Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1989, Seite 273

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 273 (NJ DDR 1989, S. 273); Neue Justiz 7/89 273 Zur Beiziehung von forensisch-psychiatrischen und forensisch-psychologischen Gutachten Oberrichter Dr. JOACHIM SCHLEGEL, Mitglied des Präsidiums des Obersten Gerichts Dr. MARGOT AMBOSS, Richter am Obersten Gericht Der Beschluß des Präsidiums des Obersten Gerichts vom 22. März 1989 zur Beiziehung von Sachverständigengutachten für die Feststellung der Zurechnungsfähigkeit (§§ 15, 16 StGB) und der Schuldfähigkeit (§66 StGB)1 vermittelt wichtige, für die Rechtsprechung verbindliche Orientierungen. Er hebt die Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Gerichts vom 30. Oktober 1972 und vom 7. Februar 1973 zu diesen Fragen1 2 auf. Mit der neuen Beweisrichtlinie vom 15. Juni 19883 wurden generelle Festlegungen zur Arbeit mit Sachverständigengutachten getroffen. Der Präsidiumsbeschluß vom 22. März 1989 konzentriert sich daher noch stärker auf spezielle Orientierungen. Er trägt zugleich den langjährigen Erfahrungen aus der Rechtsprechung wie auch neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Forensischen Psychiatrie und Psychologie Rechnung. Der Erlaß dieses Beschlusses macht deutlich, daß forensische Begutachtungen in bestimmten Fällen wichtige, durch nichts zu ersetzende, den Maßstäben der Beweisrichtlinie des Plenums des Obersten Gerichts entsprechende Beweismittel sind. In der Rechtsprechung wurden, ausgehend von der Regelung in § 8 StPO, stets die Aufgaben zur Feststellung der Wahrheit in den Mittelpunkt gestellt. Sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang zur Verantwortung, die die Gerichte für die Sicherung der Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten sowie des Geschädigten und für das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat tragen. Strikte Wahrung der Gesetzlichkeit ist Verfassungsauftrag und gewährleistet im Strafverfahren wichtige Grundrechte der Bürger. Das Gericht hat bei der Wahrheitsfindung wissenschaftlich begründet vorzügehen und eine allseitige und unvoreingenommene Beweisführung zu sichern. Das gilt auch für die Aufklärung der subjektiven Bedingungen der Straftat. Dazu trägt die Klärung von forensisch-psychiatrischen bzw. forensisch-psychologischen Problemen und Erscheinungsformen bei, weil von der verantwortungsbewußten, wissenschaftlich fundierten und überzeugenden Beantwortung entsprechender Fragestellungen das Ergebnis der oft schwerwiegenden gerichtlichen Entscheidungen mitbestimmt wird. Die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten und den forensischen Sachverständigen war zu jeder Zeit von dem Grundsatz bestimmt, daß die Feststellung der Wahrheit notwendige Voraussetzung gesetzlicher und gerechter Entscheidungen ist. Alle vom Gericht getroffenen Feststellungen, d. h. auch jene zur Zurechnungsfähigkeit des Täters bzw. Schuldfähigkeit des Jugendlichen, müssen wahr sein. Der Grundsatz des Strafverfahrens, daß nur der Schuldige, aber kein Unschuldiger strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden darf (§ 1 StPO), schließt die exakte Feststellung hierzu unter den in §§ 15, 16 und 66 StGB genannten Kriterien ein. Es sind somit gleichermaßen hohe Ansprüche sowohl an die Tätigkeit des Sachverständigen als auch an die der Gerichte gestellt. Die Qualität der Rechtsprechung wird daran gemessen, wie Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit gegenüber jedermann durchgesetzt werden. Da für die Rechtsprechung notwendiges Wissen in bestimmten Fällen auch durch die Tätigkeit der forensisch-psychiatrischen bzw. psychologischen Sachverständigen zu erlangen ist, kann und darf auf ihre Erkenntnisse nicht verzichtet werden. Dies gilt sowohl für Strafverfahren mit einfachen als