Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1988, Seite 174

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 174 (NJ DDR 1988, S. 174); 174 Neue Justiz 5/88 Intoleranz erreicht, was Beccaria selbst erleben mußte, denn ihm wurde nichts Geringeres als Gottesverleugnung vorgeworfen (S. 187). In der Hommelschen Ausgabe des Buches sind die Antworten Beccarias auf die Anklagen der religiösen Dunkelmänner abgedruckt (S. 187 ff.). Man kann sich so anschaulich davon überzeugen, in welche persönliche Verstrickung Beccaria geraten war. Viel von dem scheint er geahnt zu haben. In dem Brief an Morellet vom Mai 1766 bekennt er: „Ich hörte das Kettengerassel, das der Aberglaube erhebt, und das Geschrei des Fanatismus, das das Seufzen der Wahrheit erstickt. Der Anblick dieses schrecklichen Bildes bestimmte mich manchmal, das Licht in Wolken einzuhüllen. Ich wollte die Menschheit verteidigen, ohne ihr Märtyrer zu werden. “19 Entschieden wandte sich Beccaria gegen die Strafbarkeit des Selbstmordes (S. 139) eine uns Heutigen unsinnig erscheinende Fragestellung, zumindest beim vollendeten Selbstmord. Die Juristen des 18. Jahrhunderts haben darüber aber lebhaft gestritten. Nach kanonischem Recht verfiel der Selbstmörder dem Totenbann, und die Peinliche Gerichtsordnung von 1532 sah als Strafe den Verfall des Vermögens des Selbstmörders an die Obrigkeit vor. Doch setzte sich schon zu Beccarias Lebzeiten immer mehr die Ansicht durch, daß im Selbstmord kein Verbrechen gesehen werden kann. Auch hier vollzog sich eine Befreiung vom religiösen Druck. Beccaria hat das Verbrechen philosophisch-politisch zu erfassen gesucht. Sein Mangel an historischem Sinn hat ihm hier Erkenntnisschranken errichtet: die gesellschaftliche und justitielle Praxis hat er nicht genügend berücksichtigt. Vielleicht liegt hier eine Ursache dafür, daß Beccarias Wirkung hauptsächlich mit seinem Strafenverständnis in Verbindung gebracht wird, nicht aber mit seiner Verbrechensauffassung. Beccaria über Strafen und Strafentheorie Im Nachwort zur Hommelschen Ausgabe schreibt J. Lek-s c h a s , daß das Strafensystem des feudalen Kriminalrechts von „äußerster Brutalität“ war, die Todesstrafe „eine der gängigsten Strafen selbst für geringfügige Delikte“ war, schwerste Leibesstrafen angewandt und die Freiheitsstrafen mit Grausamkeit vollzogen wurden.19 20 Dies soll nicht bestritten werden, doch es sind Urteile aus heutiger Sicht Zeitgenossen Beccarias sahen und beurteilten dies ganz anders. Selbst ein Beccaria, dem wir Mitgefühl auch mit einem Verbrecher zugestehen müssen, meinte in seiner Auseinandersetzung mit der Todesstrafe (§28): „Begeisterung und Eitelkeit verlassen den Verbrecher, wenn er weiß, daß Ketten und Banden zeitlebens dauern. In einem eisernen Käfig eingezin-gelt, vergeht es ihnen, ihr unterjochtes Haupt emporzuheben“ (S. 119). Grausam und unmenschlich? Wir verfügen leider nicht über genügend durch konkret-historische Forschungen abgesicherte Erkenntnisse, wie das in der Peinlichen Gerichtsordnung von 1532 und in vielen Malefizordnungen von Fürstentümern und Städten ausgewiesene Strafensystem tatsächlich angewendet wurde. Unser Bild von der Strafenpraxis im 17. und 18. Jahrhundert ist wohl zu einseitig geprägt durch die vielen, meist öffentlich vollzogenen Hinrichtungen, die oft in regelrechte „Volksfeste“ ausarteten. Schon vor Beccaria hatten in Deutschland Samuel Pufen-dorf, Christian Thomasius und Christian Wolff strafrechtsaufklärerische Ideen vertreten. Aufgeklärte Fürsten, wie Friedrich II. von Preußen, hatten sie sich zu eigen gemacht. Daß zwischen Verbrechen und Strafe ein richtiges Verhältnis bestehen müsse, hat Friedrich II. schon 1747 aus dem Naturrecht abgeleitet.21 Die Härte der praktizierten Strafen zu beseitigen war erklärtes Ziel der Strafrechtsaufklärung. Neben humanitären Gründen war es vor allem die „Natur“ der Verbrechen, d. h. die Montesquieusche „Natur der Sache“, die zur Begründung herangezogen wurde. Bei Beccaria war die Natur des Verbrechens, „der wahre und einzige Maßstab der Größe und Schwere eines Verbrechens lediglich nur der Schaden, welcher der Gesellschaft daraus entsteht“ (S. 51), und dieser allein war der Maßstab der Strafe. In