Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1989, Seite 395

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 395 (NJ DDR 1989, S. 395); Neue Justiz 10 89 395 der Rechtswissenschaft der DDR hat der Streit um den sozialistischen Rechtsstaatsbegriff seine Spuren hinterlassen.*' Um die Spannweite der Kontroverse zu verdeutlichen, führe ich zunächst zwei Zitate an. Karl Polak schrieb im Dezember 1946: „Der Begriff des .Rechtsstaates“ ist also vollkommen inhaltsleer, denn jede politische und historische Formation kann ihn für sich in Anspruch nehmen und hat ihn für sich in Anspruch genommen. Der Begriff hält also keiner wissenschaftlichen Analyse stand.“6 7 Ähnliche Äußerungen finden sich auch in späteren Schriften Polaks. Obwohl zunächst gegen die bürgerliche Rechtsstaatsideologie gerichtet, wurde Polaks Verdikt über die Rechtsstaatsfrage als Scheinproblem, als blanke Demagogie in der DDR-Rechtswissenschaft für lange Zeit herrschend. Demgegenüber heißt es 42 Jahre später bei Klaus Heuer in Auswertung der 6. Tagung des Zentralkomitees der SED: „Wie sollte es unter diesen Umständen nicht geboten sein, das .schöne Wort vom deutschen Rechtsstaat“ (Roland Meister) als Bestandteil unseres geistigen Erbes aufzugreifen und es zugleich durch die Kennzeichnung als sozialistischer Rechtsstaat von seinem bürgerlichen Gegenbild abzuheben?“8 Seitdem wird der Begriff „sozialistischer Rechtsstaat“ unter Juristen häufig, aber nicht selten recht unscharf benutzt. Dabei fällt folgendes auf: 1. Einige meinen, der Rechtsstaatsbegriff sei aus rein pragmatischen Gründen eingeführt worden, er habe eigentlich keine subsfantiell'e Bedeutung. (Nebenbei bemerkt: Diese Juristen erliegen dem kolossalen Mißverständnis, man könne Probleme, auf die man in der Wirklichkeit stößt, durch eine bloße Besetzung der Begriffe lösen.) 2. Andere glauben, der Begriff „Rechtsstaat“ solle künftig solche Begriffe wie Diktatur des Proletariats, sozialistischer Staat, Arbeiter-und-Bauern-Staat, Staats- und Rechtsordnung u. a. m. ersetzen. Manche sehen ihn als Synonym für den Gesetzlichkeitsbegriff an. 3. Schließlich wird der Rechtsstaatsbegriff verschiedentlich als eine Art Dach- bzw. Kombinationsbegriff betrachtet, mit dem Begriffe wie Gesetzlichkeit, Rechtssicherheit, Gleichheit vor dem Gesetz usw. zusammengefaßt werden. Solche und ähnliche Auffassungen lassen die Frage nach der Qualität sozialistischer Rechtsstaatlichkeit natürlich ins Leere laufen. Sie werden der Sachlage nicht gerecht, ja, sie behindern den produktiven Klärungsprozeß in der rechtswissenschaftlichen Forschung wie in der Rechtspropaganda, denn sie verbauen schon vom Ansatz her wichtige Wege, auf denen die eigentlichen Fragen zur Fortentwicklung des sozialistischen Staates und Rechts in Praxis und Theorie gestellt Werden können und müssen. Mehr noch: Würden wir den sozialistischen Rechtsstaatsbegriff nicht als substantiellen Terminus ansehen, sondern ihn als Allerweltsbegriff handhaben oder als Paraphrase für andere, bereits vorhandene Begriffe nehmen, so würden wir der bürgerlichen Rechtsstaatsideologie erliegen, die wie E. W. Böckenförde bemerkt diesen Begriff als zweckpolitischen Schleusenbegriff ansieht, mit dem man alles und jedes transportieren kann.9 Es ist hier nicht der Ort, sich mit der chamäleonhaften Existenz des bürgerlichen Rechtsstaates und seiner ideologischen Strukturen auseinanderzusetzen. Aber die jeweiligen Adjektive, mit denen bürgerliche Politiker und Ideologen den Begriff versehen, weisen auf seine Dehnbarkeit und Unbestimmtheit hin. Die wichtigsten dieser Wortverbindungen sind: formaler Rechtsstaat, materieller Rechtsstaat, liberaler Rechtsstaat, sozialer Rechtsstaat, freiheitlicher Rechtsstaat, völkischer Rechtsstaat. Deshalb hat Böckenförde Recht, wenn er als Eigentümlichkeit des bürgerlichen Rechtsstaatsbegriffs den Umstand ansieht, vom Wortsinn her vage und offen zu sein für das Einströmen sich wandelnder staats- und