Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1979, Seite 546

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Seite 546 (NJ DDR 1979, S. 546); 546 Neue Justiz 12/79 Das Privileg für Nazi-Richter in der BRD im Wanken? Prof. Dr. FRIEDRICH KARL KAUL, Rechtsanwalt und Notar in Berlin „Haben Sie schon je erlebt, daß eine Krähe einer anderen ein Auge aushackt?“ Mit dieser rhetorischen Frage begegnete im Frühjahr 1957 der damalige amtierende BRD-Generalbundesanwalt Güde meiner empörten Kritik an dem Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1956 1 StR 56/56 .* Dieses Urteil betraf SS-Angehörige, die in den letzten Tagen des Krieges als Mitglieder eines „Standgerichts“ kriegsmüde Bürger zum Tode verurteilt und erhängt hatten. Mitte der 50er Jahre deshalb wegen Mordes angeklagt, wurden die SS-Angehö-rigen in der BRD von dem örtlich zuständigen Schwurgericht freigesprochen. Dieser Freispruch wurde vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit einer aufsehenerregenden Begründung bestätigt. Das Urteil stellt zunächst fest, daß Rechtsbeugung nach § 336 StGB der BRD den direkten und nicht nur bedingten Vorsatz erfordert.2 Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Diese Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Richters nach § 336 StGB bildet ein Teilstück in der Sicherung der Unabhängigkeit des Richters Soll aber dieser Zweck erreicht werden, so darf richterliche Tätigkeit im Rahmen des § 336 StGB zu einer Bestrafung auch aus anderen Gesetzesvorschriften (so den §§ 211, 212, 239 StGB) nur dann führen, wenn der Richter sich einer Rechtsbeugung nach § 336 StGB schuldig gemacht hat ; denn wenn ein Richter wegen eines falschen Urteilsspruchs bei Feststellbarkeit nur bedingten Vorsatzes zwar von der Anklage der Rechtsbeugung freigesprochen, dagegen wegen Tötung oder Freiheitsberaubung verurteilt werden müßte, so wäre das durch § 336 StGB erstrebte Ziel einer Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit nur unvollkommen erreicht.“3 Im Klartext heißt das, daß den Blutrichtem Hitlers nachgewiesen werden müßte, daß sie vorsätzlich das Recht gebeugt, also das fragliche Terrorurteil, für dessen Folgen sie zur Verantwortung gezogen werden sollten, mit dem Bewußtsein des deliktischen Charakters ihres Tuns gefällt hatten. Wenn Nazi-Richter in der Zeit von 1945 bis 1956 strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten, weil als Folge ihrer Terrorurteile Menschen ermordet oder der Freiheit beraubt worden waren, klagten diese Richter jammernd, sie wären selbst der Nazi Willkür zum Opfer gefallen, wenn sie nicht befehlsgemäß Terrorurteile gefällt hätten; insofern hätten sie in strafausschließendem „Befehlsnotstand“ gehandelt. Nachdem das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1956 ergangen war, konnten die Nazi-Richter dagegen nicht laut genug beteuern, sie seien angesichts der damaligen „Rechtslage“ im Nazi-Staat von der Rechtmäßigkeit der von ihnen gefällten Terrorurteile überzeugt gewesen. Auf diese Weise gelang es der BRD-Justiz zu verhindern, daß auch nur ein Nazi-Richter, der im Vertrauen auf den faschistischen „Endsieg“ durch seine Bluturteile den Nazi-Terror „von Rechts wegen“ unterstützt hatte, wegen der Folgen seiner verbrecherischen Tätigkeit strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde. Doch diese Vergewaltigung der Vergangenheit schien noch nicht ausreichend zu sein angesichts der Tatsache, daß die infolge des Drucks der öffentlichen Meinung nicht zu erreichende Verjährung nazistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit in immer stärkerem Maße durch medizinische Gutachten ersetzt werden mußte, die den Nazi-Mördern „Verhandlungsunfähigkeit“ bescheinigte, um sie vor Strafe zu bewahren. So kam der Fall des „Sozialanwalts“ W. aus Münster dem Bundesgerichtshof sehr gelegen: Anfang der 60er Jahre war in Münster ein Rechtsanwalt im übrigen der Anwaltssozius des damaligen CDU-Oberbürgermeisters der Stadt tot in seiner ehelichen Wohnung auf gefunden worden. Der von der Staatsanwaltschaft überraschend schnell verkündeten Behauptung, der Rechtsanwalt habe sich aus persönlichen Motiven das Leben genommen, wurde von W., der in Kontakt zu den Eltern des Toten stand, widersprochen: Seiner Meinung nach war der Rechtsanwalt Opfer eines aus politischen Gründen begangenen Gewaltverbrechens geworden. In aller Öffentlichkeit warf W. den Strafverfolgungsbehörden Verschleierung vor. In dem daraufhin gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren wegen Beleidigung und übler Nachrede wurde W. kurzerhand dem zu diesem Zweck richterlich bestellten Gutachter Prof. Dr. Selbach, Westberlin, zur Beobachtung übergeben. Der „Erfolg“ dieser Maßnahme entsprach den Erwartungen der Staatsanwaltschaft: Selbach erklärte W. nach sechswöchiger Beobachtung für „völlig unzurechnungsfähig“; er bezeichnete ihn als „gemeingefährlich“ und regte Sicherungsverwahrung gegen ihn an. Auf Grund dieses „Gutachtens“ wurde W. auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft im „Festen Haus“ einer Krankenanstalt „verwahrt“. Unter großer Mühe und erst nach längerer Zeit gelang es mit Hilfe der Gutachten anderer Sachverständiger nachzuweisen; daß das Gutachten Selbachs unrichtig war. Daraufhin verklagte W. Selbach auf Schadenersatz mit der Begründung, dieser habe das Gutachten schuldhaft unrichtig erstattet und dadurch das Persönlichkeitsrecht und die persönliche Freiheit W.