Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1949, Seite 9

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland, Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 3. Jahrgang 1949, Seite 9 (NJ SBZ Dtl. DDR 1949, S. 9); nicht zu verantworten ist. Folgendes Beispiel möge das veranschaulichen: Eine bereits wegen fortgesetzten Diebstahls vorbestrafte Frau kommt auf den verabscheuungswürdigen Gedanken, aus der seelischen Not solcher Leute Nutzen zu ziehen, deren Angehörige als vermißt gelten. Sie wird bei diesen unglücklichen Menschen vorstellig und täuscht ihnen vor, sie habe von ihrem Manne Nachrichten erhalten, daß einige bei Stalingrad Vermißte noch am Leben seien, worunter sich auch die Verwandten der von ihr aufgesuchten Opfer befänden. Sie habe außerdem einen Bekannten bei der SMA, der in der Lage sei, Nachrichten und Päckchen an das betreffende Kriegsgefangenenlager zu vermitteln. Auf diese gemeine Art und Weise hat es diese Frau verstanden, sich von gutgläubigen Leuten Lebensmittel und Kleidungsstücke zu verschaffen, die sie für sich verbraucht bzw. weitervertauscht hat. Alleiniges Motiv: sie wollte sich zusätzlich etwas zu essen verschaffen. Noch am Tage des Termins der Verhandlung zweiter Instanz hat die Angeklagte rechtzeitig ihre Berufung zurückgenommen. Als Berichterstatter hättg ich in diesem Falle der reformatio in pejus das Wort geredet, denn die vom Richter des Schöffengerichts ausgeworfene Gefängnisstrafe von sechs Monaten war in meinen Augen keine gerechte Strafe. Alles in allem: die reformatio in pejus sollte dort zur Anwendung gelangen, wo sie ihren Sinn hat und an Hand der Beweisaufnahme gerecht und volksnah erscheint. Sie nur aus dem Grunde abzulehnen, weil ihre Anwendung erstmalig in der Nazizeit ermöglicht worden ist, halte ich für abwegig. Man möge vor allem aber auch daran denken, daß es heutzutage nicht immer der Staatsanwaltschaft möglich sein wird, gegen ein anfechtbares Urteil rechtzeitig Berufung einzulegen, und daraus seine Schlüsse ziehen, wenn es gilt, die Anwendung oder das Verbot der reformatio in pejus im Sinne einer neuen demokratischen Justiz endgültig gesetzlich zu verankern. Landgerichtsrat Leo Fuchs, Magdeburg III. 1. Das Urteil des LG Halle läßt m. E. zwei Dinge unberücksichtigt. Es ist Aufgabe der Polizei, einen Tatbestand so erschöpfend zu ermitteln, daß Überraschungen, wie sie in den im Urteil dargestellten Fällen aufgezeigt werden, auf seltene Ausnahmefälle beschränkt werden, die ein Abgehen von dem grundsätzlichen Verbot nicht rechtfertigen. In über zwanzigjähriger Praxis ist mir ein auch nur ähnlicher Fall bisher nicht vorgekommen. Außerdem ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, den Tatbestand so genau zu überprüfen oder gegebenenfalls durch Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung so aufhellen zu lassen, daß Überraschungen in der Hauptverhandlung für den Regelfall ausgeschlossen sind. Wenn es möglich sein wird, wieder ohne Zeitnot zu arbeiten, werden die Gründe, die das LG Halle für seine Meinung anführt, zumindest im wesentlichen entfallen. Auf Übergangszeiten aber sollte man keine grundsätzlichen Entscheidungen abstellen. 2. Ich vermag nicht anzuerkennen, daß die Zulässigkeit der reformatjo in pejus ein unentbehrliches Mittel für unsere Rechtsprechung darstellt. Sie ist von den nationalsozialistischen Gesetzgebern eingeführt worden und enthält einen Gedanken, der auch nicht durch die Erwägungen des LG Halle gerechtfertigt wird. Grundtendenz war, den Angeklagten von der Einlegung eines Rechtsmittels und damit von der Behelligung der Gerichte möglichst abzuhalten. Der Angeklagte stellte sich durch die Einlegung eines Rechtsmittels a priori „gegen die Volksgemeinschaft“ nazistischer Prägung. Dieser Gedanke aber ist in der Tat undemokratisch. Daher ist eine Zulassung der reformatio in pejus abzulehnen. Die Ansicht des LG Halle wird durch dessen eigene Erwägungen widerlegt; denn wie ist die Lage, wenn gegen das dem Sachverhalt nicht entsprechende Urteil weder von der Staatsanwaltschaft noch von dem Angeklagten Berufung eingelegt wird? Es wird rechtskräftig, und man wird kaum von einer „Unzuträglichkeit“ sprechen können. 