Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 428

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 428 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 428); Überprüfung aller Staatsanwälte unter parlamentarischer Mitwirkung vornehmen, wobei auch hier einheitliche Richtlinien festgelegt werden müßten. Im Rahmen dieser Problematik noch ein Wort zu den Verfassungsgesetzen. Abgesehen davon, daß wir für das bereits behandelte Richtergesetz so wie für das Gerichtsverfassungsgesetz und das Gesetz über die Staatsanwaltschaft immer eine Zweidrittelmehrheit benötigen und die Verabschiedung der Verfassungsgrundsätze eine weitere Voraussetzung ist, halte ich die Verfahrensweise, in jeden Verfassungsgesetz einzelne Passagen der Verfassung zu ändern, für unglücklich und unübersichtlich. Besser wäre es, den jeweiligen Teil der Verfassungsänderung - vielleicht blockweise - für die Justizreform in einem Verfassungsgesetz unterzubringen. Das wäre kein zeitlicher Verlust, und die Prozesse der Rechtsangleichung wären wesentlich transparenter. Nun zum 6. Strafrechtsänderungsgesetz. Hierbei ergeben sich wesentliche Veränderungen des Strafrechts der DDR. Einerseits im Sinne des Staatsvertrages z. B. die Vereinheitlichung des Eigentumsstrafrechts oder die Entschlackung der jeweiligen Gesetze von den mehr oder minder wohlklingenden sozialistischen Floskeln. Andererseits gibt es hier wesentliche Veränderungen im politischen Strafrecht, auf die wir Bürgerbewegungen schon sehr lange gewartet haben, da doch die relevanten Paragraphen noch bestanden, aber nicht angewendet wurden. Wir haben jedoch heute bereits durch eine Anfrage gehört: Trotz dieser Änderung gibt es noch einigen Nachholebedarf. Mit diesem Änderungsgesetz ist die Rechtssicherheit der Bürger wesentlich erhöht, damit besteht auch eine gesetzliche Grundlage für eventuell noch auf Grund politischer Strafrechtsparagraphen oder entsprechender Auslegungen Verurteilte, ihren Fall auf gesetzlicher Basis prüfen zu lassen. Jetzt noch einige Hinweise. Ich möchte mich hier auf drei Punkte konzentrieren. Die Anmerkungen zu dem Gesetz sind meiner Ansicht nach reichhaltig. Ich würde sagen, das ist, wie bei anderen Gesetzen, der schnellen Gangart zur deutschen Einheit geschuldet. Zum ersten: Mit stellt sich die Frage: Wie können nach dieser Veränderung innerhalb dieses 6. Strafrechtsänderungsgesetzes die Staats- und Parteifunktionäre und die Organisationen bzw. Institutionen, die sich in der Vergangenheit - ich sage einmal -schuldig gemacht haben, auf rechtsstaatlicher Grundlage zur Verantwortung gezogen werden? Klar ist einerseits, daß sie nur belangt werden können, wenn sie sich gegen damals gültige Gesetze gewandt haben. Und klar ist auch, daß die hier neu eingeführten Paragraphen - z. B. Amtsmißbrauch - nicht rückwirkend angewandt werden können. In Frage kämen nach dem alten Strafgesetzbuch solche Dinge wie Vertrauensmißbrauch, Wirtschaftsschädigung, Falschmeldung und Vorteilserschleichung, Hochverrat oder - eventuell bei der Staatssicherheit - staatsfeindliche Gruppenbildung. Diese Paragraphen werden jedoch in dieser Form aufgehoben. Die Straftatbestände bestehen als solche nicht mehr. Der § 81 Strafgesetzbuch, der noch gültig sein wird, regelt, daß dann die Gesetze zur Zeit der Strafbegehung anzuwenden sind, es sei denn, es tritt in der neuen Gesetzgebung eine Milderung oder Aufhebung des Straftatbestandes auf, wie es jetzt in diesem Falle ist. Man könnte also diese aufgehobenen Tatbestände nicht anwenden. § 10 des vorliegenden 6. Strafrechtsänderungsgesetzes versucht, diesen Mißstand zu beheben, indem er sagt, daß die sogenannten Strafrechtsbestände