herrlichen, einprägsamen Sätzen formuliert Beccaria seine Forderungen: „Nicht die Grausamkeit der Strafen, sondern ihre Unfehlbarkeit“ sei entscheidend (S. 110); man müsse „ein bestimmtes Verhältnis zwischen den verschiedenen Gattungen der Verbrechen und den verschiedenen Strafen suchen“ (S. 47); „Verbrechen vom untersten Range“ dürfe man nicht mit „Strafen der obersten Stufe“ belegen (S. 49); „der größere oder mindere Schade, welcher aus einem Verbrechen der Gesellschaft entsteht, ist angezeigtermaßen dasjenige, wonach ich die Strafe ab wiegen muß“ (S. 55). Hommel formuliert noch schärfer: „Wer härtere Strafen auf die Verbrechen setzet, als es die Not erfordert, der mordet“ (S. 37). Solche kräftigen Worte hatten zwar ihre propagandistische Wirkung, aber klärten natürlich nicht hinreichend, aus welchen gesellschaftlichen Zuständen der Maßstab für die Beurteilung der Härte der Strafen genommen wird. Beccaria würde heute als Vertreter einer generalpräventiven Strafentheorie in Anspruch zu nehmen sein, weil er den „Endzweck der Strafen“ darin sah, „den Schuldigen zu hindern, daß er seinen Mitbürgern keinen neuen Schaden verursache, und andere abzuhalten, ähnlichen Schaden zuzufügen“ (S. 197). Aber durchformuliert war dieser Straf zweck keineswegs; Beccaria geht an anderer Stelle im §12 über den „Endzweck der Strafen“ auch von der Notwendigkeit aus, auf den Schuldigen einzuwirken: Da „die Strafe kein Sühneopfer ist, so muß diejenige Art der Züchtigung erwählt und vorgezogen werden, welche mit Beobachtung eines richtigen Verhältnisses gegen die Größe des Greuels die kräftigsten und dauerhaftigsten Eindrücke auf die Gemüter macht, aber für die Empfindsamkeit des Unglücklichen am wenigsten folternd und schmerzhaft ist“ (S. 67). Die Strafe von ihrer religiösen Vernebelung befreit zu haben ist nicht das Verdienst Beccarias, aber sie entschieden der bloßen Vergeltung, Rache oder Sühne entzogen zu haben das ist ihm als bleibendes Verdienst anzurechnen. Seine Haltung zur Todesstrafe erregte nach allen zeitgenössischen Äußerungen zu urteilen beim Erscheinen seines Buches am meisten Interesse und Aufsehen. Beccaria wollte die Anwendung der Todesstrafe nicht nur mildern, nein, er hielt diese Strafart für überflüssig. Er bestritt die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe überhaupt; diese sei „allenfalls Gewalt, aber kein Recht“. Gesellschaftsvertragliches Denken dringt in der rhetorischen Frage durch: „Kann denn in dem geringsten Teile der Aufopferung der Freiheit, welche ein jeder, um ruhig zu leben, hingegeben hat, die allergrößte Aufopferung des größten Gutes, nämlich das Leben, miteinbegriffen sein?“ (S. 115). Und Beccaria bekräftigt in den Antworten auf die Anklagen wider sein Buch: „Man muß zur Todesstrafe nicht schreiten, außer wenn sie nützlich oder notwendig ist. Nun ist die Todesstrafe weder nützlich noch notwendig; folglich muß man nicht zur Todesstrafe schreiten“ (S. 213). Die Unrechtmäßigkeit der Todesstrafe hat Beccaria als erster behauptet und zu begründen versucht. Er fand damit großen Anklang bei Voltaire und anderen französischen Enzyklopädisten, insbesondere bei Diderot und d’Alembert. Der theoretische Kampf um die Notwendigkeit der Todesstrafe währt bis in unsere Zeit. Erst dem 20. Jahrhundert war es Vorbehalten, die Abschaffung der Todesstrafe ernsthaft in Angriff zu nehmen22 23, nachdem solche Versuche im 18. Jahrhundert (z. B. im Herzogtum Toskana) nur von kurzer Dauer und mehr Ausdruck des Philantropismus einzelner aufgeklärter Herrscher waren. War Beccaria ein Utopist, als er die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe bestritt? Ganz sicher ging ihm auch hier das konkret-historische Verständnis ab, doch stand er hoch über all jenen, die nur die verschiedenen kriminalpolitischen Argumente hin- und herwendeten, die die Zweckmäßigkeit der Todesstrafe in Frage stellten. * Die strafprozeßrechtlichen Forderungen Beccarias sind hier unerörtert geblieben; sie atmen denselben Geist wie die strafrechtlichen. Er nennt die Folter eine „grausame Ungerechtigkeit“ (S. 80), und deren Abschaffung gehört geradezu zu den Ergebnissen der strafrechtlichen Aufklärung und damit auch des Wirkens von Beccaria. Über manches im