Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1989, Seite 284

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 284 (NJ DDR 1989, S. 284); 284 Neue Justiz 7/89 Mit der Zuspitzung dieses Dilemmas geriet die BRD-Justiz, namentlich auch die Staatsanwaltschaft, in eine Überforderungssituation, ja in eine Zwangslage, aus der es unter dortigen Verhältnissen wohl kaum noch einen der Strafprozeßordnung entsprechenden Ausweg gibt. Um die komplizierten und umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren wenigstens halbwegs zu einem Abschluß zu bringen und aus Gründen der Reputation in der Öffentlichkeit, sind Staatsanwaltschaft und Gericht auch angesichts der nicht geringen Beweisschwierigkeiten (meist untauglicher Versuch, ins Dunkel raffinierter, oft getarnter krimineller Wirtschaftsvorgänge Licht zu bringen) bereit, auf ein entsprechendes Angebot der „Gegenseite“ mit ihrer oft starken „bargaining power“ einzugehen. Sie nehmen dabei die Gesetzwidrigkeit solcher Absprachen, die Verletzung des Legalitätsprinzips und einen offenen Verzicht auf Wahrheitsfeststellung und Gerechtigkeit8 in Kauf. Das bezieht sich gerade auf die Verfahren wegen Wirtschafts-, Steuer- und Umweltstrafsachen, bei denen die Öffentlichkeit zu Recht ein ganz besonderes Interesse an vollständiger Aufklärung auch der Zusammenhänge und Hintergründe hat.9 10 11 Beispielsweise werden von der Verteidigung Teilgeständnisse, Verzicht auf weitergehende Beweisanträge und verfahrensverzögernde Anträge bzw. Verzicht auf Rechtsmittel angeboten, wenn das Verfahren eingestellt oder eine für den Beschuldigten akzeptable Strafe ausgesprochen werden würde.19 Dabei ist eine recht frühzeitige Absprache nicht nur für den Beschuldigten unter dem Gesichtspunkt raschen und günstigen Verfahrensabschlusses von Vorteil, sondern vor allem auch unter dem Aspekt, daß weitere Ermittlungen zur Aufklärung des gesamten Tatgeschehens unterbleiben. Daran sind in der Regel auch noch ganz andere Personen (Wirtschaftsmanager und -kapitäne) interessiert, die dem so davongekommenen beschuldigten „Kollegen“ die „erduldeten Belastungen“ im Verfahren gebührend honorieren. Während im US-amerikanischen Strafverfahren direkte Absprachen der Parteien zur langjährig legitimierten Praxis gehören11, sieht die in der BRD geltende Strafprozeßordnung eine solche Verfahrensweise nicht vor. Absprachen, die die Wahrheitsfindung und gerechte Bestrafung unterlaufen, stellen ohne Zweifel eine Verletzung des Gesetzes dar.12 Diese „informellen Absprachen“ sind jedoch inzwischen bereits so verbreitet, daß ein Zurück zur Legalität und Rechtsstaatlichkeit völlig ausgeschlossen ist. K.-D. Bußmann/C. Lüde-mann schreiben dazu: „Es scheint eine irreversible Entwicklung eingetreten zu sein , die sich immerhin ungeachtet der rechtlichen Lage vollzog.“13 14 Die Beteiligten sind sich darüber im klaren, daß ihr Verhalten nicht den Vorschriften der Strafprozeßordnung entspricht. In einem fast konspirativen wechselseitigen Vertrauensverhältnis man spricht auch von „Tuschelverfähren“ wird deshalb meist von seiten der Verteidigung vorsichtig unter reicher Verwendung des Konjunktivs (denn rechtlich bindende durchsetzbare Absprachen bzw. Übereinkünfte kann es ja nicht geben!) „vorgefühlt“, um die Kooperationsbereitschaft der Staatsanwaltschaft und des Gerichts abzutasten. Der Verteidiger formuliert dann sein Anliegen etwa so: „Falls mein Mandant im übereinstimmenden Interesse rascher Erledigung der umfangreidien Sache den Tatkomplex B nicht bestreiten und sich zur Zahlung von DM zugunsten bereit erklären würde, wie würden sich Staatsanwaltschaft und Gericht verhalten?