Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1988, Seite 172

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Seite 172 (NJ DDR 1988, S. 172); 172 Neue Justiz 5/88 Letztlich entwickelt er ein Konzept, das darin gipfelt, „dem einzelnen Sicherheit zu gewähren vor dem Mißbrauch der staatlichen Strafgewalt, vor Todesstrafen und Folter, vor Strafen, die außer Verhältnis zu dem begangenen Verbrechen standen, vor unklaren und lückenhaften Gesetzen und vor willkürlicher Auslegung“.9 Mit Rousseau verbindet ihn dessen Theorie vom Gesellschaftsvertrag („Du contrat social“, 1762). Doch sind die Unterschiede augenscheinlich: Bei Rousseau geht jedes Gesellschaftsmitglied mit allen seinen Rechten gänzlich in der Gesamtheit auf, ohne jeden Vorbehalt und ohne daß dem einzelnen irgendwelche Rechte blieben, außer denen, die er von der Gesellschaft erhält.10 11 Anders die Argumentation Becca-rias: In § 2 seines Werkes lesen wir, daß zwar die Notwendigkeit „die Menschen zwang, einen Teil ihrer natürlichen Freiheit der ganzen Gesellschaft abzutreten“, aber „jedermann nur den kleinsten Teil“ und „nur so viel, als unumgänglich war“ (S. 38/39).11 Für Beccaria geht es also um die Freiheit vom Staat, um die ursprüngliche bürgerliche Freiheit vom feudalen Staat. Die Anknüpfung an Montesquieu ist noch augenscheinlicher als die an Rousseau. Schon zu Beginn des § 2 verweist Beccaria auf einen „Ausspruch des großen Montesquieu“, wonach „jegliche Strafe, welche nicht die dringendste Not erfordert, tyrannisch“ ist (S. 36/37). Er greift die Gewaltenteilungslehre Montesquieus auf, wenn er fordert, daß Strafen nur in Gesetzen angeordnet werden dürften, diese aber könne nur der Gesetzgeber und nicht irgendeine Behörde erlassen. Der Gesetzgeber dürfe nur allgemeine Strafgesetze erlassen, nicht Strafurteile fällen, was nur eine unabhängige Behörde könne. Der Gesetzgeber dürfe Gesetze nicht auslegen. Beccaria entnimmt dem „Geist der Gesetze“, was in seine Ideenwelt paßt, rational und eklektizistisch auch hier vorgehend, ohne Rücksicht darauf, auf welchem methodischen Weg Montesquieu zu seinen Erkenntnissen gelangte, ohne die „Natur der Dinge“ zu bemühen, die Montesquieu gleich am Anfang seines Werkes zum Leitgedanken seiner Forschungen erhob.12 13 War Beccaria ein radikaler Denker? Rüttelte er an der Substanz der Gesellschaft seiner Zeit? Diese Fragen lassen sich nur schwer beantworten. Wenn wir uns im folgenden den strafrechtlichen Grundanschauungen Beccarias zuwenden, werden wir sehen, daß seine Forderungen auf eine grundlegende Reformierung des Kriminalrechts hinauslaufen. Ihn jedoch als Begründer der Forderung nach Abschaffung des Strafrechts in Anspruch zu nehmen wäre nicht gerechtfertigt. Er war durchdrungen vom Glauben der Aufklärung, daß eine Besserung der Menschen erforderlich und möglich sei. Darauf setzte er seine Hoffnung. Irritationen löste Beccarias Haltung zur Eigentumsfrage aus. In § 22, der „Vom Diebstahle“ handelt, findet sich hinter dem Wort „Eigentumsrecht“ die Klammerbemerkung „ein schreckliches und vielleicht nicht nöthiges Recht“.10 Damit beweist Beccaria eine weitaus radikalere Haltung als etwa Rousseau, der nur für eine vernunftgemäße Eigentumsverteilung eintritt. Der Baseler Stadtschreiber Isaak Iselin bezeugt in einem Brief an Moses Mendelssohn vom 26. September 1766, daß Beccaria den Klammerzusatz nicht für einen Druckfehler hielt, sondern daß dies völlig seine Meinung sei und daß er die Möglichkeit der Gemeinschaft für erwägenswert hielt.14 Den Grundgedanken brachte Beccaria ein wenig versteckt in einem späteren Zusatz zum § 34 über die „Strafe der Bankerotterer “ zum Ausdruck, als er schrieb, daß „das Recht des Eigentums der Güter nicht der Zweck der gesellschaftlichen Verträge“ sei (S. 151, Fußnote). Daß Beccaria damit das Recht auf Privateigentum ln Frage stellte, ist schon ein aufsehenerregender Vorgang, der gründlicher Analyse und Würdigung bedürfte.15 Ehe wir uns den Ansichten Beccarias zu den Strafgesetzen, Verbrechen und Strafen näher zuwenden, bleibt festzuhalten, daß Beccaria eine eigentliche Gesetzgebungslehre ebensowenig entwickelt hat wie einen systematisch durchgearbeiteten Entwurf für eine verbesserte, neue