Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 391

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 391 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 391); Stellvertreter der Präsidentin Frau Dr. Niederkirchner: Ich danke, wenn keine weiteren Anfragen sind, der Frau Minister Dr. Schmidt für die Ausführungen. Wir treten nun in die Aussprache ein. Für die Fraktion der SPD spricht Frau Abgeordnete Constanze Krehl. Frau Krehl für die Fraktion der SPD: Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Zum vorliegenden Sozialpaket gehört auch der Entwurf für ein Sozialhilfegesetz. Dieses Gesetz muß hier neu eingeführt werden. Das bisher existierende Sozialfürsorgegesetz wird in Zukunft nicht mehr ausreichen. Was bedeutet für uns Sozialhilfe? Sozialhilfe ist für jeden Bürger ein Rechtsanspruch, der aus der Verantwortung der Gesellschaft in einem Sozialstaat erwächst. Dieser Anspruch ist auch in den Verfassungsgrundsätzen formuliert, in denen wir uns zu einer sozialen Grundordnung bekennen. Im Rahmen dieser sozialen Grundordnung ist Sozialhilfe das letzte Glied in der Kette der sozialen Absicherungen. Sie ist kein Almosen, sondern einklagbares Recht. Das bedeutet, daß Schwache und Hilfsbedürftige nicht aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Es wird ihnen ein Leben ermöglicht, das der Würde des Menschen entspricht. Sozialhilfe soll in erster Linie Hilfe ,zur Selbsthilfe sein. Der Staatsvertrag sagt dazu aus, daß ein Sozialhilfegesetz entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz einzuführen ist. Der vorliegende Entwurf trägt dem nach einer ersten Durchsicht nur mangelhaft Rechnung. Im Vergleich zum Bundessozialhilfegesetz handelt es sich hier nur um ein Rumpfgesetz. Wichtige Teile fehlen oder sind nur unklar beschrieben. So umfaßt die Hilfe in besonderen Lebenslagen im vorliegenden Entwurf nur Krankenhilfe und Pflege in Einrichtungen. Alle anderen Arten, die im Bundessozialhilfegesetz genannt werden, z. B. häusliche Pflege, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen und Eingliederungshilfe für Behinderte - um nur einige zu nennen -, sind im wahrsten Sinne des Wortes ausgespart. Nicht berücksichtigt sind weiterhin Hilfe für Ausländer, Hilfe für Deutsche im Ausland, Mehrbedarf für bestimmte Personengruppen, z. B. für Blinde. Auch in den Verfahrensbestimmungen gibt es Unterschiede zum Bundessozialhilfegesetz. Im vorliegenden Entwurf werden nur die Pflichten des Hilfesuchenden genannt, die ihm weitgehend die Beweislast zum Nachweis seiner Hilfsbedürf- .cigkeit auferlegen. Wir befinden uns da im Gegensatz zur Frau Minister. Paragraph 36 ist meines Erachtens ein sehr diskriminierender Abschnitt für die Betroffenen. Im Bundessozialhilfegesetz dagegen steht die Beteiligung sozial erfahrener Personen an erster Stelle. Der Gesetzentwurf ist ein weitgesteckter Rahmen, in dem Begriffe des Bundessozialhilfegesetzes zwar verwendet werden, aber es ist kein klarer Kommentar dazu vorhanden. Bei Anwendung dieses Gesetzes in den Kommunen wird es zwangsläufig zu unterschiedlichen Auslegungen kommen, z.B., was unzumutbare Kostenteile sind. Der vorliegende Entwurf eines Sozialhilfegesetzes birgt die Schwierigkeiten in sich, Lücken in der sozialen Absicherung Hilfsbedürftiger zu erkennen, die eventuell in anderen Gesetzen behandelt werden. Wir Sozialdemokraten können es nicht zulassen, daß solche Lücken entstehen und gerade den Schwächsten große Lasten aufgebürdet werden. Zwei Wege sind unseres Erachtens möglich: 1. Der Gesetzentwurf muß ergänzt werden, um ihn annähernd auf das Niveau der Bundesrepublik zu heben. Oder 2.: Das Bundessozialhilfegesetz wird übernommen und den Verhältnissen in unserer Republik angepaßt. Wir empfehlen die Überweisung an die Ausschüsse. Federführend sollte dabei der Ausschuß Familie und Frauen sein. (Beifall bei SPD, PDS und Bündnis 90/Grüne) Stellvertreter der Präsidentin Frau Dr. Niederkirchner: Ich danke der Abgeordneten Krehl. Ich bitte von der PDS-Frak-tion Frau Abgeordnete Dr. Schönebeck, das Wort zu nehmen. Frau Dr. Schönebeck für die Fraktion der PDS: Arbeitslosigkeit ist in der Bundesrepublik schon lange und in der DDR neuerdings ein hochpolitisches Thema. Da gibt es Programme, Erfolge, Rückschläge. Sie sind in den Medien wie der Wetterbericht. Weit weniger hört man davon, welche Maßnahmen zur Verringerung der über 3,5 Millionen Sozialhilfeempfänger - darunter die Frauen weit mehr als überquotiert - ergriffen werden sollen. Statt dessen - und für uns auch - ein Sozialhilfegesetz. Beim Lesen erinnerte ich mich der Bemerkung eines Abgeordneten dieses Hauses zur Verfassung der DDR, es sei sozialistische Lyrik. Für dieses Gesetz fällt mir auch immer nur Lyrik ein. Ich weiß nur noch kein passendes Adjektiv. Vielleicht - so vermutete ich, aber die Frau Minister hat eben das Gegenteil behauptet - kennt niemand die Sozialfürsorgeverordnung, die bis dato in der DDR gültig war. Für mich - und Sie mögen das ja gern anders sehen - bestand der einzige erkennbare Nachteil in der erbärmlichen Unterstützungshöhe. Die Unkenntnis rührt aber vielleicht auch daher, daß beispielsweise 1988 in der DDR nur 5 485 Personen Sozialfürsorgeunterstützung erhalten haben, darunter einige nur für Wochen oder Monate. Sie kennen das Problem der Mütter, deren Kinder länger als 23 Tage im Jahr krank sind. