Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1959, Seite 261

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 261 (NJ DDR 1959, S. 261); Richtern geihörte es, im konkreten Fall den humanistischen Charakter der sozialistischen Strafpolitik, ihre Parteilichkeit darzulegen und den rechtspolitischen Sinn des § 9 SIEG zu erläutern, der jedem Dogmatismus den Kampf ansagt und hohe Anforderungen an das politische Verantwortungsbewußtsein der Richter stellt. Besonders stark macht sich das Fehlen einer ausreichenden Erläuterung des rechtspolitischen Sinnes von Rechtsnormen bei Verurteilungen wegen Staatsverleumdung bemerkbar. Antidemokratische Äußerungen sind stets, auch wenn sie nicht bestraft werden müssen, moralisch-politisch verwerflich und damit Ausdruck rückständigen Bewußtseins. Die Entscheidungen sollen zur Überwindung des Widerspruchs zwischen dem Bewußtsein des Täters und den auch sein Leben bestimmenden, ihn umgebenden gesellschaftlichen Verhältnissen beitragen. Die häufig übermäßige Auseinandersetzung mit dem Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit gern. § 20 StEG orientiert aber nicht auf das Wesentliche die ideologische Auseinandersetzung , sondern auf formale Auslegungsfragen. So kam der Senat in der Strafsache I BSB 53/58 zutreffend zum Freispruch, da die Äußerung des Angeklagten zwar unsachlich war, aber inhaltlich nicht den Tatbestand der Staatsverleumdung erfüllte. Diese für die Unterscheidung zwischen Verbrechen und nicht strafbaren Handlungen wichtigen Feststellungen stellte der Senat aber an den Schluß umfangreicher Ausführungen über die „Öffentlichkeit“ und wertete sie noch durch die Überleitung „ . im übrigen ist .“ weiter ab. Ähnlich verfuhr das Bezirksgericht in der Strafsache gegen B. Das Urteil des Kreisgerichts wurde unter Aufrechterhaltung der Tatsachenfeststellungen aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an die Strafkammer zurückverwiesen. Hier ging es um folgenden Fall: Die Angeklagte hat in einer Wohnungsangelegenheit in ihren Privaträumen gegenüber dem Leiter der Abteilung Wohnungswesen im Beisein ihrer Tochter den Bürgermeister der Korruption bezichtigt. Das Kreisgericht verurteilte sie deshalb wegen Staatsverleumdung. Mit der Berufung wurde ungenügende Sachaufklärung, fälschliche Anwendung des § 20 Abs. 2 StEG, Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtige Strafzumessung gerügt. Im wesentlichen wurde vorgetragen, daß die Angeklagte mit ihren Äußerungen nicht den Bürgermeister habe treffen wollen und daß das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit nicht erfüllt sei. Während der Senat sich mit dem Ort und den Umständen der Handlung verhältnismäßig eingehend befaßt, wird über die auf der subjektiven Seite erforderliche Absicht der Angeklagten lediglich gesagt, sie habe nicht Vorgelegen. Das Oberste Gericht hat zum Merkmal der Öffentlichkeit in seinem Urteil vom 18. Oktober 1957 (NJ 1958 S. 68) ausgeführt, daß die Voraussetzung der Öffentlichkeit auch dann gegeben sei, wenn an einem an sich nichtöffentlichen Ort (Privaträume und dgl.) die persönliche Atmosphäre durch die besondere Art der Äußerung und der völlig unpersönlichen Beziehungen, in denen der Kundgebende und der Empfänger der Mitteilung gegenüberstehen, beseitigt ist. Es wies darauf hin, daß insbesondere am solche Personen zu denken ist, die in Ausübung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit in den privaten Räumen des Täters weilen und von diesem genötigt werden, sich staatsverleumderische Erklärungen anzuhören. Nach dieser Bestimmung des Begriffs der Öffentlichkeit konnte der Senat die Nichtöffentlichkeit der Äußerung nur aus dem Fehlen der für notwendig gehaltenen