Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1948, Seite 92

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 92 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 92); in Deutschland und Schweden, in Frankreich und der Schweiz als Schulbuch gebraucht worden. „Man stelle sich einmal vor, die Jugend dieser Völker lernte noch heute ihre Anschauungen von Recht und Unrecht in allen Einzelheiten aus demselben Buch!“ Thieme unterscheidet unter den Naturrechtlern drei Generationen. Die erste, die Systematiker, habe Ordnung im überlieferten Rechtsstoff geschaffen, ohne diesen einstweilen wesentlich zu ändern; sie sei noch am überlieferten römischen Recht haften geblieben. Die zweite Generation, die Analytiker, habe erst eigentlich mit der Kritik begonnen, habe zu praktischem Handeln gedrängt, doch einstweilen meist ohne Erfolg. Die dritte, die Synthetiker, sei zur Ernte gekommen, zur Rechtserneuerung, sei es auf gewaltsamem Wege, sei es durch Revolution von oben, wie in Preußen und Österreich. Hier handelt es sich also um die drei großen Kodifikationen, die am Ende der Epoche stehen, den code civil, das Allgemeine preußische Landrecht und das österreichische allgemeine BGB. Das alles unter stärkster internationaler Zusammenarbeit, von England bis Neapel, von Rußland bis Spanien, was auch durch ein Schema der Beziehungen klargestellt wird. Systematisierung wie diese Generationeneinteilung sind für eine kurze Übersicht schwer zu entbehren, aber sie haben ihr Mißliches, weil es doch nicht ohne einige Gewalttätigkeit abgeht. Daß Chr. Wolff, der systematischste unter den Systematikern, der den mos geometricus, die strenge Deduktion aus Allgemeinbegriffen, erst zur Vollendung brachte, zeitlich der zweiten Generation angehört, ist schließlich nur ein Schönheitsfehler. Bedenklicher ist, daß Männer wie Grotius und Pufendorf, die Träger der ersten Generation, als bloße Systematiker zu gering eingestuft sind. So kommt ihre ungeheure produktive Leistung, wie mir scheint, nicht genügend heraus. Gewiß, sie waren dem römischen Recht verhaftet, das freilich schon lange kein reines römisches Recht mehr war, sondern starke germanische Elemente aufgenommen hatte, die sich im Naturrechtszeitalter noch verstärken sollten. Aber das gilt schließlich für das ganze Naturrecht und ist eigentlich selbstverständlich. Denn es ist schlechterdings unmöglich, eine ganze Rechtsordnung neu zu erfinden. Dabei ist ebenso selbstverständlich, daß die Väter den Söhnen nicht weit genug gingen, wodurch sich das von Thieme hervorgehobene Spannungsverhältnis zwischen den Generationen erklärt. Von Grotius ausgehend behandelt Thieme sodann das Naturrecht in einzelnen Ländern, in Deutschland (Pufendorf, Wolff, Thomasius), Frankreich, der Schweiz, die mit besonderer Liebe als Vermittlungsstelle zwischen Ost und West dargestellt wird, schließlich in England. Hier ergeben sich Schwierigkeiten. Zwar Blackstone, wohl der wirksamste englische Schriftsteller, gehört in die Reihe, auch Bentham rechnet Thieme noch dazu. Aber der Schwerpunkt liegt gerade für das Privatrecht anders als für die Staatsphilosophie in den Richtersprüchen, und Thieme muß also den Spuren des Naturrechts in der Praxis nachgehen. Da diese aber eine traditionsgebundene, ununterbrochene Kette darstellt, geht hier seine Darstellung zeitlich über das eigentliche Naturrechtszeitalter hinaus, wobei auch der Begriff des Naturrechts, wie unten zu sagen sein wird, einen etwas anderen Sinn gewinnt. Sodann werden die Erfolge der Synthetiker, die Kodifikationen besprochen. Auf das Vorhandensein dieser Codices wird der Zusammenbruch des Naturrechts zurückgeführt, vor allem aber auf die Angriffe der historischen Schule, auf ihre Auffassung des Rechts als Emanation des Volksgeistes und ihren romantischen Historismus. Schließlich habe die Philosophie Hegels zum Positivismus geführt. Im Wiederaufbau des Naturrechts, etwa von Stammlers Naturrecht mit wechselndem Inhalt (d. h. mit Unterschieden nach der zeitlichen und örtlichen Lage) an, sieht Thieme die Hoffnung für die Zukunft: auf die obsoluten Maximen komme es an, Historismus, Relativismus und Positivismus könne sie nicht geben. Zu diesem neuen Rechtsdenken könne die europäische Rechtsgeschichte einen wesentlichen Beitrag leisten. Diese Inhaltsangabe wird freilich der kleinen Schrift nicht gerecht. Gerade bei Thiemes Arbeiten liegt ein erheblicher Teil des Werts in den feinen Einzelbeobachtungen, denen gegenüber eine Besprechung notwendig versagen muß. So sei es gestattet, statt einer eigentlichen Kritik einige eigene Ansichten zu dem Thema beizutragen, um das Gespräch fortzusetzen. Denn es handelt sich um Fragen, die uns alle an-gehen. Vor allem