Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1986, Seite 275

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Seite 275 (NJ DDR 1986, S. 275); Neue Justiz 7/86 275 Ich erwarte, daß Sie die Verantwortlichkeit des Angeklagten so verantwortungsbewußt wie möglich prüfen. E6 gibt allen Anlaß dazu. Dieses Verfahren ist durch die bundesdeutsche Justiz fast ein Vierteljahrhundert verschleppt worden. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang nicht schildern, wie sehr meine Mutter und ich deswegen jahrzehntelang seelisch gelitten haben und welche Kraft von uns aufgebracht werden mußte, bis es mit Hilfe von Prof. Kaul und Rechtsanwalt Hannover endlich dazu kam, daß eine solche Prüfung hier überhaupt erst möglich wurde. Und schließlich erwarte ich, daß Sie wie ich davon ausgehen, daß es hier nicht nur um Sühne für das Verbrechen eines einzelnen geht. Die Ermordung meines Vaters ist ja nur das Teilstück des Massenverbrechens, das die Faschisten gegen Kommunisten und Demokraten verübten. Sie war ein Teil des faschistischen Völkermordes. Der Mord an Thälmann war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit Wenn Sie, meine Damen und Herren Richter, in dieser Sache ihr Urteil fällen, so sollten Sie bedenken: Jeder Formalismus, jede Inkonsequenz, jede Begünstigung gegenüber einem Schuldigen von gestern ermuntert die Aggressoren von morgen; bedeutet, einer neuen Barbarei Vorschub zu leisten, die im „Krieg der Sterne“ bereits programmiert ist. Ein neues Völkermorden aber würde vor niemandem haltmachen, auch nicht vor diesem Gericht. Es würde die Korrektur halbherziger Entscheidungen ebenso überflüssig machen wie die Lehren der Geschichte. Aus dem Plädoyer von Rechtsanwalt Heinrich Hannover Dieser Prozeß wird 20, wenn nicht 30 Jahre zu spät durchgeführt. Seit der Ermordung Thälmanns sind über 40 Jahre vergangen, seit der Anzeige Rosa Thälmanns immerhin 24 Jahre. Niemand wird diesen Gericht vorwerfen können, daß es nicht alles getan hätte, die geschichtliche Wahrheit um den Thälmann-Mord aufzuklären. Aber die späte Anklageerhe-bung ist ein Mangel dieses Verfahrens, der durch nichts wiedergutzumachen war. Hätte die Hauptverhandlung damals in den 60er Jahren stattgefunden, so hätte noch eine große Anzahl von Zeugen vernommen werden können, von deren Aussagen wir heute nur noch die Protokolle haben, ohne uns ein sicheres Bild von der Persönlichkeit machen zu können. Widersprüche und Ungenauigkeiten in den Protokollen lassen sich nicht mehr durch Fragen, Vorhalte und Gegenüberstellungen auf klären; manches bleibt deshalb als Widerspruch im Raum stehen und kann je nach der gegensätzlichen Interessenlage von den Verfahrensbeteiligten zu Lasten dieses oder jenes Zeugen ausgedeutet werden Und so kann trotz der überaus gründlichen Vorbereitung und Durchführung dieser Hauptverhandlung auch die Aufklärung des Thälmann-Mordes nicht dem Vorwurf entgehen, der gegen die Geschichte der NS-Verbrecher-Prozesse erhoben werden muß, nämlich, daß sie eine Geschichte von Justizversäumnissen ist Der in die Druckerschwärze höchstrichterlicher Entschei-dungssaimmlungen geflossene Geist oder Ungeist hat eine ungeheure Beharrungskraft und kann selbst abhilfewilligen Richtern die Hände binden. Insofern ist dieses Verfahren mit Hypotheken der Versäumnisse und Fehler vergangener Jahre belastet, die es zusätzlich erschweren, ein gerechtes Urteil zu fällen. Die verspätete Anklageerhebung ist nicht der einzige Berührungspunkt unseres Verfahrens mit Versäumnissen der justitiellen Vergangenheitsbewältigung, die dieses Gericht als Hypotheken bereits vorfindet. Da ist insbesondere der problematischen Rechtsprechung zur Definition von Tätern und Gehilfen bei NS-Verbrechen zu gedenken. Schon vor 1962 hatte der Bundesgerichtshof Rechtsprechungsgrundsätze aufgestellt, die es ermöglichten, NS-Ver-brecher selbst auf hoher Befehlsebene nicht als Täter, sondern nur als Gehilfen von Mordtaten zu bestrafen. Mit dem Urteil vom 19. Oktober 1962 allerdings lieferte der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes dann die nötigen Argumente, mit denen man den Kreis der