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digital paintings
1990-1994
text gerd struwe
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Die digital gemalten Bilder von Arthur Schmidt: Arthur Schmidt malt gegenstandslose Bilder, die Anklänge an Informel, Tachismus und Aktionpainting erkennen lassen. Trotz ihrer ästhetischen Vielfältigkeit weisen die Bilder von Schmidt in formaler Hinsicht durchgängige stilistische Gemeinsamkeiten auf. Die farbigen Arbeiten sind bestimmt von Farbknäulen und Liniengewirren, die die Bildflächen überziehen. Detailscharfe monochrome grafische Elemente bilden zusammen mit stark durchgearbeiteten, gemalt wirkenden Bildteilen ein intensives kompositorisches Spannungsgefüge. Schmidt schafft in seinen Bildern einen räumlichen Eindruck, indem er mit hellen, teilweise pastellenen, verwaschenen Farben Mittelgründe anlegt, durch die hindurch noch Teile der ersten reinfarbenen Bildschichten als Hintergründe hervorscheinen. Mit dunklen, oft schwarzen, breiten Linienformationen stellt er optisch einen Vordergrund her.

Aufgebrochen wird diese räumlich wirkende Farbigkeit durch leuchtende, unvermischte Farbschwünge, die an manchen Bildstellen das Raumgefüge verunklären. Die ungegenständlichen Formen in ihren gegenseitigen †berlagerungen, Durchdringungen und Versperrungen ergeben geschichtete tiefe Bild-Farbräume, die dem Betrachter keine semantischen Assoziationsansätze gestatten. Zwischen klar konturierten und diffus aufgelösten Bildelementen wird der Betrachter scheinbar durch die Bildebene hindurch in einen Farbraum gesogen. Schmidt bietet dem Bildrezipienten eine visuelle Wanderschaft durch beeindruckende Farbformen mit einer eigentümlich fremden Wirkung an.

Diese ungewöhnliche Bildwirkung beruht zum Teil auf der Spezifik des benutzten Werkzeugs. Auch wenn es überrascht, Arthur Schmidt gestaltet seine Arbeiten computerunterstützt mit Bildmanipulationsprogrammen, und stellt davon fotografische Vergrößerungen her. Es sind also keine Gemälde, sondern Fotografien von gemalt wirkenden, digitalen elektronischen Bildern. Aber obwohl sich seine Arbeiten vom Bildgegenstand her ( dem primären Sujet ) in eine malerische Bildtradition und in zeitgenössische Positionen absoluter Malerei einordnen ließen, spricht einiges gegen eine generelle Klassifikation seiner Bilder als Malerei. So weicht zum Beispiel die Relation von Machart und Material von gängiger Malerei gravierend ab. Offensichtlich weisen die Bilder keine malerische Farbstruktur auf und auch so etwas wie einen malerischen Duktus sucht man vergebens. Vergegenwärtigt man sich diese im Vergleich zu der sujetverwandten Malerei Thielers, Schumachers oder Pollocks besonders eklatante strukturelle Reduktion Schmidtscher Bilder, verbietet sich eine begriffliche Gleichsetzung mit Malerei geradezu.

Ein weiteres formales Zuordnungsproblem der Bilder Schmidts wird erst bei genauerer Betrachtung deutlich. Seine Bilder sind durch ein Konglomerat von Werkzeugspuren bestimmt, von denen nur einige konventionellen Techniken ähnlich sehen. Wir haben es bei Schmidts Arbeiten also mit Bildern zu tun, die oberflächlich besehen gemalt wirken, aber gestaltungstechnisch indifferente Merkmale aufweisen und die von Ihrer Materialität her reine Fotografie sind.

Die fehlende Farbstruktur und die vielfältigen Arbeitsspuren sind exemplarisch für computerunterstützt erzeugte Bilder. Die Gestaltungsweise verschiedener herkömmlicher Techniken wird dabei durch Software umgesetzt. Die den simulierten Techniken entsprechenden Verstofflichungen der immateriellen Bilder sind dagegen mit dem Computer nicht erzielbar. Unabhängig von der mit einem Computer angewandten Gestaltungsweise muß deshalb für die Bildmaterialisierung immer auf die computertypischen Ausgabemedien wie Plotter, Fotografie, Matrixdruck oder Belichter zugegriffen werden. Charakteristisch für diese Bildausgabemedien ist eine für materielle Mischtechniken untypische, glatte strukturlose Oberfläche. Ginge es bei Schmidt also um Malerei und konventionelle Mischtechniken, würde die Reduktion der Bilder auf eine fotografische Fläche - trotz der beeindruckenden farblichen Nuancierungen - das technische Vorgehen künstlerisch fraglich erscheinen lassen. Derartige Kritikansätze sind jedoch leicht zu entkräften, denn es geht Schmidt um mehr als Malerei, wie die Untersuchung seiner Produktionsweise und die Art der sukzessiven Gruppierung seiner Bilder und neuerdings seine interaktiven Installationen erkennen lassen.

