Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1987, Seite 97

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 41. Jahrgang 1987, Seite 97 (NJ DDR 1987, S. 97); Neue Justiz 3/87 97 unterstrichen. Motivanalyse verlangt demzufolge, Verantwortungsbezüge bloßzulegen und zu berücksichtigen, in welchem sozialen und personalen Kontext konkretes, rechtsverletzendes Handeln motiviert ist. Klassifizierung der Motive Gewiß brächte es der Justizpraxis wenig Nutzen, wenn die Wissenschaft (Psychologie, Soziologie, Philosophie und auch Strafrechtswissenschaft) durch einen theoretisch überhöhten, verkomplizierenden Motivbegriff das Eindringen in das Motivgeschehen erschweren würde. Zugleich muß aber auch einer simplifizierenden Motivanalyse und -auslegung entgegengewirkt werden. Es ist unabdingbar, die Motive des Handelns auf Grund ihrer rechtlidien Erheblichkeit schwerpunktmäßig zu erfassen und zu bewerten, wobei stets die Möglichkeit des Motivwandels (durch mehrere Vernehmungen, subjektive Verzerrungen, Umdeutungen usw.) in Rechnung zu stellen ist. Die tragenden Motive sind in ihrer sozialen und rechtlichen Relevanz in die Beurteilung der Tat und der Persönlichkeit des Täters einzubeziehen. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben versucht, Motive menschlichen Verhaltens nicht nur zu erklären, sondern auch zu klassifizieren und zu kategorisieren, um über diesen Weg die unterschiedliche soziale Qualität zu erfassen.10 11 Es ist erforderlich, die hierzu vorliegenden Erkenntnisse für den juristischen Gebrauch handhabbarer zu machen. Einen praktikablen Ansatz für eine solche Differenzierung hat A. Leontjew entwickelt, indem er zwischen sinngebenden (d. h. der Tätigkeit eines Menschen persönlichen Sinn verleihenden) und stimulierenden Motiven mehr oder minder emotional-affektiven Charakters unterscheidet. „In der Struktur der einen Tätigkeit kann das jeweilige Motiv die Funktion der Sinngebung ausüben, in einer anderen die Funktion einer zusätzlichen Stimulierung. Die sinngebenden Motive nehmen jedoch stets einen höheren hierarchischen Platz ein, selbst wenn sie nicht unmittelbar affekterzeugend wirken. Als führende Motive im Leben des Subjekts können sie für das Bewußtsein als auch in bezug auf ihren unmittelbaren Affektcharäkter im Hintergrund, .verdeckt1 bleiben.“11 Wir möchten dieser Differenzierung und hierarchischen Gliederung der Motive folgen und damit für die juristische Entscheidung klarlegen, daß die Motiverkenntnis wesentlich auf die sozialen und individualtypischen Hintergrund- und Auslöseeffekte der Tatentscheidung schließen läßt und erst dadurch eine umfassende rechtliche Charakterisierung der Tat, namentlich der Art und des Ausmaßes der Schuld, ermöglicht wird. In diesem Zusammenhang ist auch auf die von G. Rosenfeld vorgenommene weiter gefächerte Motivkategori-sierung zu verweisen. Er unterteilt z. B. in: „Zweckfreie“ Motivinhalte, bei denen Handeln als Selbstzweck fungiert (Spannung wird abreagiert, Sensationslust und Funktionslust stimulieren zur Handlung, wie oft bei rowdyhaften Ausschreitungen festgestellt werden kann), Zweckgebundene Motivinhalte, und zwar: Handeln zum Zweck persönlicher Vorteile (Bereicherung) und auf Grund sozialer Identifikation (Vorbildwirkung in positiver oder negativer Hinsicht), Handeln unter Druck und Zwang (z. B. psychologischer „Gruppensog“), auf Grund lebenspraktischer Zielsetzung (Beruf, Lebensstellung, Lebens- ' ziele betreffend), Handeln aus gesellschaftlichem Erfordernis (Identifikation mit gesellschaftlichen Normen und W ertsystemen) ,12 Die Unterschiede in den Motiven von Tätern, die mehr sach- oder sozialbStont sein können, ergeben sich bekanntlich aus den verschiedenartigen Bedürfnissen, Interessen und Idealen, die. sich im Laufe des Lebens eines Menschen zu einer individualtypischen Motivationsstruktur herausgebildet haben. Dabei können natürlich auch situativ bedingte Motive spontane Handlungsimpulse auslösen (z. B. Diebstahl im Selbstbedienungsladen, der zur Befriedigung eines Augenblicksbedürfnisses dient). Es ist u. E. wichtig, auf der Basis der Grunddifferenzierung, die A. Leontjew gegeben hat, eine für juristische Zwecke angemessen praktikable weitere inhaltliche Auffächerung der Motive vorzunehmen, zu der sich auch bei G. Rosenfeld bereits gute Ansatzpunkte finden. Einfluß von Motiven auf die Schuldschwere Das Oberste Gericht hat in seiner Rechtsprechung darauf aufmerksam gemacht, daß die Schwere der Tat und der Schuldgrad wesentlich davon mitbestimmt werden, inwieweit Motivation und Entschlußfassung durch die konkrete Tatsituation bedingt sind. So sind z. B. nicht verschuldete finanzielle Schwierigkeiten und daraus folgende Eigentumsdelikte anders zu werten als jene Motive, bei denen tätbezogen gesellschaftsschädliche Inhalte dominieren. Positiv