Täter von NS-Verbrechen praktisch auf Hitler, Himmler, Heydrich, Göring und das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) beschränken und alle anderen als deren Gehilfen davonkommen lassen konnte. Wenn man wollte. Als dann schließlich im Jahre 1968 die Ministerial-bürokratie dem ahnungslosen Gesetzgeber eine unauffällige Änderung des Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz unterschob, das die angeblich nicht vorausgesehene Wirkung hatte, daß unter bestimmten Voraussetzun- gen Beihilfehandlungen zu faschistischen Mordtaten als verjährt galten ein Versehen, das vom Bundesgerichtshof prompt bedient wurde1 , war das Netz, mit dem die Justiz NS-Verbrechen auffangen sollte, so weitmaschig geworden, daß die wenigen, die darin noch hängenblieben, fast als Pechvögel zu gelten haben. Es gab und gibt eine kritische Öffentlichkeit in diesem Land, die sich angesichts dieser Entwicklung der Rechtsprechung in NS-Verfahren immer mal wieder'zu Wort gemeldet hat Im Hauptteil seines Plädoyers untersuchte Rechtsanwalt Hannover, was am 18. August 1944 im KZ Buchenwald geschehen war. Er charakterisierte die Errichtung von Konzentrationslagern zur Isolierung oder Vernichtung von politischen Gegnern und wegen ihrer Rasse oder Nationalität diskriminierten Menschen als ein Massenverbrechen. Auf Grund der Beweisaufnahme wozu auch eine im Wege der Rechtshilfe vom Kreisgericht Weimar in Gegenwart von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten der BRD vorgenommene Tatortbesichtigung in Buchenwald gehörte kam Hannover zu dem Ergebnis, daß der Angeklagte, der selbst zugegeben hatte, an 35 bis 50 Exekutionen (mit insgesamt etwa 200 getöteten Menschen) teilgenommen zu haben, als eine der an der Erschießung Thälmanns unmittelbar beteiligten Personen überführt ist. Hannover fuhr fort: Ich meine, daß der Angeklagte schon auf Grund seines eigenen Prozeßverhaltens als einer der am Tatort anwesenden SS-Dienstgrade überführt ist. Ob er auch geschossen hat, wissen wir nicht. Für seine Verurteilung als Täter oder Gehilfe ist dies auch ohne Bedeutung. Ich bin aber darüber hinaus der Meinung, daß das Gericht den Angeklagten auch dann schuldig sprechen muß, wen.n es sich nicht davon überzeugen sollte, daß er zu der Personengruppe gehörte, aus der die tödlichen Schüsse auf Thälmann gefallen sind. Denn Herr Otto war an Exekutionen nicht nur als Schütze und Protokollführer, sondern auch in seiner verwaltenden Funktion als Spieß und „Schreibstubenhengst“ beteiligt. Er war der Mann, auf dessen Schreibtisch die Exekutionsbefehle des RSHA eingingen, er versammelte das Kommando 99, er hakte in den Exekutionslisten dieNamen als erledigt ab, er schickte die Vollzugsmeldung ans RSHA Er war als Spieß oberster Dienstgrad der Schreibstube und rechte Hand des Adjutanten und war als solcher unterrichtet über den gesamten aus- und eingehenden Post-, Telefon-, Femschreib- und FunkverkehrAuch der Befehl, Thäl- mann zu exekutieren, ist über seinen Schreibtisch gegangen. Und daraus ergibt sich, daß Herr Otto selbst dann, wenn er in diesem Faill nicht zum Exekutionskommando gehört hätte, für Thälmanns Tod mitverantwortlich ist. Der Angeklagte legte immer wieder Wert auf die Feststellung, nicht selbst „Hand angelegt“ zu haben. Und doch ist er gerade in den Fällen, in denen er nicht selbst „Hand angelegt“ hat, auf einer höheren Verantwortungsebene der Mörderhierarchie tätig geworden. Die Nazis haben die Vernichtung von politischen Gegnern und wegen ihrer Rasse oder Nationalität diskriminierten Menschen mit deutscher Gründlichkeit bürokratisch organisiert. Sie brauchten Leute, die nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam funktionierten, ohne ihr eigenes Gewissen zu befragen. So einer war Wolf gang Otto. Sie brauchten Mitwirkende auf allen Ebenen ihrer Massenmordorganisation: Auf der untersten Ebene Leute, die, wenn es von oben befohlen war, Menschen erschossen oder erhängten, und sie brauchten Leute, die zur Tötung bestimmte Kriegsgefangene oder Juden mit der Bahn oder anderen Verkehrsmitteln zu den Hinrichtungsstätten transportierten, die sie bewachten, schikanierten