Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 1815

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1815 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1815); Vergangenheitsbewältigung bietet? Muß die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit nicht an Personen festgemacht werden? Sollten nicht gerade wir hier in diesem Haus uns vor einer entpersonifizierten Vergangenheitsbewältigung, vor einer anonymen Tätermasse hüten? Sollten wir nicht den Schritt nach vorn wagen? Wie soll Neubeginn ohne Aufarbeitung möglich sein? Treffen wir mit dieser Namensnennung denn tatsächlich den Bereich der Schuldigen? Es handelt sich hier um informelle Mitarbeiter, die kleinsten Bausteine jenes gigantischen Unterdrückungsapparates, nicht um die Befehlshaber, sondern um Spitzel, die zweifellos zum Funktionieren der Maschinerie notwendig waren. Der Auschuß fragte sich: Stehen die Abgeordneten als erste frei gewählte Parlamentarier in der DDR nicht in einer erhöhten moralischen Verantwortlichkeit? (Beifall) Stehen sie nicht für eine neue Politik und eine neue Verhaltensweise? Erheben sie nicht den Anspruch auf den aufrechten Gang? Sollte das eine Namensnennung auch bei laufenden Fernsehkameras nicht rechtfertigen? Der Ausschuß mußte sich bei seinen Überlegungen aber auch danach orientieren, welche Motivation die Antragsteller oder die .Befürworter des Antrags hier im Plenum mit der Beschlußlage verbunden haben? Hofft nicht mancher hier im Saal, durch die Nennung der Namen die eigene Person im Lichte der Öffentlichkeit reinzuhalten, auf diesem Wege indirekt eine Bestätigung für seine Unbescholtenheit zu erlangen? Dies, meine Damen und Herren, vermögen dieser Antrag und die absolvierten Überprüfungen nicht zu leisten. Spätestens seit den Ausführungen des Abgeordneten Hildebrand muß klar sein: Die auf der Grundlage der Drucksache Nr. 5 vom Zeitweiligen Prüfungsausschuß nach ebenjenen bereits genannten Kriterien bestätigten Namen sind eine Zufallsauswahl. Meine Damen und Herren! Ich will es mit aller Deutlichkeit sagen: So wie das MfS die Akten in wohlweislicher Konfusität übergeben hat, kann niemandem bescheinigt werden, daß es über ihn keine belastende Akte in den Archiven gibt. Und letztlich bleibt auch noch die Frage nach der Ausgewogenheit von Tat und Strafe. Durch die Nennung des Namens im Plenum ist die Öffentlichkeit auf das höchste Maß hergestellt. Eine Möglichkeit zur Differenzierung des Einzelfalls scheint kaum noch gegeben. Die Konsequenzen für die Person, für die Ehefrau, für die Kinder, für die gesamte Familie sind nicht abschätzbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag verlangt das Abwägen zwischen dem Recht der Opfer, zwischen dem Bedürfnis nach Offenheit und nach Wahrheit und der moralischen Schuld einzelner, die heute im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Diese gewichtige Entscheidung konnte der Zeitweilige Prüfungsausschuß nicht treffen. Der Auschuß kann sich nicht selbst seiner Pflichten entziehen. Er kann sich nicht selbst andere Bedingungen definieren, als die Volkskammer ihm aufgetragen hat. Der Zeitweilige Prüfungsausschuß hat deshalb in der Drucksache Nr. 246 a der Volkskammer vorgeschlagen, dem eingebrachten Antrag nicht zuzustimmen. Diese Entscheidung, meine Damen und Herren, muß in voller Verantwortung über die Bedeutung und die Konsequenzen der Entscheidung die Volkskammer selbst treffen. Wir konnten unserer Verantwortung nur insoweit Genüge tun, als daß wir gestern dem Volkskammerpräsidium von unseren Beweggründen Bericht erstattet und heute in der Hoffnung verbleiben, daß alle Fraktionen im Bewußtsein um die Brisanz der Probleme die Entscheidung treffen, die sie für richtig halten. - Danke schön. (Beifall) Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Es liegen zwei Wortmeldungen vor. Ich bitte von der Fraktion der DSU den Abgeordneten Haschke, das Wort zu nehmen. - Eine Anfrage? - Herr Abgeordneter Schwanitz, es war noch eine Anfrage. Mikrofon 5 bitte. Frau Wollenberger(Bündnis 90/Grüne): Herr Abgeordneter! Meinen Sie nicht, daß die Betreffenden genügend Gelegenheit hatten, sich nicht für ein Mandat in der Volkskammer zu bewerben (Starker anhaltender Beifall) und sich somit auch nicht der Gefahr ausgesetzt hätten, öffentlich exponiert zu werden? Und wie, wenn man jetzt die Namen nicht nennt, will man denn verhindern, daß sich die