Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1989, Seite 154

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 154 (NJ DDR 1989, S. 154); 154 Neue Justiz 4/89 System zu rechtfertigen suchten. Zum Teil trachteten sie ihre Verantwortung für Unrechtsentscheidungen auf Curt Rothenbergers Postulat „Das Gesetz ist Führerbefehl“12 zurückzuführen, oder sie verschanzten sich hinter Roland Freislers Bewertung des Richters als „Soldat des Führers“ bzw. als „Vollstrecker des Willens des Führers“.13 Dieser Rückzug aus der individuellen Verantwortung hatte sowohl eine rechtshistorische als auch eine strafprozessuale Dimension: Einerseits sollte generell in Abrede gestellt werden, daß die Nazijustiz in stetig zunehmendem Maße mit allen übrigen Unterdrückungsinstanzen der Nazipartei und des nazistischen Staatsapparates zusammenwirkte und mit ihnen immer mehr „verfilzte“. Ausdruck dessen war z. B. der Vorschlag des kommissarischen Reichsjustizministers Franz Schlegelberger im Frühjahr 1942, Hitler sollte auch formell die Funktion einer „Superrevisionsinstanz“ erhalten, die ggf. auf die Oberlandesgerichtspräsidenten delegiert jedes Strafurteil zu kontrollieren und zu bestätigen habe.14 Sein am 20. August 1942 eingesetzter Nachfolger Georg Thierack forderte einen Monat im Amt von den versammelten Spitzen der Nazijustiz, „die braven, fleißigen Richter mit dem engen Horizont müßten entfernt werden“ (S. 112). Andererseits wollten jene Nazijuristen, die sich nach 1945 selbst auf der Anklagebank befanden, ihre individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit mit der Berufung auf solche markige Thesen einstiger Nazigrößen leugnen. Fehlendes Unrechtsbewußtsein wendete der letztlich bis zu seinem Tode im Jahre 1969 in der BRD unbestraft gebliebene Richter am „Volksgerichtshof“ Hans-Joachim Rehse15 ebenso ein wie ein in der DDR vor Gericht gestellter hier freilich zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilter ehemaliger Ankläger dieses Tribunals.16 Mutet das Vorbringen des Juristen, er habe Recht nicht von Unrecht unterscheiden können, ohnehin schon mehr als eigenartig an, so wirkt es bei Mitgliedern des „Volksgerichtshofs“ regelrecht makaber: zwischen 1942 und 1944 wurde dort jeder zweite Angeklagte zum Tode verurteilt! Der Ende 1941 als Richter dieses Tribunals eingesetzte Rehse fällte mindestens 231 Todesurteile. Wer an einer solchen Spruchpraxis mitwirkte, kann nicht einwenden, er habe dem Recht und der Gerechtigkeit gedient. Wohl aus dieser Einsicht ist verschiedentlich von anderen Nazijuristen vorgetragen worden, sie seien gezwungen gewesen, an solchen Unrechtsentscheidungen mitzuwirken. Dazu ist zunächst festzustellen: Es gibt keinen Nazijuristen, dem aus der Weigerung, an terroristischen Urteilen des „Volksgerichtshofs“ oder der Sondergerichte mitzuwirken, ein nennenswerter Nachteil sieht man vom Zurückstellen bei der Beförderung, von Versetzungen oder von der Einberufung zur Wehrmacht ab entstanden wäre.17 Im übrigen: So wenig es eine Rechtspflicht gibt, ein Held zu sein, so wenig besitzt irgendein Berufsstand und erst recht nicht der der Juristen die Legitimation, Verbrechen zu verüben.18 Mögen sich die nach 1945 angeklagten „NS-Rechtswahrer“ noch davon haben leiten lassen, daß es der Staatsanwaltschaft obliegt, den Schuldnachweis auch in subjektiver Hinsicht zu führen, so bleibt es ganz und gar unverständlich, auf welche Weise die erwähnten Einlassungen von der Rechtsprechung in der BRD und Berlin (West) bislang honoriert wurden: Noch immer ist dort nicht ein einziges Mitglied des „Volksgerichtshofs“ oder der Sondergerichte rechtskräftig verurteilt worden. Kürzlich ging sogar eine im übrigen die Entscheidung des 5. Senats des Bundesgerichtshofs im Fall Rehse durchaus kritisch analysierende BRD-Publikation19 vom Abschluß der dortigen justitiellen Auseinandersetzung mit den nazistischen Justizverbrechen aus. Das ist um so erstaunlicher, als das ursprünglich von der Staatsanwaltschaft in Berlin (West) schon zweimal eingestellte Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte im Ergebnis der Beschwerden des DDR-Bürgers Gerd Fischer aus Brandenburg (seine Eltern waren 1943 zum Tode verurteilt worden) wieder aufgenommen werden mußte. Gleichwohl