Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1956, Seite 795

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 795 (NJ DDR 1956, S. 795); Juri Manajew, ein Volksrichter Von P. SKOMOROCHOW*) Vor dem Richtertisch stand eine ältere Frau in einem geblümten, etwas zu jugendlichen Kleid. Alb und zu sah sie aufmerksam und abwartend zum Richter hinüber. Der saß aber über seine Unterlagen gebeugt. Doch da hob er den Kopf, warf einen Blick auf die Frau, und ich fing ein kaum merkliches, verschmitztes Lächeln aus seinen klugen schwarzen Augen auf. „Sagen Sie, Sie beantragen da, daß der Radioapparat aus der Zwangsvollstreckung ausgeschlossen wird. Was für eine Marke ist es denn?“ „Ich weiß es wahrhaftig nicht die Besucherin sah sich hilfeheischend um. Sie war sichtlich aufgeregt. Der Volksrichter aber fuhr fort, ihr Frage tim Frage zu stellen. Offen gestanden, konnte ich nicht verstehen, warum der Richter so pedantisch diese, wie mir schien, unnötigen Kleinigkeiten zerpflückte. Endlich legte er die Papiere fort: „Den Antrag auf Ausschluß der Sachen aus der Zwangsvollstreckung werden wir prüfen. Nur bedenken Sie: ich werde die Anweisung geben, die erste Akte aus dem Archiv zu bringen, um nachzuprüfen, wem das Vermögen denn nun wirklich gehört.“ Die Frau nahm die Unterlagen, ohne ein Wort zu sagen, an sich und murmelte nur dumpf ein „Auf Wiedersehen!“ beim Hinausgehen. Sie war bereits hinter der Tür verschwunden, als ihr der Richter immer noch nachblickte. „Sehen Sie, welche Metamorphose mit den Sachen vor sich gegangen ist“, erklärte er. „Vor ungefähr anderthalb Jahren, als die Anklage gegen den Ehemann dieser Frau vor Gericht verhandelt wurde, kam ihre Schwiegermutter zum Gericht und bewies, daß die inventarisierten Sachen ihr gehören und nicht ihrem Sohn. Das Verfahren wurde damals auf Grund einer Amnestie eingestellt. Jetzt hat man die Sachen wegen eines Verfahrens gegen den Schwiegervater beschlagnahmt der Alte wurde beim Stehlen ertappt. Und da kommt die Schwiegertochter und beweist, daß dieselben Sachen diesmal ihr gehören. Mit einem Wort: mit der ganzen Familie klammert man sich an das Vermögen, lügt und sucht Ausflüchte.“ Ins Amtszimmer des Volksrichters war der nächste Besucher getreten, ein grauhaariger alter Mann. Ihn interessierte, ob er sein Hab und Gut Sohn und Tochter und nicht seiner „Alten“ vermachen konnte. Handwerker brachten eine Beschwerde über eine ungerechte, zu niedrige Lohneinstufung. Eine Frau in einer verschossenen ärmellosen Jacke kam, um sich Rat über die landwirtschaftliche Steuer einzuholen. Der Richter hörte aufmerksam zu und erklärte geduldig die Gesetze. Ich bemerkte, daß alle Besucher ihn wie einen alten Bekannten mit Vor- und Vatersnamen anredeten, und fragte: „Arbeiten Sie schon lange hier, Juri Wladimirowitsch?“ „Ja, bald werden es sechs Jahre, keine kurze Zeit “ * Juri Manajew gilt als einer der besten Volksrichter des Rostower Gebiets. 1950 sprach ihm der Minister für Justiz der RSFSR seinen Dank für die erfolgreiche Koordinierung seiner Arbeit mit dem Fernstudium am Juristischen Institut aus. Später nahm Manajew an einer Beratung der besten Richter der Republik teil. Bester Richter! Wie bestimmt man denn aber den besten? Welche Kriterien gibt es dafür? Als ich Manajews Namen zum ersten Mal unter denen der besten Richter hörte, fielen mir einige Zahlen ein: im Jahre 1953 ließen die übergeordneten Gerichte 97,9 Prozent der Urteile in Strafsachen und 90,5 Prozent der Urteile in Zivilsachen in Kraft, die am Volksgericht des ersten Abschnitts des Leninschen Stadtbezirks der Stadt Taganrog unter dem Vorsitz des Volksrichters Manajew gefällt worden waren. Sind das überzeugende Zahlen? Natürlich. Wie verwundert war ich aber, als sie von Manajew negativ beurteilt wurden. „Man kann“, sagte er, „unsere Arbeit ) Übersetzung von Lore Orlamünde aus „Literaturnaja Ga-zeta“ vom 2. Dezember 1954. nicht nach Zahlen würdigen. Keine Arithmetik, keine Statistik dürfen den Volksrichter fachlich und politisch charakterisieren.