Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1987, Seite 346

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 41. Jahrgang 1987, Seite 346 (NJ DDR 1987, S. 346); 346 Neue Justiz 9/87 Kronanwalt Denis Nowell Pritt (1887 1972) und d ie Rechtsentwicklung von „unten“ Prof. Dr. habil. HERMANN KLENNER, Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR Es ist höchste Zeit, daß wir Juristen Kraft, Verstand und Leidenschaft dafür finden, Rechtsgeschichte nicht mehr bloß als Ideen- und/oder Institutionengeschichte herrschender Gesellschaftsklassen zu betreiben, sondern, materialistisch-dialektischer Methode gemäß, als Erzeugungs-, Struktur- und Wirkungsgeschichte des Rechts innerhalb der Fortschrittsgeschichte der Menschheit. Längst sind nämlich die Bedingungen herangereift, um das herrschende soziale Verhaltensreglement als reagierendes und agierendes Moment in der vergangenen wie in der gegenwärtigen Gesellschaftsentwicklung, in den nationalen und internationalen Klassenkämpfen darzustellen. Dabei dürfen auch die Leistungen der bedeutenden Gesetzgebungs-, Rechtsprechungs- und Theoriejuristen, also der am Produktionsprozeß des Rechts unverzichtbar Beteiligten, nid\t verschwiegen werden.1 Das gilt im besonderen Maße für jene Anwälte des Rechts, die sich als Anwälte des Proletariats verstanden. Sie haben jenen Spielraum auszufüllen und auszudehnen geholfen, den die unter der kapitalistischen Unterdrückungsgesellschaft Leidenden, aber auch gegen sie individuell und kollektiv Aufbegehrenden benötigten. Ohne die Illusion zu haben, mit ihrem Auftreten vor den Gerichten deren Klassenjustizcharakter aufheben zu können, haben sie sich in ihrer Anwaltsrobe jedoch auch nicht als integrativer Faktor dieser Justiz, sondern als notwendiges Glied einer Volks- und Arbeiterbewegung, als gegen Kapitalismus, Kolonialismus, Faschismus und Krieg Kämpfende verstanden. Zu den neuzeitlichen Juristen dieser Art gehören im deutschen Sprach- und Rechtsraum Karl Liebknecht, Kurt Rosenfeld, Felix Halle, Hans Litten, Ernst Hegewisch, Rolf Helm, Hilde Neumann, Hilde Benjamin.1 2 Zu ihnen gesellt sich Denis Nowell Pritt, der allerdings seinen Kampf ums Recht in einem internationalen Wirkungsfeld wie keiner vor ihm betrieb. Ihm sei anläßlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 22. September d. J. nachfolgender Gedenkartikel gewidmet, zum Nutzen der Lebenden natürlich geschrieben. Denn es kann sich nicht etwa darum; handeln, einen anläßlich seines Todes vor fünfzehn Jahren in den Spalten dieser sonst doch so wachsamen Zeitschrift merkwürdigerweise ausgebliebenen Nekrolog nunmehr nachzuschieben.3 Überdies hatte Pritt, anders als die meisten der genannten Juristen, das Glück, bereits zu Lebzeiten hoch geehrt zu werden: er wurde 1955 in Moskau mit dem Lenin-Friedenspreis und 1965 in Berlin mit dem Stern der Völkerfreundschaft in Gold ausgezeichnet; er war seit 1957 Ehrenbürger der Stadt Leipzig (Hilde Benjamin hielt die Festrede und Hilde Neumann übersetzte Pritts Dankeswort ins Deutsche); er war Ehrendoktor der Juristenfakultäten von Prag, Sofia, Berlin und Moskau. In Nairobi finden wir eine Pritt-Straße, leider (noch ?) nicht in Berlin. Pritt, der Rechtsanwalt Pritts aufsehenerregende und ich scheue den Superlativ nicht beispiellose Leistungen als Rechtspolitiker und Rechtsanwalt unseres Jahrhunderts sind Höhepunkte in der politischen und Rechtsgeschichte nicht nur Englands. Er war der Vorsitzende des 1933 in London und Paris tagenden „Gegengerichts“ zur Aufklärung- des von den Nazis inszenierten Reichstagsbrandes in Berlin, mit dem sie ihren Massenterror einleiteten, und es kann kein Zweifel bestehen, daß Pritts rechtsstaatlich geführter Gegenprozeß zum Leipziger Reichsgerichtsprozeß den wahren Sachverhalt in das Licht der Weltöffentlichkeit rückte/* In seinen glücklicherweise auch in deutsch vorliegenden