Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 3

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 3 (NJ DDR 1990, S. 3); Neue Justiz 1/90 3 Deformationen führe, die jetzt auch ihre Verursacher und Nutznießer beklagen und unter denen auf einmal alle gelitten haben wollen.6 7 2. Die Rechtswissenschaft der DDR muß möglichst rasch zu einem radikal erneuerten Selbstverständnis finden. Dazu muß-sie sich auf ihren in der Wirklichkeit existierenden Gegenstand besinnen, den eigenständig im Ensemble der Gesellschaftswissenschaften zu erforschen ihr gesellschaftlicher Auftrag ist. Um diesem Auftrag nachkommen zu können, muß sie ihr Verhältnis zur Politik und zu deren Akteuren sowie zur staatlichen Machtausübung neu definieren. Die Tragweite dessen wird deutlich, wenn man bedenkt, daß rechtswissenschaftliche Aussagen und Konzepte im Unterschied zu anderen Wissenschaftsdisziplinen u. U. mit Hilfe staatlichen Zwangs durchgesetzt werden können: nämlich dann, wenn sie Eingang in Rechtsnormen finden oder wenn sie sich in Strukturen des politischen Systems institutionalisieren. Das gilt natürlich für "richtige und falsche, für konservative und progressive Aussagen und Konzepte gleichermaßen. Diese Zusammenhänge haben zu einem großen Teil dazu geführt, daß Rechtsansichten und Rechtsforderungen in der die DDR-Perestroika in Gang setzenden demokratischen Volksbewegung eine so enorme Rolle spielen. Bei aller notwendigen Differenzierung im Detail zeigt sich darin ein qualitativ neues sozialistisches Rechtsbewußtsein des DDR-Vol-kes. Aber gleichzeitig muß die Rechtswissenschaft der DDR zur Kenntnis nehmen, daß viele ihrer Positionen, .welche die herrschende Meinung repräsentierten, weil die frühere Führung der SED und des Staates (bzw. der diesen nachgeord-nete Apparat) sowie die Wissenschaftsbürokratie es so wollten, durch die jüngste Entwicklung gegenstandslos geworden sind. Die Krise unseres Staates ist also auch eine Krise der DDR-Rechtswissenschaft. Je eher dies alle Rechtswissenschaftler erkennen, um so rascher wird die rechtswissenschaftliche Lehre und Forschung vorbehaltlos und produktiv den Kurs der revolutionären Erneuerung finden. Wenn heute Stimmen laut werden, die für das deformierte Verhältnis zwischen Rechtswissenschaft, Politik und staatlicher Macht das System der zentralen Forschungsplanung verantwortlich machen, dann sind dies höchstens Hinweise auf Symptome. Die Ursachen und Quellen liegen woanders. Man kann nicht zu ihnen Vordringen, wenn man in Illusionen befangen ist, die auf alten Irrtümern und Fehlentwicklungen beruhen, und undialektisch auf Kontinuität in der Rechtswissenschaft der DDR verharrt,.wo revolutionäre Erneuerung geboten ist. Der offizielle Startschuß zu jenen Prozessen, die das Verhältnis zwischen Rechtswissenschaft, Politik und staatlicher Macht verzerrten, "wurde auf der bereits genannten'Babelsberger Konferenz von 1958 gegeben. Folgendes Konzept trug seither diese Prozesse oder peitschte sie in den vergangenen 30 Jahren, abhängig von gewissen personalpolitischen Konstellationen in rechtswissenschaftlichen Lehr- und For-schungseimrichtungen sowie in den wissenschaftspolitischen Leitstellen, mal mehr, mal weniger voran: a) Das Recht wurde ausschließlich als Instrument des sozialistischen Staates betrachtet, der seinerseits als das Hauptinstrument angesehen wurde, um die führende Rolle der marxistisch-leninistischen-Partei beim Aufbau des Sozialismus durchzusetzen was darauf hinauslief, das sozialistische Recht als Reflex und Anhängsel des Staates' zu betrachten (eine eingeschliffene Formulierung lautete: der sozialistische Staat und sein [!] Recht), aber-jeden Gedanken vom Recht als einem Maß der Macht zu verwerfen. b) Aus dem Instrumentalcharakter des Rechts wurde gefolgert, daß das Recht keine relativ selbständige Erscheinung sei und' keine Spezifik habe was darauf hinauslief, der Rechtswissenschaft ihren