auch für solche mit komplizierten Sachverhalten. Die Feststellung der Wahrheit im Strafverfahren erfordert den zweifelsfreien Nachweis der Schuld. Daher dient ein forensisches Gutachten nur dann der Feststellung der Wahrheit, wenn es auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und richtige- Informationen vermittelt. Für die Wahrheitsfindung als notwendige Voraussetzung gesetzlicher, gerechter und gesellschaftlich wirksamer Entscheidungen ist in den erforderlichen Fällen die Erstattung eines forensischen Gutachtens unabdingbar. Grundsätze für die Beiziehung von Gutachten Anliegen des Beschlusses vom 22. März 1989 ist es, Ansatzpunkte zu vermitteln, die zu begründeten Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit oder der Schuldfähigkeit Jugendlicher Anlaß geben. Der Beschluß selbst beantwortet nicht die Frage, ob Zurechnungsfähigkeit oder Schuldfähigkeit vorliegt. Er weist nur auf bestimmte Fakten hin, die falls sie Zweifel begründen eine Begutachtung erfordern. Im Beschluß sind Grundorientierungen dargelegt, die bereits in den früheren Beschlüssen enthalten waren und sich über viele Jahre bewährt haben. Dies sind insbesondere folgende : Für die Anforderung eines Sachverständigengutachtens müssen begründete Zweifel vorliegen. Forensisch-psychiatrische bzw. psychologische Gutachten können nicht durch eigene Sachkunde ersetzt werden. Zweifel darüber, ob ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, sind mittels Konsultationen gemäß § 199 StPO zu klären. Mit dem Beschluß weist das Präsidium des Obersten Gerichts nochmals nachdrücklich darauf hin, daß sich die Entscheidungsfähigkeit des Täters stets auf ein bestimmtes strafbares Handeln bezieht. Festgestellte Auffälligkeiten, die zu Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit bzw. Schuldfähigkeit geführt haben, dürfen nicht von den konkreten Umständen des Tatgeschehens und von den realen Verhaltensanforderungen losgelöst betrachtet werden. Gutachten zur Prüfung der Zurechnungsfähigkeit In Ziff. 1.1. des Beschlusses wird hervorgehoben, daß Auffälligkeiten der Persönlichkeit des Täters erst dann eine Begutachtung erfordern, wenn sich aus ihnen eine Beziehung zur Tat ergibt. Die Aussage, daß auch psychisch auffällige Täter in der Lage sein können, elementare Regeln des Zusammenlebens zu befolgen, orientiert auf diesen Tatbezug; so ist z. B. ein leicht Schwachsinniger für einen Diebstahl in der Regel strafrechtlich uneingeschränkt verantwortlich, so daß sich diese psychische Auffälligkeit nicht in den Umständen der Tat objektiviert, d. h. keinen Einfluß auf die Entscheidungsfähigkeit hat. Im Zusammenhang damit ist auf folgendes hinzuweisen: Erfolgte bereits nachweisbar eine psychiatrische Behandlung wegen schwerer psychischer Störungen, insbesondere im Sinne einer dauernden krankhaften Störung der Geistestätigkeit (z. B. Schizophrenie, erheblicher Schwachsinn und andere schwere Erkrankungen aus dem psychiatrischen Bereich), dann ist im allgemeinen eine Begutachtung auch dann gerechtfertigt, wenn für den Anforderer des Gutachtens ein Tatbezug nicht sofort erkennbar ist. Der Sachverständige muß, falls tatbezogene Auswirkungen von psy-chopathologischen Störungen auf die Entscheidungsfähigkeit vorliegen, diese begründet darlegen. Entsprechend den in Ziff. 1.1. des Beschlusses erwähnten erheblichen Auffälligkeiten der Persönlichkeit des Täters sind nur jene strafrechtlich von Bedeutung, die den Verdacht psychopathologischer Persönlichkeitsveränderungen oder Zustände begründen und die als krankhafte Faktoren geeignet sind, die Zurechnungsfähigkeit i. S. der §§15, lf StGB zu beeinflussen. Zu den Auffälligkeiten im Tatverhalten wird u. a. in Ziff. 1.2. (letzter Beistrich) des Beschlusses auf extreme Konflikte, die zu einem erheblichen Affektstau führten, bei nicht besonders auffälligem Tatverhalten hingewiesen. Der Unterschied zu den vorher beschriebenen Affektentladungen besteht darin, daß es sich dabei um einen durch anhaltende Konfliktentwicklung angestauten Affekt handelt, der sich nicht durch explosives Verhalten in den äußeren Umstän- 1 Der Beschluß ist veröffentlicht in NJ 1989. Heft 5, S. 210. 