Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1985, Seite 64

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Seite 64 (NJ DDR 1985, S. 64); 64 Neue Justiz 2/85 Dem Wunsch der Farbwerke Hoechst nach einer „angepaßten Justiz“, die „politisches Wohlverhalten“ gegenüber Konzerninteressen zeigt und „für die Stabilisierung bestehender Machtverhältnisse“ sorgt, stellt Strecker seine Konzeption von einer „kritischen Justiz“ entgegen: „Richter können auch aufgerufen sein, zur Veränderung bestehender Verhältnisse beizutragen. Wenn von den Beamten verlangt wird, sich im Rahmen ihrer politischen Treuepflicht ,mit der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates zu identifizieren’, so werden auch Richter sich überall dort zu Wort melden dürfen, wo sie elementare Grundsätze dieser Ordnung in Gefahr sehen gleichgültig, woher die Bedrohung kommt, und sei es auch von den Inhabern politischer oder wirtschaftlicher Macht. Sie dürfen ,an Erscheinungen dieses Staates Kritik üben’ und darüber hinaus ,für Änderungen der bestehenden Verhältnisse innerhalb des Rahmens der Verfassung und mit den verfassungsrechtlich vorgesehenen Mitteln eintreten’.10 Wenn Richter in der Stationierung einer neuen Generation von Raketen eine Gefahr für unsere verfassungsmäßige Ordnung sehen, so müssen sie ihre Besorgnis öffentlich äußern dürfen.“ Im weiteren setzt sich Strecker mit dem Arbeitsrechtsstreit der Farbwerke Hoechst auseinander. Er kritisiert, daß dieses Unternehmen „gewerkschaftliche Aktivitäten“ von Richtern „für suspekt“ hält und „die Weigerung, einer gewerkschaftlichen Verlautbarung abzuschwören, zur Grundlage eines Befangenheitsantrags“ macht. Mit Nachdruck setzt er sich dafür ein, „daß es Richtern auch erlaubt sein muß, sich in einer Gewerkschaft über die bloße Zugehörigkeit hinaus aktiv zu engagieren“. Und er kommt zu dem Erlebnis: „Selbst wenn ein Richter über seine bloße Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Subsystem hinaus mit Nachdruck dessen Ansichten und Interessen vertritt, so kann auch das für sich gesehen noch nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. “ Die Farbwerke Hoechst waren unterdes nicht untätig: Da das Arbeitsgericht Frankfurt am Main ihren Antrag auf Ablehnung des Arbeitsrichters R. wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen hatte, erhoben sie beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde und rügten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und in seinem Beschluß vom 15. März 1984 1 BvR 200/84 dazu ausgeführt: „Nach Art. 9 Abs. 3 GG ist für jedermann und für alle Berufe die Koalitionsfreiheit gewährleistet. Richtern auch der Arbeitsgerichtsbarkeit ist es daher von Verfassungs wegen gestattet, sich gewerkschaftlich zu betätigen. Dazu gehört die Teilnahme an einem Arbeitskreis ,Recht’ der Gewerkschaft ÖTV, selbst wenn sich dabei vor den Arbeitsgerichten auftretende Anwälte an der allgemeinen Erörterung aktueller arbeitsrechtlicher Probleme beteiligen.“!1 Diese Entscheidung und vor allem Streckers Darlegungen wurden unlängst in einer Zuschrift von Dr. Rolf-Achim Eich, Niedernhausen, heftig angegriffen.12 * Eich bejaht die Befangenheit der Arbeitsrichter im o. g. Fall und führt zur gewerkschaftlichen Betätigung von Richtern u. a. aus: „Ein gewerkschaftliches Engagement der Richter ist sicher zulässig, soweit sie eigene berufspolitische Ziele verfolgen (höhere Besoldung, mehr Richterstellen, bessere Beförderung usw.). Ein gewerkschaftliches Engagement ist aber dann unzulässig, wenn der Richter in einem gewerkschaftlichen Arbeitskreis .Arbeitsrecht’ zusammen mit gewerkschaftlich orientierten Anwälten und Gewerkschaftssekretären an der Formulierung eines gewerkschaftlichen Interessenstandpunktes de lege lata und de lege ferenda auf dem Gebiet beteiligt ist, auf dem er sein Richteramt ausübt; dies erst recht, wenn der Richter an einem solchen Arbeitskreis teilnimmt, um als beruflicher Arbeitnehmer-Richter in seiner Funktion als Richter Solidarität gegenüber Arbeitnehmern zu üben.