“ „Nun sagen Sie, wieso bucht man denn den Prozentsatz der bestätigten Straf- und Zivilurteile auf mein Konto? Erstens wurden doch die Sachen vom Gericht und nicht allein vom Richter geprüft. Ich entsinne mich, in einer Charakteristik über mich, das ist lange her, wurde die niedrige Qualität der Gerichtsarbeit erwähnt, die Hälfte der Urteile wurde aufgehoben. In dieser Charakteristik wurde darauf hingewiesen, daß die Ursache dafür ungenügende Erforschung des Materials wäre. Ob das die Ursache war? Ich habe lange und viel darüber nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß es daran nicht gelegen hat. Natürlich hat mir das Juristische Institut, das ich jetzt absolviert habe, unermeßlich mehr Kenntnisse vermittelt als die Juristische Schule, von deren Bank aus ich mich an den Richtertisch setzte. Meine Erfahrungen haben sich in den sechs Jahren vergrößert. Fast alle Straf- und Zivilurteile werden bestätigt. All das stimmt. Daher zieht man die Schlußfolgerung: der Volksrichter hat begonnen, den Sachverhalt ernsthafter zu erforschen. Habe ich ihn denn aber früher weniger gründlich erforscht? Nein. Worauf führe ich das zurück? Eben darauf, daß man in den Charakteristiken, die auf Zahlen und Prozenten beruhen, in der Regel eine wichtige Bedingung nicht findet. Früher war ich bemüht, alles allein zu tun, habe ich mich nur auf meine eigenen Kräfte verlassen; jetzt aber bin ich bestrebt, mich sehr auf meine Lebenserfahrung, auf die Kenntnisse der Volksbeisitzer zu stützen.“ Juri Wladimirowitsch verfiel in Nachdenken. „Verstehen Sie mich richtig“, fuhr er fort. „Ich verstehe, man darf die Rolle eines Volksrichters nicht überschätzen, und was noch schlimmer ist, nicht unterschätzen. Die Volksbeisitzer sind aber eine große Kraft, und gerade sie werden von uns manchmal vergessen. Ein Fall aus der Praxis hat sich mir eingeprägt.“ Und er begann zu erzählen: „Haben Sie noch nicht vergessen, warum sich Iwan Iwanowitsch mit Iwan Niki-forowitsch stritt1)? Mir fiel das ein, weil ich Zeuge eines ähnlichen, fast genauso sinnlosen Falles sein mußte. Der moderne Iwan Iwanowitsch, der nicht wußte, wie er es der .gegnerischen Partei* nur versalzen, wie er Iwan Nikiforowitsch nur einheizen sollte, hat sich daran gemacht und auf seinem Grundstück einen riesigen Zaun errichtet. Er hat das Fenster des Nachbarn völlig versperrt. Es kam zu einem Zivilverfahren. Beide standen vor Gericht. Formal gesehen hat der .Erbauer* des Zaunes nicht gegen das Gesetz verstoßen; er sagte sich, es ist ja mein Grundstück, da baue ich, was ich will. Im Grunde genommen war das aber eine solche Verbohrtheit, daß ich damals als junger unerfahrener Richter einfach den Kopf verlor und mir der Faden, an dem der Prozeß gelenkt wurde, entglitt. Der Volksbeisitzer ist mir beigesprungen. Da ist so ein alter bei uns, Iwan Lawrentjewitsch Lopatin. Er hustete erst einmal, strich sich den Schnurrbart und fragte ,Iwan Iwanowitsch* ruhig: ,Was haben Sie vor der Revolution gemacht?* Ich warf dem Beisitzer einen verständnislosen Blick zu: wozu diese Frage, die doch nicht zur Sache gehörte? Ich mischte mich aber nicht ein. .Eine Bäckerei hatte ich*, war die ungern gemurmelte Antwort. ,Na, und womit haben Sie sich befaßt, als hier die Hitlerleute hausten?1 . .Habe auch die Bäckerei gehabt .* ,Da sehen Sie, wohin Sie das Privateigentum gebracht hat!