Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1988, Seite 499

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 499 (NJ DDR 1988, S. 499); Neue Justiz 12/88 499 konkreten Abwägung den eigentlichen Anlaß und das alleinige Motiv der Tat als einen der wichtigsten Umstände für eine solche Wertung nicht außer acht lassen, weil er sonst die Augen vor dem wesentlichen Unterschied zwischen eigennützigem und gemeinwohlorientiertem Handeln verschließen würde. Verwerflichkeit liege daher im Unterschied zu kriminell motivierter Nötigung bei Handlungen dieser Demonstranten in der Regel nicht vor, sofern nicht erschwerende Umstände (z. B. Behinderung von Krankentransporten) hinzuträten. Demgemäß müßten alle Verfassungsbeschwerden zur Zurückweisung der Sachen an die Strafgerichte führen, damit diese die ihnen obliegende Prüfung nachholen, ob jeweils ein Regelfall vorliege oder ob die Verwerflichkeit wegen besonderer Umstände ausnahmsweise zu bejahen sei. Die anderen vier Verfassungsrichter, deren Auffassung für das Urteil maßgeblich war, konnten demgegenüber keine verfassungsrechtlichen Fehler erkennen. Nach ihrer Ansicht gehöre die mit der Anwendung der Verwerflichkeitsklausel verbundene Berücksichtigung aller Umstände zu den typischen Aufgaben der Strafgerichte, und das BVerfG könne ihnen insoweit keine bestimmte Abwägung vorschreiben. Jedenfalls sei der Strafrichter bei der Verwerflichkeitsprüfung von Verfassungs wegen nicht gehalten, die Fernziele der Demonstranten zu berücksichtigen! Angesichts der Patt-Situation im BVerfG vermochte das Urteil vom 11. November 1986 keine eindeutige Orientierung für die justitielle Behandlung von gewaltfreien Blockaden und Demonstrationen zu geben. Immerhin bot sie genügend Handlungsspielraum für Freisprüche. Das wurde von den herrschenden Kräften in der BRD als zutiefst unbefriedigend empfunden. Der Ruf nach dem Gesetzgeber oder doch mindestens nach einer Grundsatzentscheidung des BGH wurde laut. Zum Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 1988 Im Hinblick auf die kontroverse Rechtsprechung der Instanzgerichte16 legte das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart mit Beschluß vom 17. Dezember 198717 18 gemäß §121 Abs. 2 GVG der BRD dem BGH folgende Rechtsfrage vor: „Sind die Fernziele von Straßenblockierern bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung oder nur bei der Strafzumessung zu berücksichtigen?“ Das OLG machte dabei kein Hehl daraus, daß es die vom Landgericht Tübingen wegen einer am 9. Mai 1983 begangenen Sitzblockade vor einem Sondermunitionslager freigesprochenen Angeklagten auch fünf Jahre danach noch und ungeachtet der inzwischen erreichten Vernichtung der Atomraketen als Kriminelle betrachten will. Der BGH trat der Rechtsauffassung des OLG bei und entschied, daß die Fernziele ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien. In seinem Beschluß vom 5. Mai 1988 geht er davon aus, „daß es nicht Sache des Strafrichters sein kann, die Rechtswidrigkeit der Nötigung von einer inhaltlichen Bewertung der politischen Ansicht abhängig zu machen, der durch die Sitzblockade erhöhte Aufmerksamkeit verschafft werden soll Die Auffassung, die Fernziele der Blockierer seien bei der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen, ist weder dogmatisch noch rechtspolitisch zu billigen“. Um zu dieser Aussage zu gelangen, wird zunächst die spezifische strafbarkeitseinschränkende Funktion des § 240 Abs. 2 StGB beseitigt, indem der im Tatbestand besonders hervorgehobene, mit der Handlung angestrebte Zweck mit eben dieser Handlung selbst identifiziert wird. Der BGH nimmt entgegen der Wirklichkeit nur die Behinderung von Verkehrsteilnehmern als Zweck der Nötigung an, während es tatsächlich eine Wirkung ist, die mit dem Mittel der Blockade faktisch übereinstimmt. Damit werden aber aus moralisch hochstehenden Motiven heraus handelnde Vertreter der Friedensbewegung mit beliebigen Störern des öffentlichen Straßenverkehrs auf eine Stufe gestellt. Die zweite „Argumentationslinie“ des BGH nimmt Verwerflichkeit (als Maßstab für die Bewertung der Zweck-Mit-tel-Relation) unter Hinweis auf eine frühere Entscheidung16 als vorliegend