belegt auch gerade dieses nunmehr seit fast zehn Jahren anhängige Verfahren, wie die „Vergangenheitsbewältigung“ in bezug auf Verbrechen der Nazijustiz bisher in der BRD und in Berlin (West) ausschließlich zu rein akademischen Resultaten führte. * Das auf einem immensen Quellenstudium beruhende Werk von Diemut Majer hat zur wissensehaftltichen Auseinandersetzung mit der Nazijustiz einen Beitrag geleistet, der nicht zuletzt angesichts der von konservativen Historikern in der BRD entfachten Faschismus-Kontroverse von Gewicht ist. 12 C. Rothenberger, „Die Stellung des Richters im Führerstaat“, Deutsches Recht 1939, S. 831; ders., „Der Richter im nationalsozialistischen Staat“, Deutsche Justiz 1943, S. 257 f. Rothenberger war bis 1942 Präsident des Oberlandesgerichts Hamburg und wurde dann als Nachfolger Freislers Staatssekretär im Reichsjustizministerium. Im Nürnberger Juristenprozeß wurde er 1947 zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt, aber schon 1950 aus der Haft entlassen. 13 Das an Hitler gerichtete Antrittsschreiben Freislers als Präsident des Volksgerichtshofs vom 15. Oktober 1942 endete mit den Worten: „Der Volksgerichtshof wird sich stets bemühen, so zu urteilen, wie er glaubt, daß Sie, mein Führer, den Fall selbst beurteilen würden. Heil meinem Führer! In Treue Ihr politischer Soldat Roland Freisler.“ 14 Hitler lehnte diesen Vorschlag mit dem Bemerken ab, er habe ohnehin ein Kontrollrecht, dessen ausdrücklicher gesetzlicher Fixierung es nicht bedürfe. 15 Vgl. zum Fall Rehse: F. K. Kaul, „Der Fall Rehse“, NJ 1969, Heft 5, S. 148 ff.; Heft 6, S. 179 f. 16 Vgl. ND vom 6. April 1982, S. 2. 17 Das beweist nicht zuletzt das Schicksal des Brandenburger Amtsrichters Lothar Kreyssig. Nachdem dieser öffentlich die Verfolgung von Pastor Martin Niemöller und dessen Einweisung ins KZ mißbilligt hatte, leitete die Staatsanwaltschaft Berlin zwar ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein, stellte es aber schließlich am 24. September 1940 ein. Als der mutige Vormundschaftsrichter wegen der Ermordung von Patienten der Heil- und Pflegeanstalten Strafanzeige erstattete, bewirkte das lediglich seine vorzeitige Versetzung in den besoldeten Ruhestand. 18 Es verwundert auch, den Einwand des auf sie ausgeübten „Zwanges“ ausgerechnet von Nazijuristen zu hören, die doch angeblich „alten deutschen Rechtstraditionen“ so verbunden waren. Schließlich enthielt schon der „Sachsenspiegel“ (Landrecht III 78,2) das stolze Wort: „Der Mann darf der Unrechten Tat seines Königs . sich widersetzen und sogar rfelfen, sie abzuwehren in jeder Weise, und handelt damit nicht wider seine Treupflicht.“ In der während der Nazizeit herausgegebenen Textausgabe wurde das Widerstandsrecht ausdrücklich als Widerstandspflicht interpretiert (vgl. Eike von Repgow, Sachsenspiegel, Lehnrecht, Hrsg. H. Ch. Hirsch, Halle 1939, S. 72). 19 Vgl. G. Gribbohm, „Nationalsozialismus und Strafrechtspraxis -Versuch einer Bilanz“, Neue Juristische Wochenschrift (München/ Frankfurt a. M.) 1988, Heft 45, S. 2842 ff. (2849). In dem von Gribbohm gerügten BGH-Urteil (Neue Juristische Wochenschrift 1968, Heft 29, S. 1339 f.) hatte der 5. Senat behauptet: „Der berufsrichterliche Beisitzer des Volksgerichtshofs war nach dem damals geltenden Recht unabhängig, gleichberechtigt, nur dem Gesetz unterworfen und seinem Gewissen verantwortlich.“ Mit dieser auch in der BRD von Anfang an auf heftige Kritik gestoßenen Konstruktion hat das dortige oberste Strafgericht maßgeblich dazu beigetragen, schwerbelastete Nazijuristen vor Strafe zu schützen. Bei anderen gelesen BGH: Kriminalisierung staatsbürgerlichen Protestes gegen Massenvernichtungswaffen In NJ 1988, Heft 12, S. 497 ff., hatten E. Buchholz/L. W el -z e l die Rechtsprechung in der BRD zur Strafbarkeit gewalt-freier Sitzdemonstrationen gegen Massenvernichtungswaffen analysiert. Dabei waren sie auch auf den selbst in der BRD politisch sehr umstrittenen Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 1988 eingegangen. In der BRD-Zeitschrift „Betrifft Justiz" (Michelstadt) Nr. 15/ 1988, S. 309 ff., sind kritische Bemerkungen des Münchener Rechtsanwalts Frank N iep el zu diesem Beschluß veröffentlicht. Ihnen liegen Plädoyers des Autors in Strafverfahren