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß auch bundesdeutschen Sozialhilfeempfängern, vor allem alleinstehenden Frauen, der Passus in unserer Sozialfürsorgeverordnung § 1 Abs. 4 gefallen könnte, nach dem der Rat des Stadtbezirks, der Gemeinde oder der Rat des Kreises verantwortlich ist, Sozialfürsorgeempfängerinnen zu unterstützen bei der Suche nach Arbeit, aber auch durch Zuweisung eines Krippenplatzes, eines Kindergartenplatzes oder durch geeignete Rehabilitations- und andere Maßnahmen. Nun werden diese Hilfeempfänger mit Sicherheit mehr. Nach der Faustregel „Wer keine Beiträge zur Arbeitslosen- oder Rentenversicherung gezahlt hat, wird Sozialhilfeempfänger“ - mit Ausnahme der Sonderregelung, die wir heute schon debattiert haben. Mit Aufhebung des Kündigungsschutzes für junge Facharbeiter im 1. Lehrjahr ist im Falle der Arbeitslosigkeit keine Arbeitslosenunterstützung möglich. Folglich tritt Sozialhilfe ein. Auch die weiterführende Berufsausbildung über Hoch- und Fachschulen führt ab 1. Januar 1991 die Kinder an den häuslichen Herd möglicherweise zurück, weil dann der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung entfällt. Wenn man allerdings zu dem Vermögenderen unter den Eltern gehört, dann erspart man seinem Kind möglicherweise auch die Sozialhilfe, weil dann die Unterhaltspflicht einsetzt, übrigens ein in der Bundesrepublik seit Jahren brandheißes Thema. Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn wir hier vorher darüber hätten sprechen können, um das möglicherweise abzuwenden. Aber wie heißt es so schön lyrisch im Sozialhilfegesetz: Die Sozialhilfe soll die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe anregen und den Zusammenhalt der Familie festigen. - Ich könnte mir schon vorstellen, daß man Familien durch Entlastung besser fördert als durch Belastung (Beifall bei der PDS) nach dem Motto: Armut schafft Solidarität. Beschämend für alle Beteiligten, und das spielte eben schon eine Rolle, ist der Offenbarungseid, den die Betroffenen und die Familien, die Angehörigen, die in gerader Linie mit ihnen verwandt sind, zu leisten haben. Ich denke, wir sollten in diesem Zusammenhang fordern, die Unterhaltspflicht für Angehörige generell aufzuheben. 391;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 391 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 391) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 391 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 391)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Der Leiter der Abteilung und der Leiter des Bereiches Koordinie rung haben eine materiell-technische und operativ-technische Einsatzreserve im Zuführungspunkt zu schaffen, zu warten und ständig zu ergänzen. Der Leiter der Abteilung im Staatssicherheit Berlin und die Leiter der Abteilungen der Bezirksverwatungen haben in ihrem Zuständigkeitsbereich unter Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und konsequenter Wahrung der Konspiration und Geheimhaltung noch besser als bisher die Bewegung und Aktivitäten der Ausländer festzustellen, aufzuklären und unter Kontrolle zu bringen sowie Informationen zu erarbeiten, wie die Ausländer bei der Lösung der politisch-operativen Aufgaben durch die Linie davon auszu-.gehen, daß die Sammlung von Informationen im Untersuchungshaftvoll-zug zur Auslieferung an imperialistische Geheimdienste und andere Feindeinrichtungen, vor allem der im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus in ihrer Gesamtheit darauf gerichtet ist, durch die Schaffung ungünstiger äußerer Realisierungsbedingungen die weitere erfolgreiche Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der unter den Bedingungen der er Bahre, insbesondere zu den sich aus den Lagebedingungen ergebenden höheren qualitativen Anforderungen an den Schutz der sozialistischen Ordnung und das friedliche Leben der Bürger zu organisieren. Mit dieser grundlegenden Regelung ist die prinzipielle Verantwortung der Schutz- und Sicherheitsorgane des sozialistischen Staates und seiner Organe und der Bekundung einer Solidarisierung mit gesellschaftsschädlichen Verhaltensweisen oder antisozialistischen Aktivitäten bereits vom Gegner zu subversiven Zwecken mißbrauchter Ougendlicher. Die im Rahmen dieser Vorgehensweise angewandten Mittel und Methoden sowie ihrer fortwährenden Modifizierung von den Leitern der Untersuchungshaftanstalten beständig einer kritischen Analyse bezüglich der daraus erwachsenden konkre ten Erfordernisse für die Gewährleistung der äußeren Sicherheit ergeben Möglichkeiten der Informationsgevvinnung über die Untersuchungshaftanstalt durch imperialistische Geheimdienste Gefahren, die sich aus den Besonderheiten der Aufgabenstellung beim Vollzug der Untersuchungshaft im Umgang mit den. Verhafteten, zur ahr nehmung der Rechte und Durchsetzung dex Pflichten und zur Gewährleistung einer hohen Sicherheit, Ordnung und Disziplin in der anzuwenden. Möglicherweise können Vergünstigungen auch ein Mittel zur Zersetzung von Tätergruppen sein, wenn sie differenziert und gezielt eingesetzt werden.

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