Strafgesetzgebung. Gleichwohl hat er nicht mit guten Ratschlägen an den Gesetzgeber gespart. Als einen „Hauptgrundsatz der gesetzgeberischen Klugheit“ sah Beccaria an, „daß die Wichtigkeit der politischen Übel, welche aus der Nichtbestrafung entstehen, nach dem rechten Verhältnisse des Schadens berechnet werden, welcher aus dem Verbrechen für die Gesellschaft erwächst, und nach dem umgekehrten Verhältnisse der Schwierigkeit, welche man findet, es unwiderleglich zu beweisen“ (S. 150/151). In unserer modernen Fachsprache würden wir den Satz anders formulieren, müssen aber anerkennen, daß mit ihm schon wichtige Kriterien bezeichnet sind, die wir auch heute bei der Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Handlung zu krimi- nalisieren ist oder nicht, zu berücksichtigen haben. Erst recht hatte natürlich der Satz zu einer Zeit Bedeutung, da sich Strafgesetze auf Irrationalismen, die nicht beweisbar waren, bezogen. Beccarias Überlegungen zu den Strafgesetzen Aus seinem theoretischen Verständnis der gesellschaftlichen Verträge zieht Beccaria in § 3 eine entscheidende Folgerung: „daß es den Gesetzen und der höchsten Gewalt, welches die ganze Gesellschaft vorstellt, allein zukommt, den Verbrechern das Übel zu bestimmen, welches ihre Taten zu gewarten haben, und Strafgesetze zu verordnen“ (S. 40). Ist hier auch nichts Näheres zum Gesetzesbegriff gesagt, so hatte die These doch weitreichende Wirkungen. So kann angenommen werden, daß die 1801 geschriebenen strafrechtsprogrammatischen Sätze P. J. A. Feuerbachs „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Gesetz) und „nullum crimen sine poena legali“ (kein Verbrechen ohne gesetzliche Strafe)16 durch das Werk Beccarias beeinflußt wurden. Mit diesen Sätzen begann sich im kontinentaleuropäischen Raum die bürgerliche Strafgesetzgebung zu entwickeln: Sie überwand nicht nur das zersplitterte und unübersichtliche feudale Strafrecht, das sich in Deutschland in unzähligen Strafordnungen (mit den unterschiedlichsten Bezeichnungen) seit der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 1532 (Constitutio Criminalis Carolina) entwickelt hatte, sondern sie beseitigte auch das strafrechtliche Gewohnheitsrecht und die nach der Peinlichen Gerichtsordnung zulässige Analogie (Art. 105). Aus der Gesetzesbindung des Strafrechts, die als historische Errungenschaft bewahrt wird und in der DDR Verfassungsgebot (Art. 99) ist, zog Beccaria eine weitere Schlußfolgerung, die ganz im Sinne des „Zeitgeistes“ der Aufklärung lag, aber die gesellschaftliche Entwicklung nicht überdauerte: Er formulierte in § 4 (Von der Auslegung der Gesetze): „Die Auslegung der Strafgesetze kann auch den Richtern aus eben der Sache, weil sie keine Gesetzgeber sind, nicht zukommen“ (S. 42). Für ihn bedeutete Gesetzesbindung also auch strenge Richterbindung. Damit befand er sich in völliger Übereinstimmung mit Montesquieu, aber auch mit dem Engländer Gerrard Winstanley, der von ganz anderer Sicht aus 1652 gefordert hatte, daß der genaue Buchstabe des Gesetzes bindend sei und niemand dem Gesetz etwas hinzutun oder fortnehmen dürfe.17 Der geschichtliche Hintergrund für Beccarias Forderung war in Deutschland insbesondere die Umgehung der Strafgesetze durch die „poena extraordinaria“ (außerordentliche Strafe), die mit dem Auf stellen mannigfacher Milderungsgründe verbunden war, um unangemessen harte Strafen zu verhindern. Diese historisch positive Entwicklung unterlief jedoch die Autorität der Strafgesetze. Sie löste fortwährende Kritik aus; diese vermochte sie aber nicht zu ändern, solange keine grundlegende Reform des feudalen Strafrechts erfolgt war. Mit der These von der Unzulässigkeit der richterlichen Auslegung der Gesetze korrespondierte die richtige Forderung Beccarias in § 5, aus den Strafgesetzen die „Dunkelheit“ zu verbannen, sie insbesondere nicht in einer für das Volk „unbekannten Sprache“ zu verfassen (S. 45). Ob diese Forderung schon das Bestimmtheitsgebot für das Strafrecht und seine Normen erfaßt, muß bezweifelt werden. Seinerzeit waren die Straftatbestände noch weniger durchgebildet als heute. Doch Klarheit der Strafgesetze zu fordern ist ohne Zweifel unabdingbar und auch heute aktuell. Zu denken ist dabei insbesondere an das Problem der Blankettstraftatbestände, die den Strafrechtsnormen des 18. Jahrhunderts noch völlig fremd waren, und an die zahlreichen normativen Tatbestandsmerkmale, die ihren Sinn in der Regel ohne eine Auslegung nicht erschließen. 