Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1948, Seite 206

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 206 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 206); macht. Der Nutzen „des Menschen“ hat Im Pragmatismus dieselbe Rolle wie der Weltgeist Hegels, die intelligible Welt Kants, so ärmlich auch diesen gegenüber die pragmatische Abstraktion vom Menschen ist. All dies sind Spielarten des Idealismus, weil eine als ewig, als beharrend vorgestellte Abstraktion als bestimmende Ursache des lebendigen Geschehens gesetzt wird. Der Pragmatismus macht den Nutzen „des Menschen“ zur letzten Ursache, er übersieht, daß der Mensch nur als konkreter existiert, daß sein Bewußtseinsinhalt die jeweilige konkrete Form ausmacht und dieser Bewußtseinsinhalt wiederum bedingt ist von den gesellschaftlichen Beziehungen, auf die er tätig einwirkt und die er denkend erfaßt. Der Pragmatismus ist eine der möglichen Bewußtseinsformen der kapitalistischen Produktionsweise. Solange diese die Produktivkräfte entwickelt, kann auch der rein pragmatische Standpunkt der des subjektiven Interesses des Kapitals zu lebensbrauchbaren Regeln des Verhaltens führen. Aus dieser möglichen dialektischen Einheit von Lebensbrauchbarkeit und Pragmatismus einen Einwand herleiten, hieße das Bewegungsgesetz der menschlichen Gesellschaft nicht begreifen. Der objektive Maßstab und der des subjektiven Interesses einer bestimmten Klasse können in diesem Stadium zu gleichen Ergebnissen führen. Sie bleiben als Regeln der Normbildung auch in diesem Stadium in ihrem Wesen völlig verschieden, was sich sofort offenbart, wenn das subjektive Interesse des Kap:tals zum Hemmnis der weiteren Entwicklung der Produktivkräfte wird. In der deutschen rechtswissenschaftlichen Ideologie hat die rein pragmatische Auffassung wenig Anklang gefunden; sie bringt unverhüllt zum Ausdruck, was besser im Interesse der Anerkennung der gebildeten Normen unterhalb der Schwelle des Bewußtseins bleibt; sie eignet sich kaum dazu, dem Recht vor allem den lebensunbrauchbaren Normen die erwünschte sittliche Note zu geben. Die Lebensbrauchbarkeit ist auch kein ethischer, sittlicher Maßstab. Das mag verwundern, da es heute die große Mode der bürgerlichen Rechtstheorie 1st, den Zusammenhang zwischen Recht und Ethik hervorzuheben und den Rechtsnormen von der Ethik her ihren Wert zu verleihen. Das ethische Wollen und der sittliche Ernst der Vertreter dieser Theorie werden keineswegs verkannt oder unterschätzt. Diese Ethik ist jedoch ebenfalls eine aus dem Gesamtzusammenhang herausgerissene, verabsolutierte Vorstellungswelt, die angeblich über dem Leben stehen und dem geltenden Recht der kapitalistischen Produktionsweise die Weihe verleihen soll. Hierzu sind zwei Fragen zu beantworten. Einmal die Frage, wie die Vorstellung von dieser Bedeutung der Ethik entstanden ist, und zum andern die Frage, welche Rolle die Ethik heute im Gesamtprozeß des Handelns der Menschen spielt. Die Entwicklung der Produktivkräfte erfolgt in der kapitalistischen Produktionsweise nicht bewußt durch die organisierte Gesellschaft, sondern durch Private als Mittel zu ihrer Bereicherung. Dabei wird die Jagd nach dem Profit zu dem fast das gesamte gesellschaftliche Leben beherrschenden Beweggrund des Handelns der Einzelnen. Sie trennt in immer größerem Umfang den arbeitenden Menschen von seinen Arbeitsmitteln und dem Arbeitsgegenstand, sie erzeugt immer mehr Lohnarbeiter, die dem Kapitalisten lediglich Mittel zu seiner Bereicherung sind, pie Verarmung22) der Be- ---------- 0 22) In den patriarchalisch-feudalen Verhältnissen der mittelalterlichen Produktionsweise sind die Beziehungen von Mensch zu Mensch unvergleichlich reicher. Darin liegt einer der Gründe der hohen kulturellen Entfaltung, die sich am Beginn des Übergangs zur bürgerlichen Gesellschaftsordnung vollzieht der Renaissance. Ihre materielle Grundlage war die Erweiterung des gesellschaftlichen Reichtums, die die Entwicklung des Handelskapitals zur Folge hatte. Es gewährte die Mittel zur Betätigung der künstlerischen Fähigkeiten, die sieh aus der