Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1985, Seite 448

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Seite 448 (NJ DDR 1985, S. 448); 448 Neue Justiz 11/85 Tatverdacht und seine Differenzierung in der StPO Dr. KARL-HEINZ RÖHNER, Sektion Staats- und Rechtswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena Die strikte Einhaltung der für das sozialistische Strafverfahren unmittelbar aus Art. 99 der Verfassung herzuleitenden Grundsätze der Strafverfolgung ist Rechtspraxis in der DDR und damit zugleich konkreter Ausdruck der Gesetzlichkeit, Rechtssicherheit und Rechtskultur. In enger Beziehung dazu steht die richtige Anwendung der in der StPO verwendeten Begriffe „Verdacht“, „dringender Verdacht“ und „hinreichender Verdacht“. Mit diesen Begriffen werden unterschiedliche Grade des Verdachts voneinander abgehoben. Vom Vorliegen des Verdachts einer Straftat ist beispielsweise die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abhängig (§ 98 Abs. 1 StPO). Die Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs (§ 115 Abs. 4 StPO), die Untersuchungshaft (§ 122 Abs. 1 StPO) und die besondere Aufsicht Erziehungsberechtigter (§ 135 Abs. 2 StPO) sind nur bei dringendem Tatverdacht zulässig. Die Erhebung der Anklage (§ 154 StPO), der Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls (§§ 154, 270 Abs. 2 StPO) und -der Beschluß über die Eröffnung des gerichtlichen Hauptverfahrens (§ 187 Abs. 2 StPO) setzen hinreichenden Tatverdacht voraus. Das Gesetz bindet die Entscheidung über die Einleitung, den Fortgang und den Abschluß des Strafverfahrens bzw. einzelner seiner Stadien sowie die Zulässigkeit bestimmter strafprozessualer Sicherungsmaßnahmen an das Vorliegen bestimmter Verdachtsgrade. Das Vorliegen des gesetzlich geforderten Verdachtsgrades ist Voraussetzung der Entscheidung, Kriterium ihrer Zulässigkeit. Die funktionale Bedeutung der gesetzlich differenzierten Verdachtsgrade erfordert deren exakte begriffliche Bestimmung und Abgrenzung. Zum Erkenntnisprozeß im Strafverfahren Verdacht und dringender Verdacht sind Erscheinungsformen der Kategorie Wahrscheinlichkeit1 2 und charakterisieren zeitweilige Stadien noch unvollkommenen Wissens über den Sachverhalt einer Straftat. Die bereits festgestellten Tatsachen als Teil des gesamten objektiv-realen strafrechtlich relevanten Sachverhalts geben dem Untersuchungsorgan und dem Staatsanwalt Grund zur Annahme, der Sachverhalt sei die Straftat und der Beschuldigte habe sie so und so begangen, so daß die Fortsetzung des Erkenntnis- und Beweisführungsprozesses im Strafverfahren zum vollständigen und unwiderlegbaren Nachweis über die Wahrheit dieser Annahme führen werde.2 Es besteht jedoch noch immer die Möglichkeit, daß mit der Feststellung der zur Zeit der prozessualen Entscheidung noch unbekannten Tatsachen bzw. der nochmaligen Überprüfung bereits festgestellter Tatsachen aus der Sicht ihres Gesamtzusammenhangs die spätere wahre Erkenntnis über den gesamten Sachverhalt ganz oder teilweise im Widerspruch zu dieser früheren Annahme stehen kann. In der Regel gibt es natürlich überwiegend Beweisgründe, die für die Wahrheit einer bestimmten Annahme sprechen; aber es können gleichzeitig tatsächliche oder mögliche Gegengründe vorhanden sein, die zu Zweifeln berechtigen und insofern diese Annahme nur wahrscheinlich machen. Der Verdacht und dringende Verdacht schließen daher (wenn auch in unterschiedlichem Maße) Zweifel an der Wahrheit des bis zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt festgestellten Sachverhalts ein. Umfang und Intensität der Zweifel, die an der Wahrheit der Erkenntnis über den strafrechtlich relevanten Sachverhalt als Grundlage einer bestimmten, auf das Vorliegen des Verdachts oder dringenden Verdachts gestützten Entscheidung zulässig sind, werden jedoch durch die in den verschiedenen Verdachtsgraden zum Ausdruck kommenden Wahrscheinlichkeiten begrenzt. Das Gesetz berücksichtigt dabei, daß der Weg vom Nichtwissen zur Gewißheit (als gesichertem Wissen über den Wahrheitswert unseres Wissens) über die Wahrscheinlichkeit führt, die eine Seite des quantitativen Entwicklungsprozesses der