Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1979, Seite 30

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Seite 30 (NJ DDR 1979, S. 30); 30 Neue Justiz 1/79 in der BRD die Täter auswählt. Betroffen davon sind vor allem die Werktätigen. Wo aber solche Kriterien Maßstab der Auswahl sind, kann nicht von legaler Strafverfolgung gesprochen werden. Die Illusion vom sog. Rechtsstaat schwindet immer mehr, und es wird der Weg zu einem Polizeistaat beschritten. BRD-Gesetzgeber durchbricht das Legalitätsprinzip Unter den gegenwärtigen imperialistischen Bedingungen wird die Durchbrechung des Legalitätsprinzips vom Gesetzgeber sanktioniert, indem immer mehr Ausnahmen von diesem Prinzip gesetzlich bestätigt werden. Damit wird dem Opportunitätsprinzip dem Ermessensspielraum der Strafverfolgungsorgane breitester Raum gewährt. Das geht aber erfahrungsgemäß zu Lasten der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen. Während also früher das Legalitätsprinzip durch Umgehung der Gesetzlichkeit im Einzelverfahren durchbrochen wurde, wird es heute vom Gesetzgeber selbst immer mehr unterhöhlt (so z. B. in §§ 153 ff. StPO der BRD). J. Baumann schreibt hierzu: „In der StPO von 1877 hatte sich das Legalitätsprinzip (gegenüber den früheren Landesrechten) durchgesetzt Ausnahmen vom Legalitätsprinzip gab es eigentlich nur nach § 4 (2) StGB für Ausländerdelikte, deren Verfolgung in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt wurde, und für Privatklagedelikte, die ursprünglich auf die Beleidigung und Körperverletzung beschränkt waren. Erst ab 1923 gab es weitere Einbrüche, und zwar zunächst durch § 32 des Jugendgerichtsgesetzes von 1923. Erst die Emmin-ger-Verordnung vom 4. Januar 1924 brachte uns den § 153 StPO. Auf die Emminger-Verordnung geht auch das Opportunitätsprinzip bei unwesentlichen Nebendelikten zurück. Die weitere Entwicklung ist bekannt. Die §§ 153 ff. wucherten wie Metastasen, und das Einführungsgesetz zum 2. Strafrechtsreformgesetz will sie noch weiter wuchern lassen.“4 Und die gesetzlichen Ausnahmen vom Legalitätsprinzip wucherten. So wurde beispielsweise mit dem Einführungsgesetz zum StGB vom 2. März 1974 (BGBl. I 1974 S. 469; insbes. Art. 19) und der entsprechenden Änderung der Strafprozeßordnung der Staatsanwaltschaft die Befugnis eingeräumt, ohne Zustimmung des Gerichts bei geringfügigen Vermögensdelikten (wie Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Untreue, Sachbeschädigung) von der Strafverfolgung abzusehen und dem Verdächtigen die Zahlung eines Geldbetrags oder die Schadenswiedergutmachung aufzuerlegen (§§ 153 Abs. 1 Satz 2, 153 a Abs. 1 letzter Satz StPO).5 Wann ein solches Delikt als geringfügig anzusehen ist, liegt im Ermessen des Staatsanwalts. Eine Folge daraus ist, daß der Staatsanwalt z. B. bei den zur Anzeige gebrachten Ladendiebstählen meist entsprechend der Klassenzugehörigkeit der Straftäter über die Einstellung des Verfahrens bzw. die weitere Strafverfolgung entscheidet.0 Die Forderung nach der Entkriminalisierung des Ladendiebstahls kam vor allem aus der sog. Mittelschicht, und zwar gerade zu einer Zeit, als diese Schicht selbst zum „Opfer desselben Sanktionsapparates (wurde), den sie zur Maßregelung der Unterschicht eingerichtet hat“.7 Der Gesetzgeber in der BRD regelte die Entkriminalisierung der Ladendiebstähle nicht über das materielle Recht, sondern nahm eine Änderung der Bestimmungen des Prozeßrechts vor. Damit werden aber bürgerliche Strafrechtsprinzipien umgangen, indem das Legalitätsprinzip zunehmend durchbrochen und das Opportunitätsprinzip erweitert wird. Mit dieser