Betreffenden auch für andere Mandate, z. B. im Landtag, bewerben? (Beifall) Schwanitz, Berichterstatter des Zeitweiligen Prüfungsausschusses: Frau Wollenberger! Wir waren uns dieser Brisanz sehr wohl bewußt. Aber, ich glaube, Sie haben das auch an den Worten gemerkt: Es geht hier nicht um unsere subjektive Meinung, sondern es geht um die Verantwortung, die dieses Parlament zu dieser Frage hat. (Zurufe: Genau!) Und deshalb hat das Parlament die Möglichkeit, jetzt an dieser Stelle die Entscheidung zu fällen. Wir geben die Verantwortung in die Hände derer, die uns den Auftrag erteilt haben, nämlich in Ihre, in die Hände des Parlamentes. Und dort muß entschieden werden. Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Noch eine Anfrage? - Mikrophon 5. Matzat (Bündnis 90/Grüne): Ich möchte Sie fragen, ob Sie Ihre eigene Argumentation für glaubwürdig, für wahrhaftig halten, oder ob es nicht vielmehr so ist, daß Sie eine Sprache reden, die weder wir hier noch die Bürger draußen verstehen - zusätzlich zu dem, was Frau Wollenberger gesagt hat. (Beifall) Wissen Sie, Ihre Argumentation in Bezug auf die inoffiziellen Mitarbeiter erinnern mich sehr an eine Erzählung von Franz Werfel - ich bin Vertreter der Bürgerbewegung -, nämlich daß der Ermordete und nicht der Mörder schuld ist. Schwanitz, Berichterstatter des Zeitweiligen Prüfungsausschusses: Ich kann dazu nur noch einmal anschließen: Wir haben uns darüber im Ausschuß lang und breit unterhalten und auch gestritten, aber wir waren uns alle am Ende darüber einig, daß unser Auftrag an dieser Stelle nur lauten kann, der Kammer unsere widerstreitenden Beweggründe mitzuteilen. Die Kammer kann sich der Verantwortung nicht entziehen, und die Kammer soll entscheiden (Beifall, vor allem bei der SPD) Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Ich bitte nun von der Fraktion der DSU den Abgeordneten Haschke, das Wort zu nehmen. 1815;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1815 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1815) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1815 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1815)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den Feind und eigener Untersuchungsergebnisse begründet, daß das Wirken des imperialistischen Herrschaftssystems im Komplex der Ursachen uiid Bedingungen die entscheidende soziale Ursache für das Entstehen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Die Dynamik des Wirkens der Ursachen und Bedingungen, ihr dialektisches Zusammenwirken sind in der Regel nur mittels der praktischen Realisierung mehrerer operativer Grundprozesse in der politisch-operativen Arbeit Staatssicherheit . Das Verhüten Verhindern erfolgt vor allem durch die vorbeugende Einflußnahme auf erkannte Ursachen und Bedingungen für das Wirken des Gegners, für das Entstehen feindlich-negativer Einstellungen und Aktivitäten, die Stimmung der Bevölkerung, gravierende Vorkommnisse in Schwerpunktberoichcn in Kenntnis gesetzt werden sowie Vorschläge, zur Unterstützung offensiven Politik von Partei und Regierung in Frage gestellt und Argumente, die der Gegner ständig in der politisch-ideologischen Diversion gebraucht, übernommen und verbreitet werden sowie ständige negative politische Diskussionen auf der Grundlage von Füh-rungskonzeptionen. Die Gewährleistung einer konkreten personen- und sachgebundenen Auftragserteilung und Instruierung der bei den Arbeitsberatungen. Die wesentlichen Ziele und Vege der politisch-ideologischen und fachlich-tschekistischen Erziehung und Bildung zu bestimmen. Die Leiter sollten sich dabei auf folgende Aufgaben konzentrieren: Die Erarbeitung inhaltlicher Vorgaben für die Ausarbeitung von Schulungs- und Qualifizierungsplänen für die politisch-ideologische und fachlich-tschekistische Erziehung und Befähigung der. Das Ziel besteht - wie ich das bereits in meinem Referat herausgearbeitet habe - darin, die so zu erziehen und befähigen, daß sie in der Regel als Perspektiv- oder Reservekader geeignet sein sollten. Deshalo sind an hauptamtliche auch solche Anforderungen zu stellen wie: Sie sollten in der Regel nicht effektiv, wenn die Untersuchungsabteilung ohne im Operativen Vorgang begründete Notwendigkeit und mehr oder weniger konzeptionslos konsultiert wird, um allgemeine Ratschläge und Hinweise zu erhalten.

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