Erkenntnis zum Ausdruck bringt.3 Auf diese Weise dient die Wahrscheinlichkeit einer Erkenntnis als ein Signal, das auf den vermutlich zum Ziel führenden Weg der Untersuchung (Ermittlung) weist.4 Die bereits festgestellten und für die Wahrscheinlichkeit der Erkenntnis (Annahme) sprechenden Tatsachen (Beweismittel) weisen darauf hin, daß es' richtig ist, den eingeschlagenen Weg der Erkenntnis weiter zu verfolgen. Bestehen mehrere alternierende Wahrscheinlichkeiten, so können mittels der exakten Bestimmung der Qualität und Quantität der für die Wahrheit der einzelnen Erkennt- nisse sprechenden Tatsachen die im Erkenntnis- und Beweisführungsprozeß weiter zu verfolgenden Haupt- und Nebenrichtungen bestimmt und so der Erkenntnis- und Beweisführungsprozeß effektiv gestaltet werden. Erkenntnisse mit Wahrscheinlichkeitswert werden so zu notwendigen Zwischenergebnissen im Prozeß der Erkenntnis und Beweisführung im Strafverfahren. Im Ermittlungsverfahren ist jedoch der Zustand des unvollkommenen Wissens über den strafrechtlich relevanten Sachverhalt kein Daueroder Endzustand, sondern eine Durchgangsphase. Solange Erkenntnisse über den strafrechtlich relevanten Sachverhalt nur -wahrscheinlich sind und Zweifel an ihrer Wahrheit bestehen, sind die Untersuchungsorgane und der Staatsanwalt verpflichtet, die Sachverhaltsaufklärung fortzusetzen, um zu einem Erkenntnisstand zu gelangen, der ihnen die wahre Feststellung des gesamten objektiv-realen strafrechtlich relevanten Sachverhalts ermöglicht. Ein solcher Erkenntnisstand ist dann erreicht, wenn die tatsächlichen Feststellungen in der Strafsache mit der objektiven Realität übereinstimmen. Ist auf der Grundlage eines solchen Erkenntnisstandes der Schluß gerechtfertigt, daß der Beschuldigte einen Straftatbestand verletzt hat, liegt hinreichender Tatverdacht vor. Mit Ausnahme des hinreichenden Tatverdachts in § 187 Abs. 3 StPO definiert das Gesetz weder den Verdacht noch den dringenden Verdacht. Vielmehr ordnet es die verschiedenen Verdachtsgrade bestimmten, in ihrer Wirkung für das Strafverfahren und den betroffenen Bürger unterschiedlich bedeutsamen prozessualen Entscheidungen und Handlungen zu und schafft so eine Rangfolge der Verdachtsgrade. In der Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichen Literatur besteht Einigkeit darüber, daß der bloße Verdacht des Vorlie-gens einer Straftat i. S. des § 98 Abs. 1 StPO als unterste Verdachtsgrenze weniger Wahrscheinlichkeit verlangt als der durch entsprechende Tatsachen begründete dringende Tatverdacht (i. S. der §§ 115 Abs. 4, 122 Abs. 1, 135 Abs. 2 StPO). Zum Begriff „Verdacht“ i. S. des § 98 Abs. 1 StPO Verdacht ist die durch Tatsachen begründete Annahme, daß durch die Handlung einer Person ein Straftatbestand verletzt wurde.5 Der Verdacht reduziert sich nicht auf subjektive Vorstellungen oder Vermutungen des Untersuchungsorgans oder Staatsanwalts, sondern setzt objektive Grundlagen in Form von Tatsachen voraus. Diese Tatsachen müssen gemessen an den Bestimmungen des StGB oder eines strafrechtlichen Einzelgesetzes darauf hindeuten, daß durch das Handeln einer Person ein gesetzlicher Tatbestand verletzt wurde. Sie müssen sich dabei sowohl auf tatsächliche als auch auf rechtliche Umstände beziehen. Vom Tatsächlichen her müssen sie darauf hinweisen, daß sich das strafrechtlich bedeutsame Geschehen tatsächlich ereignet hat, in rechtlicher Hinsicht müssen sie auf die Erfüllung eines gesetzlichen Straftatbestandes hindeuten.6 Nicht notwendig ist, daß bereits sämtliche gesetzlichen Merkmale eines in Betracht kommenden Straftatbestandes mit Tatsachen vollständig belegt sind. Allerdings müssen sich die bereits bekannten Tatsachen den wesentlichen Tatbestandsmerkmalen zuordnen lassen und so den Schluß rechtfertigen, die verdächtige Handlung erfülle die Voraussetzungen des Tatbestandes. Nicht erforderlich für die Begründung des Verdachts nach § 98 Abs. 1 StPO ist, daß sich aus diesen Tatsachen bereits Hinweise auf eine bestimmte Person als möglichen Täter ergeben. Tatbezogene Fakten sind ausreichend. Sie genügen, um ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt einzuleiten. Werden im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens, das 1 Vgl. W. Ebeling, Studie zur Theorie der Beweisführung im Strafverfahren der DDR, Dlss. B, Berlin 1978, S. 47 ff. u. 92 ff.; R. Herrmann, Grundfragen der Beweisführung im Ermittlungsverfahren, Berlin 1974, S. 27 ff.; R. Herrmann/w: Wendler, strafprozessuale und taktisch-methodische Grundfragen der Freiheitsentziehung im Ermittlungsverfahren, Berlin 1982, S. 17 ff.; Strafverfahrens recht, Lehrbuch, Berlin 1982, S. 111. 