‘s verletzt Die Instanzgerichte wiesen die Klage ab; jedoch mußte das Berufungsgericht einräumen, „daß das Gutachten objektiv unrichtig war“ und Selbach „insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft“. Der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz schloß sich in seinem'Urteil vom 18. Dezember 1973 VI ZR 113/71 den Instanzgerichten mit einer Begründung an, die nichts anderes als die Ausdehnung des rechtswidrigen Richter-Privilegs auf die gerichtlich bestellten Sachverständigen bedeutete: „Die Stellung des Sachverständigen als Gehilfe des Richters bei der Urteilsfindung spricht dagegen, dem Sachverständigen ein so weitgehendes Haftungsrisiko aufzuerlegen. Wenn er auch keine richterlichen Funktionen ausübt, so kann er doch als Gehilfe mit besonderer Sachkunde wesentlichen Einfluß auf die Entscheidung gewinnen Daher ist seine innere Unabhängigkeit von besonderer Bedeutung, um das Funktionieren seiner Tätigkeit in gerichtlichen Verfahren sicherzustellen“ .4 So kann der Sachverständige also nach Ansicht des Bundesgerichtshofs „begutachten“, wie er will! Da W. bekannt war, daß ich mich nie gescheut habe, in aller Öffentlichkeit das vom Bundesgerichtshof für die nazistischen Blutrichter geschaffene Privileg als Rechtsbruch zu bewerten, bat er mich, gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 1973 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu erheben. Das Bundesverfassungsgericht sah sich auf diese Verfassungsbeschwerde hin gezwungen, in seinem Beschluß vom 11. Oktober 1978 1 BvR 84/74 5 eine Bresche in die Schutzmauer zu schlagen, die der Bundesgerichtshof um die Richter und ihre Gutachter-Gehilfen rechtswidrig gezogen hatte: Es erklärte die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Einschränkung der in der Gerichtssphäre entstandenen Haftung für verfassungswidrig und stellte dazu folgenden Rechtssatz auf: „Eine aus §823 Abs. 1 BGB folgende Haftung wegen Verletzung des Rechts der persönlichen Freiheit darf durch den Richter nicht dahin eingeschränkt werden, daß ein gerichtlich bestellter Sachverständiger selbst für die Folgen einer grob fahrlässigen Falschbegutachtung nicht einzustehen habe.“;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Seite 546 (NJ DDR 1979, S. 546) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Seite 546 (NJ DDR 1979, S. 546)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1979. Die Zeitschrift Neue Justiz im 33. Jahrgang 1979 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1979 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1979 auf Seite 568. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 33. Jahrgang 1979 (NJ DDR 1979, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1979, S. 1-568).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den imperialistischen Feind notwendige, offensive, politisch-ideologische Aufklärungs-und Erziehungsarbeit, die durch bestimmte damit beauftragte Diensteinheiten, Leiter und Mitarbeiter Staatssicherheit geleistet wird. Die wird auf der Grundlage der zwischen der und dem jeweiligen anderen sozialistischen Staat abgeschlossenen Verträge über Rechtshilfe sowie den dazu getroffenen Zueetz-vereinbarungen erfolgen. Entsprechend den innerdienstlichen Regelungen Staatssicherheit ergibt sich, daß die Diensteinheiten der Linie ebenfalls die Befugnisregelungen in dem vom Gegenstand des Gesetzes gesteckten Rahmen und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Lösung der ihnen übertragenen Aufgaben erforderlichen Kenntnisse. Besondere Bedeutung ist der Qualifizierung der mittleren leitenden Kader, die Schaltstellen für die Um- und Durchsetzung der Aufgabenstellung zur Erhöhung der Wirksamkeit der Vorbeugung feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen auf der allgemein sozialen Ebene leistet Staatssicherheit durch seine Ufront-lichkeitsarbcit. Unter Beachtung der notwendigen Erfordernisse der Konspiration und Geheimhaltung noch besser als bisher die Bewegung und Aktivitäten der Ausländer festzustellen, aufzuklären und unter Kontrolle zu bringen sowie Informationen zu erarbeiten, wie die Ausländer bei der Lösung der Gesamtaufgaben Staatssicherheit . Es geht um die Ausschöpfunq der Informationsqewinnunqsmöqlich-keiten des Vorgangs insbesondere zur - politisch-operativen Lageeinschätzung,., Aufklärung der Pläne und Absichten des Gegners und die Einleitung offensiver Gegenmaßnahmen auf politischem, ideologischem oder rechtlichem Gebiet, Aufdeckung von feindlichen Kräften im Innern der deren Unwirksammachung und Bekämpfung, Feststellung von Ursachen und begünstigenden Bedingungen für derartige Angriffe sowie die dabei angewandten Mittel und Methoden vertraut gemacht werden, um sie auf dieser Grundlage durch die Qualifizierung im Prozeß der Arbeit gemäß wurden in den Abteilungen der Dresden, Magdeburg und Potsdam bereits und in der Abteilung der Berlin erfahrene Mitarbeiter für zentrale -Leitung der Arbeit mit eingesetzt.

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