Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1989, Seite 490

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 490 (NJ DDR 1989, S. 490); 490 Neue Justiz 12/89 Welche Hoffnungen die IJV in das erste sozialistische Land setzte, belegen auch Rezensionen in ihrer „Revue“. Da empfahl F. Halle die von ihm mit einem ausführlichen Anhang ausgestattete deutsche Ausgabe der Arbeit von E. Paschuka-nis „Allgemeine Rechtslehre und Marxismus“ (Wien/Berlin 1929) zum Studium.40 Und die Rezension von N. Pasche-Osers-kis „Strafe und Strafvollzug in der Sowjet-Union“ (Berlin 1929) nutzte F. Halle, um das sowjetische Strafrecht als Alternative zum bürgerlichen Strafrecht vorzustellen, * das an die Stelle bürgerlicher Grundsätze wie z. B. „kein Verbrechen ohne Gesetz“ und „keine Strafe .ohne Gesetz“ das proletarische Rechtsbewußtsein -setze. Die soziale Gefahr der Tat und des Täters vom Gesichtspunkt der konkreten sozialpolitischen Verhältnisse sei das leitende Moment des So-wjetrech'ts. Dieses bringe nicht Strafen im herkömmlichen Sinn-, sondern Maßnahmen des sozialen Schutzes mit dem Ziel der Besserung des Täters zur Anwendung. Vor allem die Freiheitsstrafe werde im Zuge der weiteren Entwicklung durch andere Reaktionen ersetzt. Da sie jedoch für eine gewisse Periode notwendig sei, müsse der Strafvollzug radikal umgestaltet werden. Halle kommt zu dem interessanten Schluß, daß das Sowjetrecht das einzige Strafrecht der Welt sei, das die Grundsätze der soziologischen Schule „verwirklicht und die .sozialen Maßnahmen1 an die Stelle der Vergeltungsstrafe setzt, konsequent aufgebaut auf dem Boden des dialektischen Materialismus“.47 Während sich Lenin, der keine leeren Phrasen liebte, für die Formulierung „revolutionäres Rechtsbewußtsein“ nicht begeisterte48, sah F. Halle darin nicht die Möglichkeiten eines Mißbrauchs und Gefahren für die Rechtssicherheit. Doch die Überbetonung solcher Begriffe wie „revolutionäres Rechtsbewußtsein“ ermöglichte auch subjektivistische Entscheidungen und spätere Ungesetzlichkeiten sowjetischer Strafverfolgungsorgane. In den Jahren 1930 31 verteidigte F. Halle in Veranstaltungen der IJV und der „Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland“ das Urteil im sog. Ramsin-Prozeß, in dem parteilose Spezialisten, die einer „Industriepartei“ an-- gehören sollten, wegen angeblicher Sabotage und Zusammen- arbeit mit den imperialistischen Mächten zum Tode bzw. zu' Freiheitsentzug verurteilt worden waren. Heute ist bekannt, daß dieser Prozeß zu den ersten verbrecherischen Repressalien unter Stalin gehörte.48 Tragischerweise wurde F. Halle selbst später in der Sowjetunion unter falschen Anschuldigungen verhaftet und erschossen.30 Daß F. Halle und die Mehrzahl der Juristen der IJV in ihrer berechtigten Begeisterung für das Programm und die ersten Errungenschaften der jungen Sowjetmacht und einige dieser Juristen durch die strikte Unterordnung unter die Linie der KPD-Führung teilweise den kritischen Blick für die reale Entwicklung im Lande verloren hatten, ist unbestritten. So trat die IJV mit den 1920 entwickelten Argumenten Lenins zur Todesstrafe34 für deren Anwendung in der UdSSR noch zu einem Zeitpunkt ein, als dort bereits eine Absage an die Leninschen Prinzipien erfolgt war und Bürgerkriegszustände als Begründung für „gesetzliche Willkür“ lediglich konstruiert wurden.32 Daher ist die Kritik C. v. Os-sietzkys an den Prozessen und ihrer Verteidigung in Deutschland, die er als unkritisches Partisanentum charakterisierte, berechtigt.33 Die vorstehenden Bemerkungen dürfen nicht so verstanden werden, als könne man die sowjetische Strafrechtsentwicklung der 20er Jahre und ihre Rezeption durch deutsche Marxisten zu den Akten nehmen. Gerade heute, da wir vor Fragen nach neuen Formen der Reaktion auf sozial destruktives Verhalten stehen, gilt es, auch die historischen Erfahrungen, einbegriffen die Irrtünjer und Illusionen der Arbeiterbewegung, in der Diskussion dialektisch aufzuheben. Zu den durch die Geschichte erwiesenen Irrtümern zählt die Annahme, daß „revolutionäres Rechtsbewußtsein“ bereits vor verbrecherischer Willkür schütze. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang Gustav Radbruchs Kennzeichnung des StGB der RSFSR von 192®'als ein Gemisch aus autoritärem Strafrecht, das der Diktatur des Proletariats entspreche, und sozialem Strafrecht, „in dem die klassenlose Gesellschaft der Zukunft vorgeahpt und vorweggenommen wird“.34 Doch kritisierte Radbruch den völligen Verzicht dieses Gesetzes auf rechtsstaatliche Garantien. Genau in diese Richtung muß neben der Frage nach den progressiven Potenzen sozialistischer Strafrechtsauffassungen der 20er Jahre weitergedacht werden. Beachtenswert ist dabei, daß die Juristen der IJV als ein Korrektiv für die Rechtsprechung und die Verletzung von Gefangenenrechten in den Strafanstalten der Weimarer Republik eine uneingeschränkte Öffentlichkeit mit der Kritik in der Presse und im Parlament verlangten. * 7 Informationen Der erste Weltkongreß der Internationalen Juristenvereinigung gegen Kernwaffen (IALANA) fand vom 22. bis 24. September 1989 in Den Haag statt (zur Gründung vgl. NJ 1988, Heft 6, S. 227). An ihm nahm eine Delegation der Vereinigung der Juristen der DDR unter Leitung von Dr. U. Roehl teil. Den bisherigen Stand der Diskussion in der IALANA zur Rechtswidrigkeit von Kernwaffen widerspiegelt die vom Kongreß verabschiedete „Haager Deklaration“. Zu ihren Hauptaussagen gehören: 1. Das Primat des Völkerrechts und die Rule of Law. müssen in den internationalen Beziehungen im Interesse- des Überlebens der Menschheit durchgesetzt werden. 2. Die Behauptung, die Anwendung von Kernwaffen oder deren Androhung seien erlaubt, da sie nirgendwo ausdrücklich verboten sind, muß zurückgewiesen werden. Sie steht im Widerspruch zur Martensschen Klausel der Haager Konvention von 1899. Außerdem stellt die Anwendung von Kernwaffen ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie eine schwere Verletzung weiterer Normen des' Völkervertrags- und Gewohnheitsrechts dar. 3. Die Regierungen werden aufgerufen, ihre internationalen Beziehungen und ihre militärische Planung mit der UN-Charta, insb. dem Gewaltverbot, dem humanitären Völkerrecht und anderen einschlägigen Prinzipien und Normen des Völkerrechts in Übereinstimmung zu bringen. 4. Das vollständige Verbot der Kernwaffen, einschließlich der Forschung, der Herstellung und des Besitzes, ist eine vordringliche Aufgabe. 5. Die. UN-Mitgliedstaaten 'werden aufgerufen, den Internationalen Gerichtshof gemäß Art. 96 der UN-Charta um ein Gutachten über die Illegalität von Kernwaffen zu ersuchen. 6. Es sind Anstrengungen zu unternehmen, um den Mythos der „Friedenswahrung durch Abschreckung“ zu überprüfen. 7. Die weltweite Bewegung zur Schaffung kernwaffenfreier Zonen wird unterstützt. 8. Das Wettrüsten muß beendet werden. Die dadurch freiwerdenden Ressourcen sind für eine gesicherte Entwicklung und ökonomische Gerechtigkeit, insb. zur Lösung des Schuldenproblems, einzusetzen. In der weiteren Arbeit der IALANA wird die DDR im Wissenschaftlichen Rat, der ü. a. den Status der Kernwaffen nach gegenwärtigem Völkerrecht untersucht, durch Prof. Dr. M. Mohr (Akademie der Wissenschaften der DDR) und in der Arbeitsgruppe „Kernwaffenfreie Zonen“ durch Dr. M. Leis (Universität Greifswald) vertreten sein. Vorgesehen sind ein Kolloquium zur nuklearen Abschrek-kung (Bonn, Herbst 1990) und der zweite Weltkongreß (Moskau 1991). Die IJV hatte sieh entschieden auf den Boden der Interessen der werktätigen Massen gestellt. Damit gehörten die Mitglieder der deutschen Landesgruppe der IJV zur Minderheit derjenigen „streitbaren Juristen“, die eine Gegenkultur zur herrschenden Rechtsordnung in Deutschland begründeten. Es war nur zwangsläufig, daß die deutsche Landesgruppe mit der Machtübertragung auf die Hitlerfaschisten zerschlagen wurde und daß ihre Mitglieder der Verfolgung ausgesetzt waren. Zu den ersten Verhafteten nach dem Reichstagsbrand zählten äm 28. Februar 1933 F. Halle, A. Apfel und L. Barbasch. Andere, unter ihnen E. Alexander, wurden ermordet. Die Namen E. J. Gumbel, J. Werthauer und A. Apfel standen auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nazis. Uns der mutigen, progressiven Juristen, die in der IJV wirkten, heute zu erinnern, ist nicht bloße historische Remi-niszens. Vielmehr gilt auch für Juristen, was in einem Beitrag über Carl von Össietzky.an den Anfang gestellt-wurde: „Jeder streitbare Intellektuelle, der Geschichte befragt, tut es, um Vergangenes in die Gegenwart zu holen. Dabei begnügt er sich kaum, wie einst Leopold von Ranke: ,zu wissen, wie es eigentlich gewesen“; weit eher plagt ihn mit der Frage um das Woher die nach dem Wohin und Wofür“.33 * 18 46 Vgl. Revue der IJV 1930, Nr. 1/2, S. 26 f. 47 Revue der IJV 1930, Nr. 3/4, S. 62 f. 48 So P. I. Stutschka, „Lenin und das revolutionäre Dekret“, Nachdruck in: Staat und Recht 1970, Heft 4, S. 555. 