Analysiert man den von Schmidt angewandten computerunterstützten Gestaltungsprozeß, zeigt sich, daß die Arbeit mit einem Computer für ihn, der zuvor schon mit verschiedenen Medien wie Malerei, Foto und Druckgrafik experimentiert hat, aus pragmatischen Gründen künstlerisch interessant ist. Denn Bildmanipulations-programme fassen Elemente von Malerei-, Zeichnungs-, Fotografie- und Collagetechnik zu einer Werkzeugeinheit zusammen. Diese Bündelung erleichtert Bildformen, die ähnlich konventionell als Mischtechnik realisierbar sind. Da aber die alten Gestaltungstechniken nur modifiziert und zugerichtet für die Rechenmaschine nutzbar werden, wirkt sich dies stilistisch auch aus. Ein solches stilwirksames Merkmal der programmunterstützten Digitalisierung der bildgestaltenden Handbewegung ist die beliebige Modifikation des Spurencharakters bei gleichbleibender Handhabung. Die digitale Werkzeugspitze kann vom Gestalter zu jeder Form modifiziert werden. So kann die Spur zum Beispiel deckend bis lasierend, breit bis schmal, durchgezogen oder punktiert sein. Schmidt geht virtuos mit diesen Mitteln um. Er vermeidet die vielen naheliegenden Technoeffekte und versteht es außergewöhnlich überzeugend, typische zeichnerische und malerische Bildstrukturen zusammen mit computertypischen Elementen zu spezifischen, homogenen Bildeinheiten zu verbinden.

Arthur Schmidt demonstriert eine künstlerische Ausweitung konventioneller Bildgestaltung, ohne die dafür notwendige Technik zum Thema zu machen. Mit seiner künstlerisch bildorientierten Herangehensweise ans Medium Computer schafft er Werke in einer sich erst herausbildenden neuen Gattung elektronisch gemalter digitaler Fotografie mit spezifischen, aber dennoch an die alten Kunstgattungen anknüpfenden Ausdrucksformen. Obwohl schon im Einzelbild bei Schmidt ein überzeugender, eigenständiger künstlerischer Weg deutlich wird, kann die wesentliche Ausweitung von Bildgestaltung erst klar werden, wenn man die für ihn charakteristischen Bildgruppen als Phänomen in die nähere Betrachtung einbezieht. Bildserien sind zum einen von der konventionellen Malerei bekannt, wo jedoch ein Motiv in jeder Version komplett neu gestaltet werden muß. Zum zweiten finden sich Bildserien in der Druckgrafik. Hier dienen Zustandsdrucke in der Regel zur †berprüfung des Arbeitsprozesses, bevor die fertige Komposition als Auflage gedruckt wird. Die Zwischenstadien des Druckträgers gehen dabei immer verloren. Schmidts Bilderserien sind diesen Zustandsdrucken verwandt. Doch sind seine Bildzustände im Moment ihrer Materialwerdung abgeschlossene Werke, die dennoch als digitale Dateien weiterhin bearbeitbare Zustände bleiben können. Diese immaterielle Potenzierbarkeit des Bildes im Rechner gebraucht Schmidt für die evolutionäre Erarbeitung zusammenhängender Bildserien. Damit nutzt Schmidt die Technologie zur simultanen Entfaltung von zeitlich versetzten, normalerweise überlagerten Bildzuständen. Es gelingt ihm so die Entzerrung der vielen Bildschichten, die uns der konventionell arbeitende Maler nur als aktionistischen Prozeß oder übereinandergeschichtet als Ergebnis zeigen kann. Schmidt löst sich ab vom Einzelbild und weitet seine Werkgruppen zu einem simultanen, komplexen visuellen Kontext von direkt aufeinander aufbauenden Bildern aus.

Bezieht man seine neuesten interaktiven Arbeiten in die Betrachtung ein, zeigt sich, daß Arthur Schmidt hier noch einen Schritt weiter geht. Der Rezipient selbst muß nun die Folgen aus bereitgestellten Bildteilen zusammenstellen. Auf einem Touchscreen kann sich der "Animierte" jene Stellen des Bildes anwählen, die als nächstes geändert werden sollen. Dafür hat Arthur Schmidt viele Bildteile im Speicher hintereinandergestellt, die sich schrittweise vom Betrachter verknüpfen und zu unendlichen Variationsfolgen zusammenfügen lassen. Das Thema ist wiederum die Malerei, die Interaktion dagegen ist nur ein Mittel, die Malerei intensiver als es durch reines Betrachten möglich ist, erfahrbar zu machen. Muß der Betrachter der fotografischen Bilder die Wanderschaft durch die Schmidtschen Farbwelten noch weitgehend seiner Einbildungskraft überlassen, so wird in den neusten Arbeiten die Farb- und Formreise real erfahrbar.

Schmidt zeigt damit wiederum, daß das technische Phänomen selbst für ihn künstlerisch nur soweit interessant ist, wie es für die Umsetzung seiner malerischen Bildideen notwendig ist. Die auf viele Bildermacher faszinierend wirkende Immaterialität computierter Information, durch die stetig weiter entwickelbare Bildserien herausgefordert werden, ist auch für Schmidts Kunstwollen eine unabdingbare technische Voraussetzung. Doch demonstriert er nicht die iterative Anwendung des Mediums als bemerkenswertes Phänomen, sondern nutzt sie als Grundlage für die erweiterte künstlerische Auseinandersetzung mit absoluten Bildformen. Schmidt strebt nicht nach der oft technophilen, finiten technischen Ausreizung der universellen Maschine für eine zukünftige, nur mit dem Computer zu erzielende Kunst, aber er definiert einen an malerischen Kriterien orientierten Standard. Die Bilder, die er präsentiert, mögen für die Schwärmer von zukünftigen interaktiven, virtuellen Computerkunstwelten vielleicht zu unangemessen bewertet werden. Sieht man aber weniger auf die Künstlern ohnehin kaum frei zugänglichen technologischen Potenzen und prognostizierbaren Entwicklungsmöglichkeiten des Werkzeugs, und mehr auf die konkret erreichten, sichtbaren Ergebnisse, dann zeigt sich bei Schmidt die weit fortgeschrittene künstlerische Entfaltung elektronisch gemalter Fotografie. Seine Bilder und interaktiven Skulpturen sind keine utopischen künstlerischen Möglichkeiten, sondern die Präsentation des konkreten künstlerischen Handelns - hier und jetzt.

Gerd Struwe (1998)
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