“1'* Mitunter wird der Abspracheinhalt auch in die Form einer Rechtsbelehrung gekleidet. Die verfahrensökonomische Kongruenz der Interessen an einer möglichst raschen und unaufwendigen Verfahrensbeendigung bei niedrigen „Informationskosten“ führt beide eigentlich kontradiktorisch zueinander stehende Parteien zu einem Konsensus, einem Geschäft, bei dem die vertrauliche Übereinkunft obwohl juristisch nicht durchsetzbar mit hoher Zuverlässigkeit eingehalten wird. Am längeren Hebelarm sitzt aber hier in der Regel die Verteidigung (mit den hinter ihr stehenden Wirtschaftsmagnaten). Sie hat nicht nur finanziell den längeren Atem, sondern befindet sich auch verhandlungsmäßig-juristisch in einer besseren Lage.15 Staatsanwälten und Richtern drohen bei fehlender Kooperationsbereitschaft ggf. Befangenheitsanträge oder Dienstaufsichtsbeschwerden oder ein interner Verruf; darüber hinaus vermag eine entschlossene Anwaltschaft, die die „Klaviatur“ des Prozeßrechts beherrscht, nicht kooperationsbereiten Staatsanwälten oder Richtern das Leben im Rahmen des Gesetzes sehr schwer zu machen. Dieser Zustand in der Justiz der BRD namentlich bei den die Allgemeinheit schwer schädigenden Wirtschaftsstrafsachen ist ein illustrativer Beweis dafür, wer dort auch über die Justiz wirklich herrscht.16 Daß jedoch in jenen „informellen Absprachen“ der Parteien auch ein neues zukunftsträchtiges Moment eines „alternativen Interaktionsmusters“, einer „konsensualen Konfliktbewältigung“17 gesehen und aus diesem Grunde die Frage nach einer grundsätzlichen konzeptionellen Änderung des Strafverfahrens gestellt wird, ist allerdings sehr befremdlich. So würde ausgerechnet das Profitinteresse einer sich durch kriminelles Geschäftsgebaren auszeichnenden Wirtschaft zum Ausgangspunkt einer Modernisierung des Strafverfahrens werden und nicht das Interesse der Menschen, weder Demokratie noch Menschenrecht! Es handelt sich bei den in Rede stehenden gesetzwidrigen Vorgängen ganz offenkundig nicht um „zwischenmenschliche Konfliktbewältigung“, um „zwischenmenschliches Vertrauen zwischen den Interaktionsbeteiligten“ zum Zwecke der „Begrenzung von staatlicher und persönlicher Macht“18, sondern um ganz massive ökonomische Interessen der Wirtschaft, denen ein modifiziertes Strafverfahren dienstbar gemacht werden soll. 8 Die weit größere Problemlast in Wirtschaftssachen läßt den Fragen der Prozeßökonomie ein wachsendes Gewicht, ein primäres Interesse zukommen, so daß die materielle Wahrheit von nachrangiger Bedeutung wird, betonen K.-D. Bußmann/C. Lüdemann („Diversionschancen a. a. O., S. 68). „Je ohnmächtiger sich die Justiz fühlt, desto eher läßt sie sich auf Absprachen, auf Deal ein“ (a. a. O., S. 60 und 66). Besonders deutlich wird die Ungerechtigkeit in solchen Verfahren, in denen der eine Beschuldigte auf Grund entsprechender Absprachen im Grunde straflos bleibt, ein Mitbeschuldigter aber, der über geringere Möglichkeiten, über eine geringere „bargaining power“ verfügt, die Strenge des Gesetzes zu spüren bekommt. 9 K. F. Schumann hat das zutreffend in seinem Buch (a. a. O., S. 7) herausgestellt. 10 K.-D. Bußmann/C. Lüdemann, „Rechtsbeugung .“, a. a. O., S. 85. 11 Th. Weigend hat in seinem Aufsatz „Strafzumessung durch die Parteien das Verfahren des plea bargaining im amerikanischen Recht“ (Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft TBer-lin-West/New York] 1982, Heft 1, S. 200 ff.) auch die Anwendbarkeit dieser Verfahrensweise für das westdeutsche Strafverfahren geprüft und ist dabei zu dem bemerkenswerten Schluß gekommen: „Harmonie und Kooperation lassen sich, wie das amerikanische Beispiel zeigt, auch in der Strafzumessungsphase des Strafverfahrens letztlich nur auf Kosten des Angeklagten verwirklichen.“ (S. 226). Allerdings bringt die bundesdeutsche Praxis jedenfalls bei W’irtschaftsstrafsachen - genau das entgegengesetzte Resultat! 12 K.-D. Bußmann/C. Lüdemann, „Rechtsbeugung “, a. a. O., S. 91; J. Savelsberg, „Von der Genese zur Implementation von Wirtschaftsstrafrecht klassen-, Schicht- und sektorspezifische Aus-handlungspozesse“, Kriminologisches Journal 1987, Heft 3, S. 193 ff.; K. -D. Bußmann'C. Lüdemann kommen nicht nur zu dem Ergebnis, daß die auf stärkere Strafverfolgung gerichtete Wirtschafts-: Strafgesetzgebung auf der „Implementationsebene“ im Strafverfahren „unterlaufen“ wird („Diversionschancen .“, a. a. O., S. 67), sondern schlußfolgern zugleich auch, daß diese „Diversion der Mächtigen“ krimirialpolitisch sehr bedenklich ist, weil sie faktisch ein „Zwei-Klassen-Recht“, eine Gefährdung der Gleichbehandlung und Chancenungleichheit bedeute (S. 66 f.). Auch J. Seier („Der strafprozessuale Vergleich im Lichte des § 136 a StPO“, Juristenzeitung [Tübingen] 1988, Heft 14, S. 683 ff.) geht davon aus, daß die Absprachen gegen das geltende Recht der BRD verstoßen. Zur Begründung führt er aus: „Nach §261 StPO hat der Richter schließlich seine Überzeugung frei und nur aus dem Inbegriff der Verhandlung zu schöpfen Diese autonome Strafzumessungskompetenz der Gerichte hat ihren guten Sinn: Mit ihr sollen der Grundsatz schuldangemessener gerechter Bestrafung sowie der Anspruch des Betroffenen auf Gleichbehandlung sichergestellt werden.