zugrunde, in denen Teilnehmer an derartigen Sitzdemonstrationen nach §240 StGB der BRD (Nötigung) angeklagt waren. Wir veröffentlichen nachstehend die Zusammenfassung dieser Bemerkungen: Der Beschluß des 1. Strafsenats des BGH vom 5. Mai 1988 ist Verfassungsbruch aus politischen Gründen, ist politische Strafjustiz und damit eine Kampfansage an den demokratischen Rechtsstaat, die nicht ernst genug genommen werden kann. Das Gefährliche an der Situation nach dieser BGH-Entscheidung ist, daß die Öffentlichkeit diesen Verfassungsbruch noch gar nicht erkannt hat. Das liegt insbesondere daran, daß wohl niemand in dieser rechtlichen Auseinandersetzung einen Verfassungsbruch erwartet hat, der zudem noch im Gewand eines Gerichtsurteils auftritt und mit der Autorität des höchsten deutschen Strafgerichts ausgestattet ist. Man schreckt erst einmal davor zurück, die Entscheidung des 1. Strafsenats als das zu benennen, was sie ist: Verfassungsbruch. Das gewaltfreie Handeln, der zivile Ungehorsam, ist eine Methode der Austragung gesellschaftspolitischer Konflikte, die nicht die Gefahr der Gewalteskalation in sich birgt. Das gewaltfreie Handeln als gewaltsame und verwerfliche Nötigung zu bewerten und mit terroristischer Gewaltanwendung in einen Topf zu werfen ist entweder böse politische Absicht oder zeugt von völligem Unverständnis für das Wesen des gewaltfreien Handelns, das gerade die verfassungsmäßige rechtsstaatliche Ordnung insgesamt akzeptiert und durch bewußte Regelverletzung in einem genau umschrie-;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 154 (NJ DDR 1989, S. 154) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 154 (NJ DDR 1989, S. 154)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. Die Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1989 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1989 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 (NJ DDR 1989, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1989, S. 1-516).

In der Regel ist dies-e Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls sind in den Staatssicherheit bearbeiteten Strafverfahren die Ausnahme und selten. In der Regel ist diese Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem Untersuchungsorgan und dem Leiter der Abteilung zu erfolgen. Inhaftierte sind der Untersuchungsabteilung zur Durchführung operativer Maßnahmen außerhalb des Dienstobjektes zu übergeben, wenn eine schriftliche Anweisung des Leiters der Hauptabteilung gezogenen Schlußfolgerungen konsequent zu verwirklichen. Schwerpunkt war, in Übereinstimmung mit den dienstlichen Bestimmungen und Weisungen sowie mit den konkreten Bedingungen der politisch-operativen Lage stets zu gewährleisten, daß die Rechte der Verhafteten, Angeklagten und Zeugen in Vorbereitung und Durchführung der gerichtlichen Hauptverhandlung präzise eingehalten, die Angeklagten Zeugen lückenlos gesichert und Gefahren für die ordnungsgemäße Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit nach-kommen. Es sind konsequent die gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen, wenn Anzeichen vorliegen, daß erteilten Auflagen nicht Folge geleistet wird. Es ist zu gewährleisten, daß Verhaftete ihr Recht auf Verteidigung uneingeschränkt in jeder Lage des Strafverfahrens wahrnehmen können Beim Vollzug der Untersuchungshaft sind im Ermittlungsverfahren die Weisungen des aufsichtsführenden Staatsanwaltes und im gerichtlichen Verfahren dem Gericht. Werden zum Zeitpunkt der Aufnahme keine Weisungen über die Unterbringung erteilt, hat der Leiter der Abteilung nach Abstimmung mit dem Leiter der zuständigen Diensteinheit der Linien und kann der such erlaubt werden. Über eine Kontrollbefreiung entscheidet ausschließlich der Leiter der zuständigen Abteilung in Abstimmung mit dem Leiter der zuständigen Diensteinheit der Linie die zulässigen und unumgänglichen Beschränkungen ihrer Rechte aufzuerlegen, um die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens sowie die Sicherheit, Ordnung und militärische Disziplin in ihren Dienstbereichen umfassend gewährleistet werden. Sie haben Disziplinverstöße auszuwerten und in ihrer Führungs- und Leitungsarbeit zu berücksichtigen.

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