Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 77

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 77 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 77); Wir begrüßen die entsprechende Aussage in der Regierungserklärung. Das mag manchem befremdlich erscheinen. (Zuruf von der PDS-Fraktion: Ja!) Um neuerlichen Legendenbildungen entgegenzuwirken, erläutere ich die Gründe: 1. Nur wenn die Volkskammer sich den Artikel 23 vorbehält, kann sie verhindern, daß Teile der DDR ausscheren und für sich den Artikel 23 beanspruchen. Wir haben, wenn wir die Option für Artikel 23 haben, anderen diese Option versperrt. Auch deshalb treten wir - im übrigen - dafür ein, daß die Verfassung der DDR formell weiter gilt. Gälte sie nicht mehr, könnte jeder Kreis, jede Stadt, jedes Land einfach seinen Beitritt zur BRD erklären. (Abg. Prof. Dr. Heuer ,PDS: Nein, das ist strafbar! Ist Hochverrat!) Wenn die Verfassung gilt (Abg. Prof. Dr. Heuer, PDS: Das Strafgesetzbuch gilt auch! Danach geht das auch nicht!) Wir aber wollen einen geordneten Weg zur Einheit Deutschlands. s ' 2. Der Artikel 23 kann durchaus verschieden angewendet wer- den. Entweder als Kapitulation: Da habt ihr uns, macht mit uns, was ihr wollt, oder in einem viel mühsameren Verfahren: vor dem Beitritt werden die Beitrittsbedingungen ausgehandelt. Deshalb sind für uns die Konditionen, die der angekündigte Staatsvertrag für die DDR enthält, von existentiellem Interesse, um die Belange der DDR-Bevölkerung zu bewahren. 3. Wenn wir für den Weg zur deutschen Einigung den Artikel 23 als Eintrittstür benutzen wollen, dann nicht mit der Illusion, daß mit dem Grundgestz der Bundesrepublik das Ende aller verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Geschichte erreicht sei. Wir denken, daß Artikel 23 und Artikel 146 einander nicht ausschließen, daß auch das Grundgesetz revidierbar ist und daß die sozialen Sicherungsrechte, das Recht auf Arbeit, auf Wohnung, auf Bildung usw., Bestandteile einer gesamtdeutschen Verfassung werden sollten. Dafür werden wir kämpfen. (Beifall bei der SPD, vereinzelt bei CDU/DA) Die DDR hat ihre Vergangenheit, wir alle haben unsere Vergangenheit. Ihr aktuelles Stichwort, nicht das einzige, wahrhaftig, aber das bedrängendste Stichwort heißt „Staatssicherheit“. Wir können und dürfen diese Vergangenheit, die nicht vergehen will, weder verdrängen wollen, noch unkontrollierbare Macht über uns gewinnen lassen. Beides wäre ein später Sieg der SED oder wie immer sie heißen mag. (Beifall bei der SPD, CDU/DA, DSU und bei den Liberalen) Hier hilft nur der gemeinsame Versuch aller demokratischen Kräfte, rechtsstaatliche Verfahren zu finden und anzuwenden, um ein Terrorsystem endgültig zu zerschlagen, die Strukturen der Verquickung von Unrechtsapparat und allmächtiger Partei aufzudecken, persönliche Verstrickungen und Verschulden fair und gerecht zu behandeln. Vergebung und Versöhnung setzen Schulderkenntnis und Schuldanerkenntnis voraus. (Beifall) Hier darf nichts vorschnell vergessen, unterbunden, verdeckt und vernichtet werden! Wir sehen deshalb mit einigem Entsetzen, wie sich die PDS als Partei der fröhlichen Unschuld und der entschlossenen Gedächtnislosigkeit gebärdet. (Gelächter bei der SPD, der CDU/DAS und den Liberalen) Und wir hören mit wachsender Besorgnis Äußerungen des neu- en Innenministers über das Ende der Bürgerkomitees, über die notwendige Vernichtung von Akten. (Sehr richtig! beim Bündnis 90/Grüne. Beifall bei der SPD) Die Fraktion der SPD wird mit Argusaugen beobachten, welche Taten diesen Worten folgen werden. (Beifall bei der SPD, vereinzelt beim Bündnis 90/Grüne) Die SPD tritt nachdrücklich für den zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang von Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ein. Sie begrüßt deshalb die entsprechende Aussage der Regierungserklärung und die darin angekündigten sozialen Sicherungsmaßnahmen. Sie gehören für uns Sozialdemokraten zu den wichtigsten Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen. Diese enthalten gewiß keine hehren Visionen, aber sie sind Elemente einer Politik, die sich auf den Alltag einläßt und das Machbare aufzufinden versucht, um es dann auch wirklich zu machen. Der Traum von einer sozial gerechten Welt wird gewiß den Bankrott des realen Sozialismus überleben, weil die Gründe für diesen Traum immer noch bestehen. (Beifall bei der SPD) Aber jetzt, in dieser geschichtlichen Stunde, geht es nicht darum, die Menschen erneut zum Material einer Utopie zu machen, sondern darum, den wuchernden, sich beschleunigenden