strukturierte Motive haben eine wesentliche Bedeutung für die Schuldgraduierung.13 In einer Reihe von weiteren Urteilen des Obersten Gerichts wird ein starker Bezug hergestellt zwischen der Motivation als Prozeß, dem möglichen Motivbündel und seiner hierarchischen Gliederung sowie dem Motiv als Auslöse-moment zur Handlung einerseits und dem Gesamtcharakter der Tat (insbesondere Art und Ausmaß der Schuld) andererseits. Obwohl dabei neben dem Motivbegriff und dem Motivationsprozeß auch Bezüge zum mehrfach gefaßten Tatentschluß und andere von der subjektiven Seite beachtliche Momente eine Rolle spielen, ist diesen Urteilen des Obersten Gerichts gemeinsam, daß sie die subjektiven 'Handlungsintentionen stark in den Mittelpunkt der Wertung des Tatgeschehens stellen und die motivationeilen Elemente des Handelns maßgeblich berücksichtigen. Das betrifft sowohl die generelle Motivwertung für den Gesamtcharakter der Tat und der Persönlichkeit des Täters als auch die erforderlichen Differenzierungen bei der Strafzumessung und nicht zuletzt auch die generelle Verneinung von strafrechtlicher Schuld. So war in einem Verfahren zu entscheiden, ob einem Angeklagten, der eine Frau in Tötungsabsicht so lange mit einer Strumpfhose gedrosselt hatte, bis sie bewußtlos in sich zusammensackte und er von ihrem Tod überzeugt war, außergewöhnliche Strafmilderung gewährt werden könne, weil die Frau am Leben geblieben war. Der Tötungsentschluß war unmittelbar durch beleidigende Äußerungen der Geschädigten ausgelöst worden. Außerdem gab es noch einen Komplex von einander bedingenden Umständen, aus denen sich der Angeklagte zur Tatbegehung entschloß (so die Befürchtung, seine Frau könne von seinem Verhältnis mit der Geschädigten erfahren und deshalb Ehescheidungsklage einreichen; der Ärger über seine Unfähigkeit zum Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten und damit übör deh mißlungenen Abend; Mißmut über eine am Nachmittag erfolgte polizeiliche Vernehmung wegen Diebstahls). Das Oberste Gericht vertrat in seinem Urteil die Auffassung: „Die Tötung eines Menschen aus derartigen Motiven ist aber Ausdruck von ausgeprägtem Egoismus und einer die Lebensinteressen anderer Menschen kraß negierenden Grundeinstellung. Angesichts dieser den Grad der Schuld des Angeklagten entscheidend prägenden Gesichtspunkte kann auch der Tatsache, daß die Geschädigte das Bewußtsein ohne Hilfe anderer Personen zurückerlangt und keine bleibenden Gesundheitsschäden erlitten hat, nicht ein so großes Gewicht beigemessen werden.“14 In einem anderen Fall wurde zu Recht das Motiv bei der Gesamtbeurteilung einer Straftat so stark berücksichtigt, daß es zur außergewöhnlichen Strafmilderung führte.’ Der Angeklagte hatte in einer Tanzgaststätte Bier und Schnaps getrunken und danach NVA-Angehörige getroffen, die mit einem Lkw zu ihrem Einsatzort zurückgefahren werden sollten. Nachdem der Lkw nicht in Gang gebracht werden konnte, bot der Angeklagte seinen Pkw für die Rückfahrt an. Dabei ging er davon aus, daß der Lkw-Fahrer den Pkw führen werde. Da der Pkw jedoch angeschoben werden mußte, setzte sich der Angeklagte auf den Fahrersitz und fuhr los. Auf feuchter Straße und bei teilweise dichtem Nebel fuhr er mit nicht angemessener Geschwindigkeit, kam von der Fahrbahn ab und prallte mit dem Pkw an einen Baum. Die zwei mitfahrenden Soldaten erlitten Schnittwunden und Hautablederungen. Das Kreisgericht verurteilte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und entzog ihm die Fahrerlaubnis für die Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten. In der Kassationsentscheidung beachtete das Oberste Gericht 10 Vgl. beispielsweise U. Holzkamp Ostetkamp, „Grundlagen der psychologischen Motivforschung“, in: Beiträge zur Psychologie, Bd. 11, Berlin 1981; W. Bradter, Moral - Motiv Verhalten, Berlin 1976. 11 A. Leontjew, „Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit“, in: Beiträge zur Psychologie, Bd. 1, Berlin 1979, S 193 f. 12 Vgl. G. Rosenfeld, Theorie und Praxis der Lernmotivation, Berlin 1966, S. 111. 13 Darauf verweisen auch ausdrücklich H. Dettenborn/H.-H. Fröhlich/ H. Szewczyk und führen dazu mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichts an (a. a. O., S. 131 ff.). 14 Vgl. OG, Urteil vom 29. April 1980 - 5 OSK 5/80 - (NJ 1980, Heft 8, S. 381). i;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 41. Jahrgang 1987, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1987. Die Zeitschrift Neue Justiz im 41. Jahrgang 1987 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1987 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1987 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 41. Jahrgang 1987 (NJ DDR 1987, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1987, S. 1-516).

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