Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 499

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 499 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 499); Anfrage aus der PDS-Fraktion: Ich hätte gern gewußt, ob dem Abgeordneten bekannt ist, warum das Krankenkassensystem in der Bundesrepublik seit einigen Jahren als reformbedürftig gilt? Dr. Wöstenberg (Die Liberalen): Das ist mir sehr wohl bekannt. Aber die Einheitsversicherung in der DDR - das haben wir doch jeden Tag erlebt, ich bin ja selbst aus dem Gesundheitswesen - hat die Probleme nicht lösen können. Ich glaube, wir müssen davon abgehen, uns vorzustellen, alles wieder reglementieren zu können. (Zuruf von der PDS: Ich hatte nicht nach der Einheitsversicherung gefragt, sondern nach dem Krankenkassensystem in der Bundesrepublik.) Das ist mir bekannt. Danke für den Hinweis. Stellvertreter der Präsidentin Dr. Gottschall: Herr Prof. Reich, bitte. Prof. Dr. Reich für die Fraktion Bündnis 90/Grüne: -/ Verehrte Abgeordnete! Ich denke, wir sind uns einig, daß das staatsbevormundete Gesundheits- und Sozialwesen, das wir hatten, nicht nur einer Reform bedürftig ist, sondern umstrukturiert, abgeschafft gehört. (Vereinzelt Beifall bei Bündnis 90/Grüne) Der Gesetzentwurf, der uns vorgelegt wird, bedeutet einen wesentlichen Schritt in dieser Umgestaltung von der Kommando- und Staatswirtschaft in diesem Bereich auf eine marktwirtschaftliche Orientierung in Richtung auf die Formen, auf die Ausgestaltung, die wir in der Bundesrepublik haben. Zunächst ist uns natürlich klar angesichts des Zustandes unseres Gesundheitswesens - ich will hier keine Einzelheiten bringen -, daß eine Angleichung an das bundesrepublikanische System eine wesentliche Verbesserung der Leistungsmöglichkeiten bringt, in der Pflege, in der apparativen Ausstattung, in der Qualität der Versorgung mit Medikamenten und vor allem in der Innovationskraft der medizinischen Versorgung. Ich habe aber auch Bedenken und möchte diese vortragen, auch im Anschluß an die kleine Debatte, die eben war: Das Ge-undheitswesen und auch das Rentenwesen der Bundesrepublik '-£ind nach Auskunft aller Beteiligten dort reformbedürftig. Es befindet sich in Überarbeitung. Sie haben einige Schwächen, und es besteht die Gefahr, daß gerade die Schwächen bei uns, in unserer nicht sehr stark ausgeprägten Situation, besonders durchschlagen. Wir haben z. B. ein ambulantes Behandlungsmonopol der kassenärztlichen Vereinigungen. Das bedeutet, daß zwar das Einkommen der Ärzte sehr gut gesichert ist, daß wir aber auch eine Trennung von ambulanter und staatlicher Versorgung bekommen, die sehr unangenehm ist - Doppeluntersuchungen, fehlende Verbindung zwischen den beiden Bereichen. Wir haben das Prinzip der Einzelleistungsvergütung. Das wollen wir bei uns auch einführen, und das ist auch richtig. Wir dürfen aber dabei die Tendenz auf keinen Fall aus dem Auge lassen, daß es zu einer Betonung von Apparate- und Technikmedizin führt, vor dem Gespräch mit dem Patienten, und eine Art Unternehmerarzt zu erzeugen droht, und das wollen wir sicher alle nicht haben. Man beklagt sich dort über die Übermacht der Pharmaindustrie mit ihren 70 000 Medikamenten, über die Übermacht der Geräteindustrie, daß der Notdienst z. B., der nicht in dieses System so richtig hineinpaßt, unzureichend qualifiziert ist, daß die Arbeitsmedizin durch ihre Abhängigkeit von den Unternehmen keine volle, z. B. auch keine kritische Wirksamkeit entfalten kann. Und man beklagt sich darüber, daß das Reformgesetz zur Kostendämpfung finanzielle Belastungen für chronisch Kranke, Behinderte und Alte bringt. Die Zersplitterung in 1150 Kassen hat die medizinische Behandlung ständemäßig zersplittert und entsolidarisiert. 10 % der Bevölkerung mit hohem Einkommen und geringem Risiko sind in Privatkassen abgehoben von einem Solidarbeitrag für die schwächeren Schichten der Bevölkerung. Wie gesagt, ich habe die Befürchtung, daß viele Nachteile dieses Systems bei uns durchschlagen, und darauf müssen wir achten. Und ich appelliere an alle, daß wir gemeinsam darauf achten. Eine besondere Sorge gilt auch den nicht Beitragsfähigen. Zum Beispiel gehören jetzt zu dieser beitragsorientierten Sozialversicherung nicht mehr die Sozialhilfeabhängigen und nicht mehr ihre Kinder. Laut dem Sozialhilfegesetz bekommen sie zwar medizinische Betreuung - so wie wir es bis jetzt entworfen haben -, aber nicht mehr andere Dinge, wie z. B. Kuren. Ich denke, wir sollten das im Zusammenhang sehen und hier Besserungen vornehmen. Eine große Gefahr - als letztes Wort - ist, glaube ich, daß wir eine Verbürokratisierung des Abrechnungswesens über die Kassen bekommen werden. Es wird jede Leistung einzeln abgerechnet, nachgefragt, Steuer usw. Wir überwinden damit die nicht leistungsgemäße Abrechnung, die wir bis jetzt hatten, aber wir werden eine viel größere Anzahl von mit Papier Beschäftigten bekommen, und ich denke, es ist eine Aufgabe der Aufsichtsgremien, die wir zu diesen Körperschaften schaffen, daß das nicht überhand nimmt. Ich bin nicht so sehr überzeugt, daß Konkurrenz - so wie es der Vorredner sagte - und Vielzahl an Angeboten unbedingt zu Verbesserungen und Verbilligung von Leistungen führt. Es gibt auch da immer Tendenzen, sich gegenseitig über Absprachen zu verständigen. Und ich würde meinen, eine Segmentierung, eine Gliederung von Kassen- und Rentensystemen sollte überwiegend nach regionalen Gesichtspunkten erfolgen und nicht über ständisches Auseinanderdividieren zur Entsolidarisierung führen. Wir haben Bemerkungen zu Einzelheiten dieses Entwurfs. Die bringen wir dann in den Ausschüssen vor. Das würde hier mit Paragraphen usw. nicht sehr informativ sein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall) Stellvertreter der Präsidentin Dr. Gottschall: Herr Abgeordneter Reich, erlauben Sie zwei Fragen? Dr. Kröger (PDS): Herr Prof. Reich, würden Sie mir zustimmen, daß wir in diesem Sozialversicherungsgesetz sehr wohl einige Leistungen, was Sach- und Geldleistungen betrifft, übernehmen und bewahren, die bisher von der von Ihnen und auch von den Vorrednern geschmähten Einheitsversicherung erbracht worden sind? Prof. Dr. Reich (Bündnis 90/Grüne): Ja, da stimme ich Ihnen zu. Das ist von der Frau Minister gestern auch deutlich gemacht worden. Dr. Brecht (SPD): Herr Prof. Reich, Sie haben hier sehr feinsinnig die Ambivalenz des bundesdeutschen kassenärztlichen Systems aufgezeigt. Ich vermisse aber bei Ihnen eine Alternative, wie man den Gefahren entgegenwirken könnte, die sich durch die Aufsplitterung der Kassen ergeben. 499;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 499 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 499) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 499 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 499)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

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