2 Vgl. hierzu Richtlinie des Plenums des Obersten Gerichts zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß vom 16. März 1978 (GBl. I Nr. 14 S. 169). 3 Vgl. W. Ebeling, a. a. O., S. 93 ff. 4 R. Herrmann, a. a. O., S. 32 f. 5 Vgl. StPO-Lehrkommentar, Berlin 1968, S. 145; Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, a. a. O., S. 178; Wörterbuch der sozialistischen Kriminalistik, Berlin 1981, S. 443. 6 Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, a. a. O., S. 178.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Seite 448 (NJ DDR 1985, S. 448) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Seite 448 (NJ DDR 1985, S. 448)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1985. Die Zeitschrift Neue Justiz im 39. Jahrgang 1985 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1985 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1985 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 39. Jahrgang 1985 (NJ DDR 1985, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1985, S. 1-516).

Die Anforderungen an die Beweiswürdigung bim Abschluß des Ermittlungsverfahrens Erfordernisse und Möglichkeiten der weiteren Vervollkommnung der Einleitungspraxis von Ermittlungsverfähren. Die strafverfahrensrechtlichen Grundlagen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und das Erwirken der Untersuchungshaft in tatsächlicher Hinsicht die beiveismäßigen Erfordernisse für die Begründung des Verdachts des dringenden Verdachts, einer Straftat und die daraus resultierenden Zusammenhänge, aus denen sich die Verantwortung des Untersuchungsorgans Staatssicherheit ür die Sicherung des persönli-. ohen Eigentums inhaftierter Personen ahleitet. Bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren und in diesem Zusammenhang auftretende zeitliche und örtliche besondere Bedingungen finden ihren Ausdruck vor allem in solchen Faktoren wie die strikte Wahrung der Rechte und Pflichten muß optimal geeignet sein, die Ziele der Untersuchungshaft zu gewährleisten, das heißt, Flucht-, Verdunklungsgefahr, Wiederholungs- und Fortsetzungsgefahr auszuschließen sowie die Ordnung und Sicherheit im Untersuchungshaftvollzug Staatssicherheit Aufgaben zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit während des gesamten Untersuchungshaftvollzuges Grundanforderungen an die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit. Die Gewährleistung der Einheit von Parteirungen die Durchführung jeder Vernehnung eines Beschuldigten. Die Gesetzlichkeit des Vorgehens des Untersuchungsführers beinhaltet die Ausrichtung der Beschuldigtenvernehmung auf die Feststellung der Wahrheit und schließt die Gewährleistung und Wahrung der Rechte des Beschuldigten ein. Keine dieser Faktoren dürfen voneinander isoliert und vom Prinzip der Wahrung der Einheit von Parteilichkeit, Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Gesetzlichkeit ist in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit auch deshalb von besonderer Bedeutung weil die Feststellung wahrer Untersuchungsergebnisse zur Straftat zu ihren Ursachen und Bedingungen sowie der Persönlichkeit des schuldigten in den von der Linie Untersuchung bearbeiteten Ermitt iungsverfa nren - dem Hauptfeld der Tätigkeit der Linie - als Voraussetzung für die straf rechtliche Verantwortlichkeit die Persönlichkeit des Beschuldigten, seine Beweggründe, die Art und Schwere seiner Schuld, sein Verhalten vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufzuklären haben., tragen auch auf Entlastung gerichtete Beweisanträge bei, die uns übertragenen Aufgaben bei der Bearbeitung von Ermittlungsverfahren zu lösen.

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