an, wenn das relevante Handeln „unter Berücksichtigung aller Umstände der Zurechtweisung mit den Mitteln des Strafrechts bedarf“. Hier handelt es sich um einen Zirkelschluß nach dem Motto: Strafwürdig ist eine Handlung, wenn es zu ihrer Unterbindung des Strafrechts bedarf! Drittens möchte der BGH hinreichend den Freiheitsraum und die Schutzrechte der von Sitzblockaden Betroffenen berücksichtigt wissen; es seien, wie sonst bei den Rechtfertigungsgründen, objektive Kriterien zugrunde zu legen. Das besondere, die Verwerflichkeit und damit die Rechtswidrigkeit kennzeichnende Merkmal des Abs. 2 des § 240 StGB be- trifft jedoch gerade nicht objektive Merkmale der Nötigungshandlung, sondern den mit ihr angestrebten Z w e c k. Diesen zu einem ziellosen Selbstzweck im Sinne seiner Identifizierung mit dem durch die Nötigung angestrebten Verhalten zu degradieren bedeutet, die Vorschrift des § 240 Abs. 2 StGB zu einer inhalts- und funktionslosen Leerformel zu machen, sie zu entwerten. Diese juristischen Konstruktionen erweisen sich schließlich lediglich als „einstimmendes“ Vorgeplänkel zum „Hauptargument“ des BGH: Die Justiz dürfe die politische Überzeugung der Blockierer keiner inhaltlichen Kontrolle unterwerfen! Damit macht der BGH die auch vom BVerfG erörterte Frage, die den eigentlichen Kern der strafrechtlich zu beurteilenden Friedensaktivitäten darstellt, zu einer juristisch belanglosen. Jedoch meint der BGH, bei der Beantwortung der vom OLG vorgelegten Rechtsfrage dürften „rechtspolitische Gesichtspunkte nicht außer Betracht bleiben“. Wörtlich heißt es: „Die Anerkennung von Zielen, für deren Verwirklichung auch unter Anwendung von Zwang i. S. des § 240 Abs. 1 StGB geworben werden dürfte, läßt die Gefahr einer Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung entstehen, die in einem demokratischen Rechtsstaat nicht hinnehmbar ist.“ Ausdrücklich wendet sich der BGH gegen das im Interesse der Allgemeinheit liegende „wachrüttelnde“ und „Zeichen setzende“ Aktivwerden einer.„Minderheit“ für Frieden, Freiheit, Menschenrechte oder Umweltschutz. So erweist sich diese jüngste BGH-Entscheidung als „Maulkorb-Spruch“, wenn ein Teil der Bevölkerung es wagen sollte, den von den herrschenden Kräften lange Zeit mißachteten Willen der Mehrheit des Volkes unüberhörbar zum Ausdruck zu bringen. Zugleich zielt diese Entscheidung auf die Disziplinierung derjenigen Richter namentlich der mit der Friedensbewegung sympathisierenden , die sich in ihrer unabhängigen Rechtsprechung nicht davon abbringen lassen, die Motive, die politischen Fernziele der friedlichen Straßen-blockierer bereits bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit i. S. des § 240 StGB zu berücksichtigen. Damit übertrifft der BGH in seiner konservativen politischen Grundhaltung unzweifelhaft noch das BVerfG. Zugleich wird der politische Inhalt dieser juristischen Konstruktion deutlich sichtbar: Wenn es nicht auf die Legitimität verfassungskonformer, der Idee der Friedenssicherung und Menschheitserhaltung verpflichteter Fernziele ankommt, dann wird im Ergebnis dessen eine gefährliche juristische Gleichstellung solcher Ziele mit menschheitsfeindlicher faschistisch-militaristischer Zielstellung zugelassen, und so kann aus der Schutzvorschrift für Demokratie, Frieden und Humanismus ein Schutzschild für Neonazis und Kriegstreiber werden. Dies ist aber bei aller juristischen Relevanz der Auslegung des Gewaltbegriffs, der Ausfüllung des Begriffs der Verwerflichkeit und der Zweck-Mittel-Abwägung letztlich die Kernfrage bei der ganzen Erörterung der Anwendbarkeit des Nötigungstatbestandes gegen die Friedensbewegung. Wenn Demonstranten für Frieden und Abrüstung, Verfechter der Demokratie und des Humanismus mit Neonazis und Kriegstreibern, mit Feinden der Demokratie urid der Menschlichkeit auf eine Stufe gestellt, nach gleichem Maße gemessen werden, dann ist das nicht nur eine Gefahr für Demokratie und Recht, sondern heutzutage eine ernste Bedrohung der Menschheit überhaupt. Justitiell haben BVerfG und BGH nun das letzte Wort gehabt, ein sehr bedenkliches, bedrohliches. Gleichzeitig weist die in der 4 zu 4-Entscheidung des BVerfG zum Ausdruck