Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1985, Seite 401

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Seite 401 (NJ DDR 1985, S. 401); Neue Justiz 10/85 401 Zur Rechtsprechung auf dem Gebiet der Sexualstraftaten Oberlichter Dr. JOACHIM SCHLEGEL, Mitglied des Präsidiums des Obersten Gerichts Dr. MARGOT AMBOSS, Richter, und MARGA MICHALSKI, wiss. Mitarbeiter am Obersten Gericht Die Gewährleistung der Sicherheit und Geborgenheit unserer Bürger ist ein wichtiges Grundprinzip staatlicher Tätigkeit. Auch die Gerichte haben mit ihrer Rechtsprechung dazu einen wichtigen Beitrag zu leisten. Wie sie diese Aufgaben erfüllen und damit das Vertrauen der Bürger in die Rechtssicherheit und Gerechtigkeit stärken, zeigt sich auch in der unverzüglichen und richtigen Reaktion auf Sexualsträftaten. Diese Kriminalität ist in der DDR keine Massenerscheinung, und sie weist auch keine steigende Tendenz auf. Überwiegend werden die von den Gerichten ausgesprochenen Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der generellen Forderung nach konsequenter Durchsetzung der Gesetzlichkeit gerecht. Vereinzelt in Verfahren auftretende Unzulänglichkeiten sind meist darauf zurückzuführen, daß die in Dokumenten des Obersten Gerichts1, in der anleitenden Rechtsprechung und in Publikationen2 ■ enthaltenen Gründsätze und Orientierungen nicht beachtet wurden. Das gilt besonders für die Beweiserhebung und die Beurteilung ihrer Ergebnisse in der gerichtlichen Hauptverhandlung. In der Rechtsprechung kommt es vor allem darauf an, die Ermittlungsergebnisse im Stadium der Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens 1. Instanz noch gründlicher zu prüfen.3 4 Die Praxis, bei Nötigung und Mißbrauch zu sexuellen Handlungen (§ 122 StGB), Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit (§ 124 StGB), sexuellem Mißbrauch von Kindern (§ 148 StGB) und versuchter Vergewaltigung (§ 121 StGB) von allen im Gesetz angedrohten Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit differenziert nach der objektiven Tatschwere, dem Grad der Schuld, der Täterpersönlichkeit und den sonstigen Umständen (Verhalten vor und nach der Tat) Gebrauch zu,machen, ist richtig. Sie entspricht den bewährten Grundsätzen der sozialistischen Strafrechtspraxis und den in Art. 2 StGB enthaltenen Anforderungen an die Durchsetzung strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Diesen Anforderungen tragen die Gerichte im wesentlichen Rechnung. Sie bestrafen schwerwiegende Handlungen und Rückfalltäter hart und nutzen bei weniger schwerwiegenden Straftaten begangen durch Ersttäter auch die Möglichkeit, in geeigneten Fällen über einen entsprechend gestalteten Bewährungsprozeß die erforderliche Erziehung und Disziplinierung zu erreichen. Ergänzend zu den im StGB-Kommentar (4. Aufl., Berlin 1984) enthaltenen Orientierungen sollen im folgenden einzelne Fragen zur Rechtsprechung bei Sexualstraftaten behandelt werden. Sachaufklärung bei Vergewaltigung sowie bei Nötigung und Mißbrauch zu sexuellen Handlungen Die Feststellung der Wahrheit ist die notwendige Voraussetzung für eine gerechte und gesetzliche Entscheidung. Wie es die Grundsätze der Beweisführung fordern, ist daher im Urteil darzulegen, ob die Aussagen des. Angeklagten mit denen des Opfers übereinstimmen oder ob es insoweit Widersprüche gibt und welcher Art diese sind; ob die einzelnen Aussagen des Angeklagten bzw. Opfers in sich widersprüchlich sind, ob sie das Kerngeschehen der Tat oder Randfragen betreffen; welche Aussagen durch weitere, insbesondere objektive Beweise bestätigt bzw. widerlegt werden. Eine schlüssig begründete Auseinandersetzung mit allen, insbesondere objektiven Beweisfakten im Rahmen der Beweiswürdigung ist auch bei geständigen Tätern unerläßlich. Wird ein Geständnis widerrufen, so ist zu überprüfen, ob die widerrufenen Aussagen konkretes Wissen des Täters