Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1989, Seite 143

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Seite 143 (NJ DDR 1989, S. 143); Neue Justiz 4/89 143 Rechtsgutachten zum Prozeß gegen Kutlu und Sargin vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara Im Aufträge der Internationalen Vereinigung Demokratischer Juristen erstatteten Juristen aus fünf Ländern Europas ein Rechtsgutachten zu dem gegenwärtig vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara stattfindenden Prozeß gegen Haydar Kutlu , Nihat S ar g in und 14 andere Angeklagte, darunter Rechtsanwälte der Verteidigung.1 Die Verfasser des Gutachtens2 sind: Prof. Dr. Erich Buchhol'z, Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität Berlin (DDR), Lord Anthony Gifford, Q. C., Rechtsanwalt, Parlamentarische Gruppe für Menschenrechte (Großbritannien), Prof. Dr. Martin Hirsch, ehern. Richter am Bundesverfassungsgericht (BRD), Prof. em. Dr. Georges Levasseur, Universität Paris II (Frankreich), Mireille S alm on, Rechtsanwältin in Brüssel (Belgien). Das Gutachten wurde am 9. Februar 1989 von Lord Anthony Gifford in Ankara der Öffentlichkeit übergeben. Der Justizminister der Türkei verweigerte die Entgegennahme des Dokuments. Den nachstehenden Auszügen aus dem Gutachten liegt die englische Fassung zugrunde. p jje£j Die Gutachter haben folgende Fragen untersucht: 1. Sind die Gesetze der Türkei über Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit und insbesondere die Art. 141 und 142 des türkischen Strafgesetzbuches mit den universellen Menschenrechtsgarantien und den völkerrechtlichen Verträgen, denen die Türkei angehört, vereinbar ? 2. Stehen die Strafverfolgung und der Prozeß gegen Haydar Kutlu, Nihat Sargin und andere vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara im Einklang mit den von allen zivilisierten Nationen anerkannten Prinzipien der rule of law? Die internationale Öffentlichkeit verfolgt diesen Prozeß auch deshalb mit besonderer Aufmerksamkeit, weil die Republik Türkei sich nach ihrer Verfassung für einen demokratischen Rechtsstaat hält und offiziell im Januar 1987 die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft beantragt hat. Bei der Erörterung dieses Antrags hat das EG-Parlament untersucht, inwieweit die Republik Türkei ein auf der rule of law gegründeter demokratischer Staat ist, der die Menschenrechte wahrt insbesondere die Rechte auf Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit , und welche Praxis sie in bezug auf die Todesstrafe und die Folter verfolgt. Die Gutachter stützen sich auf die türkische Verfassung von 1982 und di§ geltenden Gesetze und anderen Rechtsvorschriften der Türkei sowie auf die allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts, vor allem die von der Republik Türkei Unterzeichneten internationalen Verträge, wie die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (im folgenden: Europäische Konvention), der die Türkei am 18. Mai 1954 beitrat, die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vom 10. Dezember 1984, ratifiziert von der Türkei im April 1988, und die Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung vom 16. November 1987, die die Türkei im Februar 1988 ratifizierte. I 1. Die türkische Verfassung von 1982 Artikel 12 bestimmt, daß jedermann höchstpersönliche Grundrechte und -freiheiten besitzt, die unverletzlich und unveräußerlich sind. Artikel 13 Abs. 1 bestimmt jedoch: „Die Grundrechte und -freiheiten können zwecks Schutzes der unteilbaren Integrität von Staatsgebiet und Nation, der nationalen Souveränität, der republikanischen Staatsform der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, des inneren Friedens, des öffentlichen Wohls, der guten Sitten und der allgemeinen Gesundheit entsprechend dem Wortlaut und dem Sinn der Verfassung durch Gesetz beschränkt werden.“ Aber „die allgemeinen und besonderen Einschränkungen dürfen nicht gegen die Erfordernisse der demokratischen Gesellschaftsordnung verstoßen und nicht außerhalb des vorgesehenen Zwecks angewandt werden“ (Art. 13 Abs. 2). Artikel 14 erlegt der Ausübung der jedermann in Art. 12 garantierten Grundrechte und -freiheiten Beschränkungen auf. Er bestimmt: „Keines der in der Verfassung aufgeführten Grund- und Freiheitsrechte darf in der Absicht gebraucht werden, die unteilbare Integrität des Staatsgebietes und der Nation zu zerstören, die Existenz des türkischen Staates und der demokratischen Staatsform zu gefährden, Grundrechte und Freiheiten zu beseitigen, die Leitung des Staates durch eine Person oder eine Gruppe herbeizuführen oder die Staatsgewalt einer sozialen Klasse über die anderen Klassen zu sichern oder eine Trennung nach Sprache, Rasse, Religion oder Konfession herbeizuführen oder auf irgendeinem anderen Weg eine auf diesen Begriffen und Ansichten beruhende Staatsordnung zu gründen.“ Diese Bestimmung sollte im Einklang mit Art. 13 Abs. 2 ausgelegt werden, der zum Prinzip erklärt, daß die allgemeinen und besonderen Gründe der Einschränkungen der Grund-und Freiheitsrechte nicht gegen die Erfordernisse der demokratischen Gesellschaftsordnung verstoßen dürfen. 2. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Artikel 13 und 14 der türkischen Verfassung und insbesondere die Beschränkungen, die sie der Ausübung der Grundrechte und -freiheiten auferlegen, müssen in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretiert werden. Die Türkei hat diese Konvention am 18. Mai 1954 ratifiziert und die Konvention als Bestandteil des türkischen Rechts aufgenommen. (Im folgenden wird dargelegt, daß die Art. 9, 10 und 11 der Konvention das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht der freien Meinungsäußerung sowie das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, verankern. Zugleich legen diese Artikel fest, daß diese Rechte eingeschränkt werden können, wenn das vom Gesetz vorgesehen und z. B. im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit, der öffentlichen Sicherheit sowie der Vorbeugung von Ungesetzlichkeiten und Kriminalität notwendig ist.) Die Konvention gestattet keine Einschränkung der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Demgemäß stimmen die Art. 12, 13 und 14 der Verfassung mit den Erfordernissen der Europäischen Konvention überein, vorausgesetzt, daß Art. 13 Abs. 2 als vorrangige Vorschrift angesehen wird, die verlangt, daß alle Einschränkungen auf das begrenzt sein müssen, was in einer demokratischen Gesellschaft streng notwendig ist. Würde jedoch Art. 14 der Verfassung ohne diese Begrenzung angewandt, so würde er Einschränkungen der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit erlauben, die die Konvention verletzen. Legitimerweise darf türkisches Recht nicht beliebige Einschränkungen der Grundrechte und -freiheiten verfügen. Die Einschränkungen müssen sich nicht nur nach den in den Verfassungsartikeln genannten Zwecken, sondern auch nach den Art. 9, 10 und 11 der Europäischen Konvention richten. 3. Das türkische Strafgesetzbuch In der gegen Haydar Kutlu und Nihat Sargin erhobenen Anklage stützt sich die Staatsanwaltschaft auf Art. 14 der Verfassung und bringt spezielle Verletzungen der Art. 141 Abs. 1, 142 Abs. 1, 3 und 6, 132 Abs. 2 und 3, 158 Abs 2 und 3, 159 Abs. 1 des türkischen Strafgesetzbuches vor. Artikel 141 Abs. 1 lautet: „Mit Zuchthaus von acht bis fünfzehn Jahren wird bestraft, wer in der Absicht, die Diktatur einer Gesellschaftsklasse über andere Gesellschaftsklassen zu errichten oder eine Gesellschaftsklasse zu unterdrücken oder die wirtschaftliche oder soziale Grundordnung des Landes zu zerstören, Vereinigungen, gleichgültig in welcher Form oder unter welchen Namen, organisiert oder zu organisieren versucht oder die Tätigkeit solcher Vereinigungen reguliert oder befehligt und leitet oder Instruktionen erteilt. Die Todesstrafe wird gegen diejenigen verhängt, die mehrere oder alle Vereinigungen der erwähnten Art leiten.“ Artikel 142 Abs. 1 lautet: „Mit Zuchthaus von fünf bis zehn Jahren wird bestraft, wer in der Absicht, die Diktatur einer Gesellschaftsklasse über eine andere Gesellschaftsklasse 1 2 1 Vgl. auch F. Wolff in NJ 1988, Heft 7, S. 290. 2 An der Vorbereitung des Gutachtens hat Prof. Dr. Lothar Reuter, Sektion Staats- und Rechtswissenschaft der Friedrich-Sehil-ler-Universität Jena, mitgewirkt.;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 43. Jahrgang 1989, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. Die Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1989 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1989 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 43. Jahrgang 1989 (NJ DDR 1989, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1989, S. 1-516).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den imperialistischen Feind notwendige, offensive, politisch-ideologische Aufklärungs-und Erziehungsarbeit, die durch bestimmte damit beauftragte Diensteinheiten, Leiter und Mitarbeiter Staatssicherheit geleistet wird. Die wird auf der Grundlage der ständigen Einschätzung der politisch-operativen Lage und der sich ergebenden Sicherheitsbedürfnisse im Verantwortungsbereich. Die gründliche Analyse der aktuellen Situation auf dem Gebiet der Absicherung, der Kräfte, Mittel und Möglichkeiten dieser Institutionen für die Erarbeitung von Ersthinweisen oder die Ergänzung bereits vorliegender Informationen Staatssicherheit . Unter Berücksichtigung der spezifischen Funktionen dieser Organe und Einrichtungen und der sich daraus ergebenden zweckmäßigen Gewinnungsmöglichkeiten. Die zur Einschätzung des Kandidaten erforderlichen Informationen sind vor allem durch den zielgerichteten Einsatz von geeigneten zu erarbeiten. Darüber hinaus sind eigene Überprüfungshandlungen der operativen Mitarbeiter und gehört nicht zu den Funktionsmerkmalen der . Teilnahmen der an bestimmten Aussprachen und Werbungen können nur in begründeten Ausnahmefällen und mit Bestätigung des Leiters der Diensteinheit - der Kapitel, Abschnitt, Refltr., und - Gemeinsame Anweisung über die Durch- Refltr. führung der Untersuchungshaft - Gemeinsame Festlegung der und der Refltr. Staatssicherheit zur einheitlichen Durchsetzung einiger Bestimmurigen der Untersuchungshaftvollzugsordnung -UHV in den Untersuchungshaftanstalten Staatssicherheit vom Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit , Ausfertigung V: Gemeinsame Festlegung der Leiser des Zentralen Medizinisehen Dienstes, der Hauptabteilung und der Abteilung. Die Notwendigkeit und die Bedeutung der Zusammenarbeit der Abteilungen und bei der Lösung der Aufgaben des Strafverfahrens. Die weitere Stärkung und Vervollkommnung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung, vor konterrevolutionären Angriffen, gebieten die Untersuchungshaft als ein unverzichtbares staatliches Mittel für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung und -Vorbeugung bei Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen anzuwenden.

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