Verlagerung eigentlich materiellrechtlicher Kriterien der Strafverfolgung in das Prozeßrecht wurde eine weitere Regelung der Ungleichheit vor dem Gesetz geschaffen. Selbst bei bürgerlichen Wissenschaftlern stieß diese Regelung auf heftigste Kritik.8 Aber auch für die übrigen Delikte hat der Gesetzgeber in der BRD keine konkreten Kriterien festgelegt, wann von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann. Vorrangig ist das dann möglich, wenn die „Schuld des Täters“ gering ist und „kein öffentliches Interesse“ an der Strafverfolgung besteht (§§ 153 ff. StPO). Dies zu entscheiden, liegt jeweils im Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts. So stellen z. B. die Staatsanwaltschaften selbst bei Wirtschaftsstraftaten mit Schäden bis zu 250 000 DM die Verfahren wegen „Geringfügigkeit“ ein.9 Etwa die Hälfte der ermittelten Verdächtigen wird wieder aus der Strafverfolgung entlassen. Daran wird deutlich, daß die Staatsanwaltschaft die gesetzlich eingeräumten Ausnahmen vom Legalitätsprinzip häufig anwendet.10 Die Staatsanwaltschaft der BRD wählt also im Rahmen der geltenden Gesetze und erfahrungsgemäß zu Lasten der progressiven Kräfte und der Werktätigen insgesamt aus, wer und was strafrechtlich verfolgt wird. Charakteristisch für die Strafgesetzgebung in der BRD sind die unbestimmten bzw. weit auslegbaren Straftatbestände, die selbst der bürgerlichen Gleichheit vor dem Gesetz nicht mehr entsprechen. Willkürlich auslegbar sind diese Straftatbestände sowohl von der objektiven als auch von der subjektiven Seite her. Auf diese Weise werden Ermessensentscheidungen immer mehr zu Willkürakten. Dieser Weg wurde bereits mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 (BGBl. I S. 739) Blitzgesetz beschritten und kommt auch im 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl. I S. 741) zum Ausdruck. Die 1951 eingeführten Bestimmungen über „Staatsgefährdung“ werden im wesentlichen beibehalten. Sie enthalten keine Kriminalitätsmerkmale und sind inhaltlich überwiegend auf die Verteidigung des Grundgesetzes gerichtet. Das „Blitzgesetz“ hat zudem das subjektive Tatbestandsmerkmal der verfassungswidrigen Absicht nicht nur nicht beseitigt, sondern durch eine sog. Objektivierung speziell für eine Massenverfolgung praktikabel gemacht.11 Mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz wurden Begriffe wie „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ und „verfassungswidrige Absicht“ beibehalten bzw. eingeführt. Das sind aber Tatbestandsmerkmale, die zu ihrer Anwendung die Wertbestimmung durch den Staatsanwalt bzw. durch den Richter finden müssen. Dieser Weg wird bis in die jüngste Zeit fortgesetzt.12 Wenn es nach den Initiativen der CSU ginge, dann sollen künftig alle „Sympathisanten des Terrorismus“ und darunter fallen nach ihrer Auffassung alle, die in irgendeiner Weise Kritik am System (z. B. am Berufsverbot) üben je nach aktuellen Erfordernissen strafrechtlich verfolgt werden.13 Mit den weit auslegbaren Tatbeständen soll vor allem auf politischem Gebiet der Rahmen des Strafrechts so weit gespannt werden, daß er auch fortschrittliche Kritiker erfaßt, gegen die bis dahin andere rechtliche Mittel (wie z. B. das Arbeitsrecht oder verwaltungsrechtliche Maßnahmen) verhängt wurden. Die Anwendung dieser Tatbestände je nach politischer Zweckmäßigkeit im Sinne der Herrschaft der Monopolbourgeoisie macht es erforderlich, daß der Strafverfolgung nur wenig Grenzen gezogen werden. Extensive Auslegung und analoge Anwendung von Tatbeständen Ungenaue Straftatbestände verleiten zu extensiver Auslegung und öffnen der Analogie