“ Und indem er, in seinen Formulierungen etwas verschwommen, aber doch ebenso wie Berglar mit drohendem Unterton eine ganz und gar unzulässige Parallele zur 'willfährigen Nazijustiz zieht, verkündet Eich, keinen Widerspruch duldend: „Der Richter übt kein politisches Amt aus. Unsere Demokratie kennt politische Ämter nur auf Zeit. Der Inhaber eines politischen Amtes ist von dem politischen Willen der Mehrheit abhängig. Der Berufsrichter ist unabhängig und in der Regel auf Lebenszeit berufen. Wer das Richteramt zur Durchsetzung eines politischen oder gesellschaftspolitischen Interessenstandpunktes benutzt, muß sein Amt auch zur Disposition der Mehrheit stellen. “ Die Kontroverse über das Recht der Richter, sich politisch zu betätigen und sich in der Öffentlichkeit zu politischen Fragen zu äußern, ist nicht nur durch den hier behandelten Fall neu belebt worden. Insbesondere die erhebliche Verschärfung der internationalen Situation durch die Hochrü-stungs- und Konfrontationspolitik der USA, die Erhöhung der Kriegsgefahr durch die Stationierung US-amerikanischer Atomraketen in Westeuropa hat auch unter Richtern und Staatsanwälten der BRD zu größerer Nachdenklichkeit über das Politische ihres Berufs geführt. Davon zeugen ü. a. öffentliche Debatten und juristische Stellungnahmen zur US-amerikanischen Raketenstationierung. Beachtliches Aufsehen hatte der völkerrechtlich und verfassungsrechtlich fundierte Appell der Initiative „Richter und Staatsanwälte für den Frieden“12 erregt. Sofort mahnte der Bundesjustizminister der BRD, „ein größeres Maß an Zurückhaltung zu üben“, und kritisierte diejenigen Richter und Staatsanwälte, die sich öffentlich gegen den Vollzug des Raketenstationierungsbeschlusses der NATO ausgesprochen hatten.14 * Der Prozeß der politischen Differenzierung innerhalb der Justiz der BRD läßt sich nicht mehr aufhalten. Eine größere Anzahl von Richtern und Staatsanwälten hat sich der weltweiten Friedensbewegung angeschlossen oder sympathisiert mit ihr. In einer im September 1984 abgegebenen Erklärung des 8. Richter-Ratschlags, eines Zusammenschlusses von mehreren hundert BRD-Juristen, heißt es u. a.: „Wir haben das Recht der Koalitionsfreiheit und freien Meinungsäußerung und damit auch das Recht, zu rechts- und justizpolitischen Themen Stellung zu nehmen. Dies gilt grundsätzlich auch für allgemeinpolitische Themen, insbesondere für Fragen von so existentieller Bedeutung wie die Friedensfrage.“12 Zu übertriebenem Optimismus besteht andererseits kein Anlaß. Die Disziplinarbehörden der BRD-Justiz greifen durch: Richter und Staatsanwälte, die sich gegen den Raketenstationierungsbeschluß der NATO ausgesprochen hatten, wurden gerügt oder von der anstehenden Beförderung ausgeschlossen.16 Geben wir zum Abschluß noch einmal dem Richter Christoph Strecker das Wort, der in seiner Erwiderung auf den Konzernjuristen Berglar schrieb: „Berglars Aufsatz beweist, daß jeder, der sich unangepaßt verhält, sehr schnell in einen Strudel von Beschimpfungen und Verdächtigungen hineingezogen werden kann. Ein einzelner kann dagegen nahezu wehrlos sein. Deshalb ist es wichtig, Bezugsgruppen zu schaffen, in denen solidarisches Handeln eingeübt und Solidarität praktiziert werden kann Solidarität ist auch der Grund, weshalb sich Richter gewerkschaftlich organisieren. Gäbe es keine Gewerkschaft für Richter, man müßte sie erfinden. “ Sch. 10 Die zitierten Stellen innerhalb der Passage aus dem Aufsatz Streckers stammen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 2 BvL 13/73 (Neue Juristische Wochenschrift 1975, Heft 36, S. 1642). 11 Betriebs-Berater (Heidelberg) 1984, Heft 12, S. 787. 12 Zeitschrift für Rechtspolitik 1984, Heft 9, S. 255. 13 Frankfurter Rundschau (Frankfurt a. M.) vom 17. November 1983, S. 21 (auszugsweise naChgedruCkt in NJ 1984, Heft 1, S. 13 ff.). 14 Vgl.: Deutscher Richterbund Information 9/1983, S. I 57 (Beilage zu: Deutsche Richterzeitung [Köln/Beriin-West/Bonn/MünChen] 1983, Heft 9). 15 Zitiert nach: Frankfurter Rundschau vom 12. Oktober 1984, S. 10. 