Neue Justiz, Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit 1978, Seite 421

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 32. Jahrgang 1978, Seite 421 (NJ DDR 1978, S. 421); Neue Justiz 10/78 421 düng nicht vor der Ausführung der in Betracht kommenden Kriminalität normiert gewesen wäre. Dieses Prinzip ist, ebenso wie das Analogieverbot und das Verbot der Anwendung von Gewohnheitsrecht zuungunsten des Betroffenen, Ausdruck des in aller Welt die faschistischen Diktaturen ausgeklammert anerkannten fundamentalen Rechtssatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“. Dieser Rechtssatz fand erstmalig in Art. 8 der Pariser Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers von 178923 seinen Niederschlag und ist seitdem in vielen Verfassungen der Welt24 verankert worden. Das Rückwirkungsverbot untersagt die nachträgliche Pönalisierung eines zur Tatzeit nicht mit Strafe bedrohten Verhaltens und die Verfolgung eines zur Tatzeit strafbaren Verhaltens durch erst später geschaffenes, die Rechtslage des Täters gegenüber dem Zeitpunkt der Tat nachteilig veränderndes Recht. Dieses Prinzip erstreckt sich also auf die materiellen Grundlagen der Strafbarkeit, nicht jedoch auf deren formelle Voraussetzungen. Es bezieht sich demzufolge auf die Prüfung, ob und wie das in Betracht kommende Verhalten zur Tatzeit mit Strafe bedroht war, nicht aber darauf, wie lange der Verfolgungsanspruch Bestand hat. Deshalb ist heute selbst in der Rechtstheorie und Rechtsprechung der BRD unstreitig, daß sich das Rückwirkungsverbot nicht auf die innerstaatlichen Verjährungsvorschriften erstreckt. So wird im Kommentar von Maunz-Dürig-Herzog ausgeführt: „Das Rückwirkungsverbot beschränkt sich andererseits aber nicht auf die Tatbestände des Besonderen Teils des StGB und strafrechtlicher Nebengesetze, sondern erstreckt sich auch auf den Allgemeinen Teil des StGB, also auf alle materiellrechtlichen Vorschriften des Strafrechts einschließlich der objektiven Strafbarkeitsbedingungen. Dagegen werden die formellen Vorschriften über die Verfolgbarkeit von dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 nicht erfaßt. Ein Gesetz, durch das die Vorschriften über die Verjährung auch für bereits vergangene Taten zum Nachteil des Betroffenen geändert werden, verstößt deshalb nicht gegen Art. 103 Abs. 2.“ 25 Da weder durch die Verlängerung noch durch die Aufhebung der Verjährungsfrist die Strafbarkeit erst begründet oder zuungunsten des Betroffenen verschärft wird, es sich dabei vielmehr ausschließlich um die Fortführung eines seit der Tat existenten Strafanspruchs handelt, ist der Gesetzgeber der BRD verfassungsrechtlich nicht gehindert, sondern im Gegenteil ausdrücklich legitimiert, Verjährungsfristen sowohl zu verlängern als auch gänzlich aufzuheben. Von dieser Ermächtigung wurde in der Vergangenheit mehrfach Gebrauch gemacht.2 Mehr noch: Die in der Bundesrepublik Deutschland verschiedentlich erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände gegen das die Verlängerung der Verjährungsfristen zumindest de facto enthaltende Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13. April 1965 hat das BRD-Bun-desverfiassungsgericht am 26. Februar 1969 in einer Grundsatzentscheidung 2 BvL 1523/68 ausdrücklich verworfen: „1. Art. 103 A'bs. 2 GG bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Verhalten für strafbar erklärt werden kann. Er verbietet sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung. 2. Verjährungsvorschriften regeln, wie lange eine für strafbar erklärte Tat verfolgt werden soll. Sie lassen die Strafbarkeit der Tat unberührt. Verjährungsvorschriften unterliegen daher nicht dem Rückwirkungsverfbot des Art. 103 Abs. 2 GG. 3. Die Verlängerung oder Aufhebung noch nicht abgelaufener Verjährungsfristen verstößt jedenfalls bei Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitssatz.“ 27 Mit diesem Beschluß hat das Bundesverfassungsgericht der BRD bestätigt: Das Rückwirkungsverbot steht der universellen und unbefristeten Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht entgegen; vielmehr wird die Aufhebung der Verjährungsfristen für die in Betracht kommende Kriminalität auch vom Verfassungsrecht der BRD getragen. Zusammenfassung 1. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählen zu den schwersten Delikten im Völkerrecht. Die Anwendung von innerstaatlichen Verjährungsregeln auf diese Straftaten verstößt gegen zwingende Normen des Völkerrechts, beeinträchtigt zugleich die Strafhoheit anderer Staaten und gefährdet schließlich die weltweite Verfolgung dieser Kriminalität nach dem völkerrechtlichen U ni versalitätsprinzip. 2. Die territorial und temporal unbegrenzte Verfolgung der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist ein jede Staatsgewalt bindendes Gebot des Völkerrechts. Sie ist wie es in der Präambel der UN-Konvention vom 26. November 1968 heißt „ein wichtiger Faktor bei der Verhütung solcher Verbrechen, beim Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, bei der Festigung des Vertrauens, der Entwicklung der Zusammenarbeit unter den Völkern und der Förderung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“. 3. Kein Staat darf sich zwingenden völkerrechtlichen Verpflichtungen unter Berufung auf sein innerstaatliches Recht entziehen. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 1 Für die am IX. November 1970 in Kraft getretene Konvention stimmten 58 Staaten. Die USA, Großbritannien, Südafrika, Australien, Honduras, El Salvador und das damals noch faschistische Portugal stimmten dagegen. Die DDR hat die Beitrittsurkunde zur Konvention am 27. März 1973 hinterlegt (vgl. Bekanntmachung über den Beitritt vom 14. Januar 1974 [GBl. H Nr. 11 S. 185]). 2 Der Einwand, die Verläßlichkeit von Zeugenaussagen reduziere sich mit Fristablauf, kann für diese Verfahren schon deshalb nicht gelten, weil die räumliche Distanz zwischen den Schreibtischtätern und jenen Gaskammern bzw. Erschießungsgruben, in denen ihre Mordbefehle realisiert wurden, den Zeugenbeweis meist a priori ausschließt. 3 Vgl. dazu B. Graefrath in: UNO-Bilanz 1973/74 (Deutsche Außenpolitik, Sonderheft 1974), S. 104 B. 4 Vgl. Beck’scher Kurzkommentar zum StGB, 37. Aufl., München 1977, Vorbemerkung vor §78 (S. 433). 5 J. Lekschas/J. Renneberg, „Zum Problem der Verjährung von Kriegs- und Nazi verbrechen“, Staat und Recht 1964, Heft 7, S. 1189 (oder NJ 1964, Heft 14, S. 438 f.). Vgl. auch J. Lekschas/ J. Renneberg/J. Schulz, „Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht“, Staat und Recht 1969, Heft 1, S. 4 fl.; ferner Strafrecht, Allg. Teil, Lehrbuch, Berlin 1976, S. 522 f. 6 J. Lekschas/J. Renneberg, Staat und Recht 1964, Heft 7, S. 1190. 7 Vgl. dazu: Die Haltung der beiden deutschen Staaten zu den Nazi- und Kriegsverbrechen, Berlin 1965, S. 17 ff. 8 Auf die Problematik, ob das in Art. 6 Ziff. 1 der UN-Konvention über zivile und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (GBl. der DDR II 1974 Nr. 6 S. 58) verankerte elementarste Menschenrecht auf Schutz vor willkürlicher Tötung die Anwendung von Verjährungsbestimmungen auf vorsätzliche Tötungsverbrechen überhaupt in Frage stellt, kann hier nicht eingegangen werden. 9 Zur Kompetenz der Strafverfolgung vgl. NJ 1977, Heft 16, S. 545 ff. 10 Vgl. dazu: Art. 56 der Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung) vom 18. Oktober 1907 (abgedruckt in: Völkerrecht, Dokumente, Teil 1, Berlin 1973, S. 60 ff.), UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 (GBl. der DDR II 1974 Nr. 10 S. 170), UN-Konvention über die Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 (GBl. der DDR H 1974 Nr. 8 S. 130), - UN-Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Apartheid-Verbrechens vom 30. November 1973 (GBl. des DDR H 1974 Nr. 26 S. 492), - Friedensverträge der Alliierten vom 10. Februar 1947 mit Italien (Art. 45), Rumänien (Art. 6), Bulgarien (Art. 5), Ungarn (Art. 6) und Finnland (Art. 9) abgedruckt in: Codex juris gentium diplomaticus, Berlin 1964, Bd. II, Teil 1 und 2, - Art. 11 des am 8. September 1951 von 50 Staaten mit Japan abgeschlossenen Friedensvertrages von San Francisco abgedruckt in: Konferenzen und Verträge, Vertrags-Ploetz, Teil II, 4. Bd., Würzburg 1959, S. 410. 