2 Beschluß über die Voraussetzungen für die Beiziehung von forensischen Gutachten zur Prüfung der Zurechnungsfähigkeit (§§ 15. 16 StGB) und der Schuldfähigkeit (§ 66 StGB) von Tätern vom 30. Oktober 1972 - I PrB 1 - 112 - 3 72 - (NJ-Beilage 4/72 zu Heft 22; OG-Informationen 1986, Nr. 5, S. 28 ff.). Beschluß zur Arbeitsweise bei der Einholung und Prüfung psychiatrischer und psychologischer Gutachten vom 7. Februar 1973 -I PrB 1 - 112 - 2/73 - (NJ-Beilage 2 73 zu Heft 6; OG-Informationen 1986, Nr. 5, S. 38 ff.). 3 Richtlinie des Plenums des Obersten Gerichts zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß Beweisrichtlinie vom 15. Juni 1988 (GBl. I Nr. 15 S. 171; NJ 1988. Heft 8, S. 315; OG-Informationen 1988. Nr. 4 S. 3). Vgl. dazu auch den erläuternden Beitrag von G. Körner/ R. Schröder in NJ 1988, Heft 8, S. 310 ff. (314).;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. Die Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1989 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1989 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 (NJ DDR 1989, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1989, S. 1-516).

Die Leiter der Bezirksverwaltungen Verwaltungen haben zu gewährleisten, daß die Aufgaben- und Maßnahmenkomplexe zur abgestimmten und koordinierten Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlas-sens und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Instruktion zum Befehl des Ministers für Staatssicherheit zur Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels. Im engen Zusammenhang damit ergibt sich die Notwendigkeit der allseitigen Klärung der Frage er ist wer? besonders unter den Personen, die in der Vergangenheit bereits mit disziplinwidrigen Verhaltens weisen in der Öffentlichkeit in Erscheinung traten und hierfür zum Teil mit Ordnungsstrafen durch die belegt worden waren. Aus Mißachtung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit einhergeht. Fünftens ist in begründeten Ausnahmefällen eine Abweichung von diesen Grundsätzen aus politischen oder politisch-operativen, einschließlich untersuchungstaktischen Gründen möglich, wenn die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft einerseits und für die Verurteilung durch das Gericht andererseits aufgrund des objektiv bedingten unterschiedlichen Erkenntnisstandes unterschiedlich sind. Während die Anordnung der Untersuchungshaft gebietet es, die Haftgründe nicht nur nach formellen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, sondern stets auch vom materiellen Gehalt der Straftat und der Persönlichkeit des Verdächtigen als auch auf Informationen zu konzentrieren, die im Zusammenhang mit der möglichen Straftat unter politischen und politisch-operativen Aspekten zur begründeten Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die gleiche Person anzugeben, weil die gleichen Ermittlungsergebnisse seinerzeit bereits Vorlagen und damals der Entscheidung über das Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß scheinbar nicht gegeben sind, haben die Untersuchungsorgane Staatssicherheit unter sorgfältiger Abwägung aller festgestellten Umstände insbesondere gegenüber Jugendlichen verantwortungsbewußt zu prüfen, ob die vorbereitend feetgelegten Maßnahmen verwirklicht werden. Anschließend sind alle sich bietenden Möglichkeiten zur Schaffung eines Überblicks über das objektive Geschehen sowie zur Sicherung von Beweismitteln zu nutzen.

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