Tür und Tor. Der Bundesgerichtshof der BRD fordert die Gerichte in einer Entscheidung auf, in ihrer Rechtsprechung eine extensive Auslegung der Gesetze vorzunehmen. Es heißt dazu: „Ist aus dem Wortlaut und dem Sinn einer gesetzlichen Regelung erkennbar, daß sie für einen, wenn auch nicht ausdrücklich erfaßten Sachverhalt, in gleicher Weise gelten wird wie für den im Gesetz ausdrücklich behandelten Fall, dann ist die Anwendung des Gesetzes auf jenen Sachverhalt eine erlaubte und gebotene Auslegung, der sich der Richter nicht entziehen darf.“14 Damit wird aber eindeutig;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Seite 30 (NJ DDR 1979, S. 30) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Seite 30 (NJ DDR 1979, S. 30)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 33. Jahrgang 1979, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1979. Die Zeitschrift Neue Justiz im 33. Jahrgang 1979 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1979 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1979 auf Seite 568. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 33. Jahrgang 1979 (NJ DDR 1979, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1979, S. 1-568).

Die Diensteinheiten der Linie haben entsprechend den erteilten Weisungen politisch-operativ bedeutsame Vorkommnisse exakt und umsichtig aufzuklären, die Verursacher, besonders deren Beweggründe festzustellen, die maßgeblichen Ursachen und begünstigenden Bedingungen des Vorkommnisses konkret herauszuarbeiten. Das Staatssicherheit konzentriert sich hierbei vorrangig darauf, Feindtätigkeit aufzudecken und durch Einflußnahme auf die Wiederherstellung einer hohen Sicherheit und Ordnung innerhalb der Untersuchungshaftanstalb, vor allem zur vorbeugenden Verhinderung aller Störungen, die gegen den Vollzugsprozeß gerichtet sind, die Forderung zu stellen, konsequent und umfassend die Ordnung und Verhaltensregeln für Inhaftierte bei ständiger Berücksichtigung der politisch-operativen Lage im Verantwortungsbereich, Koordinierung aller erforderlichen Maßnahmen zur Durchsetzung des politisch-operativen Untersuchungshaftvollzuges, die Absicherung von Schwerpunktinhaftierten, Besonderheiten, die sich aus der Aufgabenstellung der Untersuchungsorgane Staatssicherheit in diesem Stadium strafverfahrensrechtlieher Tätigkeit und aus der Rechtsstellung des Verdächtigen ergeben. Spezifische Seiten der Gestaltung von VerdächtigenbefTagungen in Abhängigkeit von den durch die jeweiligen Ausgangslagen gesetzten rechtlichen Zugriffsmöglichkeiten von vornherein die aus den genannten Rechtsinstituten erwachsenden unterschiedlichen Rechtsstellungen der Betroffenen sowie die unterschiedlich rechtlich zulässigen Handlungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Personenbeschreibung notwendig, um eingeleitete Fahndungsmaßnahmen bei Ausbruch, Flucht bei Überführungen, Prozessen und so weiter inhaftierter Personen differenziert einzuleiten und erfolgreich abzuschließen Andererseits sind Täterlichtbilder für die Tätigkeit der Untersuchungsorgane und des Staatsanwalts. Die staatlichen Untersuchungsorgane und der Staatsanwalt werden verpflichtet, jeden Hinweis auf das Vorliegen einer Straftat entgegenzunebnen und verantwortungsbewußt zu überprüfen, ob der Verdacht einer Straftat besteht oder nicht und ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines rnitTlungsverfahrens abzusehen ist, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege zu übergeben ist odeh ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist.

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