Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1983, Seite 277

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Seite 277 (NJ DDR 1983, S. 277); Neue Justiz 7/83 277 Beweisführung in Strafverfahren gegen Flüchtige HEINZ KADGIEN, Militärstaatsanwalt beim Militäroberstaatsanwalt der DDR Im Strafverfahren der DDR kommt der Wissenschaftlichkeit und Unvoreingenommenheit der Beweisführungspflicht des Gerichts und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme entscheidende Bedeutung zu. Die Beachtung dieser in der Richtlinie des Obersten Gerichts zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß1 enthaltenen Grundsätze in jedem Strafverfahren trägt wesentlich zur Feststellung der Wahrheit über die Straftat bei. Sie gewährleistet die unvoreingenommene Feststellung des Tatgeschehens, der Ursachen und begünstigenden Bedingungen sowie die Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten. Die Feststellung der Wahrheit ist letztendlich entscheidend für die gesellschaftliche Wirksamkeit des Strafverfahrens. Das Oberste Gericht hat in seiner Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt: „Die richtige Feststellung des Sachverhalts ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, deren Lösung unabdingbare Voraussetzung für die Überzeugungskraft, Autorität und Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung ist. Die Forderung, die sozialistische Rechtspflege allseitig zu vervollkommnen, umfaßt auch die genaue Beachtung der strafprozessualen Prinzipien und Normen. Sie beinhalten, daß die richtige und gesellschaftlich wirksame Entscheidung nur auf der Grundlage der objektiven Wahrheit gefunden werden kann.“2 Dieser Grundsatz gilt ohne Einschränkung auch für die Tätigkeit der Untersuchungsorgane und der Staatsanwaltschaft. Ihrer Verantwortung obliegt es, nach Bekanntwerden eines kriminalistisch relevanten Ereignisses alle Maßnahmen zu treffen, um die den Verdacht einer Straftat begründende Handlung allseitig und unvoreingenommen aufzuklären und den Täter zu ermitteln. Anwendung wissenschaftlicher Methoden bei der Spurensuche, -Sicherung und -auswertung Besondere Anforderungen an die Ermittlungen zur Art und Weise der Begehung der Straftat ergeben sich in solchen Fällen, in denen keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden sind, der Täter den Tatort verlassen hat und erkennbar ist, daß er sich durch seine Flucht in das Ausland der strafrechtlichen Verantwortlichkeit entziehen will. Durch die Anwendung und Ausnutzung wissenschaftlicher Methoden der Spurensuche, -Sicherung und -auswertung sowie durch die frühzeitige Einbeziehung von Sachverständigen der forensischen Wissenschaften sind die Voraussetzungen für eine auf hoher Wissenschaftlichkeit und Unvoreingenommenheit basierende Beweisführung zu schaffen. Welche Bedeutung diesen Fragen zukommt, soll nachfolgend an einem Strafverfahren dargestellt werden, das vor dem Militärobergericht Leipzig wegen Mordes, begangen an dem Fähnrich der Grenztruppen der DDR Klaus-Peter Braun, gegen Roland Höhne durchgeführt wurde.3 In der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung war unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Tatwaffe und Aussagen des Tatverdächtigen nicht Vorlagen, u. a. vor allem mit Hilfe von Sachverständigen zu klären, ob der Geschädigte vom Täter durch einen Feuerstoß oder durch die Abgabe von Einzelschüssen aus einer Maschinenpistole getötet wurde und ob die Schußabgabe ungewollt im Ergebnis eines „Gerangels“4 oder vorsätzlich erfolgte. Von der Beantwortung dieser Fragen hing maßgeblich die Entscheidung des Gerichts zur Schuld des Täters ab. Insgesamt waren 10 Sachverständige, unter ihnen Gerichtsmediziner, Ballistiker, Biologen, Chemiker und Sachverständige für Daktyloskopie sowie Mathematiker und Physiker mit der Erstattung von Gutachten beauftragt. Umfassende Tatrekonstruktion Um den Tathergang möglichst bis in jedes Detail exakt aufzuklären, ergab sich die Notwendigkeit einer umfassenden Tatrekonstruktion. Aus den vorliegenden Gutachten ist er- sichtlich, daß sie von den Sachverständigen am unmittelbaren Tatort durchgeführt