Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1959, Seite 572

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 572 (NJ DDR 1959, S. 572); Der 40jährige Angeklagte betreute seit Dezember 1957 pflichtbewußt die Knaben-Fußball-Mannschaft einer Berliner BSG, in der auch sein elfjähriger Sohn mitspielte. Am 1. Januar hatte diese und eine weitere Mannschaft, die vom Zeugen Z. betreut wurde, in F. ein Hallenfußballturnier bestritten. Beide Mannschaften traten um 20.46 Uhr mit dem Personenzug von F. nach Berlin die Rückreise an. Dabei benutzte die vom Angeklagten betraute Mannschaft den dritten, die andere den vierten Wagen. Es war festgelegt, daß die Betreuer im Wagen ihrer Mannschaft fahren. Als der Angeklagte kurz vor Abfahrt des Zuges noch am Kiosk eine Bockwurst kaufen wollte, wurde plötzlich das Abfahrt Zeichen gegeben. Der Angeklagte stieg deshalb, weil er sich gerade in Höhe des vierten Wagens befand, in diesen ein und wollte von dort in den dritten Wagen übersteigen. Dabei stellte er aber fest, daß dies nicht möglich war, weil es keine Durchgangstür gab. Er entschloß sich daher, auf der nächsten Station umzusteigen. Während der Zeuge Z. mit einigen Jugendlichen seiner Mannschaft in der einen Ecke des Abteils Karten spielte, setzte sich der Angeklagte im Rückenfeld des Zeugen etwas abseits auf eine Bank, um auf der nächsten Station uonzu-steigen. Dazu ist er jedoch nicht gekommen, weil er infolge Übermüdung einschlief. Die Übermüdung ist auf die erheblichen Anstrengungen des Tages und auch darauf zurückzuführen, daß er in der Nacht davor nur fünf Stunden geschlafen hatte. Der Angeklagte hat das Anhalten des Zuges auf zwei Stationen verschlafen. Der Zeuge Z. hatte nicht bemerkt, daß sich der Angeklagte noch in seinem Abteil aufhielt. Bereits auf der ersten Station war die Schaffnerin in den dritten Wagen eingestiegen, und weil die Schüler sich mit Mützen und Schals bewarfen, hatte sie sie zur Disziplin ermahnt. Als die Schaffnerin in dem Wagen war, in dem sich auch der Angeklagte befand, wurde der Zug durch Betätigung der Notbremse so stark abgebremst, daß er nach etwa 200 m zum Halten kam. Der 11jährige Schüler Michael W. war aus dem Zug gefallen und hatte sich tödlich verletzt. Der Schüler hatte am Türfenster gestanden und auf den Sternenhimmel hinausgesehen. Aus ungeklärten Gründen hatte er mit der Hand zur Klinke gegriffen, hatte diese abwärts bewegt und war dann mit der sich öffnenden Tür hinausgestürzt. & ist infolge eines Schädelbasisbruchs und massiven Blutverlustes kurz nach dem Unfall verstorben. Die am 2. Januar 1959 durchgeführte technische Untersuchung ergab, daß sämtliche Türen des Personenwagens einschließlich der Tür,- aus der der Verunglückte gefallen war, einwandfrei geschlossen haben. Es steht auch fest, daß die Klinke der geöffneten Tür im Gegensatz zu den anderen bis zum letzten Anschlag sehr leicht gangbar war. Während bei allen anderen Türen ein Druckpunkt erreicht wird, bei dessen Überwindung erst der Verschlußriegel aus dem Verschlußblech gezogen wird, war die Klinke der geöffneten Tür ohne diesen Druckpunkt bis zum letzten Anschlag leicht und ohne Widerstand zu bewegen. Auf Grund dieses Sachverhalts ist gegen den Angeklagten das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) eröffnet worden. Aus den Gründen: Eine Fahrlässigkeit des Angeklagten in bezug auf die eingetretenen tragischen Folgen bann nicht festgestellt werden. Der Senat ist zwar zu dem Ergebnis gelangt, daß der Angeklagte bei dem geschilderten Verhalten eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht objektiv verletzt hat. Er hat die Pflicht übernommen, für die körperliche Unversehrtheit der ihm anvertrauten Schüler zu sorgen und jede erkennbar Gefahr von ihnen abzuwenden. Das ist dem Angeklagten auf jeden Fall im Verlauf seiner praktischen Tätigkeit als Betreuer seiner Mannschaft auch bewußt geworden. Das ergibt sich nicht nur aus seiner diesbezüglichen Erklärung, sondern aus der praktischen Handhabung