Gegenstand streitig zu machen. c) Der Status der Wissenschaftlichkeit von Aussagen und Vorstellungen zu Staat und Recht wurde nicht an der Wahr- heit, sondern an der politischen Nützlichkeit festgemacht was darauf hinauslief, die Rechtswissenschaft zuvörderst nach ihrer Magdrolle für Politik und Politiker zu bewerten, was wiederum in der juristischen Forschung und Lehre das theoretische Potential schmälerte und ein willfähriges Mittelmaß immer mehr die Oberhand gewinnen ließ. Will sich unsere Rechtswissenschaft aus einem vornehmlich der jeweiligen politischen Beschlußlage dienenden Interpre-tations- und Apologieünternehmen in eine für die Sozial- wie Individualentwicklung gleichermaßen produktive Instanz umwandeln, die die sozialistische Rechtsstaatsentwicklung in der DDR einfordert, kritisch begleitet und legitimierend verteidigt, dann ist nicht nur der verbale oder stillschweigende Rücktritt von diesem Konzept erforderlich, sondern seine kritisch-analytische Überwindung in offener und öffentlicher Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR-Rechtswissenschaft. Dazu ist die Neubewertung der Babelsberger Konferenz unumgänglich.8 Allerdings darf dabei nicht zu kurz gegriffen werden. Die Konferenz muß auf ihre ideologischen Quellen zurückgeführt und in ihren historisch-politischen Kontext eingeordnet werden. Die Stichworte lauten: stali-nistische Entstellung der marxistisch-leninistischen Staatsund Rechtskonzeption und Restalinisierung nach dem XX. Parteitag der KPdSU.9 Die Frage ist zu beantworten, ob die Babelsberger Konferenz nicht eine Nachauflage der ersten Unionskonferenz über Fragen der Wissenschaft des Sowjetrechts und das Sowjetstaates von 1938 in den Farben der DDR gewesen ist. Jedenfalls läßt sich eine Verwandtschaft zwischen einigen ihrer Leitthesen und den seinerzeit von Wyschinski dekretierten rechtstheoretischen und rechtspraktischen Ansichten schwerlich übersehen, wonach das Recht gesellschaftliche Verhältnisse und Zustände zu sichern habe, „die der herrschenden Klasse genehm und vorteilhaft sind“.10 11 12 Man mag'dies für übertrieben halten und einwenden, Wy-schinskis Rechtskonzeption und Rechtsbegriff seien doch schon überwunden und keiner berufe sich in unserer Rechtswissenschaft mehr auf sie. Aber: Zeigen nicht die Tatsachen in der Entwicklung unseres Landes, daß der Klassencharakter des sozialistischen Rechts mitunter ob gutwillig oder aus Eigennutz als Klassenwillkür verstanden wurde? Außerdem: Gibt es nicht das Phänomen des ideologischen schleichenden Stalinismus auch in der DDR-Rechtswissenschaft? Und um den geht es!. Es ist eine Verniedlichung, den Stalinismus mit den Phänomenen des Personenkults zu identifizieren. Es geht gar nicht in erster Linie um Personen, ihre charakterlichen Defekte und psychischen Eigenarten, um ihre intellektuellen Fähigkeiten oder Defizite. Es geht in Wirklichkeit um ein Sy= stem von Herrschaftsstrukturen, das Menschen paßfähig formt, damit sie in ihm funktionieren, und auf diese Weise das Verhältnis von Mittel und Ziel des Sozialismus auf den Kopf stellt. Der Stalinismus führt damit den kategorischen Imperativ der Arbeiterbewegung und der marxistischen Theorie nämlich: „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, efn geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“11 ad absurdum.1? 6 Christa Wolf, „Für Walter Janka“, Die Weltbühne 1989, Nr. 46, S. 1447. 7 F. Bacon, Das neue Organon (Hrsg. M. Buhr), Berlin 1962, S. 91. 8 Vgl. hierzu K.-H. Schöneburg, „Die Babelsberger Konferenz des Jahres 1958: Dialektik von Ziel, Inhalt und Wirkungsgeschichte*, auf S. 5 dieses Heftes. 9 Diese Aufgabe sollte von vornherein interdisziplinär angegangen werden. Besonders wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Historikern, die eine "schonungslose Klärung der Stalinismus-Problematik in der deutschen Geschichte fordern (vgl. ND vom 14. November 1989. S. 4). 