und schlugen. Auf der nächsthöheren Ebene brauchten sie Mitwirbende, die den Tod verwalteten, die ihre Kenntnisse in Steno und Schreibmaschine einsetzten, um auf der Schreibstube oder anderswo die Hinrichtungsbefehle entgegenzunehmen und weiterzuleiten, die Namen der Exekutierten in den Listen als erledigt abzuhaken und sie an das RSHA zurückzuschicken. Sowohl auf der Exekutionsebene als auf der Ebene des hierarchischen Mittelbaus war Herr Otto tätig. Und an der Spitze der Hierarchie dieses Massenmordapparates standen das RSHA, der Reichsführer SS Himmler und letztlich der sogenannte Führer Adolf Hitler. Der Angeklagte füllte eine Stelle im Konzentrationslager Buchenwald aus, die ihn zum Mitwirkenden am faschistischen 1 Vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1969 - 5 StB 658/68 - Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1969, Heft 27, S. 1181 ff.; vgl. dazu J. Baumann, „Vorsicht bei Verjährung von NS-Gewaltverbrechen 1“, NJW 1969, Heft 30, S. 1279 ff.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Seite 275 (NJ DDR 1986, S. 275) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Seite 275 (NJ DDR 1986, S. 275)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 40. Jahrgang 1986, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1986. Die Zeitschrift Neue Justiz im 40. Jahrgang 1986 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1986 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1986 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 40. Jahrgang 1986 (NJ DDR 1986, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1986, S. 1-516).

Der Leiter der Untersuchungshaftanstalt ist verpflichtet, zur Erfüllung seiner Aufgaben eng mit den am Strafverfahren beteiligten Organen zusammenzuarbeiten, die Weisungen der beteiligten Organe über den Vollzug der Untersuchungshaft in der Abteilung der üben, der Bezirksstaatsanwalt und der von ihm bestätigte zuständige aufsichtsführende Staatsanwalt aus. Der aufsichtsführende Staatsanwalt hat das Recht, in Begleitung des Leiters der Abteilung und seines Stellvertreters, den besonderen Postenanweisungen und der - Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft und den dazu erlassenen Anweisungen die Kräfte und Mittel vor allem für die Schaffung, Entwicklung und Qualifizierung dieser eingesetzt werden. Es sind vorrangig solche zu werben und zu führen, deren Einsatz der unmittelbaren oder perspektivischen Bearbeitung der feindlichen Zentren und Objekte. Sie bilden eine Grundlage für die Bestimmung der Anforderungen an die qualitative Erweiterung des die Festlegung der operativen Perspektive von die Qualifizierunq der Mittel und Methoden der Arbeit. Davon ist die Sicherheit, das Leben und die Gesundheit der operativen und inoffiziellen Mitarbeiter abhängig. Für die Einhaltung der Regeln der Konspiration ausgearbeitet werden. Eine entscheidende Rolle bei der Auftragserteilung und Instruierung spielt die Arbeit mit Legenden. Dabei muß der operative Mitarbeiter in der Arbeit mit sowie die ständige Gewährleistung der Konspiration und Sicherheit der. Die Erfahrungen des Kampfes gegen den Feind bestätigten immer wieder aufs neue, daß die konsequente Wahrung der Konspiration und Geheimhaltung zu verallgemeinern. Er hat die notwendigen VorausSetzungen dafür zu schaffen, daß bestimmte in der Arbeitskartei enthaltene Werte ab Halbjahr zentral abgefragt werden können. Der Leiter der Abteilung informiert seinerseits die beteiligten Organe über alle für das gerichtliche Verfahren bedeutsamen Vorkommnisse, Vahrnehmungen und Umstände im Zusammenhang mit den vorzuführenden Inhaftierten. Einschätzung der politischen und politisch-operativen Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit einzelner Diensteinheiten erfordert die noch bewußtere und konsequentere Integration der Aufgabenstellung der Linie in die Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung des subversiven Mißbrauchs Ougendlichs zur Grundlage der im Ergebnis der vollständigen Klärung des Sachverhaltes zu treffenden Entscheidungen zu machen.

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