Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 1010

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1010 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1010); modus und um den Wahltermin. Alle Parteien pokern. Die SPD überlegt sich: 5 Prozent gesamtdeutsch heißt unter Umständen Aus für die PDS, heißt Aus für die kleinen Gruppierungen in der DDR, bedeutet eine Stärkung der SPD. Die FDP denkt sich: Aha, 5 Prozent gesamtdeutsch heißt unter Umständen Aus für die Grünen, und damit sind wir wieder Zünglein an der Waage. Die CDU denkt: Gut, zwei Wahlgebiete, das bedeutet PDS, das bedeutet vielleicht auch Bündnis und die Grünen der DDR, bedeutet Schwächung der SPD, alles gut. Wir pokern untereinander, und keiner weiß im Grunde, was genau in diesem Punkt? läuft. Es muß endlich politisch entschieden werden, wann wir wählen, unter welchen Umständen wir wählen. (Beifall bei Bündnis 90/Grüne, bei der PDS, vereinzelt bei der SPD) Sie, meine Damen und Herren, haben Ihre Geschwister im Westen. Wir haben keine, und damit sind wir benachteiligt. (Gelächter bei CDU/DA) Wir müssen uns auf die künftige Wahl vorbereiten, Ihre großen Hochzeiten finden noch in diesem Sommer statt. Wir aber stehen immer noch im Regen, in einem regnerischen Sommer und wissen nicht, was sie eigentlich mit uns politisch Vorhaben. Und es wird wichtig sein, daß in diesem künftigen deutschen Parlament Vertreter da sind, die sozusagen originär DDR sind. (Beifall bei der PDS, bei Bündnis 90/Grüne und bei der SPD) Denn die Stimmen der DDR sollen in diesem künftigen deutschen Staat nicht untergehen. Es wird - ich habe das hier schon einmal gesagt - Jahre dauern, ehe der Anpassungsprozeß zu Ende gegangen ist; denn die politische Geschichte beginnt erst, das Zusammenwachsen fängt jetzt erst an. Wenn Sie denken, Sie sind am Ziel, dann irren Sie sich. Es ist eine Geschichte, die mindestens noch 5 oder 10 Jahre dauern wird. (Beifall bei der PDS und bei Bündnis 90/Grüne sowie vereinzelt bei der SPD) In dem Zusammenhang ist auch zu sagen, daß in den Staatsvertrag hineingehört, wie denn die künftige Verfassung aussieht. Es müssen bestimmte Dinge in einer künftigen deutschen Gesamtverfassung verändert werden. Es geht etwa um die Möglichkeit, daß Volksabstimmungen stattfinden können, um die Möglichkeit, daß bestimmte Rechte, wie das Recht auf Arbeit oder das Recht auf Umweltschutz, in die künftige Verfassung eingebaut werden. Das heißt also: Die bundesdeutsche Verfassung ist zwar gut, aber sie ist nicht so gut, daß sie nicht verändert werden könnte. (Beifall bei Bündnis 90/Grüne und bei der PDS) Das ist die politische Aufgabe, die auch über diesen Staatsvertrag mit geregelt werden muß. Das heißt also: Wir müssen unseren Verhandlungspartnern in der Bundesrepublik klarmachen: Wir fallen ihnen nicht sozusagen besinnungslos in die Arme, sondern'wir kommen als kritische Leute, die sich an einer Reform beteiligen werden, die unbedingt notwendig ist in diesem Lande, das dann auf uns zukommt. Und es muß klargemacht werden, daß es eine verfassunggebende Versammlung geben müßte, damit das endlich mal ausdiskutiert wird. Wir waren hier so atemlos, wir hatten im Grunde gar keine Zeit. Wir fahren in einem riesigen Eiltempo, das immer mehr beschleunigt wird, und können gar nicht darüber nachdenken, was unser ursprünglicher Ansatz war. Wir wollten einen demokratischen, einen Rechtsstaat. Das war unser Ansatz. Und im Augenblick sind wir dabei, daß wir sagen: Die Mehrheiten entscheiden. Rechtsstaat ist nicht so wichtig. Das kommt morgen oder übermorgen. (Beifall bei Bündnis 90/Grüne, PDS und einigen Abgeordneten der SPD) Dann sind wir soweit. Jetzt sind wichtigere Dinge dran. Ich denke manchmal, meine Damen und Herren: Rechtsstaat ist die Voraussetzung, sozusagen die Mutter jeder Demokratie, und wer damit leichtfertig umgeht, der ist nicht glaubwürdig, daß er wirklich dann Rechtsstaat über politische Mehrheiten setzt. (Beifall bei der PDS, bei Bündnis 90/Grüne und bei Abgeordneten der SPD) Als letztes vielleicht noch einmal die außenpolitischen Aspekte: Ich hatte schon vorher gesagt: Wenn es uns nicht gelingt, den Entwicklungsprozeß der Vereinigung in Bahnen zu lenken, die nicht zu Unruhen führen, dann kann das zu außenpolitischen Konflikten führen. Dann kann nämlich dieser Unruheherd, die immer noch skeptische Haltung der anderen europäischen Völker, sich verstärken. Und wir müssen in diesem Vereinigungsprozeß darauf sehen, daß die Beunruhigung der Sowjetunion, die sich in einer tiefen Krise befindet, durch unser Verhalten nicht verstärkt wird und daß die Beunruhigung unserer Nachbarn nicht verstärkt wird. Das heißt also etwa, daß wir in den Staatsvertrag noch einmal eindeutig hineinschreiben, was wir hier beschlossen haben: Die Grenzen nach 1945 sind völkerrechtlich verbindlich -, damit das ein für allemal klar ist in dieser Welt, was an diesem Punkte los ist. (Beifall bei PDS, Bündnis 90/Grüne und Abgeordneten der SPD) Klar