verfassungstheoretischer Vorstellungen.10 11 Otto Mayer, einer der Klassiker des bürgerlichen Verwaltungsrechts, hatte schon Ende des vergangenen Jahrhunderts bemerkt, der Rechtsstaatsbegriff schwanke sehr, da er etwas bezeichnen solle, was noch nicht fertig sei, was noch werden solle, und deshalb sei jeder geneigt, seine juristischen Ideale hineinzulegen.11 Soll mit der Konzeption vom sozialistischen Rechtsstaat in Theorie und Praxis etwas bewirkt werden, so muß der Begriff „Rechtsstaat“ in scharfer Abgrenzung gegenüber der bürgerlich-rechtsstaatlichen Unbestimmtheit entwickelt werden. Er muß aber auch gegen alle Versuche, seinen Bedeutungsinhalt von den Rändern her ’zu zerfasern, um ihn schließlich in einen breiigen Allerweits- und Jedermanns-begriff zu verwandeln, verteidigt werden. Deshalb ist es notwendig, den Begriff „sozialistischer Rechtsstaat“ nicht als Substitutions- oder .Kombinationsbegriff zu betrachten, sondern ihn als Substanzbegriff zu verstehen und zu benutzen. In diesem Sinne sollen im folgenden einige Überlegungen zur Qualität des sozialistischen Rechtsstaates angestellt werden, ohne daß wie oben bereits gesagt eine bündige Begriffsbestimmung gegeben werden kann. Kriterien sozialistischer Rechtsstaatlichkeit in den Beziehungen zwischen Bürger und Staat Es ist sinnvoll, den Begriff „sozialistischer Rechtsstaat“ zu benutzen, um ein bestimmtes Niveau der Entwicklung, des Wirkens und der tatsächlichen Wirksamkeit der rechtlichen Regelung und des rechtlichen Schutzes der Beziehungen zwischen Bürgern und Staat, Individuum und Gesellschaft theoretisch zu erfassen. Solches Herangehen macht von vornherein darauf aufmerksam, daß der Begriff „sozialistischer Rechtsstaat“ nicht als flächendeckender, alle Erscheinungen der Staats- und Rechtsordnung erfassender Begriff angesehen werden darf. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß der Begriff „sozialistischer Rechtsstaat“ nicht schlechthin die Begriffe „sozialistische Rechtsordnung“ oder Diktatur des Proletariats“ usw. ersetzen kann. Der Begriff „sozialistischer Rechtsstaat“ gibt einen Komplex von Qualitätseigenschaften der rechtlichen Regelung und damit natürlich auch der staatlichen Tätigkeit im Bereich der Beziehungen zwischen Bürger und Staat bzw. Individuum und Gesellschaft direkt oder indirekt wieder. Insofern ist der sozialistische Rechtsstaatsbegriff nicht von der Problematik der subjektiven Rechte und Pflichten im sozialistischen Staat zu lösen, speziell ist er nicht von der Menschenrechtsproblematik abzukoppeln. Man muß sogar sagen, daß der Schutz und die Verwirklichung sowie die Weiterentwicklung der Menschenrechte zum Kernbestand des sozialistischen Rechtsstaates gehören. Von hier aus ist auch die starke demokratische Komponente des sozialistischen Rechtsstaatsbegriffs zu verstehen. Sozialistische Demokratie ist unter diesem Aspekt ein inhaltliches Moment des sozialistischen Rechtsstaates, wenn man sozialistische Demokratie als Wechselwirkung zwischen Selbstbestimmung des Volkes und Selbstbestimmung des Individuums versteht. Die nächste Frage ist die nach den Kriterien, nach denen das Niveau der Entwicklung, des Wirkens und der Wirksamkeit der Regelungen im Bereich der Sozialbeziehungen zu bestimmen und zu gestalten ist. Hier sind folgende Aspekte zu berücksichtigen, wobei jeder einzelne Aspekt nicht für sich allein betrachtet werden kann; vielmehr kann er seine kategoriale und methodische Funktion erst im Zusammenhang mit allen anderen Aspekten offenbaren und entfalten. 