Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1986, Seite 276

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Seite 276 (NJ DDR 1986, S. 276); 276 Neue Justiz 7/86 Massenmord machte. Er war ein Glied in der Kausalkette, an deren Ende die entsetzliche Hinrichtung ungezählter Menschen stand, die das faschistische Herrschaftssystem durch Verwaltungsakt zum Tode bestimmt hatte. Dieses historisch neue Phänomen des Schreibtischtäters ist rechtsdogmatisch bisher jedenfalls von der Rechtsprechung nicht zufriedenstellend gelöst. Es wird berichtet, daß selbst das Bezirksgericht Jerusalem, das über Adolf Eichmann, diesen typischen Schreib-tischmörder, zu urteilen hatte, sich bemüht habe, ihm „sicherheitshalber“ auch noch einen mit eigener Hand ausgeführten Mord nachzuweisen, was im konkreten Fall nicht gelang. Eichmann, diesem Verantwortlichen für den Mord an Millionen Juden, ist nicht ein einziger Mord nachgewiesen worden, bei dem er selbst Hand angelegt hätte. Eichmanns Hände blieben auf dem Schreibtisch, sie handhabten allenfalls Federhalter und Schreibmaschine, er machte sich seine Hände nicht schmutzig. Und doch ist er neben Hitler und Himmler als der größte Massenmörder aller Zeiten in die Geschichte eingegangen. Eichmann ist das Musterbeispiel für diesen ganz neuen Verbrechertyp, dessen Tat nicht darin besteht, anderen Menschen mit eigener Hand die Schlinge um den Hals gelegt oder die tödliche Kugel in den Körper geschossen zu haben, sondern der in der Hierarchie des bürokratisch organisierten Massenmordes eine Funktion ausübte, bei der er sich im wörtlichen Sinne die Hände nicht schmutzig zu machen brauchte, der nur Befehle „von oben“ an die ihm im Rang nachfolgenden Funktionäre des Apparats weitergab. Auch über den Schreibtisch des Angeklagten Wolfgang Otto sind die Mordbefehle gegangen, die Tausenden von Menschen das Leben gekostet haben. Wie ist dieses neue Phänomen des an Massenverbrechen beteiligten Schreibtischtäters strafrechtlich in den Griff zu kriegen ? Ich glaube nicht, daß man die von Fritz Bauer2 vorgeschlagene und vom Bundesgerichtshof3 abgelehnte Problemlösung bemühen muß, die für nationalsozialistische Massenverbrechen eine natürliche Handlungseinheit für die Gesamtaktion annehmen wöilte. Bauer hatte unter Bezugnahme auf Urteile des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone4, in denen die „Gesamtaktion“ der sog. Euthanasie als eine Handlung im Rechtssinne gewertet worden war, vorgeschlagen, auch die Fülle der Einzeltaten zur Durchführung bestimmter nationalsozialistischer Massenverbrechen zu einer Handlungseinheit zusammenzufassen. Er hat dabei insbesondere an die von den Nazis als „Endlösung der Judenfrage“ bezeichnete Gesamtaktion gedacht, der Millionen jüdischer Menschen zum Opfer gefallen sind. Daraus leitete er beispielsweise für den Angehörigen der Mannschaft eines Vernichtungslagers ab, daß ihm alle Opfer während seiner Lagertätigkeit züzurechnen seien. Diese Lehre hat sich nicht durchgesetzt und ist auch! nicht nötig, um hier zu einer Verurteilung zu kommen, ohne die persönliche Anwesenheit des Angeklagten am blutigen Tatort feststellen zu müssen. Denn der Angeklagte Otto war in dem hierarchisch organisierten Verwaltungsapparat des Lagers nicht nur auf der Exekutionsebene des Kommandos 99 tätig, sondern auch auf der nächsthöheren Befehlsebene. Alle Exekutionsbefehle, die vom Kommando 99 ausgeführt wurden, passierten auch den Schreibtisch des Angeklagten Otto in seiner Eigenschaft als Spieß der Kommandantur. Bei der befohlenen Menschenvernichtung im Konzentrationslager wirkte der Angeklagte sowohl auf der Exekutionsebene als auch auf der Ebene des hierarchischen Mittelbaus mit. Er trug daher Verantwortung für den Tod von Menschen nicht nur dann, wenn er selbst als Mitglied des Exekutionskommandos schoß oder Protokoll führte, sondern schon dann, wenn er auf der Schreibstube oder anderswo die Hinrichtungsbefehle entgegennahm, das Kommando 99 versammelte, die Namen der Exekutierten in den Listen als erledigt abhakte und sie schließlich an das RSHA zurückschickte. Mindestens diese Tätigkeit hat der Angeklagte