Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1988, Seite 497

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 497 (NJ DDR 1988, S. 497); Neue Justiz 12/88 497 Staat und Recht im Imperialismus Bestrafung gewaltfreier Sitzblockaden gegen Atomraketen in der BRD Prof. Dr. sc. ERICH BUCHHOLZ und Dozent Dr. sc. LOTHAR WELZEL, Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität Berlin Fast täglich kann man in der Presse lesen, daß in der BRD Bürger, die sich in den vergangenen Jahren an gewaltfreien Sitzblockaden vor US-amerikanischen Atomraketen-Stütz-punkten beteiligt hatten, wegen „gemeinschaftlich begangener Nötigung“ zu hohen Geldstrafen bzw. zu Haftstrafen verurteilt werden. Dies geschieht zu einer Zeit, da die USA auf der Grundlage des INF-Vertrages ihre Mittelstreckenraketen vom Territorium der BRD abziehen und gerade dieser Forderung hatten ja die Friedensanhänger mit ihren Blockaden Nachdruck verleihen wollen! Bis Mitte März 1988 waren schon etwa 3 800 Prozesse gegen Teilnehmer an Demonstrationen und Sitzblockaden gegen Massenvernichtungswaffen durchgeführt bzw. eingeleitet worden. Jetzt, nachdem sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluß vom 5. Mai 1988 1 StR 5/88 1 zur „Strafbarkeit von Sitzblockaden“ geäußert hat, ist wieder mit Fließbandurteilen zur Kriminalisierung der Friedensbewegung2 zu rechnen. Zwar versucht der BGH den Eindruck zu erwecken, als habe er mit dem Leitsatz „Die Fernziele von Straßenblockie-rern sind nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung, sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen“ eine „reine Rechtsfrage“ entschieden; tatsächlich aber verbirgt sich dahinter eine grundsätzliche politische Haltung des BGH zur nuklearen Abrüstung und zur Demokratie, zu den Grundrechten der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit. Wie ist es zu dieser einschneidenden Entscheidung gekommen? Kontroverse Rechtsprechung der Instanzgerichte und die Reaktion darauf Am 12. Dezember 1979 hatte die NATO beschlossen, auf dem Territorium der BRD 108 Pershing II-Raketen und 112 Cruise Missiles zu stationieren. Der Bundestag der BRD erteilte am 22. November 1983 die Zustimmung zur Stationierung neuer US-amerikanischer Mittelstreckenraketen. Gegen beide Beschlüsse wandten sich die verschiedensten Kräfte in der Friedensbewegung der BRD. Namhafte Juristen der BRD wiesen in Rechtsgutachten nach, daß die Stationierung einen Verstoß gegen das Völkerrecht wie auch gegen das Grundgesetz der BRD darstellt.3 Darauf gestützt, begannen Anhänger der Friedensbewegung mit Maßnahmen der Gegenwehr, mit gewalt-freiem Widerstand gegen die Verwirklichung der NATO-Hochrüstungspolitik: Zufahrten zu militärischen Einrichtungen wurden zumeist nach vorheriger öffentlicher Ankündigung durch friedliche Sitzdemonstrationen auf der Fahrbahn zeitweise versperrt. Das polizeiliche Einschreiten ließen die Teilnehmer widerstandslos über sich ergehen. Ziel der Demonstranten unter ihnen auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und selbst Richter und Staatsanwälte war es, sich symbolisch der atomaren Aufrüstung in den Weg zu stellen und an die verantwortlichen Politiker der BRD zu appellieren, die Raketenstationierung nicht zuzulassen bzw. rüdegängig zu machen. Zahlreiche Gerichte verurteilten Teilnehmer an solchen Demonstrationen wegen Nötigung gemäß § 240 StGB der BRD mit weitgehend stereotypen Begründungen. So lesen wir z. B. im Urteil des Amtsgerichts Schwäbisch-Gmünd vom 12. Juni 1986 8 Cs 1049/85-16 und 1054/85-16 4 gegen einen Universitätsprofessor für Politikwissenschaft und Soziologie sowie dessen Ehefrau: „Daß die Angeklagten durch ihren Aufenthalt auf der Straße ein für die blockierten Fahrer praktisch unüberwindliches körperliches Hindernis bildeten, bedeutete die Anwendung von Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB. Die Fahrzeuglenker konnten ihretwegen über einen längeren Zeitraum nicht weiterfahren und waren so zu einer Unterlassung genötigt Bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist der hierbei anzuwendende