Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1958, Seite 657

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 657 (NJ DDR 1958, S. 657); Vor 25 Jahren: Reichstagsbrandprozeß in Leipzig Aus Anlaß der 25. Wiederkehr des Leipziger Reichstagsbrandprozesses veröffentlichen wir Auszüge aus dem Buch von Marcel Willard: La Defense accuse, Paris, Editions Sociales 1951. Marcel Willard nahm während der ersten Prozeßwochen als ausländischer Beobachter und Verteidiger am Verfahren vor dem Reichsgericht teil, wurde dann aber von der Gestapo verhaftet und aus Deutschland ausgewiesen. Dimitroff übergab ihm nach, seiner Befreiung alle seine Notizen und Schriftstücke aus der Zeit der Untersuchungshaft und erläuterte ihm die Linie seiner Verteidigung. Auf der Grundlage dieser Gespräche und Dokumente entstand der Hauptabschnitt in Willards Buch, das bisher den deutschen Lesern noch nicht zugänglich gemacht ist. Es war meine Absicht, den unterdrückten Massen in den Gefängnissen, den Konzentrationslagern, in den Fabriken, diesen Massen, die in einer gewissen Depression lebten, einen Funken revolutionären Mutes zu zeigen. Ich wollte ihnen durch das Beispiel zeigen, daß der Kampf gegen den Faschismus gar nicht so schrecklich ist. Georgi Dimitroff Wie und wodurch hat Dimitroff gesiegt? Durch welche außerordentliche Entfaltung von Mut, Energie, Selbstbeherrschung, Intelligenz und intuitivem wie deduktivem Genie konnte er mit seiner offensiven Verteidigung trotz der absoluten Isolierung, in der er gehalten wurde, trotz der Brutalitäten, denen er ausgesetzt war das Schicksal einer solchen Schlacht entscheiden? Dies ist das „Geheimnis“ Dimitroffs, dies ist das „Wunder“ von Leipzig, das Dimitroff selbst uns erklären wird. Man darf nicht glauben, daß der Kampf erst am 21. September 1933 begonnen hatte, in dem Augenblick, in dem die Hauptverhandlung vor dem Reichsgericht begann. Dieser Hauptverhandlung sind sechs Monate polizeilichen Ermittlungsverfahrens und geheimer gerichtlicher Voruntersuchung vorangegangen. Was würden wir von diesen ersten Kämpfen, von dieser strategischen Vorbereitung wissen, wenn der Sieger Dimitroff nicht befreit worden wäre! Wenn wir heute in der Lage sind, an Hand von Unterlagen diese einleitende Phase der Prozeßvorbereitung zu analysieren, so verdanken wir dies der Tatsache, daß Dimitroff unter Ausnutzung der Verwirrung der Besiegten einen bedeutenden Teil seiner Briefe und Notizen aufbewahren konnte. Um die Linie Dimitroffs verfolgen zu können, ist es notwendig, sich genau die Ziele vor Augen zu halten, die sich der Feind gestellt hatte, als er der Provokation der Brandstiftung die Provokation des Prozesses folgen ließ. Diese Ziele zählt Dimitroff selbst in einem Artikel auf, der am 4. März 1934 in der „Prawda“ veröffentlicht wurde. Es sind folgende: 1. Die Provokateure von Schuld reinzuwaschen. 2. Den brutalen Terror und die ungeheuerlichen Verfolgungen gegen das revolutionäre Proletariat zu rechtfertigen, vor der öffentlichen Meinung die barbarische Zerstörung größter kultureller Werte, den Kreuzzug gegen die Wissenschaft, die mitleidlose Vernichtung des linken bürgerlichen Liberalismus, die großen Pogrome, die Morde usw. zu rechtfertigen. 3. Eine neue antikommunistische Kampagne auszulösen; dieser Prozeß sollte zur Grundlage eines neuen Monsterprozesses gegen die Kommunistische Partei Deutschlands werden. 4. Der Prozeß sollte den Beweis dafür erbringen, daß die faschistische Regierung den Weltkommunismus „siegreich“ bekämpfte und das kapitalistische Europa rechtzeitig vor der kommunistischen Gefahr gerettet hatte Aber was wußte Dimitroff, als er zehn Tage nach dem Reichstagsbrand verhaftet wurde? Wie er mir sagte, waren ihm von Anfang an dreierlei Tatsachen offensichtlich: 1. Es handelte sich um eine Provokation der faschistischen Regierung. 2. Die Nazis selbst hatten den Reichstag in Brand gesetzt. 3. Niemals im Laufe des ganzen Prozesses konnte es sich darum handeln, die wahren Brandstifter ausfindig zu machen; der Prozeß sollte vielmehr dazu dienen, den Eindruck zu erwecken, daß die Feinde des Regimes, d. h. die Kommunisten, die Schuldigen seien. Von diesen Tatsachen ausgehend, hat Dimitroff die Grundprinzipien seines Aktionsplanes entwickelt, der darin bestand, die Anklage der Brandstiftung mit politischen Argumenten zu widerlegen. Es war politisch unmöglich, daß die Kommunisten die Brandstifter waren: die Brandstiftung konnte nur durch Provokateure oder Irre begangen worden sein; sie war ein Attentat gegen die deutsche Arbeiterklasse und ihre Kommunistische Partei. Auf diesen offensichtlichen Wahrheiten wird Dimitroff nicht nur den Beweis seiner Unschuld errichten, sondern auch Schlußfolgerungen hinsichtlich der wahrhaft Schuldigen daraus ziehen. Nur ganz am Rande und als ein Hilfsargument akzeptierte Dimitroff, auch das zu seiner Verteidigung heranzuziehen, was die Juristen einen Tatumstand nennen. Dieser Tatumstand war tatsächlich von entscheidender Bedeutung, weil er darin bestand, daß Dimitroff in der Nacht der Brandstiftung gar nicht in Berlin gewesen war und vom Reichstagsbrand erst am Morgen des 28. Februar im Münchener Schnellzug Kenntnis erhalten hatte. „Ich erklärte“, so sagte mir Dimitroff, „daß diese Frage für mich nur eine zweitrangige Bedeutung hatte. Mein wahres Alibi war die Tatsache, daß ich als ein verantwortlicher Kommunist nicht der Brandstifter sein konnte. Aber wenn es aus juristischen Gründen notwendig wäre, diesen Punkt klarzustellen, so wäre ich in der Lage, den Beweis dafür zu führen, daß ich am fraglichen Tage nicht in Berlin, sondern in München gewesen bin.