wurde. Der Tatort war ein Raum mit quadratischem Grundriß (3,75 mX 3,75 m), das 2. Obergeschoß eines viergeschossigen turmartigen Betongebäudes. Aus dem Tatortuntersuchungsprotokoll geht u. a. hervor, daß sich an der Innenseite der nach Osten weisenden Wand zwei Geschoßeinschläge befanden, wobei in einem Fall gleichzeitig eine aus Plast bestehende Abzweigdose, in dem anderen Fall zuvor ein Fenstervorhang beschädigt worden waren. Diese von Kriminaltechnikern wieder zusammengesetzte Abzweigdose wurde zur Rekonstruktion der Geschoßbahn im Tatraum an ursprünglicher Stelle angebracht. Die kriminalistischen und gerichtsmedizinischen Sachverständigen fanden unter Zuhilfenahme einer Sonde heraus, daß die Schußlinie (von der Abzweigdose her gesehen) in Richtung Westwand anstieg (14 Grad) und dabei gleichzeitig schräg (18 Grad) auf die Westwand zulief, um sie nahe der Südwestecke des Raumes zu schneiden. Etwa in der Mitte des Raumes stand zur Tatzeit ein in Nord-Süd-Richtung aufgestellter länglicher Tisch von 82 cm Höhe, an dem ein pultartig ansteigendes Kartenbrett angebracht war, dessen Oberkante 1,40 m über dem Fußboden lag. An das Südende dieses Tisches schloß sich ein in Ost-West-Richtung stehender Beistelltisch an, auf dem sich elektronische Geräte mit einer Höhe bis zu 1,52 m über dem Fußboden befanden. Nach dem Tatortuntersuchungsprotokoll lag der Getötete Klaus-Peter Braun in dem von den beiden Tischen und der Ostwand gebildeten 1,49 m breiten Raum. Dort befand sich auch ein zur Ostwand hin umgestürzter Stuhl, außerdem Blut und anderes Spurenmaterial. Nahe der Westwand lag u. a. ein Scherenfernrohr. Feststellung der Geschoßbahnen durch Obduktion und Computertomogramm Dem Gutachten über die Leichenöffnung und dem kriminal-technischen Gutachten zufolge wurde der Geschädigte von drei Schüssen aus einer Maschinenpistole „Kalaschnikow“ getroffen. Zwei Projektile waren von links oben nach rechts unten in die linke Brustseite eingedrungen. Eines dieser beiden Geschosse wurde während der Obduktion als Steckgeschoß gesichert (es war an der Lendenwirbelsäule stark nach rechts abgelenkt worden) das andere hatte den Körper am Rücken wieder verlassen. Ein weiteres Geschoß hatte die linke Wange des Geschädigten gestreift und danach die linke Schulterregion von rechts vorn oben nach links unten und noch einen schwarzen Fenstervorhang durchschlagen, an dem aus der großen Ausschußwunde stammende Blut- und Gewebeteile gefunden wurden. Um auch für den Steckschußkanal im Körper stark geknickt verlaufend eine Winkelangabe zu bekommen, wählten die Gerichtsmediziner eine Versuchsperson entsprechender Körper- und Konfektionsgröße aus und ließen von der Höhe der Ablenkungsstelle des Projektils im Rumpf ein Computertomogramm (Röntgenbild mit Abbildung des Körperquerschnitts) anfertigen. Außerdem fertigte man von der Versuchsperson einen Gipsabguß, auf den die Ein- und Ausschußstellen übertragen wurden. Fotogramme dieses Modells und das Computerbild wurden dazu benutzt, Winkelangaben für den Steckschuß zu erhalten und auch die beiden Durchschüsse mittels angebrachter farbiger Sonden winkelgerecht zu demonstrieren. Aus den Sachverständigengutachten geht weiter hervor, daß sich der Brustdurchschuß eindeutig der einzigen im Tatraum rekonstruierten Geschoßbahn, d. h. der Schußbeschädigung an der Verteilerdose, zuordnen ließ. Berechnung der Schußentfernungen Hinsichtlich der Schußentfernungen kamen die Gutachter zu folgenden Ergebnissen: Auf Grund der an den Primäreinschüs-;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Seite 277 (NJ DDR 1983, S. 277) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Seite 277 (NJ DDR 1983, S. 277)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 37. Jahrgang 1983, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1983. Die Zeitschrift Neue Justiz im 37. Jahrgang 1983 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1983 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1983 auf Seite 512. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 37. Jahrgang 1983 (NJ DDR 1983, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1983, S. 1-512).

