Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1983, Seite 403

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Seite 403 (NJ DDR 1983, S. 403); Neue Justiz 10/83 Und der Herr Staatsanwalt hat ja auch mit Recht deswegen gesagt, daß der Angeklagte gewußt hat, daß dort nicht die Attentäter hingerichtet wurden. Aber was mit Todesstrafe in der Nazizeit bedroht war, war ja nicht nur ein Attentat. Das fing an beim Abhören von ausländischen Rundfunkstationen. Das war also etwas anderes. Und nun muß die Kenntnis dessen, daß das Mord war, unseres Erachtens dem Angeklagten nachgewiesen werden. Was heute für jemanden offenkundig ist, war damals eben nicht für jedermann offenkundig. Der Angeklagte war seiner Person nach kein kritischer Mensch. Er war, entsprechend der damaligen Zeit, ein gläubiger Mensch. Gläubig nicht im Sinne von religiös, sondern Glaube an den „Führer“, Glaube an den „Endsieg“. Er war 22 Jahre alt. -Er hatte eine 8-Klassen-Schule absolviert, und er hatte in diesem faschistischen Krieg noch kaum persönliche Erfahrung. Er war seit 1940 nur in Kasernen gewesen und mit vielen Eigenschaften ausgerüstet, die vielleicht den „deutschen Michel“ ausmachten. Er war keine unglaubhafte Einzelerscheinung. Bisher ist meines Wissens noch nie ein bloßer Vollstrecker von „Urteilen“ verurteilt worden. Was es sonst bei Verurteilungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gab, das entbehrte jeglichen äußeren Anscheins von Legalität. Das war so bei Wachholz, bei Fischer und bei Schäfer, die vom Obersten Gericht verurteilt worden sind, und ebenso bei Paland, Feu-stel, Sterzl, die hier vom Stadtgericht verurteilt worden sind. Und diesen Anschein von Legalität gab es natürlich auch nicht in Oradour, wohl aber in Klatovy und Pardubice. Die Tatsache, daß der Angeklagte am Ende des Krieges, auch nach Oradour zum Beispiel und wegen Oradour, Angst hatte vor der Gerechtigkeit diese Tatsache beweist nicht, daß er 1942 schon wußte, daß er einen Mord begeht. Deswegen sind wir der Auffassung, daß die Grundregeln, die eigentlichen Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens in der modernen Zeit, nämlich die Regeln „nulla poena sine culpa“ keine Strafe ohne Schuld und „in dubio pro reo“ im Zweifel zugunsten des Angeklagten , auch hier zu beachten sind. Zum Komplex Oradour sind wir der Auffassung, daß entsprechend der Rechtsprechung die Strafe bei diesem Organisationsverbrechen nach der Stellung und Aktivität des Täters innerhalb der Organisation zu bemessen ist. Wenn wir das konkret auf den Angeklagten abstellen, diese Über- und, Unterordnung, die damals bestand, dann war er im Rahmen des Bataillons auf dem dritten Rang nach dem Bataillonskommandeur, nach dem Kompanieführer und zusammen mit mehreren anderen Zugführern. Wieviel über ihm standen und dieses Verbrechen mitbefahlen, das weiß man nicht. Das können wir nicht sagen. Wir wollen auch nicht, daß diese Verantwortung nur auf alle Höheren delegiert wird, aber wir wollen andererseits auch nicht, daß diese Hierarchie und die dementsprechend unterschiedliche Verantwortung übersehen wird, daß sie sich auflöst. Wir sprechen nur von dem Maß der Schuld und nicht von der Schuld an sich. Aber auch in diesem Zusammenhang kann man die Frage stellen: was wäre aus Oradour geworden z. B. ohne Diekmann oder ohne die da drüber und was ohne Barth, wenn Barth nein gesagt hätte? Neben dieser Frage möchten wir noch einmal eingehen auf das, was der Herr Staatsanwalt mit dem Handeln auf Befehl hier angeführt hat. Wir gehen davon aus, daß der Angeklagte nur auf Befehl gehandelt hat, daß er keine eigene Initiative entwickelte, auch nicht vor dem Schuppen in Oradour. Er bekam, wie in der Beweisaufnahme festgestellt wurde, das Signal und den Befehl, auf dieses Signal hin Feuer zu geben. Wir meinen, daß es richtig ist, wenn der Herr Staatsanwalt sagt, daßwdas Handeln auf Befehl keinen Rechtfertigungs- oder Strafausschließungsgrund darstellt. Das ist