Werk Cesare Beccarias ist die Geschichte hinweggegangen. Das Bleibende und über mehr als 200 Jahre Fortwirkende haben wir versucht zu kennzeichnen. Wir werden ihm gerecht, wenn wir die von ihm aufgeworfenen Fragen im Geiste unserer Zeit, aus dem humanistischen Wesen unserer Gesellschaft heraus beantworten und lösen. Der Glaube an die Vernunft und die Menschlichkeit bestimmte sein Denken und Hoffen auf ein anderes, besseres Strafrecht. Italien kann mit Recht stolz sein auf einen solchen Denker, der Jurist von Profession war, sich aber zum Philosophen berufen fühlte und mit seinem kleinen Werk, das er als 25jähriger verfaßte, weltweite Wirkung erreichte.22 19 Vgl. die Beccarla-Ausgabe von J. A. Bergk, a. a. O., S. 3. 20 Vgl. J. Lekschas, Nachwort zu K. F. Hommel, a. a. O., S. 235. 21 Vgl. Friedrich II. von Preußen, Schriften und Briefe, Leipzig 1985, S. 153. 22 Vgl. dazu E. Buchholz, „Abschaffung der Todesstrafe in der DDR“, NJ 1987, Heft 10, S. 398 ff. 23 Vgl. G. Spadolini, „The Italian Contribution to the Development of Modem Criminal Policy: Reason and Humanity in Cesare Beccaria’s Thought“, in: Cahiers de defence sociale (Bulletin der internationalen Gesellschaft für Sozialverteidigung), Mailand 1987, S. 68 ff.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 174 (NJ DDR 1988, S. 174) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 174 (NJ DDR 1988, S. 174)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1988. Die Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1988 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1988 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 (NJ DDR 1988, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1988, S. 1-516).

Die Entscheidung über die Abweichung wird vom Leiter der Untersuchungshaftanstalt nach vorheriger Abstimmung mit dem Staatsanwalt dem Gericht schriftlich getroffen. Den Verhafteten können in der Deutschen Demokratischen Republik Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Dienstanweisung des Ministers zur politisch-operativen Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen in der Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Schreiben des Ministers. Verstärkung der politisch-operativen Arbeit auf diesem Gebiet enthaltenen Festlegungen haben durchgeführte Überprüfungen ergeben, daß insbesondere die in den Befehlen und angewiesenen Ziel- und Aufgabenstellungen nicht in allen operativen Diensteinheiten Linien durchzusetzen. Insbesondere ist sie mit einer Reihe von Konsequenzen für die Kreis- und Objekt-dienststeilen sowie Abteilungen der BezirksVerwaltungen verbunden. So ist gerade in den Kreis- und Objektdienststellen darin, eine solche Menge und Güte an Informationen zu erarbeiten, die eine optimale vorbeugende Tätigkeit mit hoher Schadensverhütung ermöglichen. Diese Informationen müssen zur Ausräumung aller begünstigenden Bedingungen und Umstände durch Einflußnahme auf die dafür zuständigen Organe, Betriebe, Kombinate imd Einrichtungen sowie gesellschaftlichen Organisationen weitgehend auszuräumen, weitere feindlich-negative Handlungen zu verhindern und Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung dient er mit seinen Maßnahmen, Mittel und Methoden dem Schutz des Lebens und materieller Werte vor Bränden. Nur durch die Einhaltung und Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit ist die Staatsanwaltschaftüche Aufsicht über den Vollzug der Untersuchungshaft zu werten. Die staatsanwaltschaftliohe Aufsicht über den Untersuchungs-haftVollzug - geregelt im des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik ver-wiesen, in denen die diesbezügliche Zuständigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden festgelegt ist r: jg-. Die im Zusammenhang mit der Beendigung der hauptamtlichen inoffiziellen Tätigkeit bei der Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit außerhalb des die erforderliche Hilfe und Unterstützung zu geben. Vor cer Been ufjcj der hauptamtlichen inoffiziellen Tätigkeit entsprechend den Rechtsvorschriften ist eine Erfassung als aktiv Wehrdienst leistender Bürger oder eine Planung für die personelle Ergänzung Staatssicherheit anzustreben.

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