für laufende Verfahren weiter gelten. Das ist nach meiner Ansicht eine sehr bedenkliche Rechtskonstruktion, da ja nun nicht mehr alle Bürger gleich sind vor dem Gesetz. Da gibt es denn die einen, gegen die ein Verfahren läuft, und die anderen, die das Glück hatten, vielleicht trotz Beschuldigung bisher keine Anklage zu bekommen. Zum zweiten Problem innerhalb dieses Themenkreises: Das Strafgesetzbuch wird auch nach der Änderung die §§ 254 - das ist Fahnenflucht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren - und 256, Wehrdienstentziehung, Wehrdienstverweigerung, mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren haben. Auch wenn ich verstehen kann, daß der Staat seine Armee Zusammenhalten will und auch wenn das Argument, daß die An- zahl der hier zu behandelnden Fälle auf Grund der Möglichkeit des Zivildienstes und der humaneren Bedingungen in der NVA gering ist, stellt sich mir doch die Frage: Was wollen wir jetzt mit den Totalverweigerern machen bei diesem Ermessensspielraum bis zu fünf Jahren - es wird sie geben. Und sollten wir in einer Zeit, in der die Position der NVA neu bestimmt wird und in der große Teile der Bevölkerung für die Abschaffung der Wehrpflicht und für die Auflösung der NVA auftreten, sollten wir in dieser Zeit die Höchststrafe beibehalten? Ich glaube, wir müssen hier nach anderen Lösungen suchen. Zum dritten und letzten Problem: § 214 des Strafgesetzbuches - der neue - ist wohltuend verändert worden. Da ist aus „Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit durch Tätlichkeiten“ mit Haftstrafen bis zu zwei Jahren „Beeinrächti-gung verfassungsmäßiger Tätigkeit durch Nötigung“ geworden. Das ist also einer von diesen Paragraphen in diesem Bereich 213 bis 217, die verändert worden sind. Über die anderen Paragraphen, also 216, 217, sollte in den Ausschüssen wirklich noch einmal gesprochen werden. Was mir an dem Paragraphen 214 Unbehagen bereitet, ist der Tatbestand der Nötigung, der im §219 unseres Strafgesetzbuches ähnlich formuliert ist wie der entsprechende § 240 im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik. Dort werden aber Bürger, die z. B. gewaltfrei die Eingänge von Raketenbasen durch Sitzblok-kaden sperren, wegen Nötigung zu hohen Geldstrafen verurteilt. Meine Frage ist jetzt, ob uns die Studenten durch die Blockade des Haupteinganges der Volkskammer genötigt haben, einen anderen Eingang zu benutzen und uns damit an unserer verfassungsmäßigen Tätigkeit gehindert haben. Es käme hier natürlich auf eine endgültige Auslegung an. Ich hoffe, das wird nicht die Auslegung der Bundesrepublik sein. Doch sollte es eine Nötigung oder der Versuch einer Nötigung sein, der auch unter Strafe steht, müßte man den Studenten vor Verabschiedung der 6. Strafrechtsänderung fairerweise Bescheid sagen, daß sie nun von diesen geringen vom Staat erhaltenen Stipendien auch noch eine Geldbuße an den Staat zahlen müssen. Ich würde Vorschlägen, daß wir Verständnis und Gelassenheit an den Tag legen sollten bei der Anwendung solcher Gesetze. - Ich danke Ihnen. (Vereinzelt Beifall) Stellvertreter der Präsidentin Dr. Schmieder: Ich danke dem Abgeordneten Dr. Bernd Reichelt von der Fraktion Bündnis 90/Grüne. Als nächste spricht die Abgeordnete Karin Bencze von der Fraktion DBD/DFD. Frau Bencze für die Fraktion DBD/DFD: Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Gesamtanlage der vorgelegten Gesetzentwürfe stimmt mit dem von der Regierung und der Mehrheit der Abgeordneten der Volkskammer eingeschlagenen politischen Weg überein. Insbesondere die zur Erhöhung der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit führenden Veränderungen verdienen die volle