“ So hat Dimitroff dieses Verteidigungsmittel, dieses Alibi, das juristisch gesehen genügt hätte, um ihm jede andere Anstrengung der Verteidigung zu ersparen und mit dem sich ein Torgier begnügt hätte, nur mit Zurückhaltung benutzt. Er gibt keinesfalls vor, es für unwichtig zu halten, aber er weist es in den Hintergrund, um ganz deutlich zu machen, daß der einzige entscheidende Beweis, das einzige entscheidende Alibi in den Augen eines aktiven Antifaschisten der politische Beweis, das politische Alibi sind, und daß die einzige Verteidigung, die verdient, daß man sich auf sie konzentriert, die politische Verteidigung ist. Das Politische ist das Ziel; dem Juristischen darf keine größere Bedeutung zukommen als einem Hilfsmittel. Bedeutet das, daß man dieses juristische Hilfsmittel mißachten darf? Keineswegs. Dimitroff hat mir gegenüber mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß es „für eine gute politische Verteidigung notwendig ist, das Gesetz genau zu kennen und diese Kenntnis gut zu verwenden. Man muß ihm Aufmerksamkeit zuwenden,, jedem seiner Paragraphen, aber immer nur unter dem Gesichtspunkt der politischen und nicht der persönlichen Verteidigung. Mit anderen Worten: wenn sich ein Funktionär der Arbeiterbewegung einer konkreten Anklage gegenüber befindet, muß er diese durch konkrete Tatsachen zerschlagen, ohne jedoch dabei jemals das politische Ziel seiner Verteidigung aus den Augen zu verlieren.“ Dies ist die Grundidee, die Dimitroffs gesamte Verteidigung beherrscht, von der ersten polizeilichen Befragung bis zum Schluß der Hauptverhandlung. 657;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 657 (NJ DDR 1958, S. 657) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Seite 657 (NJ DDR 1958, S. 657)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 12. Jahrgang 1958, Ministerium der Justiz (MdJ), Oberstes Gericht (OG) und Generalstaatsanwalt (GStA) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1958. Die Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 am 5. Januar 1958 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 vom 20. Dezember 1958 auf Seite 868. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 12. Jahrgang 1958 (NJ DDR 1958, Nr. 1-24 v. 5.1.-20.12.1958, S. 1-868).

Die Leiter der operativen Diensteinheiten und mittleren leitenden Kader haben zu sichern, daß die Möglichkeiten und Voraussetzungen der operativ interessanten Verbindungen, Kontakte, Fähigkeiten und Kenntnisse der planmäßig erkundet, entwickelt, dokumentiert und auf der Grundlage exakter Kontrollziele sind solche politisch-operativen Maßnahmen festzulegen und durchzuführen, die auf die Erarbeitung des Verdachtes auf eine staatsfeindliche Tätigkeit ausgerichtet sind. Bereits im Verlaufe der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens alles Notwendige qualitäts- und termingerecht zur Begründung des hinreichenden Tatverdachts erarbeitet wurde oder ob dieser nicht gege-. ben ist. Mit der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die gleiche Person anzugeben, weil die gleichen Ermittlungsergebnisse seinerzeit bereits Vorlagen und damals der Entscheidung über das Absehen von der Einleitung eines Ermit tlungsverfahrens. Gemäß ist nach Durchführung strafprozessualer Prüfungshandlungen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, wenn entweder kein Straftatverdacht besteht oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung gibt. Das ist in der Regel bei vorläufigen Festnahmen auf frischer Tat nach der Fall, wenn sich allein aus den objektiven Umständen der Festnahmesituation der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermit tlungsverfah rens Wird bei der Prüfung von Verdachtshinweisen festgestellt, daß sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen. Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermitt-lungsverfahrens absehen, wenn nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen wird. Solange diese von uns vorgeschlagene Neuregelung des noch nicht existiert, muß unseres Erachtens für gegenwärtig von nicht getragene Entscheidungen des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtlich unbegründet erscheint - wercffen auch diese Prüfungsverfahren von der UntersuchungsjpbteiluhfJ grundsätzlich nicht in offiziellen Prüf ungsakten sPuswiesen.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X