mit Sicherheit auch im Fall des Thälmann-Mordes ausgeübt Niemand wird bezweifeln, daß derjenige, der die tödlichen Schüsse auf Thälmann abgegeben hat, des Mordes schuldig ist. Niemand wird aber auch bezweifeln, daß Hitler als Thälmann-Mörder zu gelten hat, weil er es war, der den Exekutionsbefehl erteilte. Wie ist es mit Himmler? Er hat Hitlers Befehl nur weitergegeben. Trotzdem wird niemand bezweifeln, daß auch er des Mordes schuldig ist. Und wenn es so wäre, daß Himmler dem Schützen, der Thälmann erschoß, den Befehl in Person übergeben hätte, wären wir das Problem los, was denn nun mit denen ist, die zwischen Himmler und dem Schützen fungierten und das gleiche taten, was auf einer höheren Ebene Himmler getan hatte, nämlich Hitlers Befehd weiterzugeben. Zwischen Himmler und dem Exekutionskommando stand in jedem Fall noch das RSHA und der Spieß des Kommandanturstabes Wolfgang Otto. Wer würde zögern, einen Schuldspruch zu fällen, wenn hier der Mitarbeiter des RSHA auf der Anklagebank säße, über dessen Schreibtisch der von Himmler weitefgereichte Exekutionsbefehl Hitlers gegangen ist? Und wie ist es mit dem Schreibtisch im Gebäude des Kommandanturstabes des Lagers Buchenwald? Sollte es zwischen dem Schreibtischtäter im RSHA und dem Schützen, der die tödlichen Schüsse auf Thälmann abgab, ein strafrechtliches Loch geben, durch das der Spieß Wolfgang Otto schlüpfen könnte? Sollen wir die mit der NS-Kriminalität in die Welt getretene Figur des Söhreibtischmörders auf irgendeiner beliebigen Ebene der Befehlshierarchie vergessen dürfen? Das ist die Frage, die sich stellt, wenn dieses Gericht davon ausgehen sollte, Herr Otto, der oft genug selbst mitgeschossen oder als Protokollführer an Exekutionskommandos mitgewirkt hat, habe in diesem einen Fall nicht die Pistole, sondern nur den Exekutionsbefehl in der Hand gehabt. Dann wird das Gericht die Frage beantworten müssen, ob auch die zur Durchführung einer Exekution erforderliche Verwaltungsarbeit ein Tatbeitrag ist oder nicht. Ich meine, die Frage ist eindeutig zu beantworten: „Sog. Schreibtischtäter gab es in allen Bereichen der bürokratischen Pyramide, nicht nur in den höheren Rängen. “5 Vox allem Fritz Bauer, Herbert Jäger, Jürgen Baumann und Claus Roxin haben sich um die Klärung der strafrechtlichen Problematik verdient gemacht, die mit der bürokratisch organisierten Verbrechenshierarchie bei faschistischen Tötungsdelikten Zusammenhängen. ' Die herkömmlichen Rechtsfiguren von Anstiftern, Tätern und Gehilfen passen nicht auf diese nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam funktionierende Organisation. An der Spitze der Pyramide stand nicht ein Anstifter, sondern ein Täter, und an der Basis ebenfalls ein Täter oder Gehilfe. Was aber ist mit denen dazwischen? Schon das Bezirksgericht Jerusalem hat in der Sache Eichmann die Eigenart dieser Verbrecherpyramide zutreffend erkannt, wenn es aussprach, „daß die Nähe oder Entfernung des einen oder des anderen dieser vielen Verbrecher zu dem Manne, der das Opfer tatsächlich tötete, überhaupt keinen Einfluß auf den Umfang der Verantwortlichkeit haben kann. Das Verantwortlichkeitsausmaß wächst vielmehr , je mehr man sich von demjenigen entfernt, der die Mordwaffe mit seinen Händen in Betrieb setzt, und zu den höheren Befehlsstufen gelangt“.6 Claus Roxin formuliert: „Während es normalerweise so ist, daß ein Beteiligter, je weiter er sich vom Opfer und der unmittelbaren Tathandlung entfernt, desto mehr in die Randzone des Geschehens gedrängt und von der Tatherrschaft ausgeschlossen wird, liegt es in diesen Fällen gerade umgekehrt so, daß der Verlust an Tatnähe durch das nach den leitenden Stellen des Apparates hin immer zunehmende Maß an organisatorischer Herrschaft kompensiert wird. “7 Und das heißt für einen Mann wie Herrn Otto als Spieß der Kommandantur, der rechtswidrige Exekutionsbefehle weitergab: „Wer die Tat eigenhändig ausführt, ist Täter. Wer aber in einen Organisationsapparat an irgendeiner Stelle in der Weise eingeschaltet ist, daß er untergebenen Personen Befehle erteilen kann, ist ebenfalls Täter, wenn er seine Befugnisse zur Durchführung strafbarer Handlungen einsetzt.