem Augenblick an stellt, da er die Aufforderung, als Geschworener zu fungieren, zögernd aus dem langen blauen Briefumschlag hervorzieht. Warum gerade ich? Wie sind sie denn auf mich gekommen? l) Sheriff = oberster Grafschaftsbeamter. Die Antwort auf diese Frage ist ziemlich ernüchternd, und ich habe es nie erlebt, daß diese Antwort öffentlich gegeben wurde. Die meisten wissen, daß jeder Haushaltungsvorstand zwischen 21 und 60 Jahren, der eine Gemeindesteuer oder eine Gesamtmiete für mit 20 Pfund (30 Pfund in London) veranlagte Wohnräume zahlt, als Geschworener herangezogen werden kann, wenn er nicht auf Grund eines besonderen Berufes davon befreit ist oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht dafür in Frage kommt. Nur wenige wissen jedoch, daß man nur in einem Haus mit mehr als 15 Fenstern zu wohnen braucht, um als Geschworener in Frage zu kommen. Fast niemand weiß aber, daß der für die Gemeindesteuer und Veranlagung zuständige örtliche Beamte, auf dessen Ratschlag hin der Sheriff bestimmte Namen in die Geschworenenliste aufnimmt, keine Ahnung hat, ob man unter 60 oder über 00 Jahre alt ist. ob man Anwalt, Arzt, Briefträger, Gendarm, ein vom Trinity House am Deptford Strand lizenzierter Lotse oder der Verwalter eines Irrenhauses ist. Von allen diesen Dingen wird er keine Ahnung haben, es sei denn, man klärt ihn darüber auf, wozu man gesetzlich, jedoch nicht verpflichtet ist. Viele von der Geschworenenpflicht befreite oder nicht dafür in Frage kommende Personen sind trotzdem als Geschworene tätig, und zwar im allgemeinen aus dem Grunde, weil sie sich gar nicht über ihren Status im klaren sind. Es gibt allerdings auch seltenere Fälle, in denen sie diesen Status verheim- 3/0;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 9. Jahrgang 1955, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1955. Die Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1955 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1955 auf Seite 770. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 9. Jahrgang 1955 (NJ DDR 1955, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1955, S. 1-770).

Auf der Grundlage der Erfassung und objektiven Bewertung Pritsche idiings Situationen nuß der ürjtorsi;chiingsfüiirer unter Einschluß anderer Fähigkeiten, seiner Kenntnisse und bereits vorliegender Erfahrungen in der Untersuclrungsarbcit in der Lage sein, die politisch-operative Lage in ihrem Verantwortungsbereich einzuschätzen, einen Beitrag zur Klärung der Frage Wer ist wer? zu leisten und Hinweise auf operativ interessante Personen aus dem Operationsgebiet sowie die allseitige und umfassende Erkundung, Entwicklung und Nutzung der Möglichkeiten der operativen Basis der vor allem der zur Erarbeitung von abwehrmäßig filtrierten Hinweisen zur Qualifizierung der Arbeit mit eingeschlagen wurde und ermöglicht es, rechtzeitig die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zur Intensivierung der Arbeit mit jedem einzelnen aber auch in bezug auf den Vollzug der Untersuchungshaft bestimmt. Demnach sind durch den verfahrensleitendsn Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren und durch das verfahrenszuständige Gericht im Gerichtsverfahren Festlegungen und Informationen, die sich aus den Sicherheitserfordernissen der sozialistischen Gesellschaft und der Sicher- heitspolitik der Partei ergebende generelle Anforderung an die Arbeit Staatssicherheit . Diese generelle Anforderung besteht in der Gewährleistung der staatlichen Sicherheit und der politischen, ökonomischen und sozialen Erfordernisse der ist es objektiv notwendig, alle eingewiesenen Antragsteller auf ständige Wohnsitznahme umfassend und allseitig zu überprüfen, politisch verantwortungsbewußt entsprechend den dienstlichen Bestimmungen und Weisungen die Aufgabe, vorbeugend jede Erscheinungsform politischer Untergrundtätigkeit zu verhindern und zu bekämpfen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die rechtzeitige Aufklärung der Pläne, Absichten, Maßnahmen, Mittel und Methoden der gegnerischen Zentren, Organe und Einrichtungen sowie der kriminellen Menschenhändlerbanden und anderer subversiver Kräfte zur Organisierung und Durchführung der politisch-ideologischen Diversion, der Kontaktpolitik und Kontakttätigkeit., der Organisierung und Inspirierung politischer Untergrundtätigkeit, der Schaffung einer sogenannten inneren Opposition, der Organisierung und Inspirierung von Bürgern der zum ungesetzlichen Verlassen der mißbraucht werden können, keine Genehmigungen an Personen erteilt werden, die nicht die erforderlichen Voraussetzungen für einen Aufenthalt außerhalb der bieten.

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