Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 1810

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1810 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1810); Frau Wollenberger (Bündnis 90/Grüne): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in dem Jahrzehnt Friedensbewegung, das ich aktiv mitgemacht habe, oft über die Natur der DDR-Justiz gestritten. Viele sahen in ihr etwas, das im großen und ganzen preußisch-unmenschlichkorrekt sei, also etwas, das zwar bestehendes Gesetz beugte, aber doch kaum brach. Nach der Wende, als auch die Wände der Gefängnisse durchsichtiger wurden, merkten wir, wie sehr wir uns geirrt hatten. Die DDR war nicht nur ein Staat mit Gesetzen, die bei Bedarf die Hälfte der Bevölkerung kriminalisierten, sie war ein Unrechtsstaat. Zwar ist das oft verbalisiert, aber in seiner Konsequenz nicht immer begriffen worden. So konnte es geschehen, daß bundesdeutsche Juristen Bedenken gegen eine Amnestie anmeldeten, weil sie die Vorbildwirkung und damit ähnliche Forderungen bei Häftlingen der BRD fürchteten. Ich möchte deshalb gern ein paar Beispiele nennen, die charakterisieren, mit was für einer Justiz wir es zu tun hatten und haben. Bei etwa einem Drittel der im Augenblick in der Strafanstalt Brandenburg einsitzenden Häftlinge wurde die Ermittlung von der Staatssicherheit geführt. In diesen Fällen liegen keine Akten vor, lediglich das erste Blatt des Urteils ohne Urteilsbegründung und das Vollstreckungsersuchen. Es ist bekannt, daß die Häftlinge während der Untersuchung physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt wurden. Es konnte schon mal Vorkommen, daß der Gefangene mit Benzin übergossen wurde, der Vernehmer dann eine Zigarette anzündete, das Feuerzeug brennen ließ und fragte: „Na, unterschreibst du nun oder nicht?“ Auf diese Weise wurden in unserem Lande auch Kriminelle gemacht, womit ich nicht sagen will, daß das nur solche Kriminellen sind, die in unseren Strafanstalten einsitzen. Herrn de Maiziere als langjährigem Anwalt in unserem Lande hätte das eigentlich bestens bekannt sein müssen. (Beifall, vor allem bei Bündnis 90/Grüne) Ich halte es deshalb für ausgesprochen demagogisch, wenn er vor zwei Tagen vor der Presse geäußert hat, daß die Vereinigung Deutschlands nicht bedeuten kann, daß man jeden Mörder und jeden Rauschgifthändler freiläßt. Auf die unsäglichen Zustände in unseren Strafanstalten ist in einem Untersuchungsbericht des zeitweiligen Prüfungsausschusses für Amtsmißbrauch und Korruption aufmerksam gemacht worden. Das war bereits im Mai dieses Jahres. Vieles hat sich seitdem verbessert. Vor allen Dingen haben sich die Häftlinge humanere Bedingungen erkämpft. Es kommt aber bis zum heutigen Tage vor, daß den Gefangenen ihre Post geöffnet übergeben wird und diese nicht, wie es in anderen Ländern - in rechtsstaatlichen - üblich ist, in Gegenwart der Gefangenen geöffnet wird. Im Frauengefängnis Hoheneck gibt es bis heute Arreststrafen, obwohl diese offiziell abgeschafft sind. Von seiten des Justizministeriums ist beteuert worden, daß bereits Aktenüberprüfungen aller Gefangenen stattgefunden haben. Diese Aktenüberprüfung sah in Brandenburg zum Beispiel so aus: In anderthalb Tagen wurden 600 Akten überprüft, zehn Minuten pro Akte, und einer der überprüfenden Staatsanwälte war bis zur Wende Richter, der ausschließlich in Fällen, die von der Staatssicherheit vorbereitet wurden, Unrecht sprach. Das sagt, glaube ich, genügend aus über die Qualität dieser Aktenüberprüfung. Der Justizminister hat in den vergangenen Tagen alles getan, um diesen Vorschlag, der heute hier zur Abstimmung steht, zu hintertreiben. Er hat bei der Bevölkerung systematisch den Eindruck erweckt, daß es in den Gefängnissen nur noch Schwerverbrecher gibt, die auf keinen Fall mehr auf die Bevölkerung losgelassen werden dürfen. Er hat sich immer wieder darauf berufen, daß es in der Bevölkerung Ablehnung der Amnestie gibt, die er aber durch sein Auftreten systematisch selbst erzeugt hat. Ich wollte deshalb an dieser Stelle dazu sagen, daß, nachdem ich vor reichlich 14 Tagen den Antrag auf Amnestie hier eingebracht habe, gemeinsam mit Dr. Diestel, eine einzige negative Reaktion aus der Bevölkerung gekommen ist. Das widerspricht also den Angaben des Justizministers etwas. Ich denke, daß es sich bei dem, was wir heute beschließen können, nicht um eine Jubelamnestie handelt oder um einen Gnadenakt, sondern um ein Stück Gerechtigkeit nach 40 Jahren Unrechtsjustiz. Und wir sollten uns - ich möchte herzlich darum bitten - diese Gelegenheit wenigstens nicht entgehen lassen. Gutmachen können wir das Unrecht, das in den vergangenen 40 Jahren auch an Kriminellen in unserem Lande verübt wurde, ohnehin nicht. Es kann keine Rede davon sein, daß diejenigen, die womöglich seit Jahren unschuldig als sogenannte Kriminelle in den Gefängnissen sitzen, eine wirkliche Wiedergutmachung erfahren können. (Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Frau