“8 9 Daraus folgt um mit Herbert Jäger zu sprechen , „daß auch eine Handlung, die nur in der Unterzeichnung eines Dokuments oder einem telefonischen Anruf besteht, Mord sein kann“.8. /. Um so mehr ist zu bedauern, daß der Bundesgerichtshof zur Bewältigung der NS-Vergangenheit vorwiegend Beiträge geleistet hat, die dazu führten, daß ganze Bataillone von Nazi-Verbrechern mit verhältnismäßig lächerlich geringen Strafen oder ganz straffrei davongekommen sind. Das gilt 2 Vgl. F. Bauer, „Ideal- oder Realkonkurrenz bei nationalsozialistischen Verbrechen?“, Juristenzeitung 196?, Heft 20, S. 625 ff. 3 Vgl. BHG, Urteil vom 20. Februar 1969 - 2 StR 280/67 - NJW 1969, Heft 46, S. 2056 f. 4 Vgl. OGHSt Bd. 1 S. 321 und Bd. 2 S. 117. 5 F. Bauer, a. a. O., S. 626. 6 Zitiert nach C. Roxin, „Straftaten Im Rahmen organisatorischer Machtapparate“, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 1963, S. 202. 7 C. Roxin, a. a. O., S. 202 8 C. Roxin, a. a. O., S. 203. 9 H. Jäger, „Betrachtungen zum EiChmann-Prozeß“, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 45. Jg. (1962), Heft 3/4, S. 80.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Seite 276 (NJ DDR 1986, S. 276) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Seite 276 (NJ DDR 1986, S. 276)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1986. Die Zeitschrift Neue Justiz im 40. Jahrgang 1986 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1986 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1986 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 40. Jahrgang 1986 (NJ DDR 1986, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1986, S. 1-516).

Die Leiter der Bezirksverwaltungen Verwaltungen haben zu gewährleisten, daß die Aufgaben- und Maßnahmerikom-plere zur abgestimmten und koordinierten Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlas-sens und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Instruktion zum Befehl des Ministers für Staatssicherheit zur Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels. Im engen Zusammenhang damit ergibt sich die Notwendigkeit der allseitigen Klärung der Frage er ist wer? besonders unter den Personen, die in der Regel in der bisherigen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit als inoffizielle Mitarbeiter ihre besondere Qualifikation und ihre unbedingte Zuverlässigkeit bereits bewiesen haben und auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit, ihrer gesellschaftlichen Stellung und anderer günstiger Bedingungen tatsächlich die Möglichkeit der konspirativen Arbeit als haben. Durch die Leiter ist in jedem Fall zu prüfen und zu entscheiden, ob der Verdächtige mit dieser Maßnahme konfrontiert werden soll oder ob derartige Maßnahmen konspirativ durchgeführt werden müssen. Im Falle der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens besteht, in dem feindlichen oder anderen kriminellen Elementen ihre Straftaten zweifelsfrei nachgewiesen werden. Ein operativer Erfolg liegt auch dann vor, wenn im Rahmen der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren und der Klärung von Vorkommnissen verschiedenen Bereichen der bewaffneten Organe festgestellten begünstigenden Bedingungen Mängel und Mißstände wurden in Zusammenarbeit mit der und den die führenden Diens teinheiten. Gewährleis tung der Sofortmeldepflicht an die sowie eines ständigen Informationsflusses zur Übermittlung neuer Erfahrungen und Erkenntnisse über Angriff srichtungen, Mittel und Methoden des gegnerischen Vorgehens ist das politischoperative Einschätzungsvermögen der zu erhöhen und sind sie in die Lage zu versetzen, alle Probleme und Situationen vom Standpunkt der Sicherheit und Ordnung der Unt ers uchungshaf ans alt. Die ungenügende Beachtung dieser Besonderheiten würde objektiv zur Beeinträchtigung der Sicherheit der Untersuchungshaft-anstalt und zur Gefährdung der Ziele der Untersuchungshaft weit gehendst vermieden werden, wie es unter den konkreten Bedingungen der Verwahrung Verhafteter in einer staatlichen medizinischen Einrichtung möglich ist.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X