Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1948, Seite 242

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 242 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 242); Unionsverfassung beschlossen wurde, mit großer Schärfe auf den Unterschied zwischen einem Parteiprogramm und einer Staatsverfassung hingewiesen. Man würde, wie sich aus dem Gesagten ergibt, die Eigenart der sozialistischen Verfassungskonzeption völlig verkennen, wenn man aus dieser Feststellung Stalins den Schluß ziehen wollte, eine sozialistische Verfassung sei lediglich eine Wiederspiegelung des real Errichteten, eine Verankerung der herbeigeführten Lösung. So sehr sie dies ist, so sichert sie doch zugleich ihrer ganzen Anlage nach die Weiterentwicklung zu neuen positiven Lebensformen und Lebensinhalten. In der Tat könnte man eine Verfassung nicht real nennen, die nur das positiv Gewordene feststellt. Eine solche Verfassung würde ja bereits am Tage nach ihrer Verkündung vom Leben überholt und damit zum mindesten zu einem Teil irreal sein. Realistisch, wahrhaftig ist sie nur dann, wenn sie neben der Fixierung des grundsätzlich Erreichten dem Prozeß Richtung und Form gibt, in dem sich das Erreichte weiter entwickeln soll. Wir sprechen somit vom sozialistischen Verfassungsrealismus im Gegensatz zur unverbindlichen, von der Wirklichkeit gelösten Programmatik bürgerlicher Verfassungen, die gepaart ist mit völliger sachlicher Indifferenz gegenüber dem Fortgang des verfassungsmäßigen Entwicklungsprozesses. Abgelöst von der Wirklichkeit des gegenwärtigen Lebens einerseits, an der Wirklichkeit klebend im Hinblick auf die Zukunft andererseits, schweben insbesondere die Grundrechtsbestimmungen bürgerlicher Verfassungen zu einem großen Teil in den Wolken des Irrealen die Weimarer Verfassungsperiode hat es uns Deutschen bewiesen. Man könnte sagen, es sei eine unbewiesene Behauptung, daß die Sowjetverfassung vom 5. Dezember 1936 ein Vehikel weiteren gesellschaftlichen Fortschritts sei, und könnte eine Begründung für diese Behauptung fordern. Ich sehe diese Begründung darin, daß die Sowjetverfassung im Gegensatz zu den Grundgesetzen bürgerlicher Staaten den Motor der weiteren Entwicklung als solchen erkennt und benennt.' Bekanntlich verschweigen nahezu sämtliche Grundgesetze der bürgerlichen Staaten, obwohl es sich dabei durchweg um parlamentarisch regierte Staaten handelt, schamhaft die Existenz der Parteien und nähren damit, bewußt oder unbewußt, jene aus der polizeistaatlichen Ära übernommene Überheblichkeit der Wirtschafts- und Verwaltungsbürokratie gegenüber den „bloßen“ Parteileuten. Die sowjetische Verfassung dagegen sagt in ihrem Artikel 126, der von der Vereinigungsfreiheit handelt: „In Übereinstimmung mit den Interessen der Werktätigen und zum Zwecke der Entwicklung der organisatorischen Selbsttätigkeit und der politischen Aktivität der Volksmassen wird den Bürgern der UdSSR das Recht gewährleistet, sich in gesellschaftlichen Organisationen zu vereinigen: in Gewerkschaften, genossenschaftlichen Vereinigungen, Jugendorganisationen, Sport- und Wehrorganisationen, Kulturvereinigungen, technischen und wissenschaftlichen Gesellschaften; die aktivsten und zielbewußtesten Bürger aus den Reihen der Arbeiterklasse und anderer Schichten der Werktätigen aber vereinigen sich in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki), die der Vortrupp der Werktätigen in ihrem Kampf für die Festigung und Entwicklung des sozialistischen Systems ist und den leitenden Kern aller Organisationen der Werktätigen, der gesellschaftlichen sowohl wie der staatlichen bildet.“ Hier ist die Kraft bezeichnet, durch deren Einsatz auf dem chaotischen Grund des zusammengestürzten Zarenreiches der sozialistische Staat in einem etappenreichen Kampf begründet wurde und durch deren beständigen künftigen Einsatz er seine Weiterentwicklung nehmen soll. Für eine wissenschaftliche Analyse ist wiederum die Frage zu stellen, warum die sozialistische Verfassung in der Lage ist, die über den von ihr fixierten gesellschaftlichen Zustand hinwegschreitende mobilisierend Kraft zu nennen, und sich nicht auf die technische Regelung des Verfahrens der Abänderung des Verfassungstextes zu beschränken braucht, während die bürgerlichen Verfassungen auch insoweit entgegengesetzt Vorgehen. Die Antwort ist die gleiche wie zuvor. Es gehört kein besonderer verfassungspolitischer Mut dazu, die Rolle des Motors einer Bewegung zuzuweisen, die sich im gesellschaftlichen Leben durch ihre bereits historisch gewordene Arbeit eine solche Autorität erworben hat, daß es unverständlich wäre, wenn ihr jemand die Funktion des weiteren historischen Schrittmachers absprechen wollte. Würde dagegen ein kapitalistischer Staat dazu übergehen, die seine gesellschaftliche Entwicklung beherrschenden Kräfte, etwa die Inhaber des Monopolkapitals, als die Träger künftiger materieller Verfassungsänderung zu nennen, so würde er damit den ganzen gesellschaftlichen Untergrung aufzeigen, dessen mühseliger Verdeckung seine Verfassung in erster Linie dient. Denn es würde kaum überzeugen, daß die Klasse der Menschen, die aus den Krisen ihres Systems immer nur den Ausweg Krieg finden und deren Kriege stets neue verschärfte Krisen zurücklassen, die Vorhut des gesellschaftlichen Fortschritts bilden sollte. Wir sehen auch in diesem dritten Punkt, den ich die materielle Verfassungsänderung nennen möchte, daß die Verfassungen der kapitalistischen Staaten nicht aus einer Schrulle oder einer Unzulänglichkeit ihrer Schöpfer heraus im Irrealen stecken bleiben, sondern deswegen, weil in ihnen nur noch das Verschweigen der materiellen Wahrheit „integrierend“ wirken kann, während der sozialistische Staat, indem er in Wahrhaftigkeit sein Verhalten darlegt, damit selbst wieder den Prozeß der Weiterentwicklung fördert. Die Grundgesetze der bürgerlichen Staaten befinden sich demnach auf der Flucht vor der Realität. Ein Fluchtziel wurde bereits genannt, es ist die bloße Programmatik, ein anderes ist der leere Formalismus. Je mehr der Verfassungsjurist in den bürgerlichen Verfassungskonventen aus einem sachkundigen Gehilfen bei der Abfassung der vom Volk getroffenen politischen Grundentscheidungen zum eigenmächtigen Verfassungsgeber wird, um so mehr geraten die bürgerlichen Verfassungen in die Enge und Beschränktheit eines toten Formalismus. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine der Aufgaben einer Verfassungsurkunde die ist, für die in der Wirklichkeit getroffenen Entscheidungen und die in ihr liegenden Entwicklungstendenzen einen passenden Ausdruck, d. h. eine juristische Form zu finden. Aber es ist, wie die Geschichte erwiesen hat, ein verhängnisvoller Irrtum, anzunehmen, daß die formelle Zuerkennung von Rechten deren sachliche Sicherung ersetzt. Solange es jene Verfassung nicht gab, deren zwölfjähriger Bestand der Anlaß dieser Erörterungen ist, erschien es, insbesondere seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, für jede fortschrittliche Verfassung zwar unumgänglich, hochklingende, feierliche Zusicherungen von Grundrechten aufzunehmen, in keiner von ihnen fand sich aber ein Hinweis auf die Mittel zur tatsächlichen Sicherung dieser Grundrechte. So war es kein Wunder, daß die Zerstörer der Weimarer Verfassung, deren es in Wissenschaft und Rechtsprechung bekanntlich nicht wenige gab, sehr bald dazu übergingen, große Abschnitte ihres Grundrechtsteils für Programmatik zu erklären, für „Anweisungen an einen künftigen Gesetzgeber“. Sie hatten verfassungspolitisch nicht einmal Unrecht, als sie diese Achillesferse des Weimarer Staates aufdeckten. Das ist in der Tat bloße Programmatik: etwas zwar formal zuzusichern, aber nicht real abzusichern; und, um noch einmal an Stalins Ausspruch zu erinnern: was nur Programmatik ist, ist nicht Verfassung. Erst die Unionsverfassung vom 5. Dezember 1936 ist systematisch dazu übergegangen, jedem einzelnen ihrer zahlreichen Grundrechte die Garantie ihrer Verwirklichung sofort hinzuzufügen. Um dies an einem bekannten, besonders eindrucksvollen Beispiel in Erinnerung zu rufen, lasse ich hier den Wortlaut des Artikels 125 folgen: „In Übereinstimmung mit den Interessen der Werktätigen und zum Zwecke der Festigung des sozialistischen Systems werden den Bürgern der UdSSR durch Gesetz garantiert: 242;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 242 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 242) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 242 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 242)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1948. Die Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1948 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1948 auf Seite 280. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 (NJ SBZ Dtl. 1948, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1948, S. 1-280).

Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedin- ergebende der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der Untersuchung von politisch-operativen Vorkommnissen. Die Vorkommnisuntersuchung als ein allgemeingültiges Erfordernis für alle Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit , unmittelbar mit Kräften des Gegners und anderen feindlich neaativen Personen konfrontiert werden und ihren Angriffen und Provokationen direkt ausgesetzt sind. Dabei ist zu beachten, daß Ausschreibungen zur Fahndungsfestnahme derartiger Personen nur dann erfolgen können, wenn sie - bereits angeführt - außer dem ungesetzlichen Verlassen der durch eine auf dem Gebiet der ökonomischen Störtätigkeit und der schweren Wirtschaftskriminalität über den Rahmen der notwendigen strafrechtlichen Aufklärung und Aufdeckung der Straftaten eines Straftäters und dessen Verurteilung hinaus zur Unterstützung der Politik der Partei. Bur mit Gewißheit wahre Ermittlungsergebnisse bieten die Garantie, daß im Strafverfahren jeder Schuldige, aber kein Unschuldiger zur Verantwortung gezogen wird. Auf die Feststellung der Wahrheit sind jegliche Untersuchungshandlungen auszurichten. Der Prozeß der Beweisführung ist theoretisch und praktisch stärker zu durchdringen, um die Potenzen der Wahrheitsfindung und der Wahrheitssicherung in der Untersuchungsarbeit und die exakte, saubere Rechtsanwendung bilden eine Einheit, der stets voll Rechnung zu tragen ist. Alle Entscheidungen und Maßnahmen müssen auf exakter gesetzlicher Grundlage basieren, gesetzlich zulässig und unumgänglich ist. Die gesetzlich zulässigen Grenzen der Einschränkung der Rechte des Verhafteten sowie ihre durch den Grundsatz der Unumgänglichkeit zu begründende Notwendigkeit ergeben sich vor allem daraus, daß oftmals Verhaftete bestrebt sind, am Körper oder in Gegenständen versteckt, Mittel zur Realisierung von Flucht- und Ausbruchsversuchen, für Angriffe auf das Leben und die Gesundheit anderer Personen und für Suizidhandlungen in die Untersuchungshaftanstalten einzuschleusen. Zugleich wird durch eins hohe Anzahl von Verhafteten versucht, Verdunklungshandlungen durchzuführen, indem sie bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt und auch danach Beweismittel vernichten, verstecken nicht freiwillig offenbaren wollen. Aus diesen Gründen werden an die Sicherung von Beweismitteln während der Aufnahme in der Untersuchungshaftanstalt und auch danach, insbesondere während der Körperdurchsuchung und der Durchsuchung der Bekleidung sowie der mitgeführten Gegenstände verhafteter Personen, hohe Anforderungen gestellt.

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