1. Sozialistischer Rechtsstaat ist daduich charakterisiert, 6 Es sei hier nur an die wissenschaftliche Konferenz vom 28; 29. September 1967 mit dem Thema „Zur Funktion der bürgerlichen Staatsideologien in der formierten Gesellschaft des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Westdeutschland- erinnert, in der auch über den sozialistischen Rechtsstaat kontrovers diskutiert wurde. Vgl. den Frotokollband „Illusion und Wirklichkeit des Rechtsstaates", Berlin 1968, S. 21 ff 58 ff 105 ff 135 ff 176 ff., 219 ff., 222 ff., 240 ff. Zur damaligen ideologischen Bewertung dieser Kontroverse vgl. H. Melzer. „Die Funktion der bürgerlichen Staatsideologien in der formierten Gesellschaft des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Westdeutschland". Staat und Recht 1967. Heft 12. S. 2014 f. 7 K. Polak, „Gewaltenteilung Menschenrechte Rechtsstaat (Begriffsformalismus und Demokratie)-, Einheit 1946. Heft 7. S. 399 (auch in: K. Polak. Reden und Aufsätze, Berlin 1968, S. 142). 8 K. Heuer, „Überlegungen zum sozialistischen Rechtsstaat DDR“, NJ 1988, Heft 12, S. 478. Das Zitat von R. Meister stammt aus dessen Buch „Das Rechtsstaatsproblem in der westdeutschen Gegenwart". Berlin 1966, S. 278. 9 Vgl. E. W. Böckenförde. Staat Gesellschaft Freiheit, Frankfurt a. M. 1976, S. 65. 10 Vgl. E. W. Böckenförde. ebenda. 11 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. I. Berlin 1895, S. 561.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 395 (NJ DDR 1989, S. 395) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 395 (NJ DDR 1989, S. 395)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. Die Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1989 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1989 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 (NJ DDR 1989, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1989, S. 1-516).

Im Zusammenhang mit der Aufklärung straftatverdächtiger Handlungen und Vorkommnisse wurden darüber hinaus weitere Personen zugeführt und Befragungen unterzogen. Gegen diese Personen, von denen ein erheblicher Teil unter dem Einfluß der politisch-ideologischen Diversion und verstärkter Eontaktaktivitäten des Gegners standen, unter denen sich oft entscheidend ihre politisch-ideologische Position, Motivation und Entschluß-, fassung zur Antragstellung auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der gestellt hatten und im Zusammenhang mit der darin dokumentierten Zielsetzung Straftaten begingen, Ermittlungsverfahren eingeleitet. ff:; Personen wirkten mit den bereits genannten feindlichen Organisationen und Einrichtungen in der bei der Organisierung der von diesen betriebenen Hetzkampagne zusammen. dieser Personen waren zur Bildung von Gruppen, zur politischen Untergrundtätigkeit, zun organisierten und formierten Auftreten gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsorönung der verwertet worden. Bei nachweislich der in Bearbeitung genommenen Personen sind derartige Veröffentlichungen in westlichen Massenmedien erfolgt. Von den in Bearbeitung genommenen Personen zeigt sich die Wirksamkeit der vom Gegner betriebenen politisch-ideologischen Diversion und Kontaktpolitik Kontakttätigkeit in der Herausbildung ihrer feindlich-negativen Einstellungen zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung besitzen, sich unterschiedlicher, zum Teil widersprechender Verhaltensweisen in den einzelnen Lebensbereichen bedienen, um ihre feindlich-negative Einstellung ihre feindlichnegativen Handlungen zu tarnen. Deshalb ist es erforderlich, die sich aus diesen sowio im Ergebnis der Klärung des Vorkommnisses ergebenden Schlußfolgerungen und Aufgaben für die weitere Qualifizierung der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gosellschafts-schädlicher Handlungen Jugendlicher. Zu den rechtspolitischsn Erfordernissen der Anwendung des sozialistischen Rechts im System der Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gesellschaftsschädlicher Handlungen Jugendlicher, Anforderungen an die weitere Qualifizierung der Tätigkeit der Linie Untersuchung bei der Durchführung von Vernehmungeft. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Einzuarbeitenden zur anforderungsgerechten Dokumentierung von Vernehmungsergebnissen sowie von Ergebnissen anderer Untersuchungshandlungen werden weiter entwickelt.

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