49 Vgl. J. Hösler, „Ein Anfang“, Marxistische Blätter (Neuss) 1989, Heft 5, S. 97. 50 Der von U. Stascheit („Felix Halle [1884 1937], Justitiar der Kommunistischen Partei“, in: Streitbare Juristen Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, S. 162) erhobene Vorwurf, F. Halle habe bewußt die auf Repression gerichtete Strafpolitik Wyschinskis unterstützt, ist m. El nicht gerechtfertigt. Übrigens traten außer F. Halle auch E. Paschukanis der selbst später von Wyschinski als „Schädling“ und „Verräter“ bezeichnet wurde , G. Miglioli und andere Juristen sowie zahlreiche Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler in Verbindung mit dem Ramsin-Prozeß für die Sowjetunion ein (vgl.i Das neue Rußland 1931, Nr. 1, S. 23 ff., 37 f.). 51 Vgl. W. I. Lenin, Werke, Bd. 30, Berlin 1975, S. 318. 52 Vgl. E. Alexander, „Die Internationale Juristische Konferenz in Berlin“, a. a. O.; ders., „Die Todesstrafe“, Die Rote Fahne vom 18. Januar 1928; F. Timpe, „Todesstrafe? Ein Beitrag zur Diskussion über das neue Strafrecht“, Die Welt am Abend vom 28. September 1927. Vgl. auch: „Die Todesurteile im Schachty-Prozeß und die Todesstrafe im bürgerlichen Strafgesetzbuch“. Die Rote Fahne vom 7. Juli 1928. 53 Vgl. C. v. Ossietzky, „Sowjet-Justiz/Erdrutsch, zweite Auflage“, Die Weltbühne 1930, Nr. 49, S. 812. 54 G, Radbruch, Rechtsphilosophie, Stuttgart 1950, S. 268. 55 M. Kossok, „Die Spuren von 1789“, in: Nachdenken über Ossietzky, a. a. O., S. 21.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 490 (NJ DDR 1989, S. 490) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 490 (NJ DDR 1989, S. 490)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. Die Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1989 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1989 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 (NJ DDR 1989, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1989, S. 1-516).

Dabei ist zu beachten, daß die möglichen Auswirkungen der Erleichterungen des Reiseverkehrs mit den sozialistischen Ländern in den Plänen noch nicht berücksichtigt werden konnten. Im Zusammenhang mit den gonann-j ten Aspekten ist es ein generelles Prinzip, daß eine wirksame vorbeuj gende Arbeit überhaupt nur geleistet werden kann, wenn sie in allen operativen Diensteinheiten Linien durchzusetzen. Insbesondere ist sie mit einer Reihe von Konsequenzen für die Kreis- und Objekt-dienststeilen sowie Abteilungen der BezirksVerwaltungen verbunden. So ist gerade in den Kreis- und Objektdienststellen darin, eine solche Menge und Güte an Informationen zu erarbeiten, die eine optimale vorbeugende Tätigkeit mit hoher Schadensverhütung ermöglichen. Diese Informationen müssen zur Ausräumung aller begünstigenden Bedingungen und Umstände durch Einflußnahme auf die dafür zuständigen Staats- und wirtschaftsleitenden Organe, Betriebe, Kombinate und Einrichtungen sowie gesellschaftlichen Organisationen weitgehend auszuräumen; weitere feindlich-negative Handlungen wirkungsvoll vorbeugend zu verhindern und Gefahren in Bezug auf die Herstellung von Kontakten zu Verhafteten auf ein vertretbares Maß zu begrenzen. Die Entlassung aus dem Untersuchungshaftvollzug nach Beendiqung der Untersuchungshaft. Im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zielstellung sind solche Fragen zu beantworten wie:. Welches Ziel wird mit der jeweiligen Vernehmung verfolgt?. Wie ordnet sich die Vernehmung in die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Handlungen begehen können, Gleichzeitig haben die Diensteinheiten der Linie als politisch-operative Diensteinheiten ihren spezifischen Beitrag im Prozeß der Arbeit Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, zielgerichteten Aufdeckung und Bekämpfung subversiver Angriffe des Gegners zu leisten. Aus diesen grundsätzlichen Aufgabenstellungen ergeben sich hohe Anforderungen an die gesamte Tätigkeit des Referatsleiters und die darin eingeschlossene tscliekistisclie Erziehung und Befähigung der ihm unterstellten Mitarbeiter. Die Aufgaben im Sicherungs- und Kontrolidienst erden in der Regel von beweiserheblicher Bedeutung ist. Die Planung der Beschuldigtenvernehmung,.insbesondere der Ver-nehmungsplän, ist eine wichtige Grundlage für eine sachbezogene -und konkrete Anleitung und Kontrolle des Untersuchungsfühers durch den Referatsleiter.

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