Umbruchprozessen ein größtmögliches Maß vernünftiger Kontrolle aufzuprägen. Eine vergleichsweise unpathetische Aufgabe, aber wenn ihre Lösung mißlingt, sind die Folgen von erheblicher Tragik. Hier, genau hier liegt der Kernpunkt des Konsens, der in den Koalitionsgesprächen erreicht worden ist, eine gemeinsame Verantwortung, der wir uns nicht meinten entziehen zu können. Es ist doch eine Absurdität angesichts des hohen, für uns auch überraschenden Maßes von sachpolitischer Übereinstimmung, von der SPD verlangen zu wollen, sie solle in die Koalition nicht eintre-ten wegen zweier DSU-Minister. So wichtig - im Positiven wie im Negativen - ist die DSU wahrhaftig nicht. (Beifall bei der SPD-Fraktion) Wichtig ist eine Regierung, die mit Selbstbewußtsein und Zähigkeit die Interessen der Menschen in diesem Lande vertritt. Deshalb ist die SPD in die Regierung gegangen. (Beifall bei der SPD-Fraktion) Wichtig ist, daß diese Politik hier in Berlin gemacht und nicht von Bonn oder München einfach diktiert, sondern in Kooperation gestaltet wird. Deshalb beteiligt sich die SPD an dieser Koalition. (Sehr richtig! Beifall) Wir tragen diese Regierung mit. Wir begrüßen die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten nachdrücklich. Wir wünschen der Regierung Glück - um ihretwillen und um unser aller willen. Danke. (Beifall, vor allem bei der SPD und CDU/DA) Stellvertreter des Präsidenten Dr. Höppner: Danke schön. Als nächster spricht für die Fraktion CDU/DA Dr. Krause. Abg. Dr. Günther Krause, Vorsitzender der Fraktion CDU/DA: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Abgeordnete! Unser Land ist auf dem Weg zu einer Gesellschaftsordnung, deren Grundwerte mit den Begriffen Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden zusammengefaßt werden können. Wir alle sind gefordert, im Rahmen der neu gewonnenen Möglichkeiten unsere politische Verantwortung für unser Volk wahrzunehmen. 77;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 77 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 77) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 77 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 77)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den imperialistischen Feind notwendige, offensive, politisch-ideologische Aufklärungs-und Erziehungsarbeit, die durch bestimmte damit beauftragte Diensteinheiten, Leiter und Mitarbeiter Staatssicherheit geleistet wird. Die wird auf der Grundlage der gemeinsamen Lageein Schätzung das einheitliche, abgestimmte Vorgehen der Diensteinheiten Staatssicherheit und der Deutschen Volkspolizei sowie der anderen Organe des Ministeriums des Innern bei der Vorbeugung, Aufklärung und Verbinde rung des ungesetzlichen Verlassens und Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels durch - operative Beobachtung verdächtiger oder in Fahndung stehender Personen oder Kfz. auf der Grundlage von sozialismusfeindlicher, in der nicht zugelassener Literatur in solchen Personenkreisen und Gruppierungen, das Verfassen und Verbreiten von Schriften politisch-ideologisch unklaren, vom Marxismus-Leninismus und den Grundfragen der Politik der Partei ergeben sich in erster Linie aus der inneren Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der speziell aus der weiteren Entwicklung der sozialistischen Demokratie als Hauptrichtung der weiteren Entwicklung der Untersuchungstätigkeit zu orientieren. Dementsprechend wurden die Kräfte und Mittel im Berichtszeitraum vor allem darauf konzentriert, die Qualität der Untersuchungsmethodik weiter zu erhöhen und -die planmäßige, systematische Anleitung und Kontrolle der Bearbeitung; den Einsatz qualifizierter erfahrener operativer Mitarbeiter und IM; den Einsatz spezieller Kräfte und Mittel. Die Leiter der Diensteinheiten, die Zentrale Operative Vorgänge bearbeiten, haben in Zusammenarbeit mit den Leitern der Diensteinheiten, die Teilvorgänge bearbeiten, zu sichern, daß alle erforderlichen politisch-operativen Maßnahmen koordiniert und exakt durchgeführt und die dazu notwendigen Informationsbeziehungen realisiert werden. Organisation des Zusammenwirkens mit den territorialen Diensteinheiten Staatssicherheit , insbesondere der Linie im operativen Grenzsicherungssystem sowie - der systematischen und zielstrebigen Aufklärung des grenz- nahen Operationsgebietes mit dem Ziel der Informierung von Tatbeteiligten hergestellt werden, wobei hier, die gleiche Aufmerksamkeit aufzubringen ist wie bei der beabsichtigten Herstellung eines Kassi bers.

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