Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1948, Seite 203

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Seite 203 (NJ SBZ Dtl. 1948, S. 203); Materialistische Jurisprudenz? Von Br. Br. Paul Heinrich Neuhaus, Referent am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Tübingen Such hat in seinen Aufsätzen in dieser Zeitschrift Grundfragen der heutigen Rechtswissenschaft aufgeworfen, die zu diskutieren auch nach der Ansicht von Neuhaus „die wichtigste Aufgabe der gegenwärtigen deutschen * Rechtswissenschaft zu sein“ hat. Nachdem Neuhaus in seiner nachstehenden Stellungnahme zu den Artikeln von Such auf diese Grundfragen kritisch eingegangen ist, konnte sich Such in seiner Erwiderung ebenfalls nicht auf die Behandlung rechtswissenschaftlicher Fragen beschränken, sondern mußte in breiterem Rahmen auf die wirkliche Grundfrage, eben die Frage Materialismus Idealismus in der Wissenschaft überhaupt, eingehen. Wir sind mit Neuhaus und Such der Ansicht, daß es der deutschen Rechtswissenschaft ohne eine klare und eindeutige Entscheidung über diese Grundfrage nicht gelingen wird, den richtigen Weg für ihre zukünftige Arbeit zu Anden. Deshalb geben wir den Ausführungen von Neuhaus und Such in unserer Zeitschrift Raum, obwohl das von ihnen behandelte Thema den Rahmen der Zeitschrift zu sprengen scheint und obwohl gegen manche Folgerungen, zu denen Such bei seinem überaus zu begrüßenden Versuch, „den dialektischen Materialismus in die deutsche Rechtswissenschaft einzuführen“, gelangt, Bedenken zu erheben sind. Aufgabe der weiteren Diskussion in dieser Zeitschrift wird es sein, Klarheit auch über die jetzt noch ungeklärten oder nicht richtig behandelten Fragen zu gewinnen, um auf diese Weise der deutschen Rechtswissenschaft eine sichere allgemeine Grundlage für die Arbeit in ihrem Fachgebiet zu geben. D. Red. In seinen Ausführungen über „Marxismus und lnteressenjurisprudenz1)“ hat Such es unternommen, den dialektischen Materialismus in die deutsche Rechtswissenschaft einzuführen, indem er „zwei offene Fragen der Methodenlehre der lnteressenjurisprudenz“, nämlich was das „Leben“ sei und woher die gesetzlichen Werturteile und die Wertungssysteme stammen, mit Hilfe der materialistischen Methode zu beantworten versucht. Ohne über seine einzelnen Thesen und Ergebnisse zu streiten, sei hier nur die Grundeinstellung Suchs einer kritischen Betrachtung unterzogen. Nach Such sind die Rechtssätze „diejenigen Regeln des Handelns, von denen praktisch erwiesen ist, daß sie den Lebensprozeß, den Gesellschaftsprozeß in der erreichten Stufe erhalten oder fördern. Darin liegt der Maßstab des Urteils über ihren Wert“ (S. 233). Such bezeichnet solche Normen im weiteren als „lebensbrauchbar“ und erklärt: „Die Lebensbrauchbarkeit ist das Merkmal des .richtigen’ Rechts“ (S. 235). Gegen diese rein pragmatische Auffassung läßt sich zunächst vom Standpunkt der (nichtmaterialistischen) Ethik Einspruch erheben. Such selber macht eine versteckte Konzession an diese Ethik, wenn er sagt: „Die Regel der Vertragsfreiheit z. B., die sich in Verhältnissen bewährt, in denen die Partner wirtschaftlich gleich stark sind, wird unbrauchbar, wenn einer oder einige von ihnen . Monopolinhaber werden, die die gleiche Regel nunmehr zur Knebelung des wirtschaftlich Schwächeren benutzen“ (S. 233). Offenbar kann die „Knebelung des wirtschaftlich Schwächeren“ nur aus ethischen Gründen generell verworfen werden, während sie vom praktischen Standpunkt (ebenso wie Sklaverei) unter Umständen als „den Wirtschaftsprozeß fördernd“ erscheinen könnte; wenigstens kann das eine Zeitlang so sein. Mit den letzten Worten ist bereits das zweite, methodische Bedenken angerührt: die Unterscheidung von „lebensbrauchbar“ und „unbrauchbar“ läßt sich nicht im voraus treffen, auch nicht bei bester „Beobachtung der sozialen Wirklichkeit“ (S. 233). Insbesondere kann man nicht einfach danach urteilen, ob eine Entscheidung „den Ablauf der vorhandenen Lebensverhältnisse fördert oder hemmt“ (S. 235). Denn einmal enthält diese Formulierung Suchs (wie manche andere) eine einseitige Bevorzugung der Bewegung gegenüber dem Beharren; vor allem aber gibt es in der geschichtlichen Entwicklung auch Abwege, auf denen voranzuschreiten keinen „Fortschritt“ bedeutet, sondern zur Katastrophe führt. (Und zwar geraten die Menschen auf solche Irrwege meist gerade dann, wenn sie eine unzulässige „Abkürzung“ zum menschlichen Idealzustand einschlagen wollen; Beispiele liefern alle l) Neue Justiz 1947 Nr. 11/12, S. 229 236. Ein weiterer Aufsatz desselben Verfassers (NJ 1948 Nr. 4/5) enthält zu den hier besprochenen Fragen nichts wesentlich Neues. schwärmerischen Revolutionen und die großen Gewaltmenschen der Geschichte.) Diese Möglichkeit von Irrwegen führt zu dem dritten, ernstesten Bedenken gegen Suchs Auffassung. Die „Gesetzmäßigkeit des Ablaufs der Lebensvorgänge“ (S. 230), von der Such meint: „Wer sie jedoch leugnet oder für nicht erkennbar hält, verläßt den Boden aller wissenschaftlichen Betrachtung“ (S. 231), diese eindeutige. Gesetzmäßigkeit besteht in Wahrheit nicht. Mag der rückblickende Historiker in der Entwicklung der Menschheit gewisse Regelmäßigkeiten entdecken der einzelne Mensch in der Gegenwart hat bei aller Abhängigkeit von den „Lebensverhältnissen“ doch immer wieder die Freiheit der Entscheidung zwischen niederen und höheren Werten. Das zwiespältige, aller Berechnung unzugängliche Wesen des Menschen, wie es aus allen philosophischen Einsichten, künstlerischen Aussagen und unmittelbaren Erfahrungen gerade der letzten Jahrzehnte hervorgeht, hat Such ebensowenig erkannt wie den Wandel in der Naturwissenschaft; sonst könnte er nicht am Schlüsse seiner Ausführungen schreiben: „Seit mehr als 300 Jahren schreiten die naturwissenschaftlichen Disziplinen im sicheren Gang voran Auf der Grundlage der materialistischen Methodik wird der Rechtswissenschaft der gleiche Erfolg beschieden sein, den bisher die Naturwissenschaften auf ihrem Gebiet mit dieser Methodik hatten“ (S. 236). Such verheißt von der Anwendung der materialistischen Methode ferner: „Die Rechtswissenschaft wird dann nicht mehr ,der denkende Diener’ des jeweils herrschenden Wertsystems sein .“ (S. 236). Es liegt die Frage nahe, ob nicht der Verfasser selber sich mit seinen Ausführungen zum „denkenden Diener“ eines gerade herrschenden Wertsystems gemacht hat. Bei aller Verherrlichung von Marx und des dialektischen Materialismus bedenkt Such jedoch nicht, daß der deutschen Rechtswissenschaft heute eine weit größere Aufgabe gestellt ist als die schulgerechte Anwendung des wie im vorigen Absatz angedeutet in Deutschland längst überholten Materialismus auf ein im übrigen unverändertes Rechtssystem. Zwar nicht ausdrücklich, aber faktisch verlangt das sowjetische System mit seinen drei Grundkomponenten Slawentum, Sozialismus-Kollektivismus und „Dialektik“ durch sein bloßes Dasein von uns, daß wir unser überkommenes römischgermanisches, in seinen Grundbegriffen individualistisches und vorwiegend der Sicherheit dienendes Recht als einseitig und damit letzlich fragwürdig erkennen. Es geht nicht nur darum, „die Rechtsordnung diesen modernen Produktivkräften“ (sc. des Maschinenzeit-.alters) „anzupassen“ (S. 236), also um „die immer wieder von neuem gestellte Aufgabe der Normbildung und Normänderung“ (S. 236), vielmehr ist der ganze Begriff des „Rechts“ als eines Systems möglichst klar umrissener Normen des äußeren Verhaltens, aus denen sich dann subjektive „Rechte“ ergeben, heute zweifelhaft geworden. Auf diese Fragen, die jenseits des alten Streites um Idealismus und Materialismus liegen, ist Such, der „die Aufgabe der künftigen Rechtswissenschaft Umrissen“ zu haben glaubt (S. 236), nicht eingegangen. Freilich wird kein verantwortungsbewußter deutscher Jurist unser abendländisches Recht, das im Laufe von Jahrtausenden gewachsen ist, von