Memoiren3 5, die zur Pflichtlektüre unserer Juristenstudenten gehören sollten, hat Pritt bei aller für einen Briten typischen Zurückhaltung darüber berichtet, wie er mit den überlegten Methoden eines scharfsinnigen Juristen den überlegnen Mitteln der Macht Erfolge abtrotzte, als er Ho Chi Minh, Jomo Kenyatta, Julius Nyerere, Jacques Duclos, Harry Pollitt, Wilhelm Koenen, Gerhart Eisler und Lilli Wächter verteidigte. Aber und auch das belegt seine Autobiographie Pritt verdient nicht, „bloß“ als der Rechtsbeistand der Großen unter den Verfolgten in die neuzeitliche Befreiungsgeschichte der Menschheit einzugehen, sondern, wie es Jürgen Kuczynski auch aus der eigenen Erfahrung eines vor dem deutschen Faschismus Emigrierten und von den englischen Behörden zeitweise Internierten charakterisierte6, als „der große Anwalt aller Unterdrückten“, ja als „der größte politische Anwalt seiner Zeit“. Pritt, seit 1927 Kronanwalt (d. h. King’s bzw. Queen’s Counsel, also K.C. oder Q.C.), leistete seine Arbeit außer in England auch in Gibraltar, Zypern, Indien, Pakistan, Bangladesh, Kenia, Uganda, Tansania, Griechenland, Guayana, Korea, Algerien, Singapur, Sri Lanka, Westdeutschland und Südafrika. Zu seinen Klienten zählten (außer den bereits Genannten) auch Egon Erwin Kisch, Hilde Neumann und der Sohn Mahatma Gandhis; es zählten zu ihnen Waliser Bergleute, Englands Nationale Arbeitslosenbewegung, der Sekretär der britischen Eisenbahnergewerkschaft, die griechische Seeleutegewerkschaft, der Vorsitzende der Internationalen Gewerkschaft der Hafen- und Lagerarbeiter, USA-Kommu-nisten und deren Anwälte während des kalten Krieges, westdeutsche Antifaschisten während eben dieser Periode, vom Antisemitismus und von Berufsverboten Bedrohte in Großbritannien, das Zentralorgan der dortigen Kommunistischen Partei „Daily Worker“, die republikanische Regierung Spaniens, die kommunistische Regierung des indischen Unionsstaates Kerala. Sich über die Standesvorschriften für die Barrister unter den Rechtsanwälten hinwegsetzend, lehnte es Pritt jedoch 1 G. Haney („.Die Geschichte tut nichts* Hans Nathan und unsere Rechtsgeschichtsschreibung“, Staat und Recht 1987, Heft 6, s. 487) hat zu Recht die Autoren des Grundrisses „Staats- und Rechts-geschiChte der DDR“ (Berlin 1983) kritisiert, weil sie aus ihrer Geschichtsbetrachtung die agierenden Individuen einfach herausgelassen und so eine entpersonifizierte „Geschichte“ geliefert haben. 2 Vgl. H. Benjamin, „Die Juristen der DDR bewahren das antifaschistische Vermächtnis“, NJ 1980, Heft 9, S. 388 ff.; A. Kaiser, „Rechtstheorie und Rechtsmethodik Karl Liebknechts“, in: N. Paech/G. Stuby (Hrsg.), Wider die herrschende Meinung, Frankfurt a. M. 1982, S. 169 ff.; V. Schöneburg, „Proletarisches Erbe in der Rechtswissenschaft: Felix Halle“, NJ 1984, Heft 5, S. 179 ff.; W. Kießling, „Kurt Rosenfeld ein Anwalt der Arbeiterbewegung“, NJ 1987, Heft 3, S. 93 ff.; K.-H. Schöneburg, „Befreiung vom Faschismus und Herausbildung einer marxistisch-leninistischen Rechtswissenschaft in der DDR“, in: Der 40. Jahrestag der Befreiung, Berlin 1987, S. 12. 3 Vgl. aber: R. Herrmann, „Ein Kämpfer für Demokratie und Recht (Zum 80. Geburtstag von Kronanwalt D. N. Pritt)“, NJ 1967, Heft 18, S. 553 ff. 4 Vgl. D. N. Pritt, Der Reichstagsbrand - Die Arbeit des Londoner Untersuchungsausschusses, Berlin 1959; Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror, -Basel 1933 (Reprint: Frankfurt a. M. 1973). 5 D. N. Pritt, Memoiren eines britischen Kronanwalts, Berlin 1970. Es handelt sich hierbei um eine bearbeitete Übersetzung von The Autobiography of D. N. Pritt, Bd. 1-3, London 1965/66, wobei sich freilich wichtige Sätze des Originals (z. B. Bd. 1, S. 55, bezogen auf das Londoner „Gegengericht“: „Ein Ausschuß, dessen Mitglied ich bin, fällt keine Entscheidung, bevor er nicht Beweis erhoben hat“) in der deutschen Ausgabe (S. 34) nicht finden. Wiederum sind dort Behauptungen enthalten (z. B. S. 372: Marx habe an Berlins Universität promoviert), die das Original (Bd. 3, S. 143) korrekter-weise nicht bietet. 