Absicht folgern. Da das zweitinstanzliche Urteil diese Frage völlig offen ließ, kann es keine Anleitung geben, geschweige denn überzeugen. Es ist bekannt, daß das Rechtsmittelgericht die Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit in Strafverfahren allseitig zu überprüfen hat. Dazu gehört die Pflicht, auch dort Kritik zu üben, wo die zu treffenden Feststellungen wegen des beschränkten Umfangs des Rechtsmittels auf die Entscheidung ohne Einfluß bleiben müssen. Besonders wenn das erstinstanzliche Urteil im wesentlichen aufrechterhalten blieb, glaubt her Senat, dessen nicht zu bedürfen. Gänzlich falsch ist es anzunehmen, daß sich die Aufrechterhaltung der Entscheidung des Kreisgerichts nicht mit der Kritik am Urteil vertrage. Die tatsächlich vorhandenen Mängel sind durch Schweigen nicht aus der Welt zu schaffen. Das Rechtsmittelgericht muß in jeder Entscheidung, auch wenn sie die Zurückweisung des Rechtsmittels ausspricht, die kritikbedürftigen Feststellungen und Unterlassungen der ersten Instanz, die von Einfluß auf die Entscheidung sein können, behandeln. Gegebenenfalls wird das Bezirksgericht auch von sich aus zur Anregung der Kassation kommen müssen. Das Rechtsmittelgericht soll auch nie die Klärung sich aufdrängender Fragen umgehen, sondern muß- die sich im Prüfungsverfahren für eine Anleitung des Erstgerichts bietenden Möglichkeiten schon wegen seines Auftrags, zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach Kräften beizutragen, nutzen. Es ist natürlich nicht zu verkennen, daß der Strafsenat, wenn allein Berufung eingelegt wurde, nur beschränkte Möglichkeiten hat, die Strafhöhe zu beeinflussen. Das darf den Strafsenat, gerade weil er die erste Instanz anleiten soll, nicht davon abhalten, die Gedanken niederzulegen, die die erste Instanz an sich zu beachten gehabt hätte. Dazu gehört aber auch, daß z.B. bei schweren Diebstählen gern. § 243 StGB darauf eingegangen wird, daß die Begehungsart dieser Verbrechen nicht die Bedeutung hat, die ihr der bürgerliche Gesetzgeber beimaß. Die §§ 28 ff. StEG haben diese Überschätzung der Bedeutung der Begehungsart für die Strafzumessung beseitigt. Die zweite Instanz muß deshalb auch auf die erste Instanz in der Weise einwirken, daß die bisherige formale Anwendung des § 243 StGB überwunden wird, damit zwischen dem Schutz des persönlichen Eigentums und des gesellschaftlichen Eigentums Differenzen zuungunsten des gesellschaftlichen Eigentums vermieden werden. Auch die zweite Instanz muß beachten, daß das Urteil die Widerspiegelung der rekonstruierten Tat im Kopf des Richters darstellt. Diese Widerspiegelung aber erfolgt nicht unbeeinflußt vom Bewußtsein, sondern im Gegenteil in unmittelbarer Abhängigkeit von ihm. Das Bewußtsein lenkt bereits die Empfindungen und die Wahrnehmungen, weil sich in ihm unmittelbar und mittelbar erlangtes Wissen zu Erfahrungen niedergeschlagen hat, die im Erkenntnisprozeß wirken. Da folglich eine fehlerhafte Rechtsprechung ihre Ursachen in ideologischen Mängeln hat, muß das Rechtsmittelgericht die Richter der ersten Instanz bewußt erziehen, indem es deren Bewußtseinsmängel aufdeckt und am Beispiel die richtige Anschauung darlegt. Solche Bewußtseinsmängel sind auch die Ursache, wenn für den Sachverhalt wesentliche Momente nicht beachtet werden. In dem bereits geschilderten Verfahren gegen C., der seinen Arbeitskollegen wegen eines geringfügigen Streits verprügelte, war von beiden Instanzen nicht gewürdigt worden, daß der junge Geschädigte gegen den älteren Angeklagten beleidigend geworden war. Daß dieser Umstand nicht für wesentlich gehalten wurde, ist zweifellos bewußtseinsmäßig begründet. Jede Auseinandersetzung mit dem Urteil der ersten Instanz ist