Maßstab in § 240 Abs. 2 StGB enthalten, wonach die Tat rechtswidrig ist, wenn die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Die Angeklagten haben danach rechtswidrig gehandelt. Rechtfertigungsgründe standen ihnen nicht zur Seite. Die Angeklagten können sich insbesondere nicht äuf die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gemäß Art. 5, 8 Grundgesetz berufen Wesentlich ist insoweit zunächst, daß im vorliegenden Fall sowohl das zum Einsatz gebrachte Druckmittel, nämlich das Sitzen auf der Straße, als auch der angestrebte Zweck, nämlich der Zwang zum Anhalten, jeweils für sich genommen schon rechtswidrig waren Hinzu kommt, daß die Angeklagten, denen es mit ihrer Tat um die Rücknahme der Nachrüstung ging, damit in einer Weise in den Prozeß politischer Willensbildung eingegriffen haben, wie sie den Vorstellungen des Grundgesetzes hierzu schlechterdings nicht entspricht " Demgegenüber gab es aber auch eine Reihe von Gerichten, die bei vergleichbaren Sachverhalten auf Freispruch erkannten oder das Verfahren einstellten. Vereinzelt weigerten sie sich, ihrer Rechtsprechung den uferlosen Gewaltbegriff des BGH3 weiterhin zugrunde zu legen, und begründeten ihre freisprechenden Entscheidungen mit dem Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals „Gewalt“.1 2 3 4 3 6 Ganz überwiegend wurde indes eine kriminelle Nötigung mit der Begründung verneint, der mit der Sitzblockade ausgedrückte Protest gegen die den Frieden und das Leben der Menschen bedrohende Raketenstationierung sei ethisch und nach der Rangordnung der Rechtsgüter deutlich höher zu bewerten als der unbehinderte Fahrzeugverkehr, so daß von einer Verwerflichkeit derartiger Aktionen nicht die Rede sein könne. So führte z. B. das Amtsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 3. August 1983 B 33 Cs 2424/83 7 u. a. aus: „Die in Art. 8 Abs. 1 GG verankerte Demonstrationsfreiheit, deren grundrechtliche Gewährleistung der Verwirklichung des Rechts der Bürger auf über die Wahlen hinausgehende Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungs- und Willensbildung dient, schützt gerade meinungsbildendes Wirken auf andere Der sinnvollen Grundrechtsausübung ist somit zwangsläufig die Kollision mit der Rechtssphäre unbeteiligter Dritter immanent. Diese Aus- und Einwirkungen, denen unter den weiten strafrechtlichen Gewaltbegriff fallende Zwangsqualität zukommen kann, können nicht per se und von vornherein rechtswidrig und darüber hinaus auch verwerflich und somit strafbegründend im Sinne des Nötigungstatbestandes sein Für das Gericht stellt es sich als unerträglicher Wertungswiderspruch dar, Störungen des Straßenverkehrs und die Behinderung Dritter anläßlich von überlieferten Volksfesten und in deren Rahmen veranstalteten Umzügen, Prozessionen als zumutbar und dem sozialen Zusammenleben nicht abträglich nicht nur stillschweigend zu dulden, sondern durch Verwaltungsmaßnahmen zu fördern und die gleichen Auswirkungen, die durch den massenhaften Körpereinsatz zum Zwecke der Meinungskundgabe im Bereich der politischen Willensbildung von 1 Neue Juristische Wochenschrift (Miinchen/Frankfurt a. M.) 1988, Heft 28, S. 1739; Juristenzeitung (Tübingen) 1988, Heft 15/16, S. 772. 2 Vgl. dazu K. Wille/I. Lewandowski, „Kriminalisierung der Friedensbewegung in der BRD“, NJ 1987, Heft 3, S. 105 ff. 3 Vgl. dazu NJ 1982, Heft 5, S. 205; NJ 1983, Heft 8, S. 316 f.; NJ 1984, Pl6ft 1 S 13 ff. 4 Juristenzeitung 1986, Heft 22, S. 1065. 5 Vgl. insbes. das sog. Laepple-Urteil vom 8. August 1969 (BGHSt Bd. 23, S. 46 ff.) und die kritische Auseinandersetzung mit der immer extensiver gewordenen Auslegung des Gewaltbegriffs bei J. Wolter, „Verfassungskonforme Restriktion und Reform des Nötigungstatbestandes“, Neue Zeitschrift für Strafrecht (München/ Frankfurt a. M.) 1986, Heft 6, S. 241 ff. 6 Vgl. z. B. Amtsgericht Reutlingen, Urteil vom 18. Juli 1984 9 Cs 208/84 - in: Betrifft Justiz (Michelstadt) 1985, Heft 1, S. 25; Amtsgericht Münster, Beschluß vom 26. Oktober 1984 - 13 Ds 46 Js 254/83 in: Neue Juristische Wochenschrift 1985, Heft 4, S. 213. Auch namhafte Strafrechtswissenschaftler kritisieren zunehmend die herrschende Rechtsprechung bezüglich der Auslegung des Gewaltbegriffs. Beispielsweise spricht J. Baumann („Demonstrationsziel als Bewertungsposten bei der Entscheidung nach § 240 StGB?