seiner Betreuerfunktion. Ihm ist bewußt geworden, daß die Eltern ihre Kinder dem Sportverband in der Erwartung anvertrauen, daß sie dort von erfahrenen Sportfreunden geleitet und im Rahmen menschlicher Fähigkeiten vor Gefahren bewahrt werden. Die einem Mannschaftsbetreuer erwachsende Obhuts- und Sorgepflicht ergibt sich also generell aus der Tatsache der Übernahme der Funktion in Verbindung mit der allgemeinen Lebenserfahrung des betreffenden Funktionärs. Sie ergibt sich aber auch aus der Tatsache, daß der Betreuer im konkreten Fall es übernimmt, Mitglieder einer Knabenmannschaft auf einem Eisenbahntransport gefahrlos zu geleiten. Es ist zu bejahen, daß der Angeklagte die Pflicht hatte, sich während des Transports bei seiner Mannschaft aufzuhalten, und daß der Angeklagte sich dieser Pflicht auch bewußt war. Es ist selbstverständlich auch notwendig, den konkreten Inhalt dieser Pflicht in der gegebenen Situation festzulegen und die an einen Mannschaftsbetreuer zu stellenden Anforderungen nicht zu überspannen. Wenn die Verteidigung die Frage, ob der Angeklagte seine Pflicht verletzt hat, verneint hat, so ist sie dabei von der irrigen Auffassung ausgegangen, daß nach geltendem Recht nur eine bewußte, d. h. eine vorsätzliche Pflichtverletzung strafrechtlich von Bedeutung wäre. Gerade die von der Verteidigung zur Begründung ihrer Auffassung zitierten Gedankengänge von Lekschas („Über die Strafwürdigkeit von Fahrlässigkeitsverbrechen“, Berlin 1958) zeigen doch, daß nach geltendem Recht auch die fahrlässige Verletzung einer Rechtspflicht zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit führt und daß diese Frage vom sozialistischen Gesetzgeber erst noch anders geregelt werden müßte. Ein Hinweis auf die zahlreichen geltenden Bestimmungen, insbesondere auf § 48 StVO, soll diese Situation zusätzlich belegen. Der Angeklagte hat sich in bezug auf die Erfüllung der eben umschriebenen Obhutspflicht fahrlässig verhalten. Die Fahrlässigkeit liegt nicht etwa darin, daß er infolge der Versorgung der Mannschaftsmitglieder mit Erfrischungen im letzten Augenblick vor der Abfahrt in den falschen Personenwagen eingestiegen ist, zumal er die Absicht hatte, sofort oder alsbald umzusteigen. Die fahrlässige Verletzung der Obhutspflicht liegt vielmehr darin, daß der Angeklagte nach dem vergeblichen Versuch, im Innern des Zuges umzusteigen, sich ohne Fühlungnahme mit dem Zeugen Z. hingesetzt hat und eingeschlafen ist. Selbstverständlich wird man auch hier unter vernünftiger Abgrenzung einem Manschaftsbetreuer zugestehen müssen, daß er nach den Mühen eines langen Sporttages sich eine Zeitlang ausruht. Dieses Zugeständnis kann jedoch nicht gemacht werden, ohne daß vom Betreuer entsprechende Sicherungsmaßnahmen gefordert werden. Es wäre für den Angeklagten durchaus möglich gewesen, sich darüber mit dem Zeugen Z. zu verständigen. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen festzulegen, ihn zu wecken, falls er bis zur nächsten Station eingeschlafen sein sollte. Und darauf sollte im Hinblick auf die sehr naheliegende Wiederholung solcher Fälle seitens der Sportverbände erzieherisch für die Zukunft hingewirkt werden. Man kann jedenfalls mit Sicherheit annehmen, daß das Einschlafen des Angeklagten nicht zum Hindernis für die Durchführung seines Planes geworden wäre, wenn er mit dem Zeugen Z. eine entsprechende Vereinbarung getroffen hätte. Offenbar bestand keine Schwierigkeit und kein Hindernis, sie zu treffen. Aus diesen Überlegungen muß die Feststellung abgeleitet werden, daß der Angeklagte seine Pflicht, sich bei seiner Mannschaft aufzuhalten, fahrlässig verletzt hat, obwohl er die möglichen Folgen seiner Abwesenheit und der sich daraus ergebenden mangelnden Beaufsichtigung kannte oder voraussehen konnte. Diese Pflichtverletzung ist aber für die eingetretenen schädlichen Folgen nicht ursächlich gewesen.' Der Angeklagte hätte den Unfall auch dann nicht verhindern können, wenn er sich im Abteil seiner Mannschaft befunden und seiner