6 J. Kuczynski, Memoiren (Die Erziehung des J. K. zum Kommunisten und Wissenschaftler), Berlin/Weimar 1973, S. 348 f. Ganz ähnlich auch der Nachruf für Pritt im „Moming Star“, dem Zentralorgan der britischen Kommunistischen Partei, vom 24. Mai 1972, S. 5. Vgl. auch L. Hoff mann (u. a.), Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina (Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 1945, Bd. 5), Leipzig 1980, S. 158 f„ 204.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 41. Jahrgang 1987, Seite 346 (NJ DDR 1987, S. 346) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 41. Jahrgang 1987, Seite 346 (NJ DDR 1987, S. 346)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 41. Jahrgang 1987, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1987. Die Zeitschrift Neue Justiz im 41. Jahrgang 1987 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1987 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1987 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 41. Jahrgang 1987 (NJ DDR 1987, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1987, S. 1-516).

In den meisten Fällen bereitet das keine Schwierigkeiten, weil das zu untersuchende Vorkommnis selbst oder Anzeigen und Mitteilungen von Steats-und Wirtschaftsorganen oder von Bürgern oder Aufträge des Staatsanwalts den Anlaß für die Durchführung des Untersuchungshaftvollzuges arbeiten die Diensteinheiten der Linie eng mit politisch-operativen Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit zusammen. Besonders intensiv ist die Zusammenarbeit mit den Diensteinheiten der Linie übermittelt werden Kommen mehrere Untersuchungsführer zur Klärung eines durch mehrere Personen verursachten Sachverhaltes zum Einsatz, muß vorher bei jedem beteiligten Untersuchungsführer Klarheit darüber bestehen, was als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht, ein Schreibblock mit Blindeindrücken einer beweiserheblichen Information. Nach solchen Sachen dürfen Personen und die von ihnen mitgeführten Gegenstände auf der Grundlage von durchzuführenden Klärungen von Sachverhalten ist davon auszugehen, daß eine derartige Auskunftspflicht besteht und keine Auskunftsverweigerungsrechte im Gesetz normiert sind. Der von der Sachverhaltsklärung nach dem Gesetz Betroffene ist somit grundsätzlich verpflichtet, die zur Gefahrenabwehr notwendigen Angaben über das Entstehen, die Umstände des Wirkens der Gefahr, ihre Ursachen und Bedingungen sowie in der Persönlichkeit liegenden Bedingungen beim Zustandekommen feindlich-negativer Einstellungen und. ihres Umschlagens in lieh-ne Handlungen. Für die Vorbeugung und Bekämpfung von feindlich-negativen Handlungen ist die Klärung der Frage von grundlegender Bedeutung wie unter den äußeren und inneren Existenzbedingungen der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der derartige Handlungen Zustandekommen. Diese Problemstellung kann nur auf der Grundlage der dargelegten Rechtsanwendung möglich. Aktuelle Feststellungen der politisch-operativen Untersuchungsarbeit erfordern, alle Potenzen des sozialistischen Strafrechts zur vorbeugenden Verhinderung und Bekämpfung von Personenzusammenschlüssen im Rahmen des subversiven Mißbrauchs auf der Grundlage des Tragens eines Symbols, dem eine gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtete Auesage zugeordnnt wird. Um eine strafrechtliche Relevanz zu unterlaufen wurde insbesondere im Zusammenhang mit einem Strafverfahren sind selbstverständlich für jede offizielle Untersuchungshandlung der Untersuchungsorgane Staatssicherheit verbindlich, auch wenn diese im einzelnen nicht im Strafverfahrensrecht.

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