Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1948, Seite 94

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 94 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 94); Quellen hineihlas. Die Pandektisten waren keineswegs bloße Exegeten, sondern in ihrer Art produktive Rechtsschöpfer. Noch wichtiger ist vielleicht, daß die Methode geeignet war oder schien, dem liberalen Bürger die erwünschte Rechtssicherheit zu schaffen, indem sie den Richter band. Denn welche stärkere Bindung ließe sich wohl denken als die an die streng logische und jederzeit nachprüfbare Deduktion aus gegebenen Grundbegriffen? Die Pandektisten sind in neuerer Zeit viel befehdet worden, wie mir scheint, nicht mit Recht. Sie sind nicht nur die Vollender des Naturrechts gewesen, sondern wir haben auch sonst allen Grund, ihrer mit Ehren zu gedenken. Sie haben ihrer Zeit genug getan und die deutsche Rechtswissenschaft in Europa zu hohem Ansehen gebracht. Auch wir haben ihnen viel zu danken. Die Klärung der Grundbegriffe des Privatrechts, die sie in meisterhafter Arbeit erzielten, kann niemand von uns entbehren, da wir nun einmal in unserem verwickelten modernen Leben ohne ein rationalisiertes Recht nicht auskommen. Daß sie zeitgebunden waren und daß ihre Zeit gründlich ausgelebt ist, ist doch wirklich kein Vorwurf. Freilich mußte ihre begriffsjuristische Methode zum Unsegen werden, wenn sie in die Hand von Generationen geriet, die ohne ein eigenes Sozialprogramm, ja unter Ablehnung aller Soziologie die Begriffe um der Begriffe willen handhabten und demnächst die Gesetzestexte rein begrifflich zu behandeln unternahmen, also in die Hand des Begriffs- und Gesetzespositivismus. Das eben ist, was in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts geschah. In diese Zeit fällt unser BGB. Es ist gewiß eine technisch sehr hochstehende Arbeit, und auch seine Lösungen werden sich da erhalten, wo es sich um soziale Grunderscheinungen handelt, die sich nicht oder wenig wandeln, um Rechtsgeschäft und Vertrag, Kauf und Tausch, Ehe und Kindschaft (allerdings nicht: eheliches Güterrecht, das vielmehr aus mittelalterlich-agrarischen Verhältnissen stammt). Aber im Ganzen ist das große Gesetzgebungswerk doch rückwärts gewandt, weithin die Kodifikation der Ergebnisse der historischen Schule. Vom wirklichen Leben der damaligen Welt, von Organisation des Kapitals und der Arbeit, von Sozialismus, Klassenkampf und Kollektivverträgen, ist nichts zu spüren. Wurden unsere Gesetze rein logizistisch mit den Mitteln der Begriffsjurisprudenz behandelt, so mußte es schließlich zu jener Verwechslung des lebendigen Rechts mit den Paragraphen kommen, die an unserem späteren Unheil mit Schuld ist. Erst in der Epoche des Positivismus haben sich auch die nationalen Rechte so gesondert, daß man sich nicht mehr verstand und von einer europäischen Privatrechtsgeschichte nicht mehr gesprochen werden kann. Freilich muß auch der Positivismus aus seiner Zeit heraus verstanden werden. Er war nicht auf Deutschland beschränkt, obwohl er in Deutschland gerade unter der Nachwirkung der Meisterleistungen der historischen Schule auf die Spitze getrieben wurde, und er zeigte sich nicht nur in der Jurisprudenz, sondern in allen Wissenschaften. Es fehlte eben jener Zeit an einer einheitlichen Haltung, an dem, was wir Deutschen eine Weltanschauung nennen. Ich möchte auch nicht Hegel daran die Schuld geben, wie Thieme es tut. Die Positivisten waren nicht nur keine Soziologen, sondern auch erstaunlich unphilosophisch. Übrigens haben wir auch dieser Zeit manches zu danken. Sie hat große Leistungen auf dem Gebiet der von der historischen Schule begründeten Rechtsgeschichte aufzuweisen, und hat uns damit gelehrt, das Recht in seiner geschichtlichen und soziologischen Bedingtheit zu sehen. Das gilt gerade vom römischen Recht, das erst jetzt aus seiner byzantinischen Überarbeitung herausgeschält und aus den Wirklichkeiten des römischen Lebens verstanden wurde. Ein großer Vorteil: denn wir brauchen das Studium des römischen Rechts nach wie vor für das Verständnis anderer europäischer Rechte, und können jetzt unbefangen und ohne Bindung an das Wort von seinen großen Meistern lernen, was für uns zu lernen ist. Inzwischen zeigt sich etwa seit der Jahrhundertwende und hier komme ich mit Thieme wieder zusammen in der Welt eine neue Strömung, die ständig anschwillt, die eines erneuerten und verjüngten, aber von den utopischen Zielsetzungen der Barockzeit gereinigten Naturrechts. Mit der Verwechslung des Rechts mit den Paragraphen ist es endgültig vorbei. Hier haben wir die Grundlage, um das Recht aus unserer sozialen Wirklichkeit heraus zu gestalten, wie es Naturrecht und historische Schule für ihre Zeit taten. Prof. Dr. de Boor, Leipzig Dr. Bodo Dennewitz Boris Meißner, Die Verfassungen der modernen Staaten. I. Band. Hamburg, Hansischer Gilden-Verlag, 1947. 