also eine ideologische Auseinandersetzung mit den Anschauungen der Richter, die dieses Urteil verfaßt haben. Die §§ 293 Abs. 4, 223 StPO fordern, daß auch das zweitinstanzliche Urteil in zusammenhängender Darstellung alle wesentlichen Momente für die Begründung der Höhe der ausgesprochenen Strafe behandeln muß. Daher kann es nie richtig sein, wenn der Senat sich der ausführlichen Würdigung der Gesellschaftsgefährlichkeit des verbrecherischen Handelns enthält. Es ist bekannt, daß die Herausarbeitung der spezifischen Gesellschaftsgefährlichkeit konkreter Gesetzesverletzungen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Gerade deshalb muß das Rechtsmittelgericht besonderen Wert auf eine vorbildliche Rechtsprechung legen, die beispielhaft in der Würdigung der spezifischen Gesellschaftsgefährlichkeit ist. Das Kernstück des Prüfungsverfahrens ist, festzustellen, ob alle wesentlichen Umstände z.B. die Handlung, die Person des Täters einschließlich ihres in ihrem gesamten Verhalten objektivierten Bewußtseins, die Motive, die Tatfoestandsmäßigkeit, die Gesellschaftsgefährlichkeit erforscht und ob die Beweise einzeln sowie in ihrer Gesamtheit richtig, vollständig und 261;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 261 (NJ DDR 1959, S. 261) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 13. Jahrgang 1959, Seite 261 (NJ DDR 1959, S. 261)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den Feind und bei der weiteren Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. Die höheren Sicherheits-erfordernisse sowie die veränderten politischen und politisch-operativen Lagebedingungen stellen höhere Anforderungen an die Qualität der politisch-operativen Arbeit. Ein Grunderfordernis bei allen politisöK-ioperativen Prozessen und Maßnahmen besteht darin, daß das Grundprinzip der tschekistischen Tätigkeit, die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit und die Hauptvvege ihrer Verwirklichung in Zusammenhang mit der Dearbeitung von Ermittlungsverfahren. Die Gewährleistung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit ergeben sich zugleich auch aus der Notwendigkeit, die Autorität der Schutz-, Sicherheits- und Justizorgane als spezifische Machtinstrumente des sozialistischen Staates bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft nach dem Parteitag der Akademie-Verlag Lenin und die Partei über sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtsordnung Progress Verlag Moskau und Berlin Grundrechte des Bürgers in der sozialistischen Gesellschaft auftreten? Woran sind feindlich-negative Einstellungen bei Bürgern der in der politisch-operativen Arbeit Staatssicherheit zu erkennen und welches sind die dafür wesentliehen Kriterien? Wie ist zu verhindern, daß Jugendliche durch eine unzureichende Rechtsanwendung erst in Konfrontation zur sozialistischen Staatsmacht gebracht werden. Darauf hat der Genosse Minister erst vor kurzem erneut orientiert und speziell im Zusammenhang mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens deutlich zu machen. Diesen Forschungsergebnissen werden anschließend einige im Forschungsprozeß deutlich gewordene grundsätzliche Erfordernisse zu solchehPrüfungsverfahren angefügt, die von den Untersuchungsorganen Staatssicherheit durchgeführten strafprozessualen Verdachtshinweisprüfungsn im Ergebnis von Festnahmen auf frischer Tat zustande. Dabei beziehen sich dieser Anteil und die folgenden Darlegungen nicht auf Festnahmen, die im Rahmen der zulässigen strafprozessualen Tätigkeit zustande kamen. Damit im Zusammenhang stehen Probleme des Hinüberleitens von Sachverhaltsklärungen nach dem Gesetz in strafprozessuale Maßnahmen.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X