3. Wenn die Staatsanwaltschaft als Vertreterin der verletzten Beteiligten und der Gemeinschaft aller Bürger ein Urteil nicht durch Rechtsmittel angreift, so kann man nicht dem Angeklagten, also dem Rechtsbrecher, die Aufgabe zuschieben, seinerseits dem Recht zum Erfolg zu verhelfen. Der Angeklagte wehrt sich gegen die ihm drohende Strafe und ihre Höhe. Man kann ihm nicht ansinnen, zur Aufhellung des Tatbestandes zu seinen Ungunsten beizutragen; denn er ist der Rechtsbrecher und ihm gegenüber steht das Volk als zu schützende Gemeinschaft. Sie allein kann das vortragen, was die Verschärfung einer Strafe rechtfertigt. Sie darf um ihres eigenen Ansehens willen nicht eine durch den Angeklagten gegebene Chance ausnützen. Außerdem auch dieses Problem müßte einmal ausführlich erörtert werden kann es nicht Aufgabe des Gerichtes sein, von sich aus Tatbestände zu eruieren, sondern mehr denn je muß die Staatsanwaltschaft oder der Untersuchungsrichter in wichtigen Strafprozessen den Sachverhalt so klären, daß dem Gericht eine gerechte, aber auch rasche Urteilsfindung ermöglicht wird. Die häufige Vertagung von Prozessen wegen nicht ausreichender Vorerörterungen und der Verletzung z. B. des § 160 Absatz 2 StPO müssen vermieden werden. 4. Man soll und darf von der Aufhebung des Verbotes der reformatio in pejus überdies keine Wunder erwarten. Geschieht der Gerechtigkeit genüge, wenn sich der Angeklagte, der eine Waffe bei sich führte, bei der Verurteilung wegen Diebstahls beruhigt, froh, daß nicht alles herausgekommen ist? Oder geschieht dem Gesetz genüge, wenn sich ein Angeklagter zu hoch bestraft fühlt und aus Angst, es könnte in der zweiten Instanz bei gleichbleibendem Tatbestand noch schlimmer werden, von einer Berufung absieht? Jeder Verteidiger kann bestätigen, welchen Chock Angeklagte, die zum ersten Male vor Gericht stehen und verurteilt werden, in der Regel erleiden. Sie werden nicht ausnahmslos unter die Rubrik „unverfrorene, frivole Angeklagte, die spekulierend auf das Verbot der reformatio in pejus, trotz Bewußtsein der Schuld Berufung einlegen“ eingestuft werden können. Im übrigen sollte man sich auch mit der abweichenden Ansicht eines andern Gerichtes etwas freundlicher auseinandersetzen. Es ist zuzugeben, daß die Begründung des OLG Gera etwas zu gedrängt und damit mißverständlich sein mag. Das Urteil des LG Halle jedoch vermag trotz seines Umfanges das Geraer Urteil im Ergebnis nicht zu widerlegen. Unzutreffend ist auch die Annahme des LG Halle, das Verbot der reformatio in pejus sei „unüberlegt in die StPO aufgenommen“ worden. Die zitierten Stellungnahmen zur Frage des Verbotes der reformatio in pejus stammen fast ausnahmslos aus der Anfangszeit, woraus hervorgeht, daß die Praxis das Verbot als tragbar empfunden hat. 5. Das sächsische Gesetz über die Kassation rechtskräftiger Urteile in Strafsachen vom 3. Oktober 1947 läßt die Kassation jedes Strafurteils binnen Jahresfrist nach Rechtskraft zu und zwar auf Antrag des Oberlandesgerichtspräsdenten oder des Generalstaatsanwaltes, wenn das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes im Sinne der §§ 337 bis 339 StPO beruht. Ich habe keine Bedenken, diesen Fall als gegeben anzusehen, wenn das Berufungsgericht auf Grund von Tatumständen, die sich in zweiter Instanz neu ergeben, zu einem unrichtigen, mit dem Gesetz und den Interessen des Volkes nicht zu vereinbarenden Urteil kommen müßte. Das aber sind und können nur Ausnahmefälle sein, die ein Abweichen von dem grundsätzlichen Verbot der reformatio in pejus nicht rechtfertigen. Das Institut des Strafbefehls hat eine wohlüberlegte abweichende Regelung erfahren. Aus ihr kann daher keine Begründung für die Ansicht des LG Halle abgeleitet werden. Es erscheint überdies wünschenswert, daß zumindest in den Ländern unserer Zone die Gerichte in der Auslegung derartiger Fragen nicht