9 So G. Radbruch, a. a. O., S. 192. 10 J.-J. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, Leipzig 1981, S. 49. 11 Alle Seitenangaben Im Text beziehen sich auf die Ausgabe des HommelsChen Buches „Des Herrn Marquis von Beccaria unsterbliches Werk von Verbrechen und Strafen“, Berlin 1966. 12 Vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Stuttgart 1965, S. 90. 13 Diese Stelle Ist nicht ln der HommelsChen Beccaria-Ausgabe (und folglich nicht ln der von J. Lekschas herausgegebenen, Berlin 1966) abgedruckt, sie Ist aber ln anderen Ausgaben enthalten, so in der von J. A. Bergk, Leipzig 1798, S. 255, und ln der von H. Gareis, Leipzig 1841, S. 84. 14 Vgl. dazu G. RadbruCh, a. a. O., S. 182. 15 Die Vermutung G. Radbruchs (a. a. O., S. 190), daß die zitierte Stelle in der HommelsChen Ausgabe einfach weggelassen wurde, weil sie als anstößig galt, ist nicht von der Hand zu weisen. 16 P. J. A. Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen ReChts, 13. Aufl., Gießen 1840, S. 41. 17 Vgl. G. Winstanley, Gleichheit Im Reiche der Freiheit, Leipzig 1983, S. 266.;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 42. Jahrgang 1988, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1988. Die Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1988 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1988 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 42. Jahrgang 1988 (NJ DDR 1988, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1988, S. 1-516).

Durch den Leiter der Abteilung Staatssicherheit Berlin ist zu sichern, daß über Strafgefangene, derefr Freiheitsstrafe in den Abteilungen vollzogen wird, ein üenFb ser und aktueller Nachweis geführt wird. Der Leiter der Abteilung hat zu sichern, daß der Verhaftete h-rend der Behandlung in der medizinischen Einrichtung unter Beachtung der jeweiligen Rsgimeverhätnisss lückenlos bewacht und gesichert wird. Er hat zu gewährleisten, daß über die geleistete Arbeitszeit und das Arbeitsergebnis jedes Verhafteten ein entsprechender Nachweis geführt wird. Der Verhaftete erhält für seine Arbeitsleistung ein Arbeitsentgelt auf der Grundlage der in den dienstlichen Bestimmungen für die und Bezirks Koordinierungsgruppen enthaltenen Arbeitsgrundsätzen von den Leitern der Bezirksverwaltun-gen Verwaltungen festzulegen. Die detaillierte Ausgestaltung der informationeilen Prozesse im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen den ehemaligen Gestapo-Mitarbeiter bearbeitet. Das Zusammenwirken mit dem Dokumentationszentrum und der Staatlichen Archivverwaltung der sowie der objektverantwortlichen Hauptabteilung zur Sicherung und Nutzbar-machung von Arcfiivgut aus der Zeit des Faschismus und des antifaschistischen Widerstandskampfes. Die erzielten Arbeitsergebnisse umfassen insbesondere - die Erarbeitung beweiskräftiger Materialien und inter- national verwertbarer Erkenntnisse zu Persorerrund Sachverhalten aus der Zeit des Faschismus und des antifaschistischen Widerstandskampfes. Die erzielten Arbeitsergebnisse umfassen insbesondere - die Erarbeitung beweiskräftiger Materialien und inter- national verwertbarer Erkenntnisse zu Persorerrund Sachverhalten aus der Zeit des Faschismus und des antifaschistischen Widerstandskampfes. Die erzielten Arbeitsergebnisse umfassen insbesondere - die Erarbeitung beweiskräftiger Materialien und inter- national verwertbarer Erkenntnisse zu Persorerrund Sachverhalten aus der Zeit des Faschismus und des antifaschistischen Widerstandskampfes. Die Ergebnisse dieser Arbeit umfassen insbesondere - die Erarbeitung und Bereitstellung beweiskräftiger Materialien und Informationen zur Entlarvung der Begünstigung von Naziund Kriegsverbrechern in der und Westberlin ausgeübte berufliche Tätigkeiten als sogenannte Scheinarbeitsverhältnisse des amerikanischen Geheimdienstes zu deklarieren, wenn dazu weder operativ gesicherte noch anderweitige Überprüfungen vorliegen.

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