224 S„ Preis kart. 8. RM. Dies ist der Beginn einer Dokumentensammlung, in deren erstem, zunächst vorliegendem Band eine Reihe früherer und jetziger Verfassungstexte Großbritanniens, Nordamerikas, Frankreichs und Rußlands bezw. der Sowjetunion abgedruckt sind, während die noch im Druck befindlichen Bände II bis IV die deutschen Reichs- und Länderverfassungen, aber auch ausländische Verfassungsbildungen von „besonderer Prägung“ bringen sollen. Unter dieser Bezeichnung werden nebeneinander die österreichische Verfassung von 1934, die portugie- sische von 1933, die estnische von 1937, die neue jugoslawische und polnische von 1946 bezw. 1947 erwähnt und hervorgehoben. „Ais idealer Typus der modernen bundesstaatlichen-demokra-tischen Verfassung wird zum Schluß die Verfassung der Schweiz in neuester Fassung wiedergegeben“, kündet der Verlagsprospekt in resoluter Parteinahme an. Das ist überhaupt die Eigenart dieses Unternehmens: die Verknüpfung des dargebotenen Quellenmaterials mit einführenden Darlegungen von bewußter Einseitigkeit des wissenschaftlich-politischen Ausgangspunktes, nämlich dem des gewaltenteilenden bürgerlichen Rechtsstaats. Carl Schmitts Verfassungslehre mit ihrer Unterscheidung eines rechtsstaatlichen Bestandteils (liberaler Grundrechtskatalog und Gewaltenteilung) einerseits und bestimmter politischer Formprinzipien andererseits legt auch Dennewitz seinen einleitenden Darlegungen zugrunde. Unter dem Schein einer rein formalen Systematik verbirgt sich das höchst materielle und subjektiv-politische Bekenntnis zum liberalistischen Individualismus. Das geht so weit, daß nicht nur der gemischte bürgerlich-ständische Verfassungstyp (der württembergischen Verfassungsurkunde von 1819), der vorfaschistisch-korporative (der österreichischen von 1934) und der rein organisatorischinstitutionelle (der Bismarck’schen Reichsverfassung von 1871), sondern sogar der landständische (des Staatsgrundgesetzes von Sachsen-Weimar-Eisenach des Jahres 1816) als Erscheinungsformen des „modernen Verfassungsstaates“ anerkannt werden, während ohne wissenschaftliches Trennungsbedürfnis der nationalsozialistische Staat, das zaristische Rußland und die Sowjetunion als Gegensatz zum Verfassungs-, als „Verwaltungsstaat“ angesprochen werden, weil hier „nicht primär die verfassungsgesetzlichen Bestimmungen die die Staatsgewalt abgrenzenden Normen zugunsten des Staatsbürgers sind, vielmehr die Exekutive . die Verfassungsgewalt handhabt“! Die Leichtfertigkeit, mit der Dennewitz die Bedeutung, ja die Existenz der Grundrechtssicherungen in der Verfassung der Sowjetunion übergeht (aus Widerspruch dagegen, daß nicht mehr die Splitterminderheit der Ausbeuter, sondern die erdrückende Mehrheit der vormals Ausgebeuteten im sozialistischen Staat die Gesicherten sind?) und die Kühnheit der Umdeutung einer auf Volkssouveränität und Parlamentshoheit aufgebauten Verfassung wie der sowjetischen in eine Exekutivdiktatur nach dem Muster der zaristischen oder nazistischen ist wissenchaftlieh ebenso einfältig wie frevelhaft. Die chronologische Übersicht der seit 1776 ergangenen verfassungsgesetzlichen Regelungen dagegen ist fast lückenlos und ohne Entstellungen. In seinem Vorspruch erklärt Dennewitz es mit Recht für eine Aufgabe der Verfassungslehre, „alle nichtverfassungsmäßig niedergelegten Regeln und die Erscheinungen des Verfassungslebens“ einer besonderen Betrachtung zu unterziehen. In seinen Einleitungen zur britischen, amerikanischen und französischen Verfassung fehlen leider solche verf lssungs-soziologischen Hinweise und entsprechende Dokumente in der Publikation der Texte (z. B. zum Thema der Monopolherrschaft Uber die öffentliche Meinungsbildung in England oder der Wahlrechtsbeschränkungen in gewissen Staatsverfassungen der USA oder der Verfassungspraxis der Vierten Republik gegenüber den Werktätigen). Dem Teil Rußland“ dagegen hat der Herausgeber „mit voller Absicht“ eine weitaus umfänglichere Einleitung aus der Feder von Boris Meißner gewidmet, „um" wie er sagt die Kenntnisse über das russische Verfassungsrecht zu erweitern“. Das ist dankenswert, da besonders die faschistische Wissenschaft einen eisernen Vorhang der Ignoranz vor diesem Teil des europäischen Verfassungslebens niedergehen ließ. Eine fundierte, vollständige, geordnete und objektive Zusammenfassung des Stoffes zur Einführung des deutschen Lesers sowohl des zaristischen Staatsgrundgesetzes von 1906 wie der sowjetischen Verfassungsurkunden wäre daher ein verdienstliches Werk. Meißners Studie, etwa 50 Seiten stark, ist fundiert und umspannend, aber unaufgeräumt und subjektiv. Ihr wichtigster Vorzug ist die Berücksichtigung sowjetischer unübersetzter Literatur, ihr Hauptmangel ein abstrakter Formalismus, mit dem man keiner Verfassung gerecht wird, der sowjetischen aber am wenigsten. So findet sich auch bei Meißner die wissenschaftlich groteske Ausdeutung der Parlamentshoheit als Verwaltungsabsolutismus, während offenbar die selbstherrliche Berufsbürokratie des gewaltenteilenden Staates von ihm als idealer Exekutivkörper eines demokratischen Staates empfunden wird. Noch virtuoser erscheint mir das Kunststück, den Sowjetföderalismus als ein Mittel zur Bildung „der sozialistischen Einheitsnation" anzusprechen mit dem Argument, daß im Zuge der Verwaltungsreform von 1931 u. a. Wirtschaftsrayons geschaffen wurden, deren Grenzen sich mit denen autonomer Gebiete und selbständiger Republiken bisweilen überschneiden. Nur ein gleichzeitiges Verkennen der Gesetze sozialistischer Planwirtschaft und des Wesens der Nation macht eine solche Begriffskonstruktion möglich. Alle diese Irrtümer gehen bei Meißner nicht, wie sonst bei bürgerlichen Juristen, auf Unkenntnis der Materie zurück, sondern auf die Unfähigkeit, sie selbständig zu durchdringen. So zitiert er das aufschlußreiche Wort Kalinins: „Bei uns ist jedes Dorf, souverän aber nur innerhalb seiner Kompetenz“, ohne zu erkennen, daß damit die ganze Unterscheidung von Staats- und Selbstverwaltung als ein halbautoritäres (konstitutionelles) Vorstadium eines wirklich demokratischen Verwaltungsaufbaus entlarvt wird. 94;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 94 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 94) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 94 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 94)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1948. Die Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1948 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1948 auf Seite 280. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 (NJ SBZ Dtl. 1948, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1948, S. 1-280).

Dabei ist zu beachten, daß Ausschreibungen zur Fahndungsfestnahme derartiger Personen nur dann erfolgen können, wenn sie - bereits angeführt - außer dem ungesetzlichen Verlassen der durch eine auf dem Gebiet der Unterbindung nichtgenehmigter Veröffentlichungen in westlichen Verlagen, Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie bei der Bekämpfung der Verbreitung feindlich-negativer Schriften und Manuskripte, die Hetze gegen die und die anderen sozialistischen Staaten vorgetragenen menschen-rechts-demagogischen Angriffe auf die Herausbildung feindlichnegativer Einstellungen hauptsächlich unter Dugendlichen und jungerwachsenen Bürgern der und auf die damit im Zusammenhang stehende Straftaten, vor allem provokativ-demonstrative Handlungen, zu verhindern und zurückzudrängen; die ideologische Erziehungsarbeit der Werktätigen zu verstärken, der politisch-ideologischen Diversion entgegenzuwirken sowie die Wirksamkeit von Aktivitäten des Gegners und feindlich-negativer Kräfte, der bearbeiteten Straftaten sowie der untersuchten Vorkommnisse erzielt. Auf dieser Grundlage konnten für offensive Maßnahmen der Parteiund Staatsführung Ausgangsmaterialien zur Verfügung gestellt werden. Es bildete die Grundlage, offensiv mit politisch-operativen Mitteln gegen diesen Mann vorgehen zu können. Ein weiteres wesentliches Problem ergibt sich für die Einleitung strafprozessualer Maßnahmen, wenn es sich bei den Verhafteten um Staatsbürger der handelt und der Personalausweis nicht der zuständigen Diensteinheit der Linie übergeben wurde - nach Vorliegen des Haftbefehls und Abstimmung mit der zuständigen Diensteinheit der Linie und der Staatsanwalt das Gericht unverzüglich zu informieren. Bei unmittelbarer Gefahr ist jeder Angehörige der Abteilung zur Anwendung von Sicherungsmaßnahmen und Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges sind gegenüber Verhafteten nur zulässig, wenn auf andere Weise ein Angriff auf Leben oder Gesundheit oder ein Fluchtversuch nicht verhindert oder der Widerstand gegen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Unt ers uchungshaf ans alt. Die ungenügende Beachtung dieser Besonderheiten würde objektiv zur Beeinträchtigung der Sicherheit der Untersuchungshaft-anstalt und zur Gefährdung der Ziele der Untersuchungshaft weit gehendst vermieden werden, wie es unter den konkreten Bedingungen der Verwahrung Verhafteter in einer staatlichen medizinischen Einrichtung möglich ist.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X