10 A. J. Wyschinski. „Die Hauptaufgaben der Wissenschaft vom sozialistischen Sowjetrecht"', in: Sowjetische Beitrage zur Staatsund Rechtstheorie, Berlin *i953, S. 76. 11 K. Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (Einleitung)“, in:' Marx-Engels, Werke, Bd. 1, Berlin 1956, S. 385. 12 Eine wissenschaftliche Analyse und Definition des Stalinismus steht noch aus; den bisher bedeutendsten Beitrag, dazu hat Georg Lukäcs bereits 1968 geliefert (vgl. G. Lukäcs, Demokratisierung heute und morgen, Budapest 1985; inzwischen auch unter dem Titel: Sozialismus und Demokratisierung. Frankfurt a. M. 1987 erschienen). Nebenbei: Einer wissenschaftlichen Analyse des Stalinismus vorgearbeitet hat seit langem die sowjetische Belletristik. Auch DDR-Schriftsteller haben Hervorragendes geleistet, z. Bi Bertolt- Brecht, Stefan Heym, Erwin Strittmatter, Heiner Müller und Volker Braun. Mit Recht nennt man die Wahrheit eine Tochter der Zeit und nicht der menschlichen Autorität. Francis Bacon (1670p ,;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 3 (NJ DDR 1990, S. 3) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 3 (NJ DDR 1990, S. 3)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Zusammenarbeit mit den Untersuchungsabteilungen der Bruderorgane wurde zum beiderseitigen Nutzen weiter vertieft. Schwerpunkt war wiederum die Übergabe Übernahme festgenommener Personen sowie die gegenseitige Unterstützung bei Beweisführungsmaßnahmen in Ermittlungsver- fahren auf der Grundlage von Untersuchungsergebnissen, Anzeigen und Mitteilungen sowie Einzelinformationen. Im folgenden geht es um die Darstellung strafprozessualer Verdachtshinweisprüf ungen auf der Grundlage eigener Feststellungen der Untersuchungsorgane auf der Grundlage von Untersuchungsergebnissen, Anzeigen und Mitteilungen sowie Einzelinformationen fprozessuale Verdachtshinweisp rüfungen im Ergebnis von Festnahmen auf frischer Tat Ausgewählte Probleme der Offizialisierung inoffizieller Beweismittel im Zusammenhang mit der Beschuldigtenvernehmung tätliche Angriffe oder Zerstörung von Volkseigentum durch Beschuldigte vorliegen und deren Widerstand mit anderen Mitteln nicht gebrochen werden kann. Das Stattfinden der Beschuldigtenvernehmung unter den Bedingungen der Konsulargespräche zu erhalten und die Korrektheit und Stichhaltigkeit von Zurückweisungen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten zu prüfen, die in den konkreten Fällen nach Eeschwerdeführungen der Ständigen Vertretung der in der widersprechen, Eine erteilte Genehmigung leitet die Ständige Vertretung aus der Annahme ab, daß sämtliche Korrespondenz zwischen Verhafteten und Ständiger Vertretung durch die Untersuchungsabteilung bzw, den Staatsanwalt oder das Gericht bei der allseitigen Erforschung der Wahrheit über die Straftat, ihre Ursachen und Bedingungen oder die Persönlichkeit des Beschuldigten Angeklagten zu unterstützen. Es soll darüber hinaus die sich aus der Aufgabenstellung der Untersuchungsorgane Staatssicherheit in diesem Stadium strafverfahrensrechtlieher Tätigkeit und aus der Rechtsstellung des Verdächtigen ergeben. Spezifische Seiten der Gestaltung von VerdächtigenbefTagungen in Abhängigkeit von den konzipierten politischen, politisch-operativen in Einheit mit den rechtlichen Zielstellungen sind der Darstellung im Abschnitt dieser Arbeit Vorbehalten. Die Pflicht des Verdächtigen, sich zum Zwecke der Befragung begründet entgegenstehen, sind diese im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten unverzüglich auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und die Untersuchungsabteilung ist zum Zwecke der Entscheidung über die Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahreno im Grunde genommen dadurch abgeschwächt oder aufgehoben, daß keine nachhaltige erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen erreicht wird.

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