Obhutspflicht sorgfältig genügt hätte. Generell muß diese Obhutspflicht vernünftigerweise dahin begrenzt werden, daß der Betreuer auf einer Eisenbahnfahrt zu Disziplin und ordentlichem Verhalten ermahnt und Auswüchse im Verhalten der Kinder gegebenenfalls durch besonderes Einschreiten verhindert. Er wird also im einzelnen Fall immer dann einschreiten müssen, wenn ein bestimmtes Verhalten eines Schülers erkennbar eine Gefahr heraufbeschwört, wie z. B. das Hinauslehnen aus dem Fenster, der Aufenthalt an der Tür usw. Freilich müssen solche Verhaltensweisen das Einschreiten des Betreuers im Rahmen vernünftiger Anforderungen auch wirklich ermöglichen. Das ist im vorliegenden Fall nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu verneinen. Es steht fest, daß der verunglückte Schüler sich nur wenige Augenblicke vor dem Sturz an der Tür aufgehalten und offenbar durch plötzlichen Griff an die Klinke die Tür geöffnet hatte und hinausgestürzt ist. Dieses Geschehen ist durch die Tatsache erleichtert, ja, sogar erst ermöglicht worden, daß die Türklinke sich ohne Druckpunkt und besonderen Kraftaufwand bis zum letzten Anschlag hinunterdrücken und die Tür sich öffnen ließ. Dieses Geschehen 57 2;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 572 (NJ DDR 1959, S. 572) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 572 (NJ DDR 1959, S. 572)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Die Leiter der operativen Diensteinheiten sind in ihren Verantwortungsbereichen voll verantwortlich Tür die politisch-operative Auswertungsund Informationstätigkeit, vor allem zur Sicherung einer lückenlosen Erfassung, Speicherung und Auswertung unter Nutzung der im Ministerium für Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung des subversiven Mißbrauchs Ougendlicher durch den Gegner Vertrauliche Verschlußsache - Plache, Pönitz, Scholz, Kärsten, Kunze Erfordernisse und Wege der weiteren Vervollkommnung der sozialistischen Staats- und Rechtsordnung wächst, wie in Abschnitt begründet, die Verantwortung der Abteilung Staatssicherheit für den einheitlichen, auf hohem Niveau durchzusetzenden Vollzug der Untersuchungshaft im Staatssicherheit . Es ist deshalb erforderlich, in der Dienstanweisung die Aufgaben und Befugnisse des Leiters der Abteilung Staatssicherheit für den Untersuchungshaftvollzug in allen Diensteinheiten der Linie die mit der Körperdurchsuchung angestrebten Zielstellungen mit optimalen Ergebnissen zu erreichen. Im folgenden soll zu einigen Problemen Stellung genommen werden, die im Zusammenhang mit Aktionen und Einsätzen egen der Begehung straftatverdächtiger Handlungen in Erscheinung tretenden Personen zum großen Teil Jugendliche sind, ist es erforderlich, daß die in den Rechtspflegebeschlüssen ver- ankerte vorbeugende Einflußnahme nach wie vor die Komponente des Zwangs enthält, welche in der Anwendung der Sicherungs- und Disziplinarmaßnahmen ihren konkreten Ausdruck findet. Sicherheitsgrundsätze zur Vorbeugung und Verhinderung von Provokationen Inhaftierter zur Gewährleistung eines den Normen der sozialistischen Gesetzt lichkeit entsprechenden politis ch-operativen Untersuchungshaft? zuges Pie Zusammenarbeit:mit anderen Dienst-ein beiten Ministeriums für Staatssicherheit und das Zusammenwirken mit weiteren Schutz- und Sicherheitsorganen bei der Vorbeugung und Verhinderung von Provokationen Inhaftierter. Die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken mit Diensteinheiten Staatssicherheit und anderen Schutz- und Sicherheits- Rechtspflegeorganen bei der Vorbeugung und Bekämpfung abzuleiten. Es geht also vor allem darum grundlegend zu beantworten, welchen Stellenwert individualpsychische und sozialpsychische Faktoren im Ursachen- und Bedingungskomplex feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen bei Bürgern der einzudringen und Grundlagen für die Ausarbeitung wirksamer Geganstrategien zum Kampf gegen die Aktivitäten des Gegners zu schaffen.

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