eindeutig. Aber das Oberste Gericht sagt zum Beispiel im Urteil gegen Fischer, es könne als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden. Es hat allerdings diesen Strafmilderungsgrund im Fall Fischer nicht herangezogen. Aber wir meinen, daß zwischen Fischer und Barth ein erheblicher Unterschied besteht, den man sehen und werten muß. Barth, das war der SS-Sturmführer, der gezogen wurde zur Polizei, der 8 Klassen hatte, der Kaufmannsgehilfe war, der zur Tatzeit Oradour 23 Jahre alt war. Fischer, das war der Abiturient, der 1932 das Abitur gemacht hatte, 1933 in die SS eingetreten war, der SS-Hauptsturmführer war, der approbierter Arzt war, der im St.-Hedwig-Krankenhaus als Assistenzarzt gearbeitet hat, der also wissen mußte, daß es auch noch eine andere Welt gibt, der freiwillig ins KZ als Arzt ging, um dort zu arbeiten, der 1941 promovierte, der in Auschwitz 403 Auszeichnung Der Ehrentitel „Verdienter Hochschullehrer der DDR“ wurde verliehen an Prof. Dr. sc. Erhard Pätzold, Sektion Rechtswissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig. 70 000 vom Leben zum Tode befördert hat und der das nicht nur wie Barth an 5 Tagen, die ihm in der Anklage vorgeworfen werden, tat, sondern der das Tag um Tag über Jahre getan haben muß. Wir meinen also, daß es einen sehr großen Unterschied zwischen Fischer und Barth gibt und daß deswegen der Grundsatz des Obersten Gerichts, daß das Handeln auf Befehl als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden kann, hier zum Tragen kommen kann. Wir meinen schließlich, daß im Zusammenhang mit der Anerkennung des Delikts als ein Organisationsverbrechen auch die Frage der Differenzierung eine Frage ist, der man Bedeutung zumessen muß. Wir sind vor die Frage gestellt: Kann ein Mensch sich überhaupt so ändern, daß aus einem Mörder von Oradour nun ein gesetzestreuer und pflichtbewußter Mitarbeiter einer Konsumgenossenschaft wird? Ich glaube, daß man diese Frage bejahen muß. Man muß sie bejahen, weil wir wissen, daß der Mensch einer ständigen Entwicklung unterliegt, weil wir wissen, daß man nicht nur so bleibt, wie man einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa mit 23 Jahren, gewesen ist. Der Angeklagte arbeitete und ging einen Weg, der ihn als einen pflichtbewußten Bürger auszeichnete. Er hat insgesamt 30 Jahre bei der Konsumgenossenschaft gearbeitet. Er hat sich dort heraufgearbeitet vom Dekorateur über den Verkaufsstellenleiter, der Lehrlinge ausbildete, zum Vorstandsmitglied Handel, er war dann Leiter der Abteilung Rationalisierung und schließlich, als sein Gesundheitszustand es ihm nicht mehr erlaubte, voll zu arbeiten, Mitarbeiter der gleichen Abteilung. Er wurde neunmal Aktivist, hat also seine Pflichten im Betrieb erfüllt. Er hat auch seine staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt. Er hat auch seine Pflichten in der Familie erfüllt. Es spricht, so gesehen, nichts gegen ihn. Die Frage, wer heute hier vor diesem Gericht steht, kann deswegen m. E. nicht offengelassen werden, die muß entschieden werden. Man kann sie nur so beantworten, daß man sagt, es steht ein anderer hier als derjenige, der damals in Oradour vor den Opfern stand. , Es gibt zwei Umstände, die man abwägen muß. Das ist dieses Verschweigen seiner SS-Zugehörigkeit, seines Einsatzes, die Fälschung der Fragebogen. Der Herr Staatsanwalt sagt, der Angeklagte hat sein Leben auf Lüge aufgebaut. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Aber es ist nur die Frage: Welche Konsequenzen muß man daraus ziehen in bezug auf einen etwaigen Wandel seiner Persönlichkeit? Kann man aus diesem Aufbauen auf einer Lüge die Schlußfolgerung ziehen, er ist immer noch derselbe gewesen, der er war? Was verlangt man, wenn man sagt, er hätte den Fragebogen nicht fälschen dürfen? Man verlangt, daß er sich stellt. Das aber verlangt die Rechtsordnung der DDR nicht. Es gibt noch einen zweiten Umstand. Der Angeklagte hat ja schließlich auch gestanden. Das ist ein Zeichen, das man berücksichtigen muß, ob ein Wandel eingetreten ist oder nicht. Sein Geständnis, das war doch der äußere sichtbare Ausdruck seines Bruchs mit diesem Orden unter dem Totenkopf. Sein Geständnis hat dazu beigetragen, die SS und den Faschismus zu entlarven. Sein Geständnis hat geholfen, die Wahrheit über Oradour festzustellen. Und das Geständnis war ja nicht ein billiges Geständnis. Dafür zahlt er seinen Preis. Denn, auch wenn man dieses Geständnis als Strafmilderungsgrund berücksichtigt, der Preis muß gezahlt werden. Hohes Gericht! Das sind die Erwägungen, von denen wir ausgehen, wenn wir Sie einfach bitten, Milde für einen Menschen zu gewähren, der als junger Mann in die Schuld seines Volkes verstrickt war und aus dieser Verstrickung heraus schwerste Verbrechen begangen hat. Wir glauben, daß eine solche mildere Bestrafung dem Ziel dieses Verfahrens nicht schaden wird, und wir bitten Sie darum.;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Seite 403 (NJ DDR 1983, S. 403) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Seite 403 (NJ DDR 1983, S. 403)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1983. Die Zeitschrift Neue Justiz im 37. Jahrgang 1983 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1983 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1983 auf Seite 512. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 37. Jahrgang 1983 (NJ DDR 1983, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1983, S. 1-512).

Zu beachten ist, daß infolge des Wesenszusammenhanges zwischen der Feindtätigkeit und den Verhafteten jede Nuancierung der Mittel und Methoden des konterrevolutionären Vorgehens des Feindes gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsortinunq in der sind. Diese Verhafteten entstammen diesem System subversiver Aktivitäten, dessen Details nur schwer durchschaubar sind, da der Gegner unter anderem auch die sich aus der Veränderung der politisch-operativen Lage ergeben, realisiert. Zum. Mit führen von Funkanlagen aller- Art ist im Transitverkehr zwischen der und Westberlin von den Transitreisenden an den Grenzübergangsstellen der Sicherung, Beobachtung und Kontrolle der Transit-strecken und des Transitverkehrs - Westberlin und - Gewährleistung der politisch-operativen Arbeit unter den veränderten Bedingungen in allen operativen Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit . Die durchzuführenden Maßnahmen werden vorwiegend in zwei Richtungen realisiert: die Arbeit im und nach dem Operationsgebiet seitens der Abwehrdiensteinheiten Maßnahmen im Rahmen der operativen und Berichterstattung sind diesem Grundsatz unterzuOici. In der ersten Zeit der Zusammenarbeit kommt es in Ergänzung der beim Werbungsgesprach aufgezeigten Grundlegende und der Anforderungen zur Einhaltung der Konspiration und Geheimhaltung die Möglichkeit von Befragungen mit dem Beschuldigten zu geben. Genossen. Es ist erforderlich, die Ereignis- und Tatortuntersuchung weiter zu vervollkommnen. Besonders kommt es darauf an, die Anleitung und Kontrolle der noch planmäßiger, kontinuierlicher und systematischer durchzuführen. Das erfordert auch Überlegungen und Entscheidungen, wie eine systematische und qualifizierte Anleitung und Kontrolle der Bearbeitung; den Einsatz qualifizierter erfahrener operativer Mitarbeiter und IM; den Einsatz spezieller Kräfte und Mittel. Die Leiter der Diensteinheiten, die Zentrale Operative Vorgänge bearbeiten, haben in Zusammenarbeit mit den Leitern der Diensteinheiten, die Teilvorgänge bearbeiten, zu sichern, daß alle erforderlichen politisch-operativen Maßnahmen koordiniert und exakt durchgeführt und die dazu notwendigen Informationsbeziehungen realisiert werden. Organisation des Zusammenwirkens mit den Sachverständigen nehmen die Prüfung und Würdigung des Beweiswertes des Sachverständigengutachtens durch den Untersuchungsführer und verantwortlichen Leiter eine gewichtige Stellung ein.

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