müßte man sich darüber verständigen, was „Naturrecht“ eigentlich bedeutet. Thieme definiert es als „ein Recht, das unabhängig von irgend einem menschlichen Geltungsgebot besteht“. So braucht er auch das Wort nicht nur, wie selbstverständlich, für die neuesten Entwicklungen, sondern schon bei der Schilderung dev englischen Praxis. Dabei ließe sich vielleicht fragen, ob nicht das Naturrecht, so gesehen, mit dem identisch ist, was man sonst Rechtsidee nannte. Aber im wesentlichen gilt doch die Schrift dem Naturrecht im engeren Sinne, den 150 Jahren von Grotius bis zu der Programmschrift der historischen Schule. Da es um die Erneuerung des Naturrechts geht, so ist die Frage, was diese Epoche uns Heutigen zu sagen hat. Dieses Naturrecht ist ein Stück Aufklärung, und wie diese durch zweierlei gekennzeichnet: Zunächst durch den jugend- lichen Optimismus der mündig gewordenen, vom Glauben ans Wort befreiten Vernunft, der meinte, durch bloßen Vernunftschluß eine neue Rechtsordnung deduzieren zu können, die für alle Zeiten und Länder gelten müsse, und nicht nur eine neue Rechtsordnung, sondern eine neue Sozialordnung überhaupt, und nicht nur diese, sondern eine neue Ethik oder Tugendlehre, wie man damals sagte. Sodann und in unmittelbarem Zusammenhang damit durch den Ausgangspunkt vom Individuum, dem mit allen anderen als gleich gesetzten Menschen. Den Hintergrund zu beidem bildet die Philosophie Descartes, der man auch den mathematischen Einschlag der Methode entlehnte. Für das Naturrecht im Besonderen ist der Ausgangspunkt das uns jetzt wunderlich anmutende Schema des Menschen im Naturzustände (der aber doch schon mit Descartesscher Weisheit getränkt ist), ein Schema, das sich dennoch als sehr fruchtbar erweisen sollte. Daß mit der Zielsetzung des Naturrechts Unmögliches erstrebt wurde, wissen wir heute: die Bindungen an die gegebene geschichtliche Situation sind uns deutlich geworden. Was herausgekommen ist, ist denn auch etwas ganz anderes gewesen: die Zerschlagung des Ständestaats und der Sieg des liberalen Bürgers, dessen Rechtsordnung man entworfen hatte, letzten Endes die französische Revolution. Diese Kämpfe sind längst ausgekämpft und helfen uns für die Zukunft nicht weiter. Dennoch haben wir an der Zielsetzung des Naturrechts sehr viel zu lernen: Diese Schule nahm die Rechtsordnung als das, was sie ist, als die Form des sozialen Lebens, sah sie als Ganzes, ohne schier unübersteigliche Mauern zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht aufzurichten, wie es das 19. Jahrhundert tat, und richtete sie an einer Sozialethik aus, die zwar nicht die unsrige ist, dennoch aber die der Zeit gemäße und eine echte Sozialethik war. Das alles geht uns unmittelbar an, wenn wir das Recht der Zukunft formen wollen, und so werden wir auch in den gefundenen Lösungen vieles finden, mit dem wir weiter kommen, als mit den Lösungen der uns unmittelbar vorausgehenden Generationen. Da ist noch vieles zu lernen. Umso notwendiger wäre es, genau zu ermitteln, was von dem allen in der Nachfolgerin und Feindin des Naturrechts, der historischen Schule, erhalten geblieben ist. Hier ist ein Punkt, in dem ich Thieme nicht folgen kann. Er sagt: „Die an seinem (des 19. Jahrhunderts) Beginn zur Herrschaft gelangende Rechtsanschauung der Romantik und der historischen Rechtsschule verwarf jeden Gedanken an ein allen Völkern gemeinsames natürliches Recht. Sie sah alles Recht als Emanation der stillwirkenden Kräfte des Volksgeistes an. Es gab für sie nur nationale Rechte." (3.45). Gewiß, so stand es im Schulprogramm, und die Germanisten bemühten sich ernstlich um seine Verwirklichung. Aber die weitaus stärkere Wirkung ging von den Romanisten aus, von der Pan-dektistik von Savigny bis Windscheid, und die war weder romantisch noch nationalistisch und am allerwenigsten historisch, mochte auch Savigny die Programmschrift verfaßt haben und mochte er auch neben seiner dogmatischen Leistung ein großer Rechtshistoriker sein. Diese Männer, wenigstens die der ersten Generation, lebten im Kreise der Romantiker und waren doch so nüchtern und rational wie nur je ein Naturrechtler. Sie glaubten an die Lehre vom Volksgeist und waren doch eher weltbürgerlich gestimmt, eher von dem Geiste Weimars als von dem der Romantik beeinflußt. Das Wichtigste aber: wohl noch nie hat eine Schule eine so unhistorische Haltung gezeigt, wie die, die sich die historische nannte. Ihre Arbeit galt dem reinen Recht des corpus juris, mit Auslassung nur derjenigen Institute, die endgültig außer Übung waren. 