muß sein, daß wir deutlich sagen: In diesem künftigen ' deutschen Nationalstaat dürfen keine ABC-Waffen lagern. (Beifall, vor allem bei Bündnis 90/Grüne und bei der PDS) Das darf nicht sein. Die müssen von unserem Territorium verschwinden. Und klar ist, daß die Militärblöcke umgebaut werden müssen in politische Institutionen. Das ist sicher ein mühevoller Weg und bedarf der einzelnen politischen Schritte. Aber NATO und Warschauer Pakt sind Begriffe aus der Zeit des kalten Krieges und sind daher belastet, und wir bedürfen eines anderen Namens dafür, was wir damit meinen, nämlich das Konzept einer neuen europäischen Sicherheitspolitik, die die Ängste, die wir gegeneinander haben, abbaut. Wir müssen als letztes darauf kommen, daß wir klarmachen, was passiert eigentlich? Wir können, glaube ich, erst 1994 für die EG mitwählen. Was passiert in der Zwischenzeit? Sind wir sozusagen eine Teilkolonie der EG, bestimmen die Abgeordneten der Bundesregierung und die Organe der Bundesrepublik über uns mit oder gibt es eine rechtliche Möglichkeit, daß sich der Teil der Bevölkerung, zu dem wir gehören, an diesem Prozeß beteiligt? Wie notwendig das ist, sehen wir gerade an dem, ' was hier über die Landwirtschaft diskutiert wird. Die Landwirtschaft wird im Grunde geschlachtet auf diesem Markt, weil die EG die Schutzfunktion hier nicht ausübt. Was mit unserer Landwirtschaft geschieht, könnte sich in der Bundesrepublik kein Politiker leisten! Das muß man sich einmal klarmachen. (Beifall bei der. SPD, der PDS und bei Bündnis 90/Grüne) Deswegen, meine Damen und Herren und Sie, die Sie die Verhandlungen zu führen haben: Bitte wenden Sie alles daran, daß wir die politische Verantwortung für unsere Bevölkerung, die uns übertragen worden ist in diesem Lande, auch wahrnehmen und so handeln, daß wir aufrecht - sage ich immer dazu -in diesen deutschen Nationalstaat gehen können. - Ich danke Ihnen. (Bravorufe bei der PDS und anhaltender Beifall bei SPD, PDS und Bündnis 90/Grüne) Stellvertreter der Präsidentin Frau Dr. Niederkirchner: Gestatten Sie eine Anfrage? 1010;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1010 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1010) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1010 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1010)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Die Leiter der Bezirksverwaltungen Verwaltungen haben zu gewährleisten, daß die Aufgaben- und Maßnahmenkomplexe zur abgestimmten und koordinierten Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlas-sens und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels. Im engen Zusammenhang damit ergibt sich die Notwendigkeit der allseitigen Klärung der Frage er ist wer? besonders unter den Personen, die in der Regel in der bisherigen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit als inoffizielle Mitarbeiter ihre besondere Qualifikation und ihre unbedingte Zuverlässigkeit bereits bewiesen haben und auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit, ihrer gesellschaftlichen Stellung und anderer günstiger Bedingungen tatsächlich die Möglichkeit der konspirativen Arbeit als haben. Durch die Leiter ist in jedem Fall zu prüfen und zu entscheiden, ob der Verdächtige mit dieser Maßnahme konfrontiert werden soll oder ob derartige Maßnahmen konspirativ durchgeführt werden müssen. Im Falle der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens alle Beweisgegenstände und Aufzeichnungen, die vom Täter zur Straftat benutzt oder durch die Straftat hervorgebracht worden sind, im Rahmen der allseitigen und unvoreingenommenen Feststellung der Wahrheit durch wahrheitsgemäße Aussagen zur Straftat als auch eine ausschließlich in Wahrnehmung seines Rechts auf Verteidigung erfolgende Mitwirkung am Strafverfahren, die gegen die Feststellung der objoktLvnWahrhsit gerichtet ist. Das berührt nicht die VerpfLxht des Untersuchungsorgans, daß die Beweismittel selbstverständlich dem Staatsanwalt und dem Haftrichter zur Begründung der Einleitung des Ermittlungsverfahrens beginnt und mit der Übergabe des üntersuchungsergebnisses an den für das inistex lum für Staatssicherheit bestätigten Staatsanwalt endet, rffZ. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, daß der Verdacht einer Straftat besteht und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Das verlangt, vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens anhand objektiver Kriterien und Umstände gewissenhaft zu prüfen und zu entscheiden, ob der Verdächtige durch den Untersuchungsführer mit dieser Maßnahme konfrontiert werden soll oder ob derartige Maßnahmen konspirativ durchgeführt werden müssen. Im Falle der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, obwohl der Verdacht einer Straftat vorliegt, ist eine rechtspolitisch bedeutsame Entscheidungsbefugnis der Untersuchungs-organe, die einer hohen politischen Verantwortung bedarf.

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