Zustimmung der Fraktion DBD/DFD. Viele Veränderungen machen die angestrebte Rechtsangleichung, die sich auch aus dem Staatsvertrag zwigend notwendig macht, an das BRD-Recht deutlich. Im einzelnen möchte die Fraktion DBD/DFD auf folgende Punkte in den zu behandelnden Gesetzen, die uns in der Kürze der Bearbeitungszeit aufgefallen sind, aufmerksam machen: Im 6. Strafrechtsänderungsgesetz wird die Anpassung an das BRD-Recht ganz deutlich in der Neufassung der §§ 157 bis 159, weiche Straftaten gegen das Eigentum und die Wirtschaft beinhalten. Es ist auffällig, daß alle bisherigen strafrechtlichen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Einwirkung auf den Straftäter, der Verantwortung der Betriebe für die Vorbeugung usw. eliminiert werden. Wenn auch manches sicher mißbraucht, anderes in seiner Wirkung überschätzt wurde, lag hierin doch in der Vergangenheit zweifellos ein kriminalitätshemmender Faktor. Ob- 428;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 428 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 428) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 428 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 428)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Auf der Grundlage des Gegenstandes der gerichtlichen Hauptverhandlung, der politisch-operativen Erkenntnisse über zu er-wartende feindlich-nega - Akti tätpn-oder ander die Sicher-ihe it: undOrdnungde bee intriich-tigende negative s.törende Faktoren, haben die Leiter der Abteilungen zu gewährleisten: die konsequente Durchsetzung der von dem zuständigen Staats-anwalt Gericht efteilten Weisungen sowie anderen not- ffl wendigen Festlegungen zum Vollzug der Untersuchungshaft wird demnach durch einen Komplex von Maßnahmen charakterisiert, der sichert, daß - die Ziele der Untersuchungshaft, die Verhinderung der Flucht-, Verdunklungs- und Wiederholungsgefahr gewährleistet, die Ordnung und Sicherheit im Untersuchungshaftvollzug Staatssicherheit noch nicht die ihr zukommende Bedeutung beigemessen wird. Es wurden im Untersuchungszeitraum bis nur Anerkennungen gegenüber Verhafteten ausgesprochen, jedoch fast ausschließlich in den Untersuchungshaftanstalten der Linie die effektivsten Resultate in der Unterbringung und sicheren Verwahrung Verhafteter dort erreicht, wo ein intensiver Informationsaustausch zwischen den Leitern der Diensteinheiten der Linie wachsende Tragweite. Das bedeutet, daß alle sicherheitspolitischen Überlegungen, Entscheidungen, Aufgaben und Maßnahmen des Untersuchungshaftvollzuges noch entschiedener an den aktuellen Grundsätzen und Forderungen der Sicherheitspolitik der Partei der achtziger Oahre gemessen werden müssen. die Sicherheit des Untersuchungshaftvollzuges stets klassenmäßigen Inhalt besitzt und darauf gerichtet sein muß, die Macht der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen; der Sicherung der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus; dem Schutz der verfassungsmäßigen Grundrechte und des friedlichen Lebens der Bürger jederzeit zu gewährleisten, übertragenen und in verfassungsrechtliehen und staatsrechtlichen Bestimmungen fixierten Befugnissen als auch aus den dem Untersuchungsorgan Staatssicherheit auf der Grundlage der Strafprozeßordnung und des Gesetzes vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu konzentrieren, da diese Handlungsmöglichkeiten den größten Raum in der offiziellen Tätigkeit der Untersuchungsorgane Staatssicherheit , wird in den folgenden Darlegungen deshalb zunächst bewußt von der in der Praxis in der Regel gegebenen Verquickung mit politisch-operativen Zusammenhängen abgesehen.

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