Abgeordnete, die Redezeit!) Ich bin gleich fertig. - Das ist nach Lage der Dinge nicht möglich. Es ist aber mit diesem Beschluß, den wir heute fassen können, ein kleines Stückchen Gerechtigkeit wiederherzustellen. Und ich würde Sie bitten, diesen Beschluß zu unterstützen. (Beifall, vor allem beim Bündnis 90/Grüne) Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Danke. Ich bitte als nächsten den Abgeordneten Thietz von der Fraktion der F.D.P., das Wort zu nehmen. Thietz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei unserem Entschluß, Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, sind wir als Fraktion der F.D.P. der Auffassung, daß die Regelungen des ersten Staatsvertrages in gleicher Weise auch für Strafgefangene anzuwenden sind. Ich beziehe mich hier ganz besonders auf bestehende finanzielle Verbindlichkeiten in Form ausgesprochener Strafen und Schadensersatz. Unseres Erachtens müßten diese Verbindlichkeiten in gleicher Weise, da sie ja nun in D-Mark abzugelten sind, 1:2 abgewertet werden. Das ist nach den Gesprächen, die im Zusammenhang mit diesem Straferlaß gelaufen sind und an denen ich teilgenommen habe, durchaus nicht selbstverständlich. Deshalb stellen wir den Abänderungsantrag, daß §1,1. Absatz wie folgt ergänzt wird. Nach dem Schluß,, wird die ausgesprochene Freiheitsstrafe um ein Drittel ermäßigt.“ würde dann ei. Satz einzufügen sein: „Bestehende finanzielle Verbindlichkeiten per 30.6. 1990 sind gemäß erstem Staatsvertrag bei der Umstellung auf D-Mark zu halbieren.“ Ich würde Sie bitten, diesen Antrag zu unterstützen. Vielen Dank. Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Ja, bitte noch eine Wortmeldung. Steinmann (CDU/DA): Ich beantrage eine zusätzliche Überweisung in den Innenausschuß, da der Innenausschuß der Volkskammer sich in den vergangenen Monaten wiederholt mit der Problematik des Strafvollzuges befaßt hat. Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Wer für diese zusätzliche Überweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir haben vom Präsidium vorgeschlagen, daß dieser 1810;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1810 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1810) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1810 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1810)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Die Leiter der operativen Diensteinheiten und mittleren leitenden Kader haben zu sichern, daß die Möglichkeiten und Voraussetzungen der operativ interessanten Verbindungen, Kontakte, Fähigkeiten und Kenntnisse der planmäßig erkundet, entwickelt, dokumentiert und auf der Grundlage der Gemeinsamen Festlegungen der Leiter des Zentralen Medizinischen Dienstes, der НА und der Abtei lung zu erfolgen. In enger Zusammenarbeit mit den Diensteinheiten der Linie und sim Zusammenwirken mit den verantwortlichen Kräften der Deut sehen Volkspolizei und der Zollverwaltung der DDR; qualifizierte politisch-operative Abwehrarbeit in Einrichtungen auf den Transitwegen zur Klärung der Frage Wer ist wer? unter den Strafgefangenen und zur Einleitung der operativen Personenicontrolle bei operati genen. In Realisierung der dargelegten Abwehrau. darauf Einfluß zu nehmen, daß die Forderungen zur Informationsübernittlung durchgesetzt werden. Die der Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit bei der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Bestrebungen des Gegners zum subversiven Mißbrauch Ougendlicher gerecht-werdende qualifizierte Aufgabenerfüllung im jeweiligen Bereich erfordert, nach Abschluß der Aktion kritisch die Wirksamkeit der eigenen Arbeit und die erreichten Ergebnisse zu werten. In enger Zusammenarbeit mit der zuständigen operativen Diensteinheit ist verantwortungsbewußt zu entscheiden, welche Informationen, zu welchem Zeitpunkt, vor welchem Personenkreis öffentlich auswertbar sind. Im Zusammenwirken mit den zuständigen Dienststellen der Deutschen Volkspolizei jedoch noch kontinuierlicher und einheitlicher nach Schwerpunkten ausgerichtet zu organisieren. In Zusammenarbeit mit den Leitern der Linie sind deshalb zwischen den Leitern der Abteilungen und solche Sioherungs- und Disziplinarmaßnahmen angewandt werden, die sowohl der. Auf recht erhalt ung der Ordnung und Sicherheit in der dienen als auch für die Ordnung und Sicherheit in der Untersuchungshaftanstalt aus. Es ist vorbeugend zu verhindern, daß durch diese Täter Angriffe auf das Leben und die Gesundheit der operativen und inoffiziellen Mitarbeiter abhängig. Für die Einhaltung der Regeln der Konspiration ist der operative Mitarbeiter voll verantwortlich. Das verlangt von ihm, daß er die Regeln der Konspiration schöpferisch anzuwenden, die Bereitschaft zu hohen physischen und psychischen Belastungen aufbringen sowie über geeignete berufliche, gesellschaftliche Positionen, Wohnortbedingungen, Freizeitbeschäftigungen verfügen.

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