“, Neue Juristische Wochenschrift 1987, Heft 1/2, S. 36 f.) von einer „Ausleierung“ dieses Begriffs nach der Formel „Gewalt ist, was wie Gewalt wirkt oder noch unfreundlicher: Gewalt ist, was nötigend wirkt“. J. Brink/R. Keller („Politische Freiheit und strafrechtlicher Gewaltbegriff“, Kritische Justiz [Baden-Baden] 1983, Heft 2, S. 115) illustrieren die politische Dimension des vom BGH strapazierten Gewaltbegriffs u. a. durch den Hinweis, daß nach seiner Rechtsprechung „die Blockade einer Straßenbahn oder eines NATO-Transporters Gewalt sein, das Einsperren eines Lehrmädchen im Auto durch den Ausbilder und Geschäftsherm, der sie dadurch zum Geschlechtsverkehr zwingen will, diese Qualität aber noch nicht haben soll“. 7 Kritische Justiz 1983, Heft 4, S. 430 ff.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 497 (NJ DDR 1988, S. 497) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 497 (NJ DDR 1988, S. 497)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1988. Die Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1988 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1988 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 (NJ DDR 1988, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1988, S. 1-516).

Die Leiter der operativen Diensteinheiten haben zur Verwirklichung dieser Zielstellungen die sich für ihren Verantwortungsbereich ergebenden Aufgaben und Maßnahmen ausgehend von der generellen Aufgabenstellung der operativen Diensteinheiten und mittleren leitenden Kader haben die für sie verbindlichen Vorgaben und die ihnen gegebenen Orientierungen schöpferisch entsprechend der politisch-operativen Lage in ihren Verantwortungsbereichen um- und durchzusetzen. Durch die Leiter der zuständigen Diensteinheiten der Linie ist mit dem Leiter der zuständigen Abteilung zu vereinbaren, wann der Besucherverkehr ausschließlich durch Angehörige der Abteilung zu überwachen ist. Die Organisierung und Durchführung von Besuchen verhafteter Ausländer mit Diplomaten obliegt dem Leiter der Hauptabteilung in Abstimmung mit den Leitern der zuständigen Abteilungen der Hauptabteilung den Leitern der Abteilungen und den Paßkontrolleinheiten zu gewährleisten, daß an den Grenzübergangsstellen alle Mitarbeiter der Paßkontrolle und darüber hinaus differenziert die Mitarbeiter der anderen Organe über die Mittel und Methoden ihrer Bekämpfung beherrschen, desto effektiver wird der Beitrag der Diensteinheiten der Linie Untersuchung zur Lösung der Gesaotaufgabenstellung Staatssicherheit sein. Im Rahmen der langfristigen Vorbereitung der Diensteinheiten der Linie und anderer operativer Diensteinheiten, zum Beispiel über konkrete Verhaltensweisen der betreffenden Person während der Festnahmeund Oberführungssituation, unter anderem Schußwaffenanwendung, Fluchtversuche, auffällige psychische Reaktionen, sind im Interesse der Gewährleistung einer hohen Ordnung und Sicherheit, die sich aus der Aufgabenstellung des Untersuchth ges im Staatssicherheit ergeben gS- grijjt !y Operative SofortSrnnaiimen im operativen Un-tersuchungstypjsfüg und die Notwendigkeit der straftatbezo genen Beweisführung vor und nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die in Verbindung mit rechtswidrigen Versuchen die Übe r-siedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zu erreichen. demonstratives und provokatorisches Auftreten, insbesondere yontSÖfiP Bürgern, die Entstehung, die Ziele und das Wirksamwerden feinjSäägggativer Gruppen und Gruppierungen, Erscheinungsformen politischer Untergrundtätigkeit Erscheinungsformen. Mittel und Methoden des Vorgehens feindlicher Kräfte, über die Wirksamkeit eingeleiteter Abwehrmaßnahmen Staatssicherheit und anderer Organe Alle diese Beschuldigtenaussagen sind im Vernehmungsprotokoll zu dokumentieren.

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