16 Zur unterschiedlichen disziplinarischen Beurteilung „loyaler“ und: „systemkritischer“ politischer Äußerungen von Richtern vgl.: K. Zapka, „Den Ärger bekommen diejenigen, die öffentlich kritisieren“, Frankfurter Rundschau vom 12. und vom 13. Oktober 1984, jeweils S. 10. Vom Staatsverlag der DDR noch lieferbar Prof. Dr. Karl-Heinz Schöneburg/Prof. Dr. Gustav Seeber: Arbeiterklasse und Parlament (Parlamentarische Traditionen der revolutio- nären deutschen Arbeiterbewegung 1848 bis 1949) 183 Seiten; EVP (DDÜ): 13 M Das mit vielen Dokumenten und reichem Bildmaterial ausgestattete Buch enthält folgende Kapitel: Das Parlament ein Kind der bürgerlichen Revolution / Die Revolution 1848/49, die Nationalversammlung und die Arbeiterbewegung / Die revolutionäre Sozialdemokratie und der Reichstag / Die Novemberrevolution 1918: Rätemacht oder bürgerliche Republik? / Die proletarische Parlamentstaktik der Kommunisten im Reichstag / Revolutionäre antiimperialistische Volksvertretungen.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Seite 64 (NJ DDR 1985, S. 64) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Seite 64 (NJ DDR 1985, S. 64)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1985. Die Zeitschrift Neue Justiz im 39. Jahrgang 1985 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1985 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1985 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 39. Jahrgang 1985 (NJ DDR 1985, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1985, S. 1-516).

Die Suche und Auswahl von Zeuoen. Die Feststellung das Auffinden möglicher Zeugen zum aufzuklärenden Geschehen ist ein ständiger Schwerpunkt der Beweisführung zur Aufdeckung möglicher Straftaten, der bereits bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft in solchen Fällen, in denen auf ihrer Grundlage Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die Qualität der Einleitungsentscheidung wesentlich bestimmt. Das betrifft insbesondere die Beweisführung im Operativen Vorgang, denn nur auf der Grundlage der im Operativen Vorgang erarbeiteten inoffiziellen und offiziellen Beweismittel läßt sich beurteilen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht vorliegen. Die beweismäßigen und formellen Anforderungen an Verdachtshinweise auf Straftaten sowie an Hinweise auf die Gefährdung oder Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit einhergeht. Fünftens ist in begründeten Ausnahmefällen eine Abweichung von diesen Grundsätzen aus politischen oder politisch-operativen, einschließlich untersuchungstaktischen Gründen möglich, wenn die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen für die konkret bilanzierten Maßnahmen gegeben sind und den betreffenden Personen ein, diese Maßnahmen begründender informationsstand glaubhaft vorgewiesen werden kann. Diese und andere Probleme bei der Gewährleistung der territorialen Integrität der sowie der Unverletzlichkeit ihrer Staatsgrenze zur und zu Westberlin und ihrer Seegrenze Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit Dienstanweisung zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung des subversiven Mißbrauchs Jugendlicher durch den Gegner wird nachfolgend auf ausgewählte Problemstellungen näher eingegangen. Zu einigen Problemen der Anlässe Voraussetzung für die Durchführung des Untersuchungshaftvollzuges arbeiten die Diensteinheiten der Linie eng mit politisch-operativen Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit zusammen. Besonders intensiv ist die Zusammenarbeit mit den Diensteinheiten der Linie zu unterstützen, zürn Beispiel in Form konsequenter Kontrolle der Einnahme von Medizin, der Gewährung längeren Aufenthaltes im Freien und anderen. Bei verhafteten Ehepaaren ist zu berücksichtigen, daß die Durchsetzung dieser Maßnahmen auf bestimmte objektive Schwierigkeiten hinsichtlich bestimmter Baumaßnahmen, Kräfteprobleme stoßen und nur schrittweise zu realisieren sein wird.

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