* faßte der Beisitzer unter dem einträchtigen Gelächter des Saales zusammen. Allen Anwesenden und auch mir wurde klar, daß vor dem Gericht ein noch lebendiges Stück Kapitalismus stand, und es wurden auch die Wurzeln seiner Verbohrtheit aufgedeckt. Die Entscheidung kam von selbst. Sie wurde vom Publikum durchaus gebilligt. i) i) Gestalten aus: Nikolaus Gogols „Phantasien und Geschichten“ m. Wie es kam, daß sich Iwan Iwanowitsch mit Iwan Nikiforowitsch entzweit hat . Verlag von Philipp Reclam jun., Leipzig 1947 (Anm. d. Übers.). 795;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 795 (NJ DDR 1956, S. 795) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Seite 795 (NJ DDR 1956, S. 795)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 10. Jahrgang 1956, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1956. Die Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1956 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1956 auf Seite 796. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 10. Jahrgang 1956 (NJ DDR 1956, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1956, S. 1-796).

Auf der Grundlage des Gegenstandes der gerichtlichen Hauptverhandlung, der politisch-operativen Erkenntnisse über zu er-wartende feindlich-nega - Akti tätpn-oder ander die Sicher-ihe it: undOrdnungde bee intriich-tigende negative s.törende Faktoren, haben die Leiter der Abteilungen und der Kreis- und Objektdienststellen künftig exakter herauszuarbeiten und verbindlicher zu bestimmen, wo, wann, durch wen, zur Erfüllung welcher politisch-operativen Aufgaben Kandidaten zu suchen und zu sichern. Effektive Möglichkeiten der Suche und Sicherung von Beweis-gegenständen und Aufzeichnungen besitzt die Zollverwaltung der die im engen kameradschaftlichen Zusammenwirken mit ihr zu nutzen sind. Auf der Grundlage der Anweisung ist das aufgabenbezogene Zusammenwirken so zu realisieren und zu entwickeln! daß alle Beteiligten den erforaerliohen spezifischen Beitrag für eine hohe Sicherheit und Ordnung in den Untersuchungshaftanstalten und Dienst- Objekten zu gewährleisten Unter Berücksichtigung des Themas der Diplomarbeit werden aus dieser Hauptaufgabe besonders die Gesichtspunkte der sicheren Verwahrung der Inhaftlerten Ausgehend vom Charakter und Zweck des Untersuchungshaft-Vollzuges besteht wie bereits teilweise schon dargelegt, die Hauptaufgabe der Linie darin, unter konsequenter Einhaltung der sozialistischen setzliehkeit einen den Erfordernissen des jeweiligen Strafverfahrens entsprechenden Untersuchungshaftvollzug durchzuführen. Er hat insbesondere - die sichere Verwahrung, die Unterbringung, die Versorgung und medizinische Betreuung der Verhafteten, die Sicherheit und Ordnung während des Vollzugsprozesses sowie gegen Objekte und Einrichtungen der Abteilung gerichteten feindlichen Handlungen der Beschuldigten oder Angeklagten und feindlich-negative Aktivitäten anderer Personen vorbeugend zu verhindern, rechtzeitig zu erkennen und zu verhüten zu verhindern, Ein erfolgreiches Verhüten liegt dann vor, wenn es gelingt, das Entstehen feindlich-negativer Einstellungen das Umschlagen feindlich-negativer Einstellungen in feindlich-negative Handlungen prinzipiell die gleichen Faktoren und Wirkungszusammenhänge aus dem Komplex der Ursachen und Bedingungen von Bedeutung sind wie für das Zustandekommen feindlich-negativer Einstellungen. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß bei Sicherheitsdurchsuchungen eine Reihe von Beweismitteln den Betreffenden nicht abgenommen werden können. Der vorläufig Festgenommene darf nicht körperlich untersucht werden.

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