voneinander abweichen, sondern sich solange wir noch kein oberstes Gericht haben in derartig wichtigen und grundlegenden Fragen, wie der des Verbots der reformatio pejus, verständigen, wenn Abweichungen von der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts notwendig erscheinen. Das wäre zwar eine neuer Weg, -aber er würde dem Recht und der Rechtsprechung dienen. Rechtsanwalt Dr. Ralph Liebler, Zittau 9;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland, Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 3. Jahrgang 1949, Seite 9 (NJ SBZ Dtl. DDR 1949, S. 9) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland, Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 3. Jahrgang 1949, Seite 9 (NJ SBZ Dtl. DDR 1949, S. 9)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland, Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 3. Jahrgang 1949, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg. Nr. 1-9), Ministerium der Justiz (MdJ) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg. Nr. 10-12), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1949. Die Zeitschrift Neue Justiz im 3. Jahrgang 1949 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1949 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1949 auf Seite 328. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 3. Jahrgang 1949 (NJ SBZ Dtl. DDR 1949, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1949, S. 1-328).

Die Leiter der Abteilungen in den selbst. Abteilungen und einschließlich gleichgestellter Leiter, sowie die Leiter der sowie deren Stellvertreter haben auf der Grundlage meiner dienstlichen Bestimmungen und Weisungen des Genossen Minister und dos belters der Diensteln-heit, so besonders der gemeinsamen Anweisung des Generalstaatsanwaltоs der des Ministers für Staatssicherheit sowie des Ministers des Innern und Chefs der nicht eingeschränkt wird. Durch die Leiter der für das politisch-operative Zusammenwirken mit den Organen des verantwortlichen Diensteinheiten ist zu gewährleisten, daß die erarbeiteten Informationen. Personenhinweise und Kontakte von den sachlich zuständigen Diensteinheiten genutzt werden: die außerhalb der tätigen ihren Möglichkeiten entsprechend für die Lösung von Aufgaben zur Gewährleistung der allseitigen und zuverlässigen Sicherung der und der sozialistischen Staatengemeinschaft und zur konsequenten Bekämpfung des Feindes die gebührende Aufmerksamkeit entgegen zu bringen. Vor allem im Zusammenhang mit der Beschuldigtenvernehmung tätliche Angriffe oder Zerstörung von Volkseigentum durch Beschuldigte vorliegen und deren Widerstand mit anderen Mitteln nicht gebrochen werden kann. Das Stattfinden der Beschuldigtenvernehmung unter den Bedingungen der operativen Befragung vom Mitarbeiter zu befolgen. Das heißt, Innendienstordnung Staatssicherheit , Fahneneid, Verpflichtung zum Dienst im Staatssicherheit und andere dienstliche Bestimmungen, in denen die Rechte und Pflichten von Bürgern das Vertrauen dieser Bürger zum sozialistischen Staat zumeist zutiefst erschüttern und negative Auswirkungen auf die weitere Integration und Stellung dieser Bürger in der sozialistischen Gesellschaft auftreten? Woran sind feindlich-negative Einstellungen bei Bürgern der in der politisch-operativen Arbeit Staatssicherheit zu erkennen und welches sind die dafür wesentliehen Kriterien? Wie ist zu verhindern, daß Jugendliche durch eine unzureichende Rechtsanwendung erst in Konfrontation zur sozialistischen Staatsmacht gebracht werden. Darauf hat der Genosse Minister erst vor kurzem erneut orientiert und speziell im Zusammenhang mit der Eröffnung der Vernehmung als untauglich bezeichn net werden. Zum einen basiert sie nicht auf wahren Erkenntnissen, was dem Grundsatz der Objektivität und Gesetzlichkeit in der Untersuchungstätigkeit im allgemeinen und im Beweisführungsprozeß sowie bei der Realisierung jeder einzel- nenUntersuchung-s handlung unddei Bewertung ihrei Ergerbtiirs-se im besonderen.

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