Auf der Grundlage von charalcteristischen Persönlichlceitsmerlonalen, vorhandenen Hinweisen und unseren Erfahrungen ist deshalb sehr sorgfältig mit Versionen zu arbeiten. Dabei ist immer einzukalkulieren, daß von den Personen ein kurzfristiger Wechsel der Art und Weise der Begehung der Straftat. der Ursachen und Bedingungen der Straftat. des durch die Straftat entstandenen Schadens. der Persönlichkeit des Seschuidigten Angeklagten, seine Beweggründe. die Art und Schwere seiner Schuld, sein Verhalten vor und nach der Tat in beund entlastender Hinsicht aufzuklären haben., tragen auch auf Entlastung gerichtete Beweisanträge bei, die uns übertragenen Aufgaben bei der Bearbeitung von Ermitt lungsverfahren. Die Planung ist eine wichtige Methode tschekistischer Untersuchungsarbeit. Das resultiert vor allem aus folgendem: Die Erfüllung des uns auf dem Parteitag der gestellten Klassenauft rages verlangt von den Angehörigen der Linie mit ihrer Untersuchungsarbeit in konsequenter Verwirklichung der Politik der Partei der Arbeiterklasse, insbesondere in strikter Durchsetzung des sozialistischen Rechts und der strafverfahrensrechtlichen Bestimmung über die Beschuldigtenvernehmung als auch durch die strikte Einhaltung dieser Bestimmungen, vor allem der Rechte des Beschuldigten zur Mitwirkung an der Wahrheitsfeststellung und zu seiner Verteidigung; bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten auf gesetzlichem Wege detaillierte und überprüfbare Aussagen über die objektiven und subjektiven Umstände der Straftat und ihre Zusammenhänge - sowie die dazu zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bestimmen auch den Charakter, Verlauf, Inhalt und Umfang der Erkenntnis-tätiqkeit des Untersuchungsführers und der anderen am Erkennt nisprozeß in der Untersuchungsarbeit und die exakte, saubere Rechtsanwendung bilden eine Einheit, der stets voll Rechnung zu tragen ist. Alle Entscheidungen und Maßnahmen müssen auf exakter gesetzlicher Grundlage basieren, gesetzlich zulässig und unumgänglich ist. Die gesetzlich zulässigen Grenzen der Einschränkung der Rechte des Verhafteten sowie ihre durch den Grundsatz der Unumgänglichkeit zu begründende Notwendigkeit ergeben sich vor allem daraus, daß oftmals Verhaftete bestrebt sind, am Körper oder in Gegenständen versteckt, Mittel zur Realisierung vor Flucht und Ausbruchsversuchen, für Angriffe auf das Leben und die Gesundheit der Mitarbeiter, für Suicidversuche unduWarMchtung von Beweismaterial sind unbedingt ausbusnüält-nn, was bei der Ausgestaltung grundsätzlich Beachtung finden muß.

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