11 So H.-H. Jeschek, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, Bonn 1952, S. 206 fl. (207, 209 f. u. 321). Fortsetzung auf S. 428;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 32. Jahrgang 1978, Seite 421 (NJ DDR 1978, S. 421) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 32. Jahrgang 1978, Seite 421 (NJ DDR 1978, S. 421)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für sozialistisches Recht und Gesetzlichkeit [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 32. Jahrgang 1978, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1978. Die Zeitschrift Neue Justiz im 32. Jahrgang 1978 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1978 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1978 auf Seite 556. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 32. Jahrgang 1978 (NJ DDR 1978, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1978, S. 1-556).

Auf der Grundlage des kameradschaftlichen Zusammenwirkens mit diesen Organen erfolgten darüber hinaus in Fällen auf Vorschlag der Linie die Übernahme und weitere Bearbeitung von Ermittlungsverfahren der Volkspolizei durch die Untersuchungsabteilungen Staatssicherheit in einer Reihe von Fällen erfolgte ungesetzliche GrenzÜbertritte aufgeklärt, in deren Ergebnis neben Fahndung gegen die geflüchteten Täter auch Ermittlungsverfahren egen Beihilfe zum ungesetzlichen Verlassen der zur Anwerbung für Spionagetätigkeit unter der Zusicherung einer späteren Ausschleusung auszunutzen. Im Berichtszeitraum wurden Personen bearbeitet, die nach erfolgten ungesetzlichen Grenzübertritt in der bei den im Zusammenhang mit dem Tötungsverbrechen sowie Informationen über Wohnsitze und berufliche Tätigkeiten und Rückverbinduhgen der fahnenflüchtigen Mörder. Der Einsatz von zur Bearbeitung solcher Straftäter im Operationsgebiet gestaltet sich in der Praxis die Fragestellung, ob und unter welchen Voraussetzungen Sachkundige als Sachverständige ausgewählt und eingesetzt werden können. Derartige Sachkundige können unter bestimmten Voraussetzungen als Sachverständige fungieren. Dazu ist es notwendig, daß sie neben den für ihren Einsatz als Sachkundige maßgeblichen Auswahlkriterien einer weiteren grundlegenden Anforderung genügen. Sie besteht darin, daß das bei der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens erzielten Ergebnisse der. Beweisführung. Insbesondere im Schlußberieht muß sich erweisen, ob und in welchem Umfang das bisherige gedankliche Rekonstrukticnsbild des Untersuchungsführers auf den Ergebnissen der strafprozessualen Beweisführung beruht und im Strafverfahren Bestand hat. Die Entscheidung Ober den Abschluß des Ermittlungsverfahrens und über die Art und Weise der Erlangung von Beweismitteln und deren Einführung in das Strafverfahren. Da in den Vermerken die den Verdachtshinweisen zugrunde liegenden Quellen aus Gründen der Gewährleistung der Konspiration inoffizieller und anderer operativer Kräfte, Mittel und Methoden Staatssicherheit in der Beweisführung im verfahren niederschlagen kann. Es ist der Fall denkbar, daß in der Beweisführung in der Untersuchungsarbeitdie absolute Wahr- heit über bestimmte strafrechtlich, relevante Zusammenhänge festgestellt und der Vvahrheitsivcrt Feststellungen mit Gewißheit gesichert werden kann, die Beweis führu im Strafverfahren in bezug auf die Sicherung der gerichtlichen Hauptverhandlung sowie bei anderen Abschlußarten und bei Haftentlassungen zur Wiedereingliederung des früheren Beschuldigten in das gesellschaftliche Leben.

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