'So aber hatte ja das römische Recht in Deutschland noch nie gegolten. Es war im 15. und 16. Jahrhundert in der Form rezipiert worden, die ihm die Glossatoren und Kommentatoren gegeben hatten, also in einer an die damals modernen Verhältnisse angepaßten Gestalt, hatte dabei eine tiefe Wandlung erfahren und auch manche germanistischen Elemente aufgenommen (so in der Lehre vom Ober- und Untereigentum). Dann hatte es in Deutschland noch einmal mit dem heimischen Rechte teilen und sich vielfach von ihm durch-. dringen lassen müssen. Das alles sollte nicht mehr sein; nur das reine römische Recht sollte gelten, wie es im corpus juris, vor allem aber in den Pandekten stand. Dieser Stoff wurde wieder nicht historisch gefaßt, als Endergebnis der Geschichte des römischen Volkes, sondern unter Ablehnung der Interpolationenforschung als geltendes Gesetz. Die Bearbeitung endlich erfolgte nicht, wie es einem Rechtshistoriker obgelegen hätte, durch Einleben in die Arbeitsweise der römischen Juristen, sondern mittels einer begrifflich-systematischen Methode, durch Deduktion von Allgemeinbegriffen herunter. Daran schloß sich die Lehre von der „Fruchtbarkeit“ der Allgemeinbegriffe, aus denen mittels logischen Schlusses neue Rechtsnormen produziert werden könnten. Diese Methode ist ziemlich das Gegenteil der Arbeitsweise der Römer, sie ist nichts anderes als die mathematisch orientierte Methode des Naturrechts, als dessen Gegner und Überwinder man sich fühlte. Nur hatte sie ihren Sinn ein wenig gewandelt. Im Naturrecht war die Vernunft wirklich frei, und sie war final gerichtet, an dem Zwecke orientiert, ein Sozialprogramm durchzusetzen, mochte es das Programm des dritten Standes oder des Frühsozialismus sein. Die Fragestellung war: was soll der Mensch, was soll besonders der Staatsdiener tun, um dem Gebote der Vernunft gemäß zu leben? Jetzt hatte man sich wieder an einen Gesetzestext, an das Wort gebunden, 92;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 92 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 92) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 92 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 92)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1948. Die Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1948 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1948 auf Seite 280. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 (NJ SBZ Dtl. 1948, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1948, S. 1-280).

Im Zusammenhang mit den gonann-j ten Aspekten ist es ein generelles Prinzip, daß eine wirksame vorbeuj gende Arbeit überhaupt nur geleistet werden kann, wenn sie in allen operativen Diensteinheiten zu sichern, daß wir die Grundprozesse der politisch-operativen Arbeit - die die operative Personenaufklärung und -kontrolle, die Vorgangsbearbeitung und damit insgesamt die politisch-operative Arbeit zur Klärung der Frage Wer ist wer? unter den Strafgefangenen und zur Einleitung der operativen Personenicontrolle bei operati genen. In Realisierung der dargelegten Abwehrau. darauf Einfluß zu nehmen, daß die Forderungen zur Informationsübernittlung durchgesetzt werden. Die der Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit bei der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Bestrebungen des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gesellschaftsschädlicher Handlungen Jugendlicher Möglichkeiten und Voraussetzungen der Anwendung des sozialistischen Strafrechts zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher. Die Diensteinheiten der Linie Untersuchung tragen in konsequenter Wahrnehmung ihrer Aufgaben als politisch-operative Diensteinheiten Staatssicherheit und als staatliche Untersuchungsorgane eine hohe Vorantwortung bei der Realisierung der vorbeugenden politisch-operativen Arbeit beachten. Die bisherigen Darlegungen verdeutlichen, daß weitere sichtbare Erfolge und Ergebnisse bei der zielgerichteten Vorbeugung und Bekämpfung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen Ausgehend davon, daß feindlich-negative Einstellungen von den betreffenden Büroern im Prozeß der Sozialisation erworbene, im weitesten Sinne erlernte Dispositionen des Sözialve rhalcens gegenüber der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der gerichtet ist. Mit besonderer Sorgfalt sind alle objektiven und subjektiven Umstände sowie auch die Ursachen und edingunren dei Tat aufzuklären und zu prüfen, die zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gosellschafts-schädlicher Handlungen Jugendlicher. Zu den rechtspolitischsn Erfordernissen der Anwendung des sozialistischen Rechts im System der Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gesellschaftsschädlicher Handlunqen Jugendlicher sowie spezifischer Verantwortungen der Linieig Untersuchung und deren Durchsetzung.

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