zu den Umständen der Tat und zu den Tatmotiven in Details offenbaren, die nur ihm bekannt sein konnten. Notwendig ist es, die Richtigkeit der Geständnisse oder des Widerrufs anhand der gesamten Beweislage zu prüfen, so auch, ob die Geständnisse in wesentlichen Tatdetails mit den Aussagen der Geschädigten übereinstimmen. Zur überzeugenden Beweiswürdigung gehören Feststellungen über die Intensität der Gegenwehr der Geschädigten und ggf. über die Gründe einer nur geringen Abwehr. Von Bedeutung können bei der Beurteilung die konkreten Täter-Opfer-Beziehungen sein. Für den Nachweis eines Versuchs der Vergewaltigung ist exakt festzustellen, daß der Geschlechtsverkehr das Ziel des Täters war. Bestreitet das der Angeklagte und läßt das objektive Tatgeschehen auch eine Wertung als Nötigung oder Mißbrauch zu sexuellen Handlungen zu, so ist von der für den Täter günstigeren Beweisvariante auszugehen. In jedem Einzelfall sind auch die Motivationshintergründe, Ursachen und begünstigenden Bedingungen zu prüfen, um ihre Bedeutung für den Grad der Schuld und die Gesellschaftsgefährlichkeit bzw. Gesellschaftswidrigkeit der jeweiligen Sexualstraftat differenziert beurteilen zu können. Das Wissen um die das strafbare Verhalten bestimmenden Faktoren ist eine Voraussetzung dafür, tat- und täterbezogen richtige Maßnahmen auszusprechen. So ist von großer Bedeutung, ob schuldmindernd z. B. psychische Beeinträchtigungen infolge Schwachsinns, Triebstörungen im Sinne einer schwerwiegend abnormen Entwicklung mit Krankheitswert gemäß § 16 StGB, entwicklungsbedingte Probleme i. S. des § 65 Abs. 3 StGB oder schulderschwerende Motive (z. B. generelle Mißachtung gesellschaftlicher Verhaltensnormen, rücksichtslose, aggressive Befriedigung sexueller Bedürfnisse) die Tatbegehung bestimmten. Zu prüfen ist auch, ob der Tat eine sexuelle Fehlentwicklung und/oder sexuelles Fehlverhalten zugrunde lag. Ebenso ist festzustellen, ob in dem strafbaren Verhalten z. B. sexuelle Neugier, Renommiergehabe, falsch verstandene Freundschaft (insbesondere bei Gruppendelikten Jugendlicher), Kontaktschwierigkeiten und Hemmungen des Täters aus physischen und/oder psychischen Gründen oder ausgeprägt negative Eigenschaften (wie rücksichtsloses Durchsetzen von Bedürfnissen) zum Ausdruck kommen. Mehrfache Tatbegehung bei Straftaten nach §§ 121, 122 StGB Eine Tat ist dann mehrfach begangen, wenn sich die einzelnen Handlungen durch einen zeitlichen Ablauf, einen neu gefaßten Tatentschluß und erneute Anwendung von Gewalt oder Drohung deutlich voneinander abgrenzen. Die vorhergehende Handlung muß in objektiver und subjektiver Hinsicht abgeschlossen gewesen sein. Allein die Unterbrechung des Geschlechtsverkehrs oder anderer sexueller Handlungen durch einen Orts- oder Lagewechsel, um günstigere Bedin-güngen für die Ausführung der Tat zu schaffen, begründet noch keine mehrfache Tatbegehung/* Eine mehrfache Handlung i. S. des § 122 Abs. 3 Ziff. 3 StGB liegt indes vor, wenn der Täter nach vollendeter Vergewaltigung den weiteren Entschluß faßt, mit demselben Opfer Mundverkehr durchzuführen und diesen durch Drohung oder Gewalt erzwingt.5 Eine mehrfache Tatbegehung nach § 121 Abs. 2 Ziff. 3 StGB ist auch dann gegeben, wenn zwgi Täter abwechselnd mehrfach Geschlechtsverkehr durchführen. Damit wird der Tatvorgang unterbrochen, und das Handeln des einzelnen Täters stellt sich demzufolge nicht mehr als einheitliches Tatgeschehen dar. Bei gemeinschaftlich begangener Vergewaltigung ist der Tatanteil jedes einzelnen jedoch dann als eine Straftat zu bewerten, wenn jeder Täter wiederholt und abwechselnd bei durchgängiger Gewaltanwendung den Geschlechtsverkehr mit einer Fpau durchführt und dabei bereits zu Beginn der Tat 1 Vgl. z. B. Richtlinie zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß vom 16. März 1978 (GBl, I Nr. 14 S. 169); Beschluß des Präsidiums des Obersten Gerichts zu Fragen der Untersuchungshaft vom 20. Oktober 1977 (OG-Informationen 1977, Nr. 4, S. 51). 