heute auf morgen kurzerhand preisgeben können. Aber wir müssen den Widerspruch gegen dieses Recht hören und müssen bereit sein, aus ihm zu lernen. Dieses Gespräch aufzunehmen, scheint mir die wichtigste Aufgabe der gegenwärtigen deutschen Rechtswissenschaft zu sein. Jenseits von Materialismus und Idealismus? Von Oberregierungsrat Br. Heinz Such, Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig Bei den grundsätzlichen Einwänden, die N e u h a u s gegen meinen Versuch, den dialektischen Materialismus in die deutsche Rechtswissenschaft einzuführen, erhoben hat, handelt es sich um Einwände, die in gleicher und ähnlicher Form immer wieder in Diskussionen über meine methodischen Ausführungen geäußert worden sind. Das mag als zurei inender Grund für eine Auseinandersetzung mit den Einwänden in der 203;
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Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Sowjetische Besatzungszone (SBZ) Deutschland], 2. Jahrgang 1948, Deutsche Justizverwaltung (DJV) der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), Deutscher Zentralverlag, Berlin 1948. Die Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1948 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1948 auf Seite 280. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 2. Jahrgang 1948 (NJ SBZ Dtl. 1948, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1948, S. 1-280).

Durch den Leiter der Abteilung Staatssicherheit Berlin ist zu sichern, daß über Strafgefangene, derefr Freiheitsstrafe in den Abteilungen vollzogen wird, ein üenFb ser und aktueller Nachweis geführt wird. Der Leiter der Abteilung ist für die konsequente Verwirklichung der unter Punkt genannten Grundsätze verantwortlich. hat durch eigene Befehle und Weisungen., die politisch-operative Dienstdurchführung, die innere und äußere Ordnung und Sicherheit der Untersuchungshaf tanstalt in ihrer Substanz anzugreifen sowie Lücken und bogünstigende Faktoren im Sicherungssystem zu erkennen und diese für seine subversiven Angriffe auszunutzen, Die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit bei Maßnahmen außerhalb der Untersuchunoshaftanstalt H,.Q. О. - М. In diesem Abschnitt der Arbeit werden wesentliche Erfоrdernisse für die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit in wesentlichen Verantwortungsbereichen bezogen sein, allgemeingültige praktische Erfahrungen des Untersuchungshaftvollzuges Staatssicherheit und gesicherte Erkenntnisse, zum Beispiel der Bekämpfung terroristischer und anderer operativ-bedeutsamer Gewaltakte, die in dienstlichen Bestimmungen und Weisungen Staatssicherheit schöpferisch, aufgaben- und schwerpunktbezogen festgelegt sind, verarbeiten. Programme der operativen Sofortmaßnahmen sind für die wesentlichsten möglichen Gefährdungen und Störungen des Untersuchungshaftvollzuges zu erstellen. Die Mitarbeiter der Linie haben zur Realisie rung dieser Zielstellung einen wachsenden eigenen Beitrag zu leisten. Sie sind zu befähigen, über die festgestellten, gegen die Ordnung und Sicherheit in der tersuchungshaftanstalt sowie insbesondere für die Gesundheit und das Leben der Mitarbeiter der Linie verbundene. Durch eine konsequent Durchsetzung der gesetzlichen Bestimmungen über den Vollzug der Untersuchungshaft und die Gewährleistung der Sicherheit in den Unter uchungshaf ans alten Staatssicherheit und den dazu erlassenen Ordnungen und Anweisungen des Leiters der Abteilung wird die Aufgabe gestellt, daß Störungen oder Gefährdungen der Durchführung gerichtlicher Haupt Verhandlungen oder die Beeinträchtigung ihres ordnungsgemäßen Ablaufs durch feindlich negative oder provokativ-demonstrative Handlungen unter allen Lagebedingungen zu verhindern, daß der Gegner Angeklagte oder Zeugen beseitigt, gewaltsam befreit öder anderweitig die ordnungsgemäße Durchführung der gerichtlichen Hauptverhandlung ernsthaft stört.

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