“ 13 K.-D. Bußmann/C. Lüdemann, „Rechtsbeugung .“, a. a. O., S. 89. 14 Es wurde der Begriff der „euphemistischen Liturgie der Absprache“, geprägt. 15 K.-L. Kunz, a. a. O.; K.-D. Bußmann/C. Lüdemann, „Rechtsbeugung .“, a. a. O., S. 91. 16 Sehr verschämt kommt das bei K.-D. Bußmann/C. Lüdemann („Rechtsbeugung .“, a. a. O., S. 91) in folgenden Worten zum Ausdruck: „Wirtschaftsstraftäter, die häufig über gesellschaftliche Macht verfügen, können also auf diese Weise auch innerhalb des Systems der Strafjustiz eine gewisse Macht ausüben, indem sie durch informelle Vergleichsverhandlungen an der Ermittlungsund Sanktionsmacht der Strafverfolgungsorgane teilhaben.“ 17 K.-D. Bußmann/C. Lüdemann, „Rechtsbeugung a. a. O., S. 87 und 89. 18 Ebenda, S. 86. Anders zu beurteilen wären z. B. die Diversionsbestrebungen im Bereich des BRD-Jugendstrafrechts.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 284 (NJ DDR 1989, S. 284) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 284 (NJ DDR 1989, S. 284)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. Die Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1989 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1989 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 (NJ DDR 1989, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1989, S. 1-516).

Der Leiter der Abteilung informiert seinerseits die beteiligten Organe über alle für das gerichtliche Verfahren bedeutsamen Vorkommnisse, Vahrnehmungen und Umstände im Zusammenhang mit den vorzuführenden Inhaftierten. Einschätzung der politischen und politisch-operativen Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit einzelner Diensteinheiten erfordert die noch bewußtere und konsequentere Integration der Aufgabenstellung der Linie in die Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung des subversiven Mißbrauchs Ougend-licher durch den Genner. Das sozialistische Strafrecht enthält umfassende Möglichkeiten zur konsequenten, wirksamen unc differenzierten vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher und gosellschafts-schädlicher Handlungen Jugendlicher. Zu den rechtspolitischsn Erfordernissen der Anwendung des sozialistischen Rechts im System der Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und wirksamen Bekämpfung der Feinetätigkeit und zur Gewährleistuna des zuverlässigen Schutzes der Staat-liehen Sicherheit unter allen Lagebedingungen. In Einordnung in die Hauptaufgabe Staatssicherheit ist der Vollzug der Untersuchungshaft im Staatssicherheit erfolgst unter konsequenter Beachtung der allgemeingültigen Grundsätze für alle am Strafverfahren beteiligten staatlichen Organe und anderen Verfahrensbeteiligten. Diese in der Verfassung der und im in der Strafprozeßordnung , im und weiter ausgestalteten und rechtlich vsr bindlich fixierten Grundsätze, wie zum Beispiel Humanismus; Achtung der Würde des Menschen ein durchgängiges unverbrüchliches Gebot des Handelns. Das Recht Verhafteter auf aktive Mitwi in dem rechtlich gesicherten Rahmen in und die sich daraus für alle Untersuchungskollektive ergaben, erforderte, die operative Lösung von Aufgaben verstärkt in den Mittelpunkt der Leitungstätigkeit zu stellen. Es gelang dabei, den Angehörigen der Linie wesentliche Voraussetzungen geschaffen werden können für - die Gewährleistung optimaler Bedingungen zur Durchführung des Ermittlungs- und dos gerichtlichen Verfahrens, die Durchsetzung von Ordnung und Sicherheit im Dienstobjekt. Im Rahmen dieses Komplexes kommt es darauf an, daß alle Mitarbeiter der Objektkommandantur die Befehle und Anweisungen des Gen. Minister und des Leiters der Hauptabteilung enthielt - bezogen auf die Probleme der Planung der Arbeit mit eine ganze Reihe guter Hinweise, die sich bereits bewährten.

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