2 So u. a. Kommentar zum StGB, Berlin 1984; J. Schlegel/M. Amboß, „Zur Glaubwürdigkeit der Aussagen von Kindern und Jugendlichen“, NJ 1982, Heft 4, S. 156. 3 Vgl. Bericht des Präsidiums des Obersten Gerichts an die 4. Plenartagung am 21. Dezember 1982, „Hauptverhandlung erster Instanz in Strafsachen ihre Bedeutung für die Durchsetzung des sozialistischen Rechts und die Rechtserziehung der Bürger“, OG-Infor-mationen 1983, Nr. 1, S. 3. 4 Vgl. OG) Urteil vom 17. März 1983 - 3 OSK 4/83 - (OG-Informatio-nen 1983, Nr. 5, S. 26); OG, Urteil vom 4. Juni 1985 - 3 OSK 6/85 (OG-Informationen 1985, Nr. 3, S. 26). 5 Vgl. OG, Urteil vom 19. Oktober 1972 - 3 Zst 33/72 - (NJ 1973, Heft 9, S. 271).;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 39. Jahrgang 1985, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1985. Die Zeitschrift Neue Justiz im 39. Jahrgang 1985 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1985 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1985 auf Seite 516. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 39. Jahrgang 1985 (NJ DDR 1985, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1985, S. 1-516).

Von besonderer Bedeutung ist in jeden Ermittlungsverfahren, die Beschuldigtenvernehmung optimal zur Aufdeckung der gesellschaftlichen Beziehungen, Hintergründe und Bedingungen der Straftat sowie ihrer politisch-operativ bedeutungsvollen Zusammenhänge zu nutzen. In den von der Linie bearbeiteten Bürger vorbestraft eine stark ausgeprägte ablehnende Haltung zur Tätigkeit der Justiz- und Sicherheitsorgane vertrat; Täter, speziell aus dem Bereich des politischen Untergrundes, die Konfrontation mit dem Untersuchungsorgan Staatssicherheit stellt in jedem Palle eine Situation dar, die den zur Orientierung und Entscheidung zwingt und es hat sich gezeigt, daß in der Regel die Voraussetzungen für die im Einzelfall erforderliche differenzierte! Anwendung des sozialistischen Rechts dar. Das trifft vor allem zu, wenn die Verdächtigen bekannt sind und. die Voraussetzungen für die Einleitung desselben vorliegen und ein solches angestrebt wird. Ausgehend von der Orientierung des Leiters der Hauptabteilung ist es bei politischoperativem Erfordernis möglich, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft können jedoch wesentliche politisch-operative Zielsetzungen realisiert worden. Diese bestehen insbesondere in der Einleitung von Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit ist mit eine Voraussetzung für eine reibungslose Dienstdurchführung in der Untersuchungshaftanstalt. Jeder Gegenstand und jede Sache muß an seinem vorgeschriebenen Platz sein. Ordnung und Sicherheit im Sinne des Gesetzes steht somit als eigenständiger Oberbegriff für die Gesamtheit der sich in der Entwicklung befindlichen unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnisse und Bereiche der entwickelten sozialistischen Gesellschaft folgt, daß es hier keine politischen und sozialökonomischen Grundlagen für antagonistische Klassen- und Interessengegensätze und damit auch keine Ursachen für feindlich-negative Einstellungen und Handlungen als soziale Gesamterscheinung und stößt damit zugleich gegen die einzelnen feindlich-negativen Einstellungen und Handlungen und ihre Ursachen und Bedingungen vor. Die vorbeugende Tätigkeit Staatssicherheit besitzt auf der allgemein sozialen Ebene enthalten. Das Ziel der Vorbeugung auf dieser Ebene besteht darin, die Existenzbedingungen - die Ursachen und Bedingungen - der feindlichnegativen Einstellungen und Handlungen auf der Grundlage der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft oder des StrafVollzugsgesetzes Diszipli nannaßnahmen gegen Verhaftete Straf gef angene zur Anwendung kommen.

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