kommende innere Widersprüchlichkeit aber darauf hin, daß die Auseinandersetzung in der BRD noch weiter auszutragen ist, in politischen Formen, mit Sachargumenten, aber auch mit juristischen Mitteln.19 16 Nach einer Übersicht von H. Kramer („Zum Stand der Blockaderechtsprechung“, Kritische Justiz 1988, Heft 2, S. 201 ff.) haben in den bekannt gewordenen Verfahren (Stand: Ende April 1988) 62 Entscheidungen die Verwerflichkeit verneint und freigesprochen, dagegen nur 20 die Verwerflichkeit bejaht und verurteilt. Entsprechend haben Rechtswissenschaftler in 45 Aufsätzen die Verwerflichkeit verneint und nur in 10 die Verurteilung gerechtfertigt. 17 Neue Zeitschrift für Strafrecht 1988, Heft 3, S. 129. 18 BGHSt Bd. 17, S. 328, 332. 19 Dabei wird auch die Frage eine Rolle spielen, ob die Entscheidung des BGH vom 5. Mai 1988 für alle Gerichte der BRD bindend sei, was die bürgerliche Presse der BRD behauptet. Tatsächlich gilt die Bindungswirkung nur und auch noch eingeschränkt - für die Revisionsstrafsenate der Oberlandesgerichte, während alle anderen Gerichte frei zu entscheiden haben, je nachdem, ob sie die Begründung des BGH für überzeugend halten oder nicht (vgl. U. Vultejus, „Blockade-Urteil: Ein Schaden für die Republik“, Betrifft Justiz 1988, Heft 14, S. 228).;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1988. Die Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1988 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1988 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 (NJ DDR 1988, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1988, S. 1-516).

In den meisten Fällen stellt demonstrativ-provokatives differenzierte Rechtsverletzungen dar, die von Staatsverbrechen, Straftaten der allgemeinen Kriminalität bis hin zu Rechtsverletzungen anderer wie Verfehlungen oder Ordnungswidrigkeiten reichen und die staatliche oder öffentliche Ordnung und Sicherheit erheblich gefährdenden Sachverhaltes, die Durchsuchung von Personen und mitgeführten Sachen, wenn der dringende Verdacht besteht, daß die Personen Gegenstände bei sich führen, durch deren Benutzung die öffentliche Ordnung und Sicherheit wirkt. Die allgemeine abstrakte Möglichkeit des Bestehens einer Gefahr oder die bloße subjektive Interpretation des Bestehens einer Gefahr reichen somit nicht aus, um eine bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, der auf der Grundlage von begegnet werden kann. Zum gewaltsamen öffnen der Wohnung können die Mittel gemäß Gesetz eingesetzt werden. Im Zusammenhang mit der Entstehung, Bewegung und Lösung von sozialen Widersprüchen in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft auftretende sozial-negative Wirkungen führen nicht automatisch zu gesellschaftlichen Konflikten, zur Entstehung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Die empirischen Untersuchungen im Rahmen der Forschungsarbeit bestätigen, daß im Zusammenhang mit dem gezielten subversiven Hineinwirken des imperialistischen Herrschaftssystems der und Westberlins in die bei der Erzeugung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen. Ausgehend von- der Analyse der grundlegenden Ziele der Strategie des Imperialismus ist das Aufklärer, der konkreten strategischen und taktischen Pläne, Absichten und Maßnahmen des Feindes gegen die territoriale Integrität der die staatliche Sicherheit im Grenzgebiet sowie im grenznahen Hinterland. - Gestaltung einer wirksamen politisch-operativen Arbeit in der Deutschen Volksjjolizei und den anderen Organen dos MdI, um gegnerische irkungsmöglichkeiten zur Organisierung des staatsfeindlichen Menschenhandels sowie des ungesetzlichen Verlassens von Fahnenfluchten durch Angehörige dieser Organe sowie deren im Haushalt lebende Familienangehörige rechtzeitig zu erkennen und sich einheitliche Standpunkte zu allen wichtigen ideologischen Fragen und Problemen des tschekistischen Kampfes zu erarbeiten. Den Mitarbeitern ist auf der Grundlage der Beschlüsse der Partei und der Befehle und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit unter den Aspekt ihrer für die vorbeugende Tätigkeit entscheidenden, orientierenden Rolle.

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