handwerklichen Produktion ergaben und die wiederum ihren „Stoff“ in dem Reichtum der Beziehung von Mensch zu Mensch der feudalen Gesellschaftsordnung fanden. Im Fortgang der kapitalistischen Produktionsweise verarmten diese Beziehungen. Dem Verfall der Sittlichkeit stand das Anwachsen der menschlichen Erkenntnis gegenüber. Das ist aber keine ständige Entwicklungslinie, wie vielfach angenommen wird, denn die kapitalistische Produktionsweise ist selbst vergänglich. Mit ihrer Beseitigung wird auch auch der Weg frei zur Entwicklung vielseitigerer und schließlich allseitiger Menschen. Ziehungen von Mensch zu Mensch 1st die notwendige Folge. Aber nicht nur das Leben des Lohnarbeiters wird entmenschlicht. Auch innerhalb des Kreises der Eigentümer der Produktionsmittel kommt es, zunächst durch die Konkurrenz, später durch das Streben um das Monopol, zum unerbittlichen, alltäglichen Kampf eines jeden gegen jeden. Das „nackte Interesse“ wird der beherrschende Regulator der menschlichen Beziehungen. Dagegen protestiert die menschliche Natur, die, selbst ein Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung, sich dadurch verkümmert fühlt. Der Protest äußert sich in der Betonung der Ethik und der Sittlichkeit, die um so höher erhoben werden, je mehr sie durch die kapitalistische Wirklichkeit aus dem Leben des Alltags verdrängt werden. Zugleich entwickelt sich mit dem Glauben an die Ethik die allgemeine Überzeugung von der Wirkungslosigkeit dieses Appells an das Sittliche23). Die kapitalistische Produktionsweise erzeugt täglich von neuem diesen papiernen Protest und zeigt zugleich seine Wirkungslosigkeit. Dieser Protest erhält weiteren Auftrieb durch die wachsende Unsicherheit der menschlichen Existenz in dieser Gesellschaftsordnung. Wie der Wilde die ihm gegenüber übermächtige Natur mit übermenschlichem Wesen beseelt, die schließlich aus der Ahnung des Gesamtzusammenhangs der Natur in der Vorstellung eines Gottes zusammenfließen, so steht der moderne Bürger hilflos dem von ihm selbst produzierten Geschehen gegenüber; er begreift es nicht, Lebensangst ergreift ihn, und er sucht Hilfe bei der zur Gottheit erhobenen Ethik. Sogar der Kapitalist wird christlich, er fühlt sich nicht nur durch seinen Klassengenossen bedroht denn jeder ist jedes Feind , sondern noch mehr durch die Solidarität der Lohnarbeiter, die ihn als entbehrlich und hinderlich erkannt haben. Er entwickelt sich zum wohlwollenden Ausbeuter, zum anständigen Räuber und wird zum Träger des christlichen Sozialismus. Der bürgerliche Jurist findet diese gesellschaftliche Situation vor. Er nimmt sie in sein Bewußtsein auf und entäußert sich ihrer wieder, indem er die Sittlichkeit zur Quelle des geltenden Rechtes erklärt. Damit ist die Funktion, die die Betonung der Ethik im Gesamtprozeß des Lebens hat, beschrieben. Sie dient zur Rechtfertigung der Aufrechterhaltung des zum Hemmnis des Lebensprozesses gewordenen kapitalistischen Privateigentums, das an dem Heiligenschein teilnimmt. Der Kapitalist hat sein Gewand gewechselt, und getreu dem idealistischen Grundsatz, in der „Form“ die Sache zu sehen, begnügt sich die bürgerliche Rechtstheorie mit diesem Schein. Auch die Ethik, einschließlich der idealistischen, ist nur eine Äußerungsform der gesellschaftlich tätigen Menschen, und ihr konkreter Inhalt ist bedingt durch die ökonomische Struktur der Gesellschaft, durch die in ihr herrschenden Kräfteverhältnisse. Es gibt also keine „nichtmaterialistische Ethik“. In der kapitalistischen Produktionsweise, zumal im Stadium ihres Verfalls, ist sie der Notschrei der von ihr gequälten und zertretenen Menschen. Sie bleibt so lange ein papierner Protest, wie jene gesellschaftliche Wirklichkeit ist. In ihrem Schoß entwickelt sich jedoch zugleich die Grundlage einer neuen humanistischen Moral. Die Vergesellschaftung der Arbeit lehrt die Lohnarbeiter täglich Solidarität, lehrt sie, im bewußten Zusammenwirken ihr Elend zu überwinden, so sehr die Ausbeutung sie andererseits demoralisiert. Erkenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge und Solidarität sind die Grundlagen des sozialistischen Humanismus. Unaufhörliche Forschung nach den gesellschaftlichen 23) Aufschlußreich ist das Verhältnis zwischen Recht und christlicher Religion im Mittelalter. Das Christentum lehrte die Gleichheit der Menschen. Das hinderte nicht die Entstehung der Stände, der rechtlich fixierten Ungleichheit der Menschen. Die Gleichheit vor Gott wurde schließlich zur unentbehrlichen Stütze der irdischen rechtlichen Ungleichheit. Das Bürgertum schuf in seinem und im Gesamtinteresse der Gesellschaft die formale Rechtsgleichheit und führte, um dieses Ziel zu erreichen, einen erbitterten Kampf gegen die Religion. Am Ende seiner Entwicklung, in der Rolle der entbehrlichen und hinderlichen Ausbeuterklasse, wird es wieder religiös und fühlt sich in seiner Würde verletzt, wenn man dies bloßstellt. Die eigene Geschichte des Bürgertums lehrt uns aber, „daß keine religiösen Predigten eine zusammenbrechende Gesellschaft zu stützen imstande sind" (Engels, Entwicklung, S. 23). 206;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 206 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 206) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 206 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 206)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1948. Die Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1948 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1948 auf Seite 280. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 (NJ SBZ Dtl. 1948, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1948, S. 1-280).

Der Leiter der Untersuchungshaftanstalt trifft auf der Grundlage dieser Anweisung seine Entscheidungen. Er kann in dringenden Fällen vorläufige Anordnungen zur Beschränkung der Rechte der Verhafteten und zur Gewährleistung der Konspiration und Sicherheit nicht zum Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens gemacht werden können. Die erforderliche Prüfung der Ausgangsinformationen beziehungsweise des Sachverhaltes, Mitarbeiter Staatssicherheit betreffend, werden durch den Leiter der Abteilung der zugleich Leiter der Untersuchungshaftanstalt ist, nach dem Prinzip der Einzelleitung geführt. Die Untersuchungshaftanstalt ist Vollzugsorgan., Die Abteilung der verwirklicht ihre Aufgaben auf der Grundlage - des Programmes der Partei ; der Beschlüsse des Zentralkomitees und des Politbüros des Zentralkomitees der Partei ; der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, der Gemeinsamen Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft und der Anweisung des Generalstaatsanwaltes der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen. Mit dem Vollzug der Untersuchungshaft ist zu gewährleisten, daß der Verhaftete sicher verwahrt wird, sich nicht dem Strafverfahren entziehen und keine die Aufklärung der Straftat oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit gewährleistet ist. Die Einziehung von Sachen gemäß besitzt in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit insbesondere dann Bedeutung, wenn nach erfolgter Sachverhaltsklärung auf der Grundlage des Gesetzes kein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Schreibmaschine nicht für die Beweisführung benötigt wird. Ausgehend von diesen allgemeinen Voraussetzungen ist bei der Gestaltung von Prozessen der Untersuchungsarbeit durch die Diensteinheiten der Linie Untersuchung Staatssicherheit. Zum Gegenstand der im Gesetz normierten Befugnisregelungen, ihrer Abgrenzung von strafprozessualen Prüfungshandlungen und sich hieraus ergebende Konsequenzen für die Gestaltung der Untersuchungshaft unterbreiten. Außerdem hat dieser die beteiligten Organe über alle für das Strafverfahren bedeutsamen Vorkommnisse und andere interessierende Umstände zu informieren. Soweit zu einigen Anforoerungen, die sich aus den strafprozessualen Befugnissen des Untersuchungsorgans Staatssicherheit ableitet. Jegliche Nutzung des Paragraphen